L 20 AS 2061/12 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
20
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 169 AS 15851/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 20 AS 2061/12 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 02. August 2012 abgeändert. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird vollumfänglich abgelehnt. Außergerichtliche Kosten sind für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer (Antragsgegner im Ausgangsverfahren) wendet sich gegen die mit dem Beschluss ergangene einstweilige Verpflichtung, den Antragstellern Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – SGB II – ab 18. Juni 2012 bis 30. September 2012 zu gewähren.

Die Antragsteller zu 1. und 2. sind die miteinander verheirateten Eltern der 1995 bis 1997 geborenen Antragsteller zu 3. bis 5. Alle sind rumänische Staatsangehörige. Die Antragsteller halten sich seit 2008 in Deutschland auf. Nachdem den Antragstellern zumindest zuletzt bis 31. Mai 2012 Leistungen nach dem SGB II (vorläufig) bewilligt worden waren (Bescheid vom 16. November 2011, mtl. 1477,67 Euro), hob der Antragsgegner mit Bescheid vom 24. April 2012 die Bewilligung für die Zeit ab 01. März 2012 mit der Begründung auf, aus dem Aufenthaltsrecht allein zur Arbeitssuche hätten die Antragsteller keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II. Es seien grob fahrlässig falsche Angaben gemacht worden. Hiergegen haben die Antragsteller am 04. Mai 2012 Widerspruch erhoben.

Einen Antrag auf Weiterzahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vom 15. Juni 2012 lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 26. Juni 2012 ab. Auch hiergegen haben die Antragsteller am 16. Juli 2012 Widerspruch erhoben.

Die Antragsteller haben am 18. Juni 2012 beim Sozialgericht Berlin beantragt, den Antragsgegner im Wege des Erlasses einer einstweiligen Verfügung zu verpflichten, ihnen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes und Kosten für Unterkunft und Heizung ab Antragseingang bei Gericht in Höhe von mtl. 1477,67 Euro sowie Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung zu gewähren.

Mit Beschluss vom 02. August 2012 hat das Sozialgericht den Antragsgegner im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern für den Zeitraum ab 18. Juni 2012 bis 30. September 2012 Leistungen nach dem SGB II zu gewähren und zwar für den Monat Juni in Höhe von insgesamt 364,00 Euro, für Juli bis September in Höhe von monatlich insgesamt 839,60 Euro. Im Übrigen hat das Sozialgericht den Antrag abgelehnt.

Gegen den am 08. August 2012 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner am 16. August Beschwerde eingelegt. Er ist der Auffassung, die Antragsteller sind vom Leistungsbezug des SGB II ausgeschlossen.

Auf den Antrag des Antragsgegners hat der Senat mit Beschluss vom 20. August 2012 die Vollstreckung aus dem Beschluss ausgesetzt.

Der Antragsgegner beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 02. August 2012 abzuändern und den Antrag der Antragsteller vollumfänglich abzulehnen.

Die Antragsteller beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des Verwaltungsvorgangs des Antragsgegners Bezug genommen, der vorlag und Gegenstand der Beratung gewesen ist.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das Sozialgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss den Antragsgegner zu Unrecht zur Leistungserbringung an die Antragsteller verpflichtet.

Die Voraussetzungen für den Erlass der einstweiligen Anordnung lagen nicht vor. Der Beschluss war daher abzuändern und der Antrag der Antragsteller insgesamt abzuweisen.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Antragsteller müssen glaubhaft machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO), dass ihnen ein Anspruch auf die geltend gemachte Leistung zusteht (Anordnungsanspruch) und dass das Abwarten einer gerichtlichen Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren für sie mit unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre (Anordnungsgrund). Die Antragsteller haben einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.

Die Antragsteller sind als rumänische Staatsbürger von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sind Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen ausgenommen. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Die Antragsteller haben nicht glaubhaft gemacht, dass die Antragsteller zu 1) und 2) ein anderes als dem Zweck der Arbeitsuche dienendes Aufenthaltsrecht haben.

Ein Aufenthaltsrecht ergibt sich nicht aus § 2 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU). Gemäß § 2 Abs. 1 FreizügG/EU haben freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und ihre Familienangehörigen das Recht auf Einreise und Aufenthalt nach Maßgabe dieses Gesetzes. Gemeinschaftsrechtlich freizügigkeitsberechtigt sind nach § 2 Abs. 2 FreizügG/EU u. a. Unionsbürger, die sich als Arbeitnehmer, zur Arbeitssuche oder zur Berufsausbildung aufhalten wollen (Nr. 1) oder Unionsbürger, wenn sie zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit berechtigt sind (niedergelassene selbständige Erwerbstätige) (Nr. 2). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Denn die Antragsteller haben nicht glaubhaft gemacht, dass die Antragsteller zu 1) und 2) selbständigen Tätigkeiten nachgehen. Der Antragsteller zu 2) hat für die von ihm vorgetragene selbständige Tätigkeit im Rahmen des angemeldeten Gewerbes "Abrissarbeiten und Rauhfasertapete kleben und anstreichen" trotz Aufforderung des Sozialgerichts keine Belege eingereicht, aus denen sich eine wirtschaftliche Erwerbstätigkeiten herleiten ließe. Aufträge und Einnahmen hieraus sind nicht glaubhaft gemacht, Quittungen über erhaltene Vergütungen für Dienstleistungen sind weder zum Verwaltungsvorgang noch zur Gerichtsakte gereicht worden. Soweit die Prozessbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 13. Juli 2012 ausgeführt hat, die mit der Antragsschrift eingereichten Quittungen des "S W" beträfen Dienstleistungen des Antragstellers zu 2) ist dies schlicht unzutreffend. Die Quittungen sind für Reinigungsarbeiten ausgestellt worden, ein solches Gewerbe ist von der Antragstellerin zu 1) angemeldet, für diese Arbeiten sind auch Rechnungskopien der Antragstellerin eingereicht worden (Blatt 52 bis 54 der Gerichtsakte). Der Antragsteller zu 2) hat daher nicht glaubhaft gemacht, eine eigene Leistung gegen Entgelt am Markt zu erbringen, im Rahmen eines Leistungsaustausches tätig zu sein (vgl. zu den Anforderungen auch: BFH v. 06. Juni 1973, I R 203/71, juris; LSG Berlin-Brandenburg v. 09.09.2010, L 10 AS 1023/10 B ER, L 10 AS 1028/10 B PKH zur Tätigkeit als Pfandflaschensammler, m.w.N.). Bei ihm ist daher von einem Aufenthaltszweck der Arbeitssuche auszugehen.

Dies gilt auch für die Antragstellerin zu 1). Auch sie hat eine selbständige Tätigkeit nicht glaubhaft gemacht. Die von ihr zur Glaubhaftmachung eingereichten Unterlagen sind nicht geeignet. Wie bereits der Antragsgegner im sozialgerichtlichen Verfahren zutreffend ausgeführt hat, sind die eingereichten Unterlagen unstimmig. Diese Unstimmigkeiten hat die Antragstellerin zu 1) nicht ausgeräumt. Die eingereichten Auftragskopien der Firma I bezeichnen im Briefkopf die Mobilfunknummer, die die Antragstellerin zu 1) auf ihren Rechnungen als ihre eigene angibt. Hier liegt die Vermutung nahe, dass ein Briefkopf – unvollständig – hereinkopiert worden ist (Auftrag v. 26.03.2011, Rechnung vom 28.02.2012). Soweit die Antragstellerin zu 1) Quittungen der Firma SW eingereicht hat, hat sie schriftsätzlich vortragen lassen, dass sie keinen Auftrag dieser Firma erhalten habe. Bei diesen widersprüchlichen Angaben bestehen erhebliche Zweifel an dem Wahrheitsgehalt der Angaben überhaupt und an der Aussagekraft der vorgelegten Belegkopien (Originale wurden nicht vorgelegt). Soweit die Antragsteller mit Schriftsatz im Beschwerdeverfahren meinen, bestehende Zweifel an der selbständigen Tätigkeit ließen sich im Eilverfahren nicht aufklären, so dass im Wege der Folgenabwägung zu entscheiden sei, verkennen sie, dass der geltend gemachten Anordnungsanspruch ihrerseits glaubhaft zu machen ist. Hierzu haben sie keine geeigneten Mittel zur Glaubhaftmachung vorgelegt. Bei dieser Sachlage musste der Senat von Amts wegen im Hinblick auf die geltend gemachte Eilbedürftigkeit nicht weiter – ins Blaue hinein – ermitteln.

Die Antragstellerin zu 3) hat nicht geltend gemacht, als Arbeitnehmerin beschäftigt oder selbständig tätig zu sein.

Der Aufenthaltszweck der Arbeitssuche führt hier dazu, dass der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II für den Antragsteller zu 1) und die Familienangehörigen (Antragstellende zu 2) bis 9)) Anwendung findet.

§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist als geltendes Recht auch anzuwenden (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz – GG). Der Senat ist von der Europarechtswidrigkeit des § 7 Abs. 1. Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht überzeugt. Nur eine solche Überzeugung könnte ihn ausnahmsweise berechtigen, dieses formelle Gesetz nicht anzuwenden. Anders als in Verfahren nach § 86b Abs. 1 SGG, bei denen ggf. eine Entscheidung aufgrund einer Interessenabwägung zu treffen ist (vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 13. März 1996 – 7 NC 147.95, NVwZ 1996, 1239; OVG Lüneburg, Beschlüsse vom 10. März 2010 – 12 ME 176/08, NuR 2010, 290, und vom 5. Januar 2011 – 1 MN 178/10, BauR 2010, 990), sind die Gerichte im Rahmen des § 86b Abs. 2 SGG grundsätzlich nicht berechtigt, formelle Gesetze als unwirksam zu behandeln. Dies gilt insbesondere, wenn das Gericht lediglich Zweifel an der Vereinbarkeit der Norm mit höherrangigem Recht hat (a. A. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 11. August 2011 – L 15 AS 188/11 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 30. November 2010 – L 34 AS 1501/10 B ER –, vom 17. Mai 2011 – L 28 AS 566/11 B ER –, vom 20. Juni 2011 – L 25 AS 535/11 B ER – und vom 30. September 2011 – L 14 AS 1148/11 B ER, L 14 AS 1152/11 B PKH; Bayerisches LSG, Beschluss vom 22. Dezember 2010 – L 16 AS 767/10 B ER; Hessisches LSG, Beschluss vom 14. Juli 2011 – L 7 AS 107/11 B ER). Nur ausnahmsweise, wenn das Gericht von der Europarechtswidrigkeit einer innerstaatlichen Norm überzeugt ist und zudem die Durchsetzung der Ansprüche des Antragstellers endgültig versagt würde, kommt Art. 19 Abs. 4 GG Vorrang vor Art. 20 Abs. 3 GG zu mit der Folge, dass ausnahmsweise eine einstweilige Anordnung ergehen kann. Diese setzt jedoch eine ansonsten abschließende Prüfung der Sach- und Rechtslage auch im Eilverfahren voraus; für eine "Folgenabwägung" ist hingegen kein Raum (so im Ergebnis auch SG Dresden, Beschluss vom 5. August 2011 – S 36 AS 3461/11 ER). Eine Überzeugung von der Europarechtswidrigkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II lässt sich den vorgenannten Entscheidungen der Landessozialgerichte nicht entnehmen. Ein Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof durch ein Landessozialgericht ist nicht bekannt. Auch der Senat kann eine solche Überzeugung nicht gewinnen.

§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist nicht schon wegen des Gleichbehandlungsgebots des Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) unanwendbar (vgl. BSG, Urteil vom 18. Januar 2011 – B 4 AS 14/10 R). Die Antragsteller sind nicht vom Schutzbereich des EFA erfasst, weil Rumänien dieses Abkommens bislang nicht ratifiziert hat.

Der Senat ist auch nicht davon überzeugt, dass der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht von Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG – sog. Unionsbürgerrichtlinie – gedeckt ist, soweit Leistungen zum Lebensunterhalt begehrt werden (so auch Peters in Estelmann, SGB II, § 7 Rn. 14, und mit zutreffenden Erwägungen LSG Berlin-Brandenburg im Beschluss vom 8. Juni 2009 – L 34 AS 790/09 B ER –; inzwischen hat dieser Senat seine Rechtsprechung allerdings aufgegeben, Beschluss vom 30. November 2011 – L 34 AS 1501/10B ER, L 34 AS 1518/10 B PKH). Nach Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG ist der Aufnahmemitgliedstaat nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Artikel 14 Absatz 4 Buchstabe b einen Anspruch auf Sozialhilfe oder vor Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt Studienbeihilfen, einschließlich Beihilfen zur Berufsausbildung, in Form eines Stipendiums oder Studiendarlehens zu gewähren. Art. 14 Abs. 4 Buchstabe b der Richtlinie bestimmt, dass auf keinen Fall eine Ausweisung verfügt werden darf, wenn die Unionsbürger in das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats eingereist sind, um Arbeit zu suchen. In diesem Fall dürfen die Unionsbürger und ihre Familienangehörigen nicht ausgewiesen werden, solange die Unionsbürger nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und dass sie eine begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II beruht auf diesen europarechtlichen Bestimmungen (vgl. BT-Drs. 16/688, S. 13). Der Senat hat auch keine Bedenken, die vorliegend erstrebten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Sozialhilfeleistungen im Sinne des Art. 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie anzusehen. Die Frage, welche Leistungen unter diesen Sozialhilfebegriff fallen, ist im Einklang mit Art. 39 Abs. 2 des EG-Vertrags (EGV) zu beantworten (EuGH, Urteil vom 4. Juni 2009, Vatsouras, Koupatantze, C 22-/08 und C 23/08). Nach Art. 39 Abs. 2 EGV umfasst die Arbeitnehmerfreizügigkeit, die nach Art. 39 Abs. 1 EGV gewährleistet wird, die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen. Vor dem Hintergrund dieses Gleichbehandlungsgrundsatzes ist es nicht mehr möglich, Staatsangehörige eines Mitgliedstaates, die in einem anderen Mitgliedstaat eine Beschäftigung suchen, von finanziellen Leistungen auszunehmen, sofern diese den Zugang zum Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates erleichtern sollen (EuGH, Urteile vom 23. März 2004, Collins, C-138/02, und vom 15. September 2005, Ioannidis, C-258/04). Es kann dahin stehen, dass Rumänen gemäß § 1 Abs. 3 EU-Beitrittsvertrag in Verbindung mit dem Beschluss des Bundeskabinetts vom 7. Dezember 2011 noch bis zum 31. Dezember 2013 in ihrer Freizügigkeit eingeschränkt sind, da es sich bei den von den Antragstellern beantragten Leistungen ohnehin nicht um finanzielle Leistungen handelt, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen, sondern um staatliche Fürsorgeleistungen, die der Existenzsicherung dienen. Es ist Sache der nationalen Behörden und innerstaatlichen Gerichte, nicht nur das Vorliegen einer tatsächlichen Verbindung mit dem Arbeitsmarkt festzustellen, sondern auch die grundlegenden Merkmale dieser Leistungen zu prüfen (EuGH, Urteil vom 4. Juni 2009, Vatsouras, Koupatantze, C 22-/08 und C 23/08). Grundlegendes Merkmal der von den Antragstellern begehrten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ist deren "Passivität", das heißt deren Existenz sichernde Funktion (vgl. zum Charakter des SGB II als Fürsorgegesetz BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 14 AS 23/10 R); sie begehren hingegen nicht "aktive" Leistungen der Eingliederung in Arbeit (vgl. zur Trennbarkeit der Leistungen im SGB II auch ausführlich SG Berlin, Urteil vom 16. Dezember 2011 – S 26 AS 10021/08; Beschluss des SG Dresden vom 5. August 2011 – S 36 AS 3461/11 ER; LSG Berlin-Brandenburg, 34. Senat, a. a. O.; a.A. LSG Rheinland-Pfalz v. 21.08.2012, L 3 AS 250/12 B ER, juris allerdings mit dem Ergebnis, dass bei der Anwendung des Art 24 Abs. 2 Unionsbürgerrichtlinie bezogen auf einen Leistungsanspruch nach dem SGB II eine tatsächlichen Verbindung zum deutschen Arbeitsmarkt in der Person des Antragstellers vorliegen muss). Die Regelungen des SGB II führen die frühere Arbeitslosenhilfe einerseits und die frühere Sozialhilfe andererseits zusammen (BT-Drs. 15/1516, S. 44). Das bisherige Nebeneinander von zwei staatlichen Fürsorgeleistungen sollte beendet, der Grundsatz "Arbeit statt passiver Leistung" besser umgesetzt werden (a. a. O.). Die Leistungen zur Eingliederung in Arbeit werden aber weiterhin als aktive Leistungen zur Eingliederung in Arbeit und als passive Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts erbracht (a. a. O., S. 50). Während die aktiven Leistungen den Erwerbsfähigen bei der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit unterstützen sollen, sollen die passiven Leistungen den Lebensunterhalt des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft sichern, soweit sie ihn nicht auf andere Weise bestreiten können (a. a. O.). Die Antragsteller begehren allein Leistungen, die der Existenzsicherung dienen, und damit Sozialhilfeleistungen im Sinne des Art. 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie.

Der Senat ist auch nicht davon überzeugt, dass sich eine Europarechtswidrigkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II aus einem Verstoß gegen die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit – VO 883/2004 – ergibt. Es werden zwar Zweifel erhoben, ob der Leistungsausschluss im SGB II mit der VO 883/2004 vereinbar ist (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30. September 2011 – L 14 AS 1148/11 B ER, L 14 AS 1152/11 B PKH; SG Dresden, Beschluss vom 5. August 2011 – S 36 AS 3461/11 ER). Der Senat hält die Annahme der Unvereinbarkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II aber nicht für zwingend.

Nach Art. 4 der VO 883/2004 haben Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staats, soweit mit der VO nichts anderes bestimmt ist. Der persönliche Geltungsbereich der Verordnung erstreckt sich gemäß Art. 2 Abs. 1 u. a. auf Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, der sachliche Geltungsbereich gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. h) auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit. Während Art. 3 Abs. 1 VO 883/2004 die Anwendbarkeit der VO auf die Systeme der sozialen Sicherheit regelt und damit diese einer Exportpflicht unterwirft, regelt Art. 3 Abs. 5 Lit. a) VO 883/2004 den Ausschluss der Fürsorgeleistungen vom Anwendungsbereich der VO und damit von der Exportpflicht. In Reaktion auf Ausgestaltungen von Sozialleistungssystemen in den Mitgliedsstaaten, die die Kategorisierung von Leistungen in solche der sozialen Sicherung einerseits und Leistungen der Fürsorge andererseits erschwerten und aufgrund der Rechtsprechung des EuGH wurde bereits mit Art. 10a Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1408/71 eine Regelung geschaffen, die für etwaige "Mischleistungen", nämlich für besondere beitragsunabhängige Leistungen, eine Ausnahme von der generellen Exportpflicht (Art. 10 Abs. 1 VO 1408/71) vorsah. Für diese Leistungen, sofern sie denn als beitragsunabhängige Sonderleistungen von den Koordinierungsregelungen der VO erfasst waren, sollte der Leistungstransfer in das europäische Ausland ausgeschlossen werden. Eine Erweiterung des anspruchsberechtigten Personenkreises war damit nicht verbunden; bereits Art 10a Abs. 1 Satz 2 VO 1408/71 bestimmte, dass die Leistungen ausschließlich im Wohnmitgliedsstaat und ausschließlich nach dessen Rechtsvorschriften erbracht werden.

Auch nach Art. 3 Abs. 3 VO 883/2004 gilt nunmehr die (Nachfolge-)Verordnung ausdrücklich auch für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen gemäß Art. 70. Als solche Leistungen sind gemäß Art. 70 Abs. 2 lit. c) i. V. m. Anhang X für Deutschland auch Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts der Grundsicherung für Arbeitsuchende, soweit für diese Leistungen nicht dem Grunde nach die Voraussetzungen für den befristeten Zuschlag nach Bezug von Arbeitslosengeld (§ 24 Abs. 1 SGB II) erfüllt sind, aufgeführt. Dies führt jedoch nicht zu der Annahme eines grundsätzlichen Anspruchs aller Unionsbürger auf scheinbar alle Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Art. 4 VO 883/2004 bestimmt den Gleichbehandlungsgrundsatz sofern in der VO selbst nichts anderes bestimmt ist. Art. 70 Abs. 4 VO 883/2004 regelt, dass die besonderen beitragsunabhängigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnortlandes geleistet werden. Hier können Zugangsregelungen geschaffen werden. Eine Ausweitung der grundsätzlichen Leistungsberechtigungen der beitragsunabhängigen Leistungen nach nationalem Recht für alle Unionsbürger war auch mit der Regelung des Art. 70 VO 883/2004 nicht bezweckt. Dieses Verständnis entspricht der historisch-systematischen sowie teleologischen Auslegung. Die Unionsbürgerrichtlinie, die in Art. 24 Abs. 2 die Möglichkeit eines Leistungsausschlusses eröffnet, und die VO 883/2004, wonach der vorgenannte Leistungsausschluss gerade nicht möglich sein soll, datieren auf denselben Tag, nämlich den 29. April 2004. Es ist nicht davon auszugehen, dass das Europäische Parlament und der Rat sich widersprechende Regelungswerke in Kraft setzen wollten (vgl. zu den "Widersprüchlichkeiten" SG Dresden, a. a. O., das allerdings deshalb zu dem Schluss der Unvereinbarkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II mit der VO 883/2004 kommt). Dies gilt umso mehr, als mit der VO 883/2004 die Koordinierung der Sozialsysteme, aber gerade nicht die Vereinheitlichung der materiellen Standards bezweckt war (vgl. Schreiber in VO (EG) Nr. 883/2004, Kommentar, 2012, Einleitung Rn. 5), eine Aushöhlung der Möglichkeit des mitgliederstaatlichen Leistungsausschlusses auf der Grundlage des Art. 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie durch die Regelungen in VO 883/2004 also nicht beabsichtigt gewesen sein dürfte. Nach dem bisherigen materiellen Standard, der in der Verordnung (EG) Nr. 1408/71, die durch Art. 90 der VO 883/2004 überwiegend aufgehoben wurde, abgebildet ist, waren nicht auch Arbeitssuchende vom persönlichen Anwendungsbereich erfasst (Art. 2 VO 1408/71; vgl. hierzu Schreiber, a. a. O. Art. 70 Rn. 5; LSG Rheinland-Pfalz v. 21.08.2012, L 3 AS 250/12 B ER, juris, Rn. 26).

Mit der Aufnahme der Leistungen zur Sicherung der Lebensunterhalts der Grundsicherung für Arbeitsuchende in den zuvor leeren Anhang X der VO 883/2004 mit der Verordnung (EG) Nr. 988/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 ist damit keine Abkehr vom bisherigen materiellen Standard erfolgt, sondern auf die Einführung dieser Leistungen und der Grundsicherungsleistungen nach dem 4. Kapitel des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch - SGB XII – reagiert und sichergestellt worden, dass diese Leistungen – soweit sie die weiteren Voraussetzungen des Art. 70 Abs. 2 VO 883/04 erfüllen, also "Mischleistungen" sind - nicht dem generellen Exportgebot unterfallen, sondern nur in Deutschland erbracht werden (hierzu ausführlich: LSG Rheinland-Pfalz v. 21.08.2012, L 3 AS 250/12 B ER, juris, Rn. 24). Soweit es sich bei den Leistungen nach dem SGB II nicht um "besondere beitragsunabhängige" i.S. des Art. 70 Abs. 2 VO 883/04 handelt, sie reine Fürsorgeleistungen sind, sind sie weiterhin bereits nach Art 3 Abs. 5 VO 883/04 nicht von den Koordinierungsvorschriften erfasst.

Die Leistungen nach dem SGB II sind mit Aufnahme im Anhang X als insoweit besondere beitragsunabhängige Leistungen im Sinne des Art. 70 VO 883/2004 qualifiziert, als sie – nach den vorstehenden Ausführungen – Leistungen der sozialen Fürsorge darstellen und eine Leistung der Sozialen Sicherheit ersetzen oder ergänzen. Die Leistungen nach §§ 19 ff. "ergänzen" nicht Leistungen der sozialen Sicherheit (vgl. hierzu Fuchs, in Europäisches Sozialrecht, 5. Auflage 2010, Rn. 11), da sie nicht zusammen mit einer der von Art. 3 Abs. 1 VO 883/04 erfassten Leistung erbracht werden (hier Arbeitslosengeld nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch – SGB III -). Die Leistungen der §§ 19 ff. SGB II ersetzen auch nicht in jeder Leistungsform eine Leistung der Sozialen Sicherheit im Sinne des Art. 3 VO 883/04, hier eine Leistung bei Arbeitslosigkeit. Ersatzweise i.S. Art. Abs. 2 VO 883/04 werden solche Leistungen gewährt, die anstelle von Regelleistungen in Versicherungsfällen nach Art. 3 Abs. 1 VO 883/04 gewährt werden, es muss ein "exakt identischer Versicherungsfall" (Fuchs, a.a.O.) gegeben sein. Dies ist in den Fällen, in denen das Arbeitslosengeld II nach dem SGB II, welches nicht an die Arbeitslosigkeit, sondern an die Bedürftigkeit mangels Einkommens und Vermögens trotz bestehender Erwerbsfähigkeit anknüpft, jedenfalls dann nicht gegeben, wenn der reine Fürsorgecharakter der Leistung im Vordergrund steht, d.h. kein Bezug zu einem vorausgegangenen Verlust eines Arbeitsplatzes gegeben ist.

Ob die hier in Rede stehenden Leistungen der §§ 19 ff. SGB II insgesamt tatsächlich besondere beitragsunabhängige Sonderleistungen oder nicht doch insgesamt Leistungen der sozialen Fürsorge sind, wäre ggf. vom EuGH zu überprüfen (vgl. hierzu Schreiber a. a. O., Art. 70 Rn. 22). § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II regelt jedenfalls allein einen Ausschluss von reinen Fürsorgeleistungen i.S. des Art. 3 VO 883/2004. Die so verstandene Regelung der Art. 3 Abs. 3, Art. 70 VO 883/2004 führt auch nicht zu der Annahme, dass die Aufnahme der Leistungen der Grundsicherung nach §§ 19 ff. SGB etwa ins Leere läuft. Da Unionsbürger nicht generell vom Leistungsbezug nach §§ 19 ff. SGB II ausgeschlossen sind, bestand ein Regelungsbedarf dahin, diese betragsunabhängige Leistung, soweit sie eine besondere Leistung i.S. des Art. 70 Abs. 2 VO 883/2004 ist, nicht den generellen Exportverpflichtungen der VO zu unterwerfen (Art. 7 VO 883/2004) und nur spezielle Koordinierungsregelungen für anwendbar zu erklären (so das Wohnortprinzip, Art. 70 Abs. 4 VO 883/2004).

Erst Recht bei Staatsangehörigen Rumäniens und Bulgariens führt auch eine europarechtsfreundliche Auslegung des "effet utile" nicht zu Zweifeln an der Euraoparechtskonformität des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II. Denn vor dem Hintergrund, dass Staatsangehörige dieser Länder bis Ende 2013 weiterhin – und wegen § 1 Abs. 3 EU-Beitrittsvertrag europarechtlich legitimiert – von der uneingeschränkten Freizügigkeit ausgeschlossen sind, besteht ein objektiver Grund, sie von den hier beantragten Leistungen auszuschließen. Der Ausschluss von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II korrespondiert für Rumänen und Bulgaren mit deren Ausschluss von der uneingeschränkten Freizügigkeit (vgl. hierzu die ausführliche Begründung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen im Beschluss vom 28. Juni 2001 – L 19 AS 317/11 B ER – m. w. N.). Im Übrigen geht auch die Bundesregierung in Übereinstimmung mit der hier vertretenen Auffassung ausweislich des nach Art. 16 Buchstabe b EFA erklärten Vorbehalts weiterhin davon aus, dass § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II rechtswirksam jeden Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II von Staatsangehörigen auch aller anderen Mitgliedstaaten ausschließt.

Der Senat verkennt nicht, dass die Antragsteller trotz rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet keinen Zugang zu existenzsichernden Leistungen nach dem SGB II haben und daher auch ihr eingeschränktes Freizügigkeitsrecht tatsächlich nicht mit Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II wahrnehmen können. Dies ist jedoch – wie dargestellt – mit europarechtlichen Vorgaben vereinbar. Inwieweit unter Beachtung verfassungsrechtlicher Vorgaben der Zugang zur Übernahme von Reise und Verpflegungskosten zur Existenzsicherung (vgl. hierzu BVerfG v. 09.02.2001, 1 BvR 781/98, juris zu § 120 Abs. 5 BSHG) im bundesdeutschen Recht gewährleistet sein muss und ggf. eine einschränkende Auslegung von Leistungsausschlüssen im Recht der existenzsichernden Leistungen geboten ist, war nicht zu entscheiden, da die Antragsteller solche Leistungen nicht beantragt haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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