L 5 AS 378/10 B ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 1 AS 1997/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 5 AS 378/10 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschlüsse des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 24. August 2010 werden klarstellend wie folgt neugefasst:

Die aufschiebende Wirkung der Widersprüche der Antragstellerin gegen die Bescheide des Antragsgegners vom 13. und 26. Juli sowie 16. August 2010 wird angeordnet und der Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig die mit Bescheid vom 5. Mai 2010 bewilligten und noch einbehaltenen Leistungen für August bis November 2010 auszuzahlen.

Die Beschwerden des Antragsgegners werden zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die außergerichtlichen Kosten der Beschwerdeverfahren zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin wendet sich mit zwei Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die vom Antragsgegner und Beschwerdeführer mit mehreren Bescheiden verfügte Einstellung bzw. Entziehung der zuvor bewilligten Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Die im Jahr 1969 geborene Antragstellerin bewohnte mit ihrer im Jahr 1990 geborenen Tochter und ihrem am 14. Oktober 2002 geborenen, behinderten Sohn (GdB 40) eine Wohnung in V., für die eine Gesamtmiete iHv 433,22 EUR zu zahlen war. Für den Sohn wurde von der Pflegekasse ein monatliches Pflegegeld iHv 215 EUR gezahlt. Die Tochter erzielte Einnahmen aus Kindergeld iHv 164 EUR sowie Unterhaltsleistungen iHv 292 EUR. Der Sohn bezog ebenfalls Kindergeld iHv 164 EUR sowie Unterhaltsleistungen iHv 262 EUR von seinem Vater B. G.

Mit bestandskräftigem Bescheid vom 5. Mai 2010 bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin für den Bewilligungszeitraum vom 1. Juni bis zum 30. November 2010 monatliche Leistungen iHv 530,10 EUR. Den Kindern gewährte er lediglich im August 2010 zusätzliche Leistungen für die Schule iHv je 100 EUR. Die Leistungen der Antragstellerin setzten sich zusammen aus ihrem Anteil an den Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU) iHv 144,67 EUR und der Regelleistung einschließlich des Mehrbedarfs für Alleinerziehung iHv insgesamt 385,43 EUR. Auf den Bedarf der Antragstellerin wurde ein Teil des den Bedarf der Kinder übersteigenden Kindergelds angerechnet.

Nachdem der Antragsgegner am 15. Januar 2009 und 23. April 2010 Hausbesuche in der Wohnung der Antragstellerin durchgeführt hatte, teilte er ihr mit Anhörungsschreiben vom 2. Juni 2010 mit, die Leistungen seien möglicherweise zu mindern oder ganz einzustellen. Denn im Ergebnis der Hausbesuche sei davon auszugehen, dass die Antragstellerin mit B. G. eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft bilde. Am 15. Januar 2009 sei dieser in der Wohnung der Antragstellerin angetroffen worden; am 23. April 2010 seien dessen persönliche Sachen (Kleidung) und Unterlagen (Finanzamt) in der Wohnung vorgefunden worden. Weiterhin seien dessen Termine in dem Küchenplaner der Antragstellerin notiert gewesen. Am 26. Januar 2010 habe die Antragstellerin bei einer Vorsprache einen Verlobungsring getragen.

Nachdem der Antragsgegner der Antragstellerin telefonisch angekündigt hatte, für Juli 2010 keine Leistungen mehr auszuzahlen, hat sie am 30. Juni 2010 bei dem Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG) einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt, mit dem sie die Auszahlung der bereits bewilligten Leistungen ab dem Monat Juli 2010 beantragt hat (S 1 AS 1997/10 ER). In der Folge hat der Antragsgegner die für Juli 2010 bewilligten Leistungen ausgezahlt.

Mit "Feststellungsbescheid" vom 6. Juli 2010 hat der Antragsgegner festgestellt, es bestehe eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft mit B. G. Er sei gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 3 SGB II Mitglied der Bedarfsgemeinschaft der Antragstellerin. Sein Einkommen und Vermögen seien bei der Bedarfsberechnung zu berücksichtigen. In der Rechtsbehelfsbelehrung hat er über die Möglichkeit des Widerspruchs belehrt. Er hat gleichlautende Bescheide an die Antragstellerin und an B. G. gesandt.

Mit Schreiben vom 6. Juli 2010 hat der Antragsgegner angekündigt, die Auszahlung der laufenden Leistungen gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II iVm § 331 Drittes Buch Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung (SGB III) ab August 2010 vorläufig einzustellen. Aufgrund der Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft seien Einkommen und Vermögen des Herrn B. G. bei der Ermittlung des Leistungsanspruchs zu berücksichtigen. Es solle eine Überzahlung und Erstattungsforderung vermieden werden. Er werde innerhalb von zwei Monaten über den weiteren Leistungsanspruch entscheiden. Der beigefügte Antragsvordruck sei von der Antragsstellerin auszufüllen und ggf. mit Verdienstbescheinigung zurückzusenden. Er forderte sie auf: "Bitte erledigen Sie dieses Schreiben bis 19.07.2010. Äußern Sie sich nicht bzw. nicht fristgerecht, gehe ich davon aus, dass ein Anspruch auf Leistungen nicht gegeben ist. Hierzu erhalten Sie einen weiteren Bescheid. Sollte Ihre Stellungnahme ergeben, dass die Voraussetzungen für eine Aufhebung des Bewilligungsbescheides nicht vorliegen, werde ich die Zahlung der Leistung unverzüglich wieder aufnehmen." Nach dem Bescheidtext waren folgende Anlagen beigefügt: "Rückantwort, Anlage WEP, Anlage EK (Einkommenserklärung), Einkommensbescheinigung". Eine Belehrung über die Folgen von Mitwirkungspflichtverletzungen ist im Schreiben nicht erfolgt.

Gegen den Bescheid und das Schreiben vom 6. Juli 2010 hat die Antragstellerin fristgerecht Widerspruch eingelegt sowie sie zum Gegenstand des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens gemacht und die Weiterzahlung der Leistungen für August 2010 und darüber hinaus begehrt.

Bereits mit Schreiben vom 16. Juni 2010 hatte die Antragstellerin dem Antragsgegner angezeigt, dass sie im Zeitraum vom 5. August bis zum 13. Oktober 2010 ortsabwesend sein werde, da sie ihren Sohn in eine vom Rentenversicherungsträger bewilligte stationäre Kinderrehabilitation begleite. Dem Schreiben fügte sie den Bewilligungsbescheid der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland vom 12. April 2010 bei. Daraufhin hat der Antragsgegner mit Bescheid vom 13. Juli 2010 den Bewilligungsbescheid vom 5. Mai 2010 für die Zeit vom 26. August bis zum 13. Oktober 2010 für die Antragstellerin ganz aufgehoben. Grund hierfür sei die Begleitung des Sohnes in die stationäre Rehabilitation. Die Antragstellerin wisse bzw. habe wissen müssen, dass der ihr zuerkannte Anspruch zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen sei (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – SGB X).

Mit Schreiben vom 13. Juli und 20. August 2010 hat der Antragsgegner B G ... unter Hinweis auf die Mitwirkungspflichten aufgefordert, Unterlagen (Anlagen WEP, EK, VE, VM sowie Einkommensbescheinigung ab Monat Mai 2010 bis lfd.) bis zum 30. Juli 2010 vorzulegen. Er sei mit Feststellungsbescheid vom 6. Juli 2010 davon in Kenntnis gesetzt worden, dass er mit der Antragstellerin eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft bilde. Es sei nunmehr zu prüfen, ob diese zu Recht Leistungen erhalten habe. Dazu würden die genannten Unterlagen benötigt. Reagiere er bis zum genannten Termin nicht, könnten die Geldleistungen bis zur Nachholung der Mitwirkung entzogen werden. Dies bedeute, dass er und die mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen keine Leistungen erhielten.

Mit weiterem Aufhebungsbescheid vom 26. Juli 2010 hat der Antragsgegner die Leistungsbewilligung bereits ab 5. August 2010 für die Antragstellerin und ihren Sohn ganz aufgehoben. Da der Sohn ab 5. August 2010 in einer stationären Einrichtung untergebracht sei, lägen gemäß § 7 Abs. 4 SGB II die Leistungsvoraussetzungen nicht mehr vor. Die Leistung entfalle, da sich die Antragstellerin länger als sechs Wochen nicht im zeit- und ortsnahen Bereich aufhalte. Die Aufhebung beruhe auf § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X.

Bereits am 23. Juli 2010 hat die Antragstellerin gegen den Aufhebungsbescheid vom 13. Juli 2010 Widerspruch eingelegt und bei dem SG einen weiteren Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes (S 1 AS 2297/10 ER) gestellt. Sie werde nicht aus selbstverschuldeten Gründen ortsfern sein, sondern müsse ihren minderjährigen Sohn in die Rehabilitationsmaßnahme begleiten. Die Maßgaben der Erreichbarkeitsanordnung griffen in diesem Fall nicht ein. Im Übrigen führe die vollständige Aufhebung der Leistungen zu Mietschulden und berge die Gefahr einer Kündigung des Mietverhältnisses.

Mit Versagungs-/Entziehungsbescheid vom 16. August 2010 hat der Antragsgegner der Antragstellerin die Leistungen ab 1. August 2010 ganz entzogen. Dies betreffe alle Mitglieder der Bedarfgemeinschaft. Es bestehe zwischen der Antragstellerin und B. G. eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft. Die Antragstellerin habe hierzu keine gegenteiligen Angaben gemacht. Die dringend benötigten Einkommensnachweise des Herrn G., die mit Schreiben vom 13. Juli 2010 angefordert worden seien, seien trotz Belehrung über die Rechtsfolgen nicht vollständig vorgelegt worden. Dadurch sei die Antragstellerin ihren Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen und habe die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert. Er, der Antragsgegner, habe bei der Entscheidung von seinem Ermessen Gebrauch gemacht. Er sei verpflichtet, wirtschaftlich zu handeln. Dazu gehöre auch, nur bei nachgewiesener Hilfebedürftigkeit Leistungen zu erbringen. Ermessensgesichtspunkte zu Gunsten der Antragstellerin seien nicht ersichtlich, so dass die Leistungen vollständig zu entziehen gewesen seien.

Nach Durchführung eines Erörterungstermins am 23. August 2010, in dem die Antragstellerin befragt und B. G. als Zeuge vernommen worden ist, hat das SG mit zwei Beschlüssen vom 24. August 2010 den Anträgen auf einstweiligen Rechtsschutz stattgegeben: Im Verfahren S 1 AS 1997/10 ER (nunmehr: L 5 AS 378/10 B ER) hat es den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin ab August 2010 SGB II-Leistungen zu gewähren. Es sei eine einstweilige Anordnung zu erlassen, da sie einen Leistungsanspruch habe. Sie sei hilfebedürftig, denn der Antragsgegner habe zu Unrecht angenommen, sie und der Zeuge lebten in einer Bedarfsgemeinschaft. Es bestehe schon keine Haushaltsgemeinschaft. Die vorliegenden Indizien wiesen nicht eindeutig auf das Bestehen einer Einstandsgemeinschaft hin.

Im Verfahren S 1 AS 2297/10 ER (nunmehr: L 5 AS 379/10 B ER) hat es die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 26. Juli 2010 angeordnet. Der Bescheid sei nach summarischer Prüfung rechtswidrig, denn durch die Teilnahme der Antragstellerin an der stationären Rehabilitationsmaßnahme ihres Sohnes sei keine erhebliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse iSv § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X eingetreten. Durch die Erreichbarkeitsanordnung werde keine Residenzpflicht der Leistungsempfänger begründet. Vorliegend gehe es nicht um eine ungenehmigte Ortsabwesenheit, sondern um eine Abwesenheit aus medizinischen Gründen. Im Übrigen bestimme § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 SGB II, dass im Falle eines stationären Krankenhausaufenthalts von weniger als 6 Monaten der Leistungsausschluss wegen einer Unterbringung in einer stationären Einrichtung nicht greife. Dies gelte auch im vorliegenden Fall.

Gegen beide Beschlüsse hat der Antragsgegner am 27. September 2010 Beschwerde eingelegt. Im Hinblick auf die streitige Einstandsgemeinschaft habe das SG verschiedene Indizien unberücksichtigt gelassen. Auch der Umstand, dass bei ihm bereits drei anonyme Anzeigen eingegangen seien, weise auf das Bestehen einer Lebensgemeinschaft hin. Er habe durch den Bescheid vom 26. Juli 2010 den Aufhebungsbescheid vom 13. Juli 2010 ersetzt. Dies sei rechtlich nicht zu beanstanden. Da sich die Antragstellerin mehr als sechs Wochen außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs aufhalte, könnten ihr keine Leistungen gewährt werden.

Zum Hinweis der Berichterstatterin vom 28. Oktober 2010 hat der Antragsgegner ausgeführt, der Feststellungsbescheid vom 6. Juli 2010 über das Vorliegen einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft sei wirksam. Insoweit maßgeblich sei jedoch der Versagungs- und Entziehungsbescheid vom 16. August 2010, da die Antragstellerin nicht hinreichend mitgewirkt habe. Der Aufhebungsbescheid wegen des stationären Aufenthalts vom 26. Juli 2010 ersetze nicht den Bescheid vom 13. Juli 2010. Gegen den Versagungsbescheid vom 16. August 2010 sei kein Widerspruch eingelegt worden.

Der Antragsgegner beantragt, die Beschlüsse des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 24. August 2010 aufzuheben und die Anträge der Antragstellerin auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abzulehnen.

Die Antragstellerin beantragt, die Beschwerden zurückzuweisen.

Eines gesonderten Vorgehens gegen den Versagungsbescheid vom 16. August 2010 habe es nicht bedurft, denn in diesem sei darüber belehrt worden, dass er zum Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gemäß § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) geworden sei. Gleichwohl habe die Antragstellerin mit Schreiben vom 25. August 2010 zu dem Bescheid Stellung genommen. Ein gesondertes einstweiliges Rechtsschutzverfahren sei diesbezüglich nicht angestrengt worden. Eine Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft liege nicht vor. Die Antragstellerin und der Zeuge hätten im Erörterungstermin die vom Antragsgegner genannten Indizien überzeugend entkräftet. Die Beschwerden seien unbegründet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners ergänzend Bezug genommen. Die genannten Unterlagen waren Gegenstand der Beratung.

II.

Die Beschwerden des Antragsgegners haben keinen Erfolg.

Sie sind zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt sowie statthaft (die §§ 173, 172 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 iVm 144 Abs. 1 Satz 1 SGG). Der maßgebliche Beschwerdewert iHv 750,00 EUR ist überschritten, denn wirtschaftlich geht es dem Antragsgegner in den Beschwerdeverfahren jeweils darum, die der Antragstellerin bewilligten Leistungen iHv 530,10 EUR monatlich im Zeitraum von August bis November 2010 nicht auszahlen zu müssen.

Weitergehende Zeiträume ab dem 1. Dezember 2010 sind nicht Gegenstand der einstweiligen Rechtschutzverfahren gewesen. Die anwaltlich vertretene Antragstellerin hat auf einen diesbezüglichen Hinweis der Berichterstatterin im Schreiben vom 28. Oktober 2010 im Beschwerdeverfahren solche nicht geltend gemacht und insbesondere den vom Antragsgegner zunächst erlassenen Ablehnungsbescheid vom 3. Dezem-ber 2010 nicht zum Verfahrensgegenstand gemacht.

Die Beschwerden sind jedoch unbegründet. Der Antragsgegner ist zur Auszahlung der mit bestandskräftigem Bescheid vom 5. Mai 2010 bewilligten SGB II-Leistungen iHv 530,10 EUR monatlich an die Antragstellerin im hier streitigen Zeitraum von August bis November 2010 verpflichtet. Dem stehen weder die von ihm verfügte vorläufige Leistungseinstellung mit Schreiben vom 6. Juli 2010 noch die nachfolgend erlassenen Bescheide vom 13. und 26. Juli sowie vom 16. August 2010 und auch nicht der "Feststellungsbescheid" vom 6. Juli 2010 entgegen. Das SG hat den Anträgen auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zu Recht entsprochen.

Das Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin ist – soweit sie sich gegen die vorläufige Leistungseinstellung des Antragsgegners gewehrt hat – statthaft nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG. Danach kann das Gericht eine einstweilige Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

Die vom Antragsgegner verfügte und mit Schreiben vom 6. Juli 2010 der Antragstellerin angekündigte vorläufige Leistungseinstellung ab August 2010 beruht auf § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II iVm § 331 SGB III. Die vorläufige Leistungseinstellung ist kein Verwaltungsakt (vgl. Eicher in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 40 RN 73). Dieser Realakt der Behörde dient der Vorbereitung eines regelmäßig nachfolgenden Aufhebungsbescheids (§§ 45 oder 48 SGB X), der dann als im Wege des Widerspruchs anfechtbare Behördenentscheidung der Rechtsgrund für die endgültige Leistungseinstellung ist. Mit einer vorläufigen Leistungseinstellung soll im Vorfeld einer Aufhebung der Bewilligungsentscheidung im Fall des Wegfalls der gesetzlichen Leistungsvoraussetzungen (für die Dauer des Anhörungsverfahrens) das Auflaufen von Erstattungsforderungen vermieden werden. Ein rechtliches Vorgehen des Adressaten gegen eine vorläufige Zahlungseinstellung ist im Wege der isolierten Leistungsklage (echte Zahlungsklage; vgl. Niesel in: Niesel, SGB III, 4. Auflage 2007, § 331 RN 7) möglich. Dementsprechend ist die Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz insoweit nur im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG statthaft.

Im Übrigen – soweit sich die Antragstellerin gegen die Bescheide vom 13. (a), 26. Juli (b) und 16. August 2010 (c) wehrt, ist ihr Rechtsschutzbegehren statthaft nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG. Danach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen.

Nach § 39 Nr. 1 SGB II in der hier maßgeblichen, seit dem 1. Januar 2009 gültigen Fassung (Artikel 2 Nr. 14 des Gesetzes vom 21. Dezember 2008, BGBl. I S. 2917) haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufhebt, zurücknimmt, widerruft oder herabsetzt, keine aufschiebende Wirkung. Diese Vorschrift greift im Hinblick auf die hier angegriffenen Bescheide, mit denen der Antragsgegner den maßgeblichen Bewilligungsbescheid vom 5. Mai 2010 aufgehoben hat (a und b), bzw. die Leistungs-bewilligung im Wege des § 66 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil (SGB I) ganz entzogen hat (c). Widerspruch und Klage gegen die in den vorgenannten drei Bescheiden enthaltene Rücknahme bzw. Entziehung der Leistungsbewilligung haben kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung.

Einen ausdrücklichen gesetzlichen Maßstab für die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage sieht § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG nicht vor. Das Gericht entscheidet aufgrund einer Interessenabwägung (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012, § 86b RN12). Es trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung über die Aufhebung der sofortigen Vollziehung. Bei offensichtlicher Aussichtslosigkeit der Hauptsache überwiegt in der Regel das Vollzugsinteresse, umgekehrt bei offensichtlicher Erfolgsaussicht der Hauptsache das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Die offensichtliche Rechtmäßigkeit des betroffenen Verwaltungsakts oder fehlende Erfolgsaussichten von Widerspruch und/oder Klage können allein das besondere Vollzugsinteresse jedoch nicht begründen oder eine Prüfung ersetzen oder entbehrlich machen. Sie können nur zur Folge haben, dass die vorhandenen, ihrer Art nach dringlichen Vollzugsinteressen grundsätzlich als schwerwiegender anzusehen sind als die Interessen des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei der gerichtlichen Abwägung der Interessen sind dabei vor allem die Natur, Schwere und Dringlichkeit der den Betroffenen auferlegten Belastungen und die Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer etwaigen späteren Rückgängigmachung der Maßnahme und ihre Folgen zu berücksichtigen.

Nach der im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage bestehen erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit aller drei angegriffenen Bescheide des Antragsgegners. Es überwiegt das Interesse der Antragstellerin an der Außervollzugsetzung der Bescheide das Interesse des Antragsgegners am sofortigen Vollzug.

(a) Die Voraussetzungen für eine auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X gestützte Aufhebung der Leistungsbewilligung für den Zeitraum vom 26. August bis zum 13. Oktober 2010 durch den Bescheid vom 13. Juli 2010 liegen nach summarischer Prüfung nicht vor. Durch die Ortsabwesenheit der Antragstellerin aufgrund der Begleitung ihres Sohnes in eine stationäre Kinderrehabilitationsmaßnahme ist ihr Leistungsanspruch nicht kraft Gesetzes entfallen.

Die vom Antragsgegner angeführten Voraussetzungen von § 7 Abs. 4 SGB II liegen nicht vor. Die Antragstellerin war nicht in einer stationären Einrichtung untergebracht. Unabhängig davon, dass sie vorliegend lediglich ihren Sohn bei dessen vorübergehenden Aufenthalt in einer stationären Rehabilitationseinrichtung begleitet hat, dürfte es sich vorliegend um eine der Ausnahmen vom Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 4 Satz 3 SGB II vergleichbare Situation einer Unterbringung in einem Krankenhaus – zu der auch stationäre Rehabilitationseinrichtungen gehören (vgl. Spellbrink, in Ei-cher/Spell-brink, SGB II, a.a.O., § 7 RN 66) – handeln. Zudem dauerte der stationäre Aufenthalt des Sohnes der Antragstellerin weniger als drei Monate.

Auch die Voraussetzungen eines Leistungsausschlusses aufgrund von Ortsabwesenheit nach § 7 Abs. 4a SGB II iVm den Regelungen der Erreichbarkeitsanordnung (EAO) sind vorliegend nicht gegeben. Vielmehr hätte der Antragsgegner bei sachgerechter Bearbeitung des Leistungsfalls auf die Anzeige der Antragstellerin seine Zustimmung zur Ortsabwesenheit geben müssen.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat in seinem Urteil vom 16. Mai 2012 (Az.: B 4 AS 166/11 R, juris RN 24) ausgeführt, die "Erreichbarkeit" sei für den Leistungsanspruch im SGB II nicht leistungsbegründend. Insoweit unterscheide sich die Regelung des SGB II von der des SGB III. Sie sei u.a. eingebettet in die Regelung der Zumutbarkeit des § 10 SGB II. Das Begehren eines Leistungsberechtigten, von der Verpflichtung zur Ortsanwesenheit freigestellt zu werden, diene dazu, dem Eintritt eines Leistungsaus-schlussgrundes vorzubeugen. Denn nach den Regelungen der EAO sind grundsätzlich nur bis zu dreiwöchige Aufenthalte außerhalb des Nahbereichs zulässig. Durch die Regelung des § 7 Abs. 4a SGB II solle die rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme von Fürsorgeleistungen vermieden werden (vgl. BSG, a.a.O., RN 22). Dazu solle eine Ortsabwesenheit ohne wichtigen Grund, der sog. Urlaub, auf drei Wochen begrenzt werden (vgl. Thie/Schoch in: LPK-SGBII, 4. Auflage 2011, § 7 RN 115).

Die Regelungen der EAO im Bereich des SGB II sind daher auf Ortsabwesenheiten aus wichtigem Grund allenfalls eingeschränkt übertragbar. Je gewichtiger der Grund einer Ortsabwesenheit ist, desto höhere Anforderungen sind an ein der Zustimmung entgegenstehendes Eingliederungserfordernis zu stellen (vgl. Thie/Schoch, a.a.O., RN 114). Vorliegend hatte die Antragstellerin einen wichtigen Grund für ihre Ortsabwesenheit. Die Begleitung ihres zum damaligen Zeitpunkt siebenjährigen Sohns zu dessen Kinderrehabilitation war ärztlich angeordnet. Es erfolgte eine Mitaufnahme der Mutter als Begleitperson, weil die aktive Begleitung des Erziehungsberechtigten Therapiebestandteil war, wie sich aus dem von der Antragstellerin nachgereichten Schreiben der Rehabilitationseinrichtung vom 15. Juli 2010 ergibt.

Nach der Bewertung des Senats ist die Begleitung des Sohnes bei der Rehabilitation einer Rehabilitationsmaßnahme der Antragstellerin selbst gleichzusetzen. Sie stellt einen wichtigen Grund für die Ortsabwesenheit dar, durch die die berufliche Integration der Antragstellerin nicht beeinträchtigt wurde. Insoweit ist ein Grund gegeben, der die Zumutbarkeit des Aufenthalts im ortsnahen Bereich für die Zeitdauer der Rehabilitation iSv § 10 Abs. 1 Nr. 3 und 4 SGB II entfallen ließ. Mithin war dem Antragsgegner aus Rechtsgründen die Aufhebung der Leistungsbewilligung unter Berufung auf die Vorschriften der Erreichbarkeitsanordnung nach § 7 Abs. 4a SGB II nicht möglich.

(b) Die vorstehenden Ausführungen gelten auch für den Aufhebungsbescheid vom 26. Juli 2010, zu dessen Begründung der Antragsgegner sich auf die Unterbringung des Sohnes in einer stationären Einrichtung iSv § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II bzw. die mehr als sechswöchige Ortsabwesenheit der Antragstellerin herangezogen hat.

(c) Schließlich erweist sich auch der Bescheid vom 16. August 2010, mit dem der Antragsgegner die Leistungen ab dem 1. August 2010 vollständig entzogen hat, nach summarischer Prüfung als rechtswidrig.

Nach § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlung bis zur Nachholung der Mitwirkung die Leistung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistungen nicht nachgewiesen sind, wenn derjenige, der eine Sozialleistung beantragt, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 SGB I nicht nachkommt und hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert wird. Voraussetzung für die Versagung oder Entziehung von Leistungen ist jedoch nach § 66 Abs. 3 SGB X die Erteilung eines schriftlichen Hinweises auf die möglichen Rechtsfolgen der Mitwirkungsverweigerung zwingend vorgeschrieben. Dieser Hinweis soll den Betroffenen die Möglichkeit geben, sein Verhalten in Anbetracht der drohenden Folgen zu überdenken; der Hinweis muss konkret und unmissverständlich auf den individuellen Fall bezogen sein (vgl. Seewald in: Kasseler Kommentar, Losebl. Stand 12/2010, SGB I § 66 RN 12).

Geschieht dies nicht, ist die Versagung oder die Entziehung von Leistungen rechtswidrig. Vorliegend hat der Antragsgegner die Antragstellerin mit Schreiben vom 6. Juli 2010 zwar aufgefordert, einen beigefügten Antragsvordruck mit den Angaben unter anderem des B. G. auszufüllen und dessen Verdienstbescheinigung zurückzusenden, und damit eine Mitwirkungshandlung eingefordert. Eine den Vorgaben des § 66 Abs 3 SGB I entsprechende Belehrung über die Folgen der Verletzung von Mitwir-kungspflichten ist im Schreiben indes nicht erfolgt. Die Ankündigung des Antragsgegners, im Fall des Unterlassens vom Nichtbestehen eines Leistungsanspruchs auszugehen, genügt nicht. Mithin ist eine auf das Schreiben vom 6. Juli 2010 gestützte Entziehung der Leistungen nach § 66 SGB I nicht möglich.

Soweit sich der Antragsgegner im Entziehungsbescheid auf eine Aufforderung vom 13. Juli 2010 bezieht, ist zu beachten, dass dieses – mit einer Belehrung über die Folgen der Mitwirkungspflichtverletzung versehene – Schreiben an B. G. gerichtet war und folglich der Antragstellerin nicht zugerechnet werden kann. Daher ist auch der Versagungs- und Entziehungsbescheid vom 16. August 2010 voraussichtlich rechtswidrig.

Aufgrund der voraussichtlichen Rechtswidrigkeit der Bescheide vom 13. und 26. Juli sowie 16. August 2010 überwiegt das Interesse der Antragstellerin, vorläufig von einem Vollzug dieser Bescheide verschont zu bleiben, denn ihre Widersprüche haben gute Aussicht auf Erfolg. Insoweit hat die Beschwerde des Antragsgegners keinen Erfolg. Da wegen der o.g. Bescheide einstweiliger Rechtsschutz (nur) nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG erfolgt, war der Tenor der erstinstanzlichen Entscheidung klarstellend zu ergänzen.

Dementsprechend lag auch kein Grund für die im Schreiben vom 6. Juli 2010 angekündigte und in der Folge vollzogene vorläufige Zahlungseinstellung gemäß § 331 Abs. 1 Satz 1 SGB III vor.

Die der vorläufigen Leistungseinstellung nachfolgenden Bescheide (Aufhebungsbescheide vom 13. und 26. Juli 2010, Entziehungsbescheid vom 16. August 2010) sind voraussichtlich rechtswidrig und können daher nicht Rechtsgrund für eine dauerhafte Leistungseinstellung sein. Da der Antragsgegner innerhalb der Zweimonatsfrist des § 331 Abs. 2 SGB III keinen rechtmäßigen bzw. vollziehbaren Aufhebungsbescheid erlassen hat, war die einbehaltene Leistung nachzuzahlen. Insoweit war der Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zur vollständigen Auszahlung der mit Bescheid vom 5. Mai 2010 bewilligten Leistungen für die Monate August bis einschließlich November 2010 zu verpflichten.

Denn auch der "Feststellungsbescheid" vom 6. Juli 2010 steht dem streitigen Leistungsanspruch nicht entgegen. Zum einen stellt er keine Entscheidung über Leistungen iSv § 39 SGB II dar mit der Folge, dass der von der Antragstellerin erhobene Widerspruch kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung hat. Im Übrigen dürfte er zwischen den Beteiligten voraussichtlich keinerlei Rechtswirkungen entfalten. Der Erlass von behördlichen Feststellungsbescheiden ist im Rahmen von § 7 SGB II gesetzlich nicht vorge-sehen. Selbst die nach § 44a Abs. 1 SGB II gesetzlich vorgesehene Feststellung der Erwerbsfähigkeit erfolgt in der Regel nicht durch einen "feststellenden" Verwaltungsakt, sondern ist im Außenverhältnis zum Antragsteller allenfalls Begründungselement im Bescheid über die Leistungsbewilligung bzw. -ablehnung (vgl. Korte, LPK-SGB II, a.a.O., § 44a RN 8-10). Denn grundsätzlich – abgesehen von gesetzlich normierten Ausnahmen (vgl. Engelmann in: von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010, § 31 RN 29, 42) – gilt für das Verwaltungshandeln einer Behörde im Außenverhältnis zum Leistungsberechtigten, dass einzelne Tatbestandsmerkmale einer Leistungsnorm nicht gesondert feststellungsfähig sind. Vielmehr ist auf einen Leistungsantrag eine (umfassende) Behördenentscheidung (Verwaltungsakt) zu treffen, in der über die Gewährung der begehrten Leistung entschieden wird.

Die insgesamt unbegründeten Beschwerden des Antragsgegners waren zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidungen beruhen auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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