S 1 AL 358/12 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 1 AL 358/12 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Vorläufige Leistungen nach § 43 Abs. 1 SGB I können auch dann zu erbringen sein, wenn die Arbeitsfähigkeit der Betroffenen nicht geklärt und daher unklar ist, ob ihr ein Anspruch auf Krankengeld oder auf Arbeitslosengeld zusteht.

Dies kann zu einer vorläufigen Verpflichtung der notwendig beizuladenden Krankenkasse im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutz führen. Dabei sind die Folgewirkungen der Gewährung von vorläufigen Leistungen für die weitere Absicherung in anderen Zweigen des Systems der sozialen Sicherung zu berücksichtigen.
I. Die Beigeladene wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig Krankengeld für den 29.10.2012 in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Im Übrigen wird der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt.

II. Die Beigeladene hat der Antragstellerin die zur Rechtsverfolgung notwendigen Kosten zu erstatten.

Gründe:

Der sinngemäß gestellte Antrag, im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig

die Antragsgegnerin zur Erbringung von Arbeitslosengeld für den 29.10.2012, hilfsweise die Beigeladene zur Erbringung von Krankengeld für den 29.10.2012 zu verpflichten,

hat (nur) mit dem gegen die Beigeladene gerichteten Hilfsantrag Erfolg.

Der Antrag ist zunächst als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auszulegen und als solcher statthaft. Die Antragstellerin macht ein Leistungsbegehren geltend; sie kann einstweiligen Rechtsschutz daher weder nach § 86b Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) noch nach § 86b Abs. 2 S. 1 SGG, sondern nur im Wege einer sogenannte Regelungsanordnung, also einer einstweiligen Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG, erreichen.

Die sogenannte unechte notwendige Beiladung im Sinne von § 75 Abs. 2 Alt. 2 SGG des Krankenversicherungsträgers (und seine Verpflichtung nach § 75 Abs. 5 SGG) sind auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zulässig (und bei Vorliegen der Voraussetzungen notwendig). Das Vorbringen der Antragstellerin ist dabei so zu verstehen, dass sie einer Verpflichtung der Beigeladenen jedenfalls nicht entgegentritt, sondern zumindest hilfsweise beantragt. Zwar zeigt namentlich der Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 02.11.2012, dass die Antragstellerin davon ausgeht, dass (eher) die Antragsgegnerin zur vorläufigen Leistungserbringung verpflichtet sei. Ihr weiteres Vorbringen, vor allem aber ihr erkennbares Rechtsschutzziel, nämlich die sich aus § 20 Nr. 3 Bst. b Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) – Gesetzliche Rentenversicherung – ergebenden Voraussetzungen für einen Anspruch auf Übergangsgeld sicherzustellen, verdeutlichen aber, dass es ihr, wenigstens hilfsweise und alternativ, auch um eine Verpflichtung der Beigeladenen geht.

Bedenken gegen die Zulässigkeit des Antrags bestehen nicht. Das Widerspruchsverfahren hinsichtlich des Krankengeldanspruchs ist zwar nach Mitteilung der Beigeladenen vom 15.11.2012 abgeschlossen. Die diesbezügliche Klagefrist ist aber ersichtlich noch nicht abgelaufen, so dass der Ablehnungsbescheid noch nicht bestandskräftig ist. Er steht damit einer Verpflichtung der Beigeladenen im einstweiligen Rechtsschutz nicht, jedenfalls nicht von vornherein entgegen.

Der Antrag ist darüber hinaus auch begründet. Das Gericht kann eine Anordnung nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG erlassen, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Ein solcher Nachteil ist (nur) anzunehmen, wenn einerseits der Antragstellerin gegenüber der Antragsgegnerin (bzw. im Rahmen von § 75 Abs. 5 SGG: der Beigeladenen) ein materiell-rechtlicher Leistungsanspruch in der Hauptsache – möglicherweise – zusteht (Anordnungsanspruch) und es ihr andererseits nicht zuzumuten ist, die Entscheidung über den Anspruch in der Hauptsache abzuwarten (Anordnungsgrund).

Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert neben , sondern in einer Wechselbeziehung zueinander, nach der die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt (vgl. für die st. Rspr. des Hess. LSG: Beschl. v. 29.06.2005 – L 7 AS 1/05 ER – info also 2005, 169 und Beschl. v. 07.09.2012 – L 9 AS 410/12 B ER; außerdem Keller, in: Meyer-Ladewig/ders./Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 86b Rn. 27 ff.): Wäre eine Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Wäre eine Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund, auch wenn auf diesen nicht gänzlich verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- oder Rechtslage im einstweiligen Rechtsschutz nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden, welchem Beteiligten ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache eher zuzumuten ist. Dabei sind grundrechtliche Belange der Antragstellerin umfassend in der Abwägung zu berücksichtigen.

Die Kammer geht davon aus, dass der Antragstellerin mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Anspruch auf die Erbringung vorläufiger Leistungen nach § 43 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) – Allgemeiner Teil – zusteht, den sie im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes auch durchsetzen kann. Nach dieser Vorschrift kann, wenn ein Anspruch auf Sozialleistungen besteht und zwischen mehreren Leistungsträgern streitig ist, wer zur Leistung verpflichtet ist, der unter ihnen zuerst angegangene Leistungsträger vorläufig Leistungen erbringen, deren Umfang er nach pflichtgemäßen Ermessen bestimmt. Er hat Leistungen zu erbringen, wenn die Berechtigte es beantragt; die vorläufigen Leistungen beginnen spätestens nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang des Antrags. Die Kammer ist dabei zunächst der Auffassung, dass § 43 SGB I nicht (nur) anzuwenden ist, wenn unklar ist, welcher von mehreren möglichen Leistungsträgern für eine ganz bestimmte Leistung zuständig ist, sondern auch auf Fallkonstellationen wie die hiesige, die dadurch gekennzeichnet sind, dass die Antragstellerin in jedem Fall Anspruch auf eine (Entgeltersatz )Leistung hat, aber auf Grund des noch nicht abschließend geklärten Sachverhalts noch nicht feststeht, welche das ist (vgl. so auch Timme, in: LPK-SGB I, 2. Aufl. 2008, § 43 Rn. 8; Rolfs, in: Hauck/Noftz, § 43 Rn. 7). Die im Rahmen von § 43 SGB I zu formulierende Voraussetzung, der Anspruch, zu dem vorläufige Leistungen verlangt werden, müsse dem Grunde nach feststehen, ist unter diesen Umständen dahin zu modifizieren, dass sicher feststehen muss, dass einer der alternativ in Betracht kommenden Ansprüche gegeben ist (vgl. Rolfs, in: Hauck/Noftz, SGB I, § 43 Rn. 7).

Entscheidend ist insofern, dass sich die Vorschrift ihrem Zweck nach als Reaktion auf die mit dem gegliederten System der sozialen Sicherung verbundenen Schwierigkeiten darstellt (so auch Mrozynski, SGB I, 4. Aufl. 2010, Rn. 3). Dies begründet die Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage dafür, vorläufige Leistungen in einer Situation der Unsicherheit erbringen zu können, in gleicher Weise, wenn nur die sachliche oder örtliche Zuständigkeit zur Erbringung einer einheitlich bezeichneten Leistung in Frage steht, wie dann, wenn – wie hier – unterschiedlich benannte, aber im Wesentlichen identische Leistungen in Rede stehen (so Lilge, SGB I, 2. Aufl. 2009, § 43 Rn. 15, vgl. auch Rn. 23 ff.). Das ist im Verhältnis von Kranken- und Arbeitslosengeld der Fall: Bei beiden handelt es sich um Entgeltersatzleistungen, die der Sicherung des Lebensunterhalts in Situationen dienen, in denen die Betroffene (unfreiwillig) nicht arbeiten kann; beide sind dabei – mit Unterschieden im Detail – an dem vorangegangenen Verdienst orientiert. Beide schließlich – und dieser Gesichtspunkt ist im vorliegenden Fall von besonderer Bedeutung – sichern die weitere Zugehörigkeit zum System der versicherungsförmigen Absicherung sozialer Risiken, wenn diese über die Beschäftigung nicht mehr sichergestellt ist.

Diese Vergleichbarkeit verlangt, da im gegliederten System der sozialen Sicherung der Bundesrepublik nicht eine identische Entgeltersatzleistung für alle Fälle ungewollter Beschäftigungsunterbrechung vorgesehen ist, nach einer Regelung für Konfliktfälle, wenn zwar feststeht, dass eine derartige Leistung zu gewähren ist, nicht aber welche. Eine dementsprechende Vorschrift steht mit § 43 SGB I zur Verfügung; sie ist daher entgegen der Auffassung der Beigeladenen auch im hiesigen Zusammenhang anwendbar.

Auch wird § 43 SGB I nicht durch § 328 SGB III verdrängt; insofern besteht vielmehr Einigkeit, dass der auf Zuständigkeitskonflikte zugeschnittenen Spezialregelung in § 43 SGB I Vorrang zukommt (vgl. Eicher, in: Schlegel/Eicher, SGB III, § 328 Rn. 84 und Hengelhaupt, in: Hauck/Noftz, SGB III, § 328 Rn. 76).

Vorliegend steht der Antragstellerin für den 29.10.2012 nach der im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung auch entweder ein Anspruch auf Arbeitslosengeld oder auf Krankengeld zu. Die Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit (§ 136 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch [SGB III] – Arbeitsförderung) waren – vorbehaltlich der möglicherweise fortdauernden Arbeitsunfähigkeit und einem damit verbundenen Anspruch auf Krankengeld – erfüllt. Die Klägerin war (wenn sie verfügbar war) arbeitslos (§§ 137 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. 138 SGB III); sie hatte durch ihre Tätigkeit für den Haushaltsservice M., W-Stadt, vom 01.04.2011 bis 31.08.2011 die Anwartschaftszeit erfüllt (§§ 137 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. 142 SGB III); und sie hatte sich zum 24.09.2012 arbeitslos gemeldet (§§ 137 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. 141 SGB III) sowie Arbeitslosengeldanspruch. Der Krankengeldanspruch war umgekehrt– vorbehaltlich dem Wegfall der Arbeitsunfähigkeit – nach § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) – Gesetzliche Krankenversicherung – gegeben.

Einem Anspruch auf Arbeitslosengeld könnte daher nur die fehlende Verfügbarkeit auf Grund von Arbeitsunfähigkeit, dem Anspruch auf Krankengeld gerade umgekehrt nur der Wegfall der Arbeitsunfähigkeit entgegenstehen. Es gibt dabei auch keine rechtliche Regelung (außer § 43 SGB I), die diesen Konflikt verhindern (oder lösen) und zur (endgültigen) Leistungspflicht eines der beiden Träger trotz der tatsächlichen Unsicherheit über die Arbeitsfähigkeit führen würde.

Ein Fortzahlungsanspruch gegen die Antragsgegnerin besteht nicht, jedenfalls nicht sicher, da § 146 Abs. 1 S. 1 SGB III voraussetzt, dass die Arbeitsunfähigkeit während des Bezugs von Arbeitslosengeld eintritt, also der Anspruch auf Arbeitslosengeld zunächst entstanden sein muss. Das ist hier aber vorliegend nicht belegt; jedenfalls bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin im September oder Oktober 2012 zunächst wieder arbeitsfähig war, dann aber erneut arbeitsunfähig erkrankt ist. Die Einstellung der Krankengeldzahlung, auf den sich die Antragstellerin in diesem Zusammenhang beruft, führt jedenfalls als solche nicht dazu, dass zwingend davon auszugehen wäre, dass sie der Arbeitsvermittlung wenigstens einen Tag zur Verfügung stand. Die Antragsgegnerin hat diese Leistungsvoraussetzung vielmehr zu prüfen, ohne dass der Einstellung des Krankengeldes diesbezüglich präjudizierende Wirkung zukäme.

Die mögliche Minderung der Leistungsfähigkeit wegen der möglichen Arbeitsunfähigkeit ist auch nicht wegen § 145 SGB III unbeachtlich; die Vorschrift greift nur ein, wenn es sich um eine mehr als sechsmonatige Minderung der Leistungsfähigkeit handelt (§ 145 Abs. 1 S. 1 SGB III). Davon gehen weder die Antragsgegnerin noch die Beigeladene aus.

Weiter führt nur zuerkanntes Krankengeld zum Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld (§ 156 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB III).

Schließlich verkennt der Verweis der Beigeladenen darauf, sie habe ihr Leistungsverfahren bzw. die aus ihrer Sicht notwendige ärztliche Sachaufklärung durch die Einschaltung des MdK und inzwischen auch das Widerspruchsverfahren abgeschlossen, die Funktion des § 43 SGB I: Solange der alternativ in Betracht kommende Leistungsträger, hier also die Antragsgegnerin, sich dieser Einschätzung der Sachlage nicht anschließt, kommt es auf Auffassung des einen Trägers nicht an, weil der Zuständigkeitskonflikt dadurch gerade noch nicht beigelegt ist.

Es sind im Ergebnis die Voraussetzungen einer "Wahlfeststellung", hier zwischen Kranken- und Arbeitslosengeld, gegeben; dies öffnet den Zugang zur Konfliktregelung des § 43 SGB I (Rolfs, in: Hauck/Noftz, SGB I, § 43 Rn. 3).

Auch ist es jedenfalls beim gegenwärtigen Sach- und Streitstand und im Rahmen des Eilverfahrens nicht möglich, den Konflikt der beiden Leistungsträger zu entscheiden und die medizinische Situation abzuklären. Beide Träger sind, beide ärztlich beraten, zu miteinander unvereinbaren Einschätzungen der Arbeitsfähigkeit der Antragstellerin gelangt: Die Beigeladene ist nach Untersuchung durch den MdK der Auffassung, die Antragstellerin sei auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeitsfähig; die Antragsgegnerin sieht dagegen auf Grund einer Leistungseinschätzung ihres ärztlichen Dienstes gegenwärtig ein Leistungsvermögen von unter drei Stunden arbeitstäglich. Der Kammer ist es nicht möglich, kurzfristig diesen Widerspruch aufzuklären, da dies umfangreiche medizinische Sachermittlungen, wahrscheinlich sogar die Einholung eines Gutachtens voraussetzen würde. Hierzu besteht umso weniger Anlass, als § 43 SGB I gerade dazu dient, dass entsprechende Unsicherheiten nicht auf Kosten der Betroffenen ausgetragen werden.

Die Kammer hält weiter die Beigeladene für die erstangegangene Trägerin im Sinne des § 43 Abs. 1 S. 1 SGB I. Insoweit kommt es zunächst nicht darauf an, (ob und, wenn ja,) bei wem die Antragstellerin zuerst einen Antrag gerade auf vorläufige Leistungen gestellt hat. Das folgt bereits daraus, dass entsprechende Leistungen auch von Amts wegen erbracht werden können. Auch ist nach Auffassung der Kammer nicht entscheidend, für welchen der beiden Leistungsträger erstmals erkennbar war, dass es zu einem Zuständigkeitskonflikt kommen könnte. Maßgeblich ist vielmehr, bei welchem der beiden Träger die Betroffene die (Weiter-)Zahlung der Leistung (bzw. einer der beiden alternativen, aber im Wesentlichen vergleichbaren Leistungen) geltend gemacht hat.

Das ist hier nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung die Beigeladene, von der die Antragstellerin, soweit ersichtlich, durchgängig und damit bereits zu einem Zeitpunkt, bevor sie erstmals an die Antragsgegnerin herangetreten ist, die Weiterzahlung des Krankengeldes verlangt hat. Der Umstand, dass der Widerspruch gegen den Einstellungsbescheid hinsichtlich des Krankengeldes nach Darstellung der Antragstellerin parallel zur Arbeitslosmeldung erfolgt ist, steht dem nicht entgegen. Im Gegenteil macht dieser Ablauf deutlich, dass die Beigeladene zuerst mit der Leistungsgewährung für den streitigen Zeitraum befasst war.

Endlich schließt auch der Umstand, dass dem jeweiligen Leistungsträger bei der Entscheidung über vorläufige Leistungen regelmäßig Ermessen zusteht, einen Anordnungsanspruch im konkreten Falle nicht aus. Zum einen fällt der Ermessensspielraum hinsichtlich der Entscheidung über vorläufige Leistungen dem Grunde nach weg, wenn der Betroffene entsprechende Leistungen beantragt hat (§ 43 Abs. 1 S. 2 HS. 1 SGB I); das ist hier spätestens konkludent im Verlaufe des gerichtlichen Verfahrens geschehen. Darüber hinaus geht die Kammer hinsichtlich eines Anspruchs für den hier streitigen Leistungstag auch davon unabhängig von einer Ermessensreduzierung auf Null aus (wobei das nicht für die Höhe gelten mag; das ist aber für die hier zu treffende Entscheidung ohne Belang): Dabei kann offenbleiben, ob sich dies bereits aus dem, soweit ersichtlich, fehlenden Hinweis der Beigeladenen auf die Möglichkeit, vorläufige Leistungen in Anspruch zu beantragen, ergibt (vgl. hierzu: Hess. LSG, Beschl. v. 09.09.2011 – L 7 AS 190/11 B ER). Entscheidend ist, dass auf Seiten der Antragstellerin wegen der Folgewirkungen des Konflikts zwischen den hier beteiligten Leistungsträgern auf ihren Anspruch auf Übergangsgeld und damit möglicherweise auf die Rehabilitationsleistung und den Rehabilitationserfolg insgesamt so wichtige Interessen auf dem Spiel stehen, dass die im Rahmen der Ermessens zu berücksichtigenden Interessen der Beigeladenen, vorläufig keine Leistungen zu erbringen, zwingend dahinter zurückzutreten haben. Schließlich geht es für die Beigeladene nur darum, ob sie möglicherweise jetzt Leistungen vorläufig zu gewähren hat, obwohl sich möglicherweise schlussendlich herausstellt, dass der Antragstellerin ein Anspruch auf Krankengeld nicht zusteht. In diesem Falle kann sie aber auf der Grundlage von § 102 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – Ersatz von der Antragsgegnerin erlangen, so dass sich ihre finanzielle Belastung ggf. auf die Zwischenfinanzierung beschränkt.

Wegen der Folgewirkungen der Entscheidung steht diesem zwingenden Ergebnis der Interessenabwägung auch nicht entgegen, dass hier vorläufige Leistungen nur für einen sehr kurzen Zeitraum in Rede stehen. Die Auswirkungen der unmittelbar streitigen Leistung(en) auf die Absicherung in anderen Zweigen der sozialen Sicherung sind dabei auch nicht etwa nur ein (unbeachtlicher) mittelbarer Effekt der (vorläufigen) Erbringung von Entgeltersatzleistungen. Im Gegenteil: Da es für das deutsche System der sozialen Sicherung geradezu typusprägend ist, dass der Schutz in anderen Zweigen des Systems durch den Leistungsbezug in einem Zweig aufrechterhalten wird und ein Anspruch auf eine Entgeltersatzleistung häufig an den Vorbezug einer anderen anknüpft (hier über § 20 Nr. 3 Bst. b SGBG VI), kommt diesem Gesichtspunkt bei der Ermessensausübung erhebliches Gewicht zu. Er kann nach Auffassung der Kammer zu dessen Reduzierung auf Null führen, wenn – wie hier – erkennbar ein kurzfristiger Bedarf an einer entsprechenden Absicherung besteht, weil der Betroffene auf Leistungen aus dem anderen Sicherungssystem angewiesen ist.

In welcher Höhe die Beigeladene vorläufig Leistungen zu erbringen hat, kann – nachdem hier ohnehin nur eine vorläufige Verpflichtung dem Grunde nach auszusprechen ist – offenbleiben; diesbezüglich kann auch durchaus von einem Ermessensspielraum der Beigeladenen ausgegangen werden, wobei dieser allerdings dahin beschränkt sein dürfte, dass kein Gesichtspunkt erkennbar ist, die vorläufig zu erbringende Leistung auf einen Betrag abzusenken, der geringer ist als die niedrigere der beiden alternativ zu erbringenden Leistungen.

Hinsichtlich des Anspruchsbeginns geht die Kammer davon aus, dass die Beigeladene jedenfalls für den 29.10.2012 – für den allein die Antragstellerin im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausweislich des Schriftsatzes ihrer Prozessbevollmächtigten vom 02.11.2012 noch Leistungen geltend macht – vorläufig Leistungen zu erbringen hat. Zwar sieht § 43 Abs. 1 S. 2 HS. 2 SGB I vor, dass die vorläufigen Leistungen spätestens einen Kalendermonat nach Antragstellung einzusetzen haben, so dass angesichts der Beendigung des Krankengeldes im September 2012 in Frage stehen könnte, ob am 29.10.2012 bereits zwingend Leistungen zu erbringen sind oder ob ein gebundener Anspruch erst ab dem 01.11.2012 besteht. Auch dies kann aber offenbleiben: Es ergibt sich bereits aus der Verwendung des Wortes "spätestens", dass die Behörde den genannten Zeitraum nicht in jedem Falle vollständig ausschöpfen darf (vgl. auch Timme, in: LPK-SGB I, 2. Aufl. 2008, § 43 Rn. 12); bei besonders dringlichen Leistungsbegehren haben die Zahlungen vielmehr bereits früher einzusetzen. Wegen der Folgewirkungen auf die Rehabilitationsleistungen führt dies nach Auffassung der Kammer dazu, dass jedenfalls für den Tag vor deren Beginn von einer Ermessensreduzierung auf Null hinsichtlich des Bestehens eines Anspruchs auf vorläufige Leistungen auszugehen ist. (Nur zur Vermeidung von Missverständnissen sei darauf hingewiesen, dass nach Einschätzung der Kammer viel dafür spricht, dass auch für die sonstigen Tage zwischen dem bisherigen Ende des Krankengeld- und dem Beginn des Übergangsgeldbezugs ein Anspruch auf vorläufige Leistungen besteht; das ist aber im hiesigen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht zu entscheiden.)

Nach allem besteht mit hoher Wahrscheinlichkeit ein gegen die Beigeladene gerichteter Anspruch auf vorläufige Leistungen und damit ein Anordnungsanspruch.

Ausgehend von dem oben dargelegten Maßstab liegt auch ein Anordnungsgrund vor. Angesichts der hohen Wahrscheinlichkeit, die für einen Erfolg der Antragstellerin in einem auf die Gewährung vorläufiger Leistungen gerichteten Klageverfahren spricht, sind an den Anordnungsgrund ohnehin keine hohen Anforderungen zu stellen. Allerdings stehen hier Leistungen nur für einen Tage in Frage – die Antragstellerin hat ihren Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz am 29.10.2012 bei Gericht eingereicht und ihn, da im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes regelmäßig keine Leistungen für die Vergangenheit zu erbringen sind, bereits im Antragsschriftsatz auf die Zeit ab Antragseingang beschränkt; ab dem 30.10.2010 hat sie die Rehabilitationsmaßnahme angetreten, so dass ein Anspruch gegen einen der hier beteiligten Träger ausscheidet und dementsprechend von der Antragstellerin gar nicht geltend gemacht wird. Dieser kurze Leistungszeitraum könnte einen Anordnungsgrund in Frage stellen. Allerdings sind auch insofern die Folgewirkungen einzubeziehen: Da die (fortdauernde) soziale Absicherung im gesamten System der sozialen Sicherung an den Leistungsbezug in einem seiner Zweige anknüpft (s. o.), ist die Berücksichtigung der damit verbundenen Interessen der Betroffenen geboten. Die Antragstellerin hat hierzu im Schriftsatz vom 14.11.2012 glaubhaft vorgetragen, dass sie wegen der Unsicherheit bzw. wegen des Konflikts der beiden hier beteiligten Leistungsträger weiterhin kein Übergangsgeld erhalte und der Rentenversicherungsträger die Ablehnung entsprechender Leistungen bereits angedroht habe, wenn die Frage der Vorversicherung nicht geklärt werde. Die berücksichtigungsfähigen Interessen der Antragstellerin beschränken sich daher nicht auf die Leistungserbringung für einen Tag, sondern erstrecken sich auf die daran anknüpfende Anspruchsberechtigung hinsichtlich des Übergangsgeldes und damit auch auf den andernfalls jedenfalls möglicherweise gefährdeten Erfolg der Rehabilitationsmaßnahme. Demgegenüber haben die Interessen der Beigeladenen ersichtlich geringeres Gewicht. Die geringe Dauer der von ihr zu erbringenden Leistungen ist spiegelbildlich auch bei der Bewertung ihrer Interessen zu berücksichtigen. Hinzu kommt Folgendes: Entweder ist die Beigeladene (auch endgültig) zur Erbringung von Krankengeld verpflichtet, dann werden ihre legitimen Interesse durch entsprechende vorläufige Zahlungen (schon jetzt) nicht verletzt; oder es ergibt sich nach vollständiger Aufklärung des Sachverhalts, dass die Beigeladene zu Recht von der Arbeitsfähigkeit der Antragstellerin ausgeht und ein Anspruch auf Krankengeld daher nicht besteht. Wegen der oben dargelegten – und jedenfalls beim hier maßgeblichen Sachverhalt gegebenen – Alternativität der von den beiden beteiligten Trägern zu erbringenden Sozialleistungen steht der Antragstellerin unter diesen Umständen aber zwingend ein Anspruch auf Arbeitslosengeld zu; daher hat ggf. die Antragsgegnerin der Beigeladenen die erbrachten Leistungen im Rahmen von § 102 Abs. 1 SGB X zu erstatten. Der Beigeladenen steht damit ein zahlungskräftiger Erstattungsschuldner zur Verfügung, sofern sie tatsächlich nicht zur endgültigen Leistungserbringung verpflichtet sein sollte. Auch dies führt dazu, dass die Interessen, die einer Verpflichtung zur (nur) vorläufigen Leistungserbringung entgegenstehen könnten, nicht als übermäßig gewichtig angesehen werden können.

Der weitgehende Gleichlauf der Argumente, die dazu führen, dass die Kammer von einer Ermessensreduzierung auf Null hinsichtlich der Erbringung vorläufiger Leistungen ausgeht, und derer, die für das Vorliegen eines Anordnungsgrundes sprechen, ist dabei im Übrigen keineswegs zufällig oder Anzeichen für eine Verkennung der systematischen Zusammenhänge, sondern Ausdruck der vergleichbaren Funktion von § 43 SGB I auf verwaltungsverfahrensrechtlicher Ebene einerseits und von § 86b Abs. 2 S. 2 SGG und speziell der Überlegungen zum Anordnungsgrund auf der Ebene des gerichtlichen Verfahrens andererseits: Beide formulieren die Voraussetzungen, unter denen eine vorläufige Absicherung der Betroffenen erfolgen kann und ggf. muss, wenn eine abschließende Klärung des Sachverhalts und damit der Voraussetzungen eines Leistungsanspruchs kurzfristig nicht möglich ist.

Im Ergebnis war die Beigeladene im Wege der einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Leistungsgewährung zu verpflichten.

Ein Anspruch gegen die Antragsgegnerin kommt unter diesen Umständen nicht in Betracht, da notwendigerweise nur einer der beiden Träger zur vorläufigen Leistungserbringung verpflichtet sein kann. Nachdem die Antragstellerin ihren Antrag primär gegen diese gerichtet hatte, war der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz jedenfalls zur Klarstellung im Übrigen abzulehnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. Auch wenn die Antragstellerin nur mit ihrem Hilfsantrag Erfolg hatte, sieht die Kammer keinen Anlass, die Beigeladene nicht dennoch zur (vollständigen) Erstattung der der Antragstellerin zur Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Kosten zu verpflichten. Insofern ist wiederum der Zweck von § 43 SGB I von entscheidender Bedeutung, der dazu dient, dass Konflikte wie der hiesige nicht dazu führen, dass der Betroffene Leistungen aus keinem Zweig der sozialen Sicherung erhält, nur weil sich die beteiligten Leistungsträger nicht verständigen können, wer von ihnen (jedenfalls vorläufig) Leistungen erbringt. Insoweit entspricht die Verfahrensgestaltung unter Beteiligung beider Träger mit einem Erfolg nur gegen einen der beiden Träger der Struktur des § 43 SGB I. Der Umstand, dass die Antragstellerin selbst hier die Antragsgegnerin und damit einen anderen Träger als das Gericht für vorläufig verpflichtet gehalten hat, fällt demgegenüber nicht ins Gewicht.

Die Beschwerde gegen diesen Beschluss ist ausgeschlossen, weil die Beschwer der Beigeladenen durch die einstweilige Anordnung 750,00 Euro nicht erreicht und keine Leistungsansprüche für mehr als ein Jahr im Streit stehen (§§ 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2 SGG). In diesem Zusammenhang müssen bei der Berechnung die mittelbaren Wirkungen, also auf den Anspruch auf Übergangsgeld und für die Rehabilitationsmaßnahme insgesamt, schon deswegen unberücksichtigt bleiben, weil sie die Beigeladene nicht beschweren. Eine Möglichkeit, die Beschwerde zuzulassen, weil die maßgeblichen Rechtsfragen, insbesondere die der Anwendung von § 43 SGB I bei einem Konflikt der für das Krankengeld einerseits, das Arbeitslosengeld andererseits zuständigen Träger, nicht abschließend geklärt sind, besteht im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht.
Rechtskraft
Aus
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