L 7 AS 802/12 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 22 AS 2442/12 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 802/12 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Orthopädische Schuhe sind Hifsmittel nach § 33 SGB V. Als Eigenleistungen haben Krankenversicherte einen Eigenanteil und ggf. Zuzahlungen gemäß §§ 61, 62 SGB V zu erbringen. Der Eigenanteil beruht darauf, dass die ohnehin notwendige Anschaffung normaler Schuhe erspart bleibt (vgl. § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V "soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen ... sind." ).
Obwohl normale Schuhe im Regelbedarf enthalten sind, hat der Gesetzgeber mit § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II eine Anspruchsgrundlage für die Anschaffung und Reparaturen von orthopädischen Schuhen bereit gestellt. Darunter fällt der Eigenanteil, nach überwiegender Aufffassung nicht die Zuzahlung.
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 16. Oktober 2011 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.



Gründe:


I.
Streitig ist im Eilverfahren, ob der Antragsgegner vorläufig verpflichtet ist, die Übernahme von Mietkosten gegenüber dem Vermieter des Antragstellers zuzusichern und einen Eigenanteil an den Kosten für Orthopädieschuhe zu übernehmen.

Der 1968 geborene Antragsteller bezieht laufend Arbeitslosengeld II und seit November 2011 Krankengeld. Von Februar bis Juli 2012 lebte er in B-Stadt. Im April 2012 beantragte er dort die Übernahme der Kosten für medizinisch notwendige Schuhe. Mit Bescheid vom 29.05.2012 erteilte das Jobcenter B-Stadt eine Kostenübernahmeerklärung für Schuhe aus einem Orthopädiehaus in Höhe von 76,- Euro. Mit Bescheid vom 19.06.2012 lehnte das Jobcenter B-Stadt die am 15.06.2012 beantragte Übernahme des Eigenanteils für Schuhe ab, weil es sich nicht um orthopädische sondern um diabetische Schuhe handle.

Im Juli 2012 kam der Antragsteller nach A-Stadt. Da er über keine eigene Wohnung verfügte, wurde er in einer Pension untergebracht. Mit Bescheid vom 08.08.2012, geändert mit Bescheid vom 30.08.2011, bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller für die Zeit von 01.08.2012 bis 31.12.2012 Arbeitslosengeld II in Höhe von monatlich 340,80 Euro. Dabei wurden der Regelbedarf von 374,- Euro und die tatsächlichen Kosten der Unterkunft in Höhe von 445,- Euro monatlich als Bedarf anerkannt und Krankengeld (bereinigt um 30,- Euro Versicherungspauschale) als Einkommen in Höhe von 478,20 Euro angerechnet.

Am 19.09.2012 stellte der Antragsteller beim Sozialgericht München den Antrag, den Antragsgegner durch "einstweilige Verfügung" zu verpflichten, eine Kostenübernahmeerklärung für die Pension bis 31.12.2012 herauszugeben und die offenen Kosten für orthopädische Schuhe zu übernehmen. Die Zusicherung für Oktober liege nicht vor und es drohe Obdachlosigkeit. Für andere Bewohner der Pension werde die Kostenübernahme für mehrere Monate zugesichert. Der Antragsteller habe die Übernahme der offenen Kosten für die orthopädischen Schuhe (Zuzahlung von 10,- Euro und Eigenanteil von 76,- Euro) sowohl in A-Stadt als auch in B-Stadt beantragt. B-Stadt habe wegen fehlender Zuständigkeit abgelehnt. Er habe die Schuhe vom Schuhmacher erhalten, aber dieser habe die gerichtliche Durchsetzung seiner Zahlungsansprüche angedroht. Der Antragsteller könne selbst nicht bezahlen, weil er in Privatinsolvenz sei.

Der Antragsgegner teilte mit, dass er der Pension mit Schreiben vom 20.09.2012, wie in den Monaten zuvor, die Übernahme der Kosten der Unterkunft für Oktober in der bewilligten Höhe (abzüglich des Eigenanteils aus dem Einkommen in Höhe von 104,20 Euro) zugesichert habe. Dies sei die übliche Handhabung bei Pensionen. Der Antragsteller habe beim Jobcenter B-Stadt bereits die Übernahme der Kosten für die orthopädischen Schuhe erfolglos beantragt. Dieser Bedarf sei wohl während der Zuständigkeit des Jobcenters B-Stadt entstanden.

Im September 2012 ordnete das Amtsgericht A-Stadt eine vorläufige Betreuung des Antragstellers u. a. für die Vertretung gegenüber Behörden und Sozialleistungsträgern an (vgl. Betreuerausweis vom 12.09.2012).

Das Sozialgericht lehnte den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 16.10.2012 ab. Für die Zusicherung der Übernahme der Pensionskosten fehle es an einem Anordnungsanspruch. Die Zusicherungen seien bisher zeitgerecht und jeweils im Vorhinein für einen Monat an die Pension geschickt worden. Auch die Zusicherung vom 20.09.2012 für den Monat Oktober sei rechtzeitig erfolgt. Dass die Zusicherung jeweils nur für einen Monat erteilt würde, sei wegen des besonderen Lebensstils von Menschen ohne eigene Wohnung nachvollziehbar und ermessensgerecht.

Bezüglich der orthopädischen Schuhe könne dahingestellt bleiben, ob ein Anordnungsanspruch bestehe. Es bestehe kein Anordnungsgrund. Dieser ergebe sich auch nicht daraus, dass der Antragsteller in der Wohlverhaltensphase des Insolvenzverfahrens neue Verbindlichkeiten eingegangen sei. Dies stelle keinen Versagungsgrund nach §§ 290, 295 Insolvenzordnung dar.

Mit Schreiben vom 26.10.2012 sicherte der Antragsgegner der Pension die Übernahme der Unterkunftskosten (bis auf den Eigenanteil von 104,- Euro) bis zum 31.12.2012 zu.

Der Antragsteller hat am 26.10.2012 bei den allgemeinen Justizbehörden Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts eingelegt. Diese ist am 31.10.2012 beim Sozialgericht eingegangen. Zur Begründung wurde auf den Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren verwiesen.

Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts München vom 16.10.2012 aufzuheben und den Antragsgegner vorläufig zu verpflichten, dem Antragsteller eine schriftliche Zusicherung der Übernahme der Mietkosten zu Gunsten der Pension für die Zeit bis 31.12.2012 auszuhändigen und die Eigenleistungen für die orthopädischen Schuhe in Höhe von 86,- Euro vorläufig zu übernehmen.

Der Antragsgegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf die Akte des Antragsgegners, die Akte des Sozialgerichts und die Akte des Beschwerdegerichts verwiesen.

II.
Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Einlegung der Beschwerde bei den Justizbehörden wahrt die Beschwerdefrist nach § 173 SGG nicht, jedoch wurde die Beschwerde innerhalb der Monatsfrist an das Sozialgericht weitergeleitet.

Für eine Aushändigung einer schriftlichen Zusicherung des Antragsgegners zugunsten der Pension, dass die Unterkunftskosten bis 31.12.2012 übernommen werden, ist im SGB II keine Anspruchsgrundlage erkennbar. § 22 Abs. 4 SGB II verschafft keinen Anspruch auf Abgabe einer Zusicherung an den Vermieter, die laufenden Zahlungen zu erbringen. § 22 Abs. 7 SGB II ist dagegen eine Rechtsgrundlage dafür, die Kosten der Unterkunft tatsächlich an den Vermieter auszuzahlen, nicht aber dies vorab dem Vermieter zuzusichern. Nachdem der Antragsgegner die Übernahme dieser Unterkunftskosten mit Schreiben vom 26.10.2012 direkt gegenüber der Pension erklärt hat, besteht zumindest kein Anordnungsgrund mehr. Von dieser Erklärung kann sich der Antragsteller durch Rückfrage bei der Pension oder Akteneinsicht überzeugen.

Bei orthopädischen Schuhen ist zwischen der Zuzahlung nach § 61 SGB II und dem Eigenanteil zu unterscheiden. Der Eigenanteil beruht auf dem Gedanken, dass dem Antragsteller die ohnehin erforderliche Anschaffung normaler Schuhe erspart bleibt (vgl. Wortlaut § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V "soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen sind", sog. Hilfsmittel mit Doppelfunktion). Obwohl normale Schuhe aus dem Regelbedarf zu bezahlen sind, hat der Gesetzgeber mit § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II eine Anspruchsgrundlage für die gesonderte Übernahme der Kosten für die Anschaffung und Reparaturen von orthopädischen Schuhen bereit gestellt. Angesichts der vorrangigen Leistungsverpflichtung der gesetzlichen Krankenkassen verbleibt der Eigenanteil als Bedarf nach § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II (Münder, LPK-SGB II, 4. Auflage 2011, § 24 Rn. 36). Die Zuzahlungen sind für Leistungsbezieher des SGB II zumutbar (BSG, Urteil vom 22.04.2008, B 1 KR 10/07 R) und im Regelbedarf erfasst. Es wird überwiegend davon ausgegangen, dass die Zuzahlungen nicht nach § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II zu übernehmen sind (Hauck-Noftz, SGB II, § 24 Rn. 352; Juris-Praxis-Kommentar, SGB II, § 24 Rn. 66).

Das Gericht kann nicht beurteilen, für welche Schuhe der Antragsteller weitere Leistungen begehrt und ob diese Leistungen bereits vom Jobcenter B-Stadt übernommen wurden. Ein Anordnungsanspruch ist daher unklar und nicht glaubhaft. Ein Anordnungsgrund im Sinne einer schnell zu behebenden Notlage ist angesichts des Betrages von 86,- Euro nicht erkennbar, zumal der Antragsteller die Schuhe bereits erhalten hat und sich die Anschaffung normaler Schuhe erspart.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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