L 2 U 564/09

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 U 241/07
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 564/09
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Minderung der Erwerbsfähigkeit bei unfallbedingter Knieverletzung
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Regensburg vom 18. November 2009 und unter Abänderung des Bescheides vom 9. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. September 2007 verurteilt, der Klägerin über den 31. Dezember 2006 hinaus eine Verletztenrente nach einer MdE um 35 v.H. auf unbestimmte Zeit zu gewähren.

II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

III. Die Beklagte trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Streitig ist, ob der Klägerin aufgrund der Folgen des Unfallereignisses vom 22. April 1996 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 40 statt 30 ab 1. November 2006 zu gewähren ist.

Die 1971 geborene Klägerin, die als Krankenschwester tätig war, erlitt am 22. April 1996 auf dem Weg zur Arbeit einen Motorradunfall. Nach dem Durchgangsarztbericht des PD Dr. S. (KKH N.) zog sie sich dabei eine Kniegelenksprellung links mit einer Risswunde, eine Haemarthrose sowie einen knöchernen Kreuzbandabriss dorsal zu. Es fand eine stationäre Behandlung bis 6. Mai 1996 statt. Es erfolgte eine Refixation bei knöchernem Ausriss des hinteren Kreuzbandes links mit Elongation des hinteren Kreuzbandes. Am 23. Oktober 1996 wurde eine Refixation durch Osteotomie und Haken-Platten-osteosynthese durchgeführt. Es schlossen sich mehrere Rehabilitationsaufenthalte an. Im Anschluss wurden eine posttraumatische postero-laterale Instabilität des linken Kniegelenks und ein Zustand nach Bizepstenodese mit Plattenfixation (Operation vom 12. März 1997) beschrieben.

Der von der Beklagte beauftragte Sachverständige Dr. H. stellte in einem ersten Rentengutachten vom 6. März 1998 als noch bestehende Unfallfolgen eine Verschmächtigung der Oberschenkelmuskulatur links, eine erst- bis zweitgradige hintere Schublade des linken Kniegelenks mit weichem Anschlag sowie eine angedeutete Aufklappbarkeit des medialen Seitenbandes fest. Ab dem Tag des Wiedereintritts der Arbeitsfähigkeit am 24. November 1997 betrage die MdE 20 v.H., nach Ablauf des 3. Unfalljahres voraussichtlich unter 20 v.H ...

Mit Bescheid vom 24. April 1998 gewährte die Beklagte eine Rente als vorläufige Entschädigung ab 24. November 1997 nach einer MdE um 20 v.H. Durch den Arbeitsunfall sei es zu einem knöchernen Ausriss des hinteren Kreuzbandes im linken Kniegelenk, einer Risswunde unterhalb der linken Kniescheibe und zu multiplen Prellungen gekommen. Als Folgen des Arbeitsunfalls wurden anerkannt: Minderung der linken Oberschenkelmuskulatur, Instabilität und Belastungsbeschwerden im linken Kniegelenk, endgradige Beugebehinderung im linken Kniegelenk, Narbenbildung am linken Kniegelenk. Nicht als Unfallfolgen bestünden ein Zustand nach Umstellungsosteotomie beider Hüftgelenke (1980/81) und eine Hallux valgus-Operation links im Februar 1996.

In einem zweiten Rentengutachten vom 25. November 1998 gelangte Dr. H. im Wesentlichen zu denselben Ergebnissen wie im Vorgutachten.

Am 30. November 1999 erhielt die Klägerin eine hintere Kreuzbandplastik mit Patellarsehnendrittel. Eine Arthroskopie des linken Kniegelenks wurde am 8. Juni 2000 in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik M. durchgeführt. Prof. Dr. H. stellte im Rahmen einer Untersuchung in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik M. am 29. November 2000 eine erhebliche Besserung der Instabilität des linken Kniegelenks fest. Eine berufliche Wiedereingliederung sollte baldmöglichst abgeschlossen werden. Eine erhebliche Instabilität des linken Kniegelenks wurde demgegenüber am 1. Juli 2002 diagnostiziert. Als Ergebnis einer Arthroskopie vom 6. August 2002 durch Dres. H./ N. wurde empfohlen, in Anbetracht der Instabilität nach dorsal einen Versuch einer hinteren Kreuzbandplastik vorzunehmen.

Mit Bescheid vom 21. Juli 2003 stellte die Beklagte das Verletztengeld mit Ablauf der 78. Woche zum 15. September 2003 ein.

Nach "Wiedererkrankung am 16. August 2006" bzw. wegen Zunahme der Schmerzen fand vom 16. August bis 11. September 2006 und vom 24. bis 31. Oktober 2006 eine erneute stationäre Behandlung (Caritas-Krankenhaus St. J., B-Stadt) mit arthroskopischer Gelenkrevision bzw. Narkosemobilisation statt.

Dr. N. bescheinigte am 16. Januar 2007 weiterhin Arbeitsunfähigkeit. Es bestehe ein Zustand nach mehrfacher arthroskopischer Revision und stationärer Reha-Heilbehandlung im Oktober 2006 nach Kniegelenksinfektion links. Es sei noch ein ausgeprägtes Muskeldefizit am linken Bein mit starker Atrophie der Quadricepsmuskulatur vorhanden.

Der Chirurg Dr. T. stellte in seinem Gutachten vom 30. März 2007 und ergänzender Stellungnahme vom 27. April 2007 als erhebliche Verschlimmerungen einen Zustand nach Kniegelenksinfekt, eine Zunahme der Bewegungseinschränkung im linken Knie, der degenerativen Veränderungen, der Instabilität einschließlich der seitlichen Instabilität, der Verschmächtigung der Beinmuskulatur sowie der Gangstörung fest. Die MdE betrage 30 v.H. ab 1. September 2006. Der beratende Arzt schloss sich am 6. Juni 2007 dieser Einschätzung an.

Mit Bescheid vom 9. Juli 2007 gewährte die Beklagte eine Rente auf unbestimmte Zeit nach folgender Staffelung: MdE 100 % vom 1. September 2006 bis 11. September 2006, MdE 40 % vom 12. September 2006 bis 23. Oktober 2006, MdE 100 % vom 24. bis 31. Oktober 2006, MdE 35 v.H. vom 1. November 2006 bis 31. Dezember 2006, MdE 30 v.H. ab 1. Januar 2007. Als wesentliche Änderung der dem Bescheid vom 24. April 1998 zugrunde liegenden Verhältnisse sei eingetreten: Zustand nach Kniegelenkinfekt links, vermehrte Minderung der linken Oberschenkelmuskulatur, Zunahme der Instabilität und Bewegungseinschränkung am linken Kniegelenk, Entwicklung einer Gangstörung, Ausbildung von degenerativen Veränderungen am linken Kniegelenk. Den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 14. September 2007 zurück.

Mit der Klage zum Sozialgericht Regensburg hat die Klägerin eine MdE um 40 v.H. ab 1. November 2006 begehrt. Das Sozialgericht hat ein Gutachten des Chirurgen PD Dr. D. vom 24. August 2008 eingeholt, der die MdE auf 30 v.H. eingeschätzt hat. Es bestehe eine erhebliche, muskulär nicht kompensierbare hintere Instabilität und Bewegungseinschränkung, ein chronisch rezidivierendes Reizknie und Gangstörung. Das Tragen zweier Unterarmgehstützen bzw. einer Orthese sei notwendig.

Von 4. bis 25. August 2008 ist eine erneute stationäre Reha-Behandlung im Klinikum L., Bad K., erfolgt.

Der gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gehörte Orthopäde Dr. C. hat in seinem Gutachten vom 19. Februar 2009 eine MdE um 40 v.H. befürwortet. Es bestünden ausgeprägte Knorpelschäden des Kniegelenks links gemäß einer Chondromalazia genu und petallae im Stadium IV mit anhaltenden Reizerscheinungen. Gemäß der Fachliteratur würde dies bei vorliegender Einseitigkeit mit Bewegungseinschränkung mit einer MdE von maximal 40 v.H. bewertet. Allerdings sei die Bewegungseinschränkung als geringgradig zu bezeichnen (Einzel-MdE 0 - 10 v.H.). Hinzu käme eine Lockerung des Kniebandapparates (Einzel-MdE von 30 v.H.). Schließlich seien, anders als von PD Dr. D. angenommen, auch eine Fehlbelastung und Fehlstatik (fehlstatische Veränderungen der Schultergelenke durch die Verwendung der Unterarmgehstützen; konsekutives Lumbalsyndrom, Schmerzsyndromen in der rechten Schulter) zu berücksichtigen. Auch liege eine besondere berufliche Betroffenheit vor, da die Klägerin ihren Beruf als Krankenschwester nicht mehr ausüben könne.

Mit Gerichtsbescheid vom 18. November 2009 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es folgte dabei weitgehend dem gerichtlichen Sachverständigen PD Dr. D. unter Einbezug der Fachliteratur. Soweit Dr. C. die Bildung einer MdE auch unter dem Gesichtspunkt einer "beruflichen Betroffenheit" vorgenommen zu haben schien, fänden sich keine Anhaltspunkte für die Anwendbarkeit des § 56 Abs. 2 S. 3 des Siebten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VII). Im Übrigen wäre die Klägerin auf eine annähernd gleichwertige Tätigkeit zumutbar verweisbar.

Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt und zur Begründung vor allem auf das Gutachten des Dr. C. verwiesen. Ferner habe sich im Verfahren gegen das Zentrum Bayern Familie und Soziales eine wesentliche Verschlechterung der Situation bestätigt; die Funktionseinbuße könne dem Verlust eines Beines im Unterschenkel gleichgestellt werden, so dass ein Einzel-GdB von 50 festgestellt worden sei. Jedenfalls ab Februar 2009 sei eine Rente nach einer MdE um 40 v.H. gerechtfertigt. Der Senat hat die Gerichtsakte L 15 SB 39/08 beigezogen und eine ergänzende Stellungnahme des Prof. Dr. D. vom 19. September 2011 nach erneuter ambulanter Untersuchung eingeholt, der eine wesentliche Verschlechterung gegenüber seinem Vorgutachten abgelehnt hat. Als Unfallfolgen bestünden ein mehrfach operierter knöcherner Bandausriss des hinteren Kreuzbandes im linken Knie, eine Bewegungseinschränkung des linken Kniegelenks bei Beugung und Streckung, ein chronisches Reizknie, eine erhebliche Knorpelschädigung mit Reizergussbildung und Gangstörung, die Notwendigkeit des Tragens einer Gehhilfe (Unterarmgehstütze), eine Orthese links sowie glaubhafte Beschwerden des betroffenen Kniegelenks, der Wirbelsäule bei unfallbedingter Fehlstatik und der Schultergelenke.

Der gemäß § 109 SGG gehörte Dr. C. hat in einer ergänzende Stellungnahme vom 5. Februar 2012 ausgeführt, dass bei seiner Untersuchung - anders als von Prof. Dr. D. angegeben - eine vordere Schublade bestanden habe, die kernspintomographisch am 5. Februar 2009 nachgewiesen worden sei. Die von ihm herausgearbeitete Instabilität sei von Prof. Dr. D. nicht angegeben worden. Auch seien mittelbare Folgen am Körper vorhanden, so dass insgesamt jedenfalls eine MdE um 40 v.H. gerechtfertigt sei. Lediglich der Knorpeldegenerationsgrad betrage nicht Grad IV, sondern II.

Der Senat hat weitere aktuelle Befundberichte (G. vom 19. Juli 2012, des Dr. H. vom 24. Juli 2012 und der Hausärztin P. vom 30. Juli 2012) eingeholt. Ferner ist ein Arztbericht des Orthopäden Dr. A. vom 25. Mai 2010 eingereicht worden. Prof. Dr. D. hat in seiner Stellungnahme vom 8. Oktober 2012 die Ansicht vertreten, dass durch die Befunde gerade im Hinblick auf eine vordere Schublade seine gutachterlichen Ausführungen bekräftigt würden. Der Befund des Dr. A. stünde im deutlichen Gegensatz zum Befund des Dr. C ...

Die Klägerin hat zuletzt mit Schriftsatz vom 8. November 2012 ausgeführt, dass auch die weitergehende Stellungnahme des Prof. Dr. D. nicht überzeugend sei. Sowohl durch Dr. C. als auch durch Dr. N. im Schwerbehindertenverfahren sei eine Verschlechterung der streitgegenständlichen Beeinträchtigung bestätigt worden.

In der mündlichen Verhandlung vom 5. Dezember 2012 hat die Beklagte als weitere Folge des Arbeitsunfalls ein chronisch rezidivierendes Reizknie links anerkannt. Das Teilanerkenntnis ist von der Klägerin angenommen worden.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Regensburg vom 18. November 2009 und unter Abänderung des Bescheides vom
9. Juli 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. September 2007 zu verurteilen, der Klägerin mit Wirkung vom 1. November 2006 aufgrund des Arbeitsunfalls vom 22. April 1996 eine Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE um 40 v.H. statt 30 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Im Übrigen wird gemäß § 136 Abs. 2 SGG auf den Inhalt der Akten der Beklagten, der Gerichtsakten sowie der Klage- und Berufungsakte Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die Berufung der Klägerin ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), aber nur teilweise begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Gewährung einer Rente nach einer MdE um 35 v.H. über den 31. Dezember 2006 hinaus.

Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 9. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. September 2007, mit dem die Beklagte unter Bezugnahme auf den ursprünglichen Verwaltungsakt vom 24. April 1998 eine gestaffelte Erhöhung der Rente vorgenommen hat. Für den hier streitigen Zeitraum ab 1. November 2006 hat sie eine Erhöhung der MdE auf 35 v.H. für die Zeit vom 1. November 2006 bis 31. Dezember 2006 und auf 30 v.H. für die Zeit ab 1. Januar 2007 vorgenommen.

Dabei handelt es sich bei dem "Ausgangsbescheid" vom 24. April 1998 um einen Verwaltungsakt, mit dem die Beklagte lediglich gemäß § 62 SGB VII eine Rente als vorläufige Entschädigung ab 24. November 1997 nach einer MdE um 20 v.H. feststellte. Eine Festsetzung als vorläufige Entschädigung ist nach § 62 Abs. 1 S. 1 SGB VII nur während der ersten drei Jahre nach dem Versicherungsfall zulässig. Spätestens mit Ablauf von drei Jahren nach dem Versicherungsfall wird die vorläufige Entschädigung als Rente auf unbestimmte Zeit geleistet, § 62 Abs. 2 S. 1 SGB VII. Ergeht wie vorliegend innerhalb dieses Zeitraums kein Verwaltungsakt, wird die vorläufige Rente mit derselben MdE ohne Weiteres kraft Gesetzes zur Rente auf unbestimmte Zeit (vgl. auch KassKomm-Ricke, § 62 SGB VII, Rdnr. 7). Hinsichtlich der Änderung der tatsächlichen Verhältnisse - hier im Sinne der geltend gemachten Verschlechterung ab 1. November 2006 - ist damit nicht § 62 Abs. 2 S. 2 SGB VII, sondern § 48 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) anzuwenden.

Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Maßgeblich ist eine wesentliche Leidensverschlimmerung oder das Hinzukommen neuer Leiden, die in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall stehen. Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse liegt vor, wenn sich der Grad der MdE wegen der nach § 56 Abs. 1 S. 3 SGB VII anerkannten oder neu anzuerkennenden Unfallfolgen um mindestens 10 v.H. ändert. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens, § 56 Abs. 2 S. 2 SGB VII. Dabei ist auf den Maßstab der individuellen Erwerbsfähigkeit des Verletzten vor Eintritt des Versicherungsfalls abzustellen (BSGE 21, 63, 66; vom 26. November 1987, SozR 2200 § 581 Nr. 27; vom 30. Mai 1988, a.a.O., Nr. 28).

Die Gesundheitsbeeinträchtigung muss in einem notwendigen ursächlichen Zusammenhang mit der schädigenden Einwirkung stehen. Die Beurteilung, ob und in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch Unfallfolgen beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Dabei ist allerdings die Beurteilung der Kausalität im Ergebnis eine Frage der richterlichen Würdigung. Verursacht sind die Gesundheitsstörungen, wenn der Unfall gegenüber sonstigen schädigungsfremden Faktoren wie z.B. Vorerkrankungen nach der medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung von überragender Bedeutung für die Entstehung der Gesundheitsstörung war oder zumindest von annähernd gleichwertiger Bedeutung (wesentliche Mitursache). Eine wesentliche Mitursache liegt dann nicht vor, wenn beim Versicherten eine Anlage so stark und leicht ansprechbar war, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen keiner besonderen, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern jedes andere alltäglich vorkommende ähnlich gelagerte Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinungen ausgelöst hätte. Die für die Bejahung des Zusammenhangs der Gesundheitsstörungen mit dem Arbeitsunfall notwendige Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn nach der medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung zu Ätiologie und Pathogenese den für den Zusammenhang sprechenden Umständen ein deutliches Übergewicht zukommt.

Mit Bescheid vom 24. April 1998 hatte die Beklagte als Folgen des Arbeitsunfalls anerkannt:
- Minderung der linken Oberschenkelmuskulatur,
- Instabilität und Belastungsbeschwerden im linken Kniegelenk,
- endgradige Beugebehinderung im linken Kniegelenk,
- Narbenbildung am linken Kniegelenk.
Als weitere Folgen des Arbeitsunfalls vom 22. April 1996 hat sie in dem streitgegenständlichen Bescheid anerkannt:
- Zustand nach Kniegelenkinfekt links,
- vermehrte Minderung der linken Oberschenkelmuskulatur,
- Zunahme der Instabilität und Bewegungseinschränkung am linken Kniegelenk,
- Entwicklung einer Gangstörung,
- Ausbildung von degenerativen Veränderungen am linken Kniegelenk.
Mit angenommenem Teilanerkenntnis vom 5. Dezember 2012 steht auch ein chronisch rezivierendes Reizknie als Unfallfolge fest, wie dies u.a. von Prof. Dr. D. bestätigt worden war.

Aufgrund der dadurch nachgewiesenen Verschlimmerung hob die Beklagte die MdE von 20 auf 35 bzw. 30 v.H. an. Dem lag die gutachterliche Einschätzung des Dr. T. zugrunde. Prof. Dr. D. schloss sich hinsichtlich der MdE-Bewertung 30 v.H. dieser Einschätzung an. Insgesamt hat der Sachverständige festgehalten, dass sich die Defizite seit 2007 nicht verschlimmert haben, sondern eher stabilisiert hätten.

Demgegenüber sah Dr. C. eine deutliche Verschlechterung und gänzliche Änderung des linken Kniegelenks, die eine MdE um 40 v.H. rechtfertige. Er begründet dies mit einer mittlerweile vorderen Kreuzbandruptur, die im Vorgutachten nicht beschrieben ist. Als Ursache sieht der Gutachter Infektionen im Kniegelenk. Ferner stützte er die Einschätzung auf das Vorhandensein einer vorderen Schublade am linken Knie sowie auf eine besondere berufliche Betroffenheit der Klägerin, die für ihren Beruf als Krankenschwester nicht mehr arbeitsfähig ist.

Eine vordere Schublade war jedoch im Rahmen der erneuten Untersuchung durch Prof. Dr. D. am 6. Juli 2011 nicht nachweisbar. Die Seitenbandführung beider Kniegelenke war fest, ein Aufklappen im Untersuchungsgang nicht gegeben. Der behandelnde Orthopäde Dr. A. bescheinigte am 25. Mai 2010 eine erhebliche Muskelminderung, eine Gelenksbewegungseinschränkung 0-5-105 Grad und eine zweit- bis drittgradige hintere Instabilität bei hinterer Kreuzbandinsuffizienz. Der vordere Kreuzbandanschlag war fühlbar; es bestand kein anterolaterales pivot shift Phänomen. Eine vordere Schublade ist damit nicht nachgewiesen. Die Seitenbänder wurden als ausreichend stabil beschrieben. Ein Gelenkerguss, wie von Dr. C. angenommen, wurde weder durch Dr. A. noch durch Prof. Dr. D. bestätigt.

Ferner sieht Dr. C. eine fortgeschrittene Arthrose im linken Kniegelenk als maßgeblich an. Auch Prof. Dr. D. beschreibt jedoch ein deutliches arthrotisches Reiben im linken Kniegelenk bei den Bewegungsprüfungen. Entzündungszeichen als Hinweis auf einen akuten Binneninfekt des betroffenen Kniegelenks lagen jedoch nicht vor. Die Ausbildung von degenerativen Veränderungen am linken Kniegelenk ist von der Beklagten im streitgegenständlichen Bescheid als weitere Unfallfolge anerkannt worden; in dem zugrundeliegenden Gutachten des Dr. T. wurde bereits von einer "Zunahme degenerativer Veränderungen" gesprochen. Von einem weiteren Fortschreiten ist aufgrund der späteren Gutachten auszugehen; Prof. Dr. D. sieht darin jedoch keine wesentliche Änderung.

Der Knorpeldegenerationsgrad im Sinne einer Chondromalazia genu und patellae ist entgegen der ursprünglichen Diagnose des Dr. C. nicht im Stadium IV, sondern im Stadium II anzunehmen, wie auch in der ergänzenden Stellungnahme von Dr. C. bestätigt wird.

Dr. C. stellte eine Umfangsminderung linkes Bein von bis zu 7 cm fest. Auch in der chirurgischen Stellungnahme nach Aktenlage des Dr. N. für das Zentrum Bayern Familie und Soziales vom 13. November 2009 wird eine ganz erhebliche Zunahme der Muskelminderung bzw. eine Schwäche der hüftumgreifenden Muskulatur beschrieben. Die Muskelminderung hat danach im Vergleich zum Gutachten von Prof. Dr. D. (2,5 cm) zugenommen. Prof. Dr. D. beschreibt in seinem Gutachten vom 19. September 2011 allerdings wieder eine Verbesserung (3,5 cm). Bei Dr. T. wurden ebenfalls 3,5 cm gemessen, so dass sich insoweit nach dem aktuellen Befund keine Änderung ergibt.

Der Senat konnte aus den dargelegten Gründen dem Gutachten des Dr. C. nicht in vollem Umfang folgen, zumal auch eine Erhöhung der Rente wegen besonderer beruflicher Betroffenheit nach § 56 Abs. 2 S. 3 SGB VII vorliegend nicht in Betracht kommt. Die Klägerin übte den Beruf der Krankenschwester aus. Eine zumutbare Verweisbarkeit auf annähernd gleichwertige Tätigkeiten steht der Erhöhung entgegen (s.a. BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 6). Eine Umschulung ist grundsätzlich zumutbar und von der Beklagten auch angeboten worden. Die Vorschrift des § 56 Abs. 2 S. 3 SGB VII stellt eine Härteklausel dar, die nur dann zum Zuge kommt, wenn ein sehr spezifischer Beruf mit einem relativ engen Bereich ausgeübt wird (zum Ganzen: KassKomm-Ricke, § 56 SGB VII Rdnr. 28 ff). Dies ist beim Beruf der Krankenschwester nicht der Fall.

Die MdE-Bewertung enthält grundsätzlich eine nur zu Annäherungswerten kommende Schätzung (BSGE 41, 99, 100 ff). Die in der Fachliteratur enthaltenen MdE-Sätze stellen ebenfalls nur Anhaltspunkte für den Normalfall dar und dürfen nicht schematisch angewandt werden (KassKomm-Ricke, § 56 SGB VII Rdnr. 20). Andererseits ist auch die von einem Sachverständigen angenommene Höhe der MdE für das Gericht nicht bindend. Die Festlegung der Höhe der MdE betrifft eine Rechtsfrage, die vom Gericht in eigener Verantwortung zu prüfen und gegebenenfalls zu korrigieren ist (BSG, a.a.O., S. 101).

Eine mittelgradige Behinderung der Bewegung (nur bis 90 Grad bewegbar) und der Streckung (bis 20 Grad) und muskulär nicht kompensierbare Seitenbandinstabilität, Notwendigkeit des Dauergebrauchs von Hilfsmitteln wird nach der Fachliteratur (Schönberger/Mehrtens/ Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, S. 612) mit einer MdE um 30 v.H. bewertet. Mehrhoff/Meindl/Muhr (Unfallbegutachtung, 12. Aufl. 2010, S. 165) bewerten die MdE bei einer Restbeweglichkeit des Kniegelenks bei 0/0/90 Grad mit 20 v.H., bei 0/0/120 Grad mit 10 v.H. Prof. Dr. D. hat zuletzt eine Kniegelenksbeweglichkeit links von 0/10/120 gemessen, Dr. A. 0/5/105, Dr. C. 0/10/100,
Dr. T. 0/10/110 im Jahre 2007. Nach allen Messungen ist somit der Grad 0/0/90 nicht erreicht. Hinzu kommt jedoch die Bewertung der Instabilität im linken Knie (MdE-Erfahrungswerte nach Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 655: Wackelknie muskulär nicht kompensiert: 20 v.H.; mit Knieführungsschiene: 30 v.H.). Eine Arthrose ist je nach Funktionsbehinderung mit einer MdE von 10 bis 30 v.H. angesetzt. Ein Reizknie, wie von der Beklagten erst in der mündlichen Verhandlung als Unfallfolge anerkannt, ist mit einer MdE um 20 v.H. bewertet (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 655). Schließlich zogen sowohl Dr. C. als auch Prof. Dr. D. fehlstatische Veränderungen der Schultergelenke bzw. glaubhafte Beschwerden des betroffenen Kniegelenks, der Wirbelsäule bei unfallbedingter Fehlstatik und der Schultergelenke als Folgen der Verwendung der Unterarmgehstützen mit in die Bewertung ein.

Eine Addierung der Einzel-MdE-Werte ist nicht ohne Weiteres zulässig, vielmehr ist eine Gesamtbewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit vorzunehmen. Im Hinblick auf die dargelegten Einwendungen gegenüber dem Gutachten des Dr. C. und der Auswertung der Fachliteratur unter Zugrundelegung der gutachterlichen Feststellungen des Prof. Dr. D. ist nach Überzeugung des Senats eine MdE von 35 v.H. festzulegen. Dieser Einschätzung folgte die Beklagte bereits für die Zeit vom 1. November 2006 bis 31. Dezember 2006 durch den streitgegenständlichen Bescheid vom 9. Juli 2007. Es ist nach dem Ergebnis der medizinischen Sachverhaltsaufklärung nicht ersichtlich, dass zum 1. Januar 2007 eine Änderung eingetreten ist, die die Festlegung der MdE auf 30 v.H. auf unbestimmte Zeit rechtfertigt. Vielmehr ergibt sich aus den das linke Knie insgesamt betreffenden Unfallfolgen, dass über den 31. Dezember 2006 hinaus die Rente nach einer MdE um 35 v.H. zu gewähren ist. Im Übrigen haben auch weder Prof. Dr. D. noch Dr. C. eine diesbezügliche zeitliche Differenzierung der MdE-Höhe vorgenommen.

Die Berufung war daher insoweit begründet, als über den 31. Dezember 2006 hinaus eine Verletztenrente nach einer MdE um 35 v.H. von der Beklagten zu gewähren ist. Sie war zurückzuweisen, soweit darüber hinaus eine Rente nach einer MdE um 40 v.H. ab 1. November 2006 begehrt wurde.

Die Kostenfolge stützt sich auf § 193 SGG und berücksichtigt den anteiligen Erfolg der Berufung der Klägerin.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Gründe nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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