L 7 AS 205/11 B ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 10 AS 7920/10 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 205/11 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Eine Widerspruchseinlegung mittels einfacher E-Mail stellt keine Widerspruchseinlegung im Sinn des § 84
Abs. 1 Satz 1 SGG dar.

2. Eine E-Mail mit angehängter PDF-Datei -das Original des Schreibens hatte der Widerspruchsführer mit seiner handschriftlichen Unterschrift versehen - erfüllt auch nicht die Voraussetzungen der elektronischen Form im Sinne des § 36a Abs. 2 Satz 1 SGB I.

3. Jedoch genügt der bei der Behörde erstellte Ausdruck der auf elektronischem Wege übermittelten Datei der Schriftform im Sinne des § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG. Der Ausdruck verkörpert die Widerspruchseinlegung in einem Schriftstück und schließt mit der Unterschrift des Widerspruchsführers ab. Dass die Unterschrift nur in der Kopie wiedergegeben ist, ist unschädlich, weil der im Original unterzeichnete Schriftsatz vom Widerspruchsführer eingescannt und elektronisch als PDF-Datei übermittelt und von der Behörde entgegen genommen und ausgedruckt worden ist.

4. Zwar entsteht bei der Übermittlung einer einer E-Mail angehängten PDF-Datei - anders als beim Computerfax - nicht unmittelbar allein auf Veranlassung des Absenders beim Empfänger eine körperliche Urkunde. Vielmehr ist ein Zutun des Empfängers in Form des Ausdruckens erforderlich. Der Empfänger ist nicht verpflichtet, die Datei auszudrucken. Wird sie nicht ausgedruckt, entsteht zu keiner Zeit eine körperliche
Urkunde beim Empfänger. Die Schriftsform ist in diesem Falle nicht gewahrt. Das Risiko, dass ein als PDF-Datei per E-Mail übermitteltes Schreiben nicht ausgedruckt wird und damit nicht die Schriftform erlangt,
trägt der Absender. Druckt der Adressat die Datei jedoch aus, entsteht - ebenso wie beim Computerfax - eine körperliche Urkunde.
I. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 4. Februar 2011 aufgehoben. Der Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 3. Dezember 2010 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 30. November 2010 wird abgelehnt.

II. Außergerichtliche Kosten sind weder für das Antrags- noch das Beschwerdeverfahren zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs gegen einen eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Bescheid des Antragsgegners.

Der Antragsgegner bewilligte dem 1949 geborenen Antragsteller und seinem 1988 geborenen Sohn mit Bescheid vom 21.08.2010 für den Zeitraum vom 01.10.2010 bis 31.03.2011 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 1.013,11 EUR/Monat.

Im Rahmen eines Gesprächs übergab der Antragsgegner dem Antragsteller den Entwurf einer Eingliederungsvereinbarung. Hiergegen legte der Antragsteller einen vorgefertigten Widerspruch ein und lehnte die Unterzeichnung der Eingliederungsvereinbarung nachdrücklich ab.

Der Antragsgegner übersandte dem Antragsteller daraufhin den die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Bescheid vom 30.11.2010. Dieser entfaltete ausweislich seines Wortlautes Wirkung für den Zeitraum vom 30.11.2010 bis 29.05.2011, soweit zwischenzeitlich nichts anderes vereinbart wird. Gegen diesen Bescheid richtete sich das der E-Mail vom 03.12.2010 angehängte Widerspruchsschreiben des Antragstellers im Portable-Document-Format (PDF). Das Original des Schreibens mit seiner handschriftlichen Unterschrift hatte der Widerspruchsführer zuvor eingescannt.

Der Antragsteller hat am 06.12.2010 beim Sozialgericht Dresden (SG) die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs begehrt. Die Eingliederungsvereinbarung per Verwaltungsakt verstoße gegen Artikel 3 der Charta der Menschenrechte, gegen Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes (GG) sowie gegen zahlreiche Bestimmungen des Strafgesetzbuches (StGB).

Das SG hat mit Beschluss vom 04.02.2011 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 03.12.2010 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 30.11.2010 angeordnet. Es bestünden ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Eingliederungsverwaltungsaktes vom 30.11.2010. Die dem Antragsteller in der Eingliederungsvereinbarung auferlegte Pflicht, vor jeder Personaleinstellung sowie Investition über 150,00 EUR eine vorherige Genehmigung durch die Leistungsabteilung einzuholen, sei rechtswidrig. Diese Regelung verstoße gegen das durch Artikel 14 GG geschützte Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Durch die Auflage, Investitionen über 150,00 EUR durch die Leistungsabteilung vorher genehmigen lassen zu müssen, sei der Antragsteller gehindert, mit den Vermögenswerten aus dem eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb selbstständig umzugehen. Die Regelung verstoße zudem gegen das Grundrecht auf freie Berufungsausübung, welches durch Artikel 12 Absatz 1 GG geschützt sei. Weitere Bestimmungen des Bescheides vom 30.11.2010 verletzten die durch Artikel 2 Absatz 1 GG gesicherte allgemeine Handlungsfreiheit.

Gegen den dem Antragsgegner am 10.02.2011 zugestellten Beschluss hat er am 09.03.2011 Beschwerde beim Sächsischen Landessozialgericht (SächsLSG) eingelegt. Ein Anordnungsgrund sei vorliegend nicht glaubhaft gemacht. Zudem sei ein Anordnungsanspruch nicht gegeben. Der Eingliederungsverwaltungsakt sei nicht rechtswidrig. In dem die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt vom 30.11.2010 seien die üblichen Mitwirkungspflichten eines selbstständig tätigen Hilfebedürftigen geregelt.

Der Senat hat den Antragsteller mit gerichtlichem Schreiben vom 03.06.2011 darauf hingewiesen, dass das Rechtsschutzbedürfnis für die Beschwerde entfallen sein dürfte, da der der Beschwerde zugrunde liegende Eingliederungsverwaltungsakt vom 30.11.2010 ausweislich seines Wortlauts seit 30.05.2011 keine Wirkung mehr entfaltete.

Der Antragsgegner beantragt,

den Beschluss des Sozialgericht Dresden vom 04.02.2011 aufzuheben und den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 03.12.2010 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 30.11.2010 abzulehnen.

Der Antragsteller beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, die Ersetzung einer Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt stelle eine Nötigung im Sinne des § 240 StGB, eine Bedrohung gemäß § 241 StGB und eine Erpressung nach § 253 StGB dar.

Dem Senat liegen die Verfahrensakten des Antrags- und des Beschwerdeverfahrens sowie die Verwaltungsakte des Antragsgegners vor.

II.

Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist begründet. Daher war der Beschluss des SG vom 04.02.2011 aufzuheben und der Antrag abzulehnen.

Dem Antragsteller steht kein Anspruch auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des per E-Mail übermittelten Widerspruchs vom 03.12.2010 gegen den Bescheid vom 30.11.2010 zu. Nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen oder befolgt worden, kann das Gericht gemäß § 86b Abs. 1 Satz 2 SGG die Aufhebung der Vollziehung anordnen.

Der Widerspruch gegen den die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Bescheid vom 30.11.2010 hat gem. § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 39 Abs. 1 Nr. 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) keine aufschiebende Wirkung.

1. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des per E-Mail übermittelten Widerspruchs. Zwar liegt eine wirksame Widerspruchseinlegung gegen den die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Bescheid des Antragsgegners vom 30.11.2010 vor. Gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG ist der Widerspruch binnen eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekannt gegeben worden ist, schriftlich oder zur Niederschrift bei der Stelle einzureichen, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Der Antragsteller hat vorliegend den Widerspruch per E-Mail vom 03.12.2010 übermittelt.

a) Eine Widerspruchseinlegung mittels einfacher E-Mail stellt zwar keine schriftliche Widerspruchseinlegung i.S.d. § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG dar (Bayerisches LSG, Beschluss vom 29.03.2011 – L 8 AS 75/11, zitiert nach Juris, RdNrn. 15 ff.; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28.09.2010 - L 18 AL 76/10, zitiert nach Juris, RdNr. 18; Hessisches LSG, Urteil vom 18.03.2008 - L 3 U 123/05, zitiert nach Juris, RdNrn. 16, 17; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 10.09.2007 – L 4 R 447/06, zitiert nach Juris, RdNrn. 11 ff.; Hessisches LSG, Beschluss vom 11.07.2007 - L 9 AS 161/07 ER, zitiert nach Juris, RdNrn. 5, 6; VG Neustadt, Urteil vom 22.09.2011 - 4 K 540/11.NW, zitiert nach Juris, RdNrn. 36, 37; VG Darmstadt, Beschluss vom 26.08.2010 - 9 L 773/10.DA, zitiert nach Juris, RdNr. 20; VG Neustadt, Urteil vom 09.07.2009 - 4 K 409/09.NW, zitiert nach Juris, RdNrn. 21, 22; VG München, Urteil vom 05.02.2009 - M 15 K 07.2394, zitiert nach Juris, RdNrn. 31, 32; VG Neustadt, Urteil vom 11.02.2008 - 4 K 1537/07.NW, zitiert nach Juris, RdNr. 27, 28; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 15.02.2007 - 13 K 2485/05, zitiert nach Juris, RdNr. 25; Skrobotz, juris PR-ITR 17/2008 Anmerkung 5; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012, § 84, RdNr. 3; Dolde/Porsch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: 2010; § 70 RdNr. 6b).

b) Die in § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG angeordnete Schriftform wurde vorliegend auch nicht nach § 36a Abs. 2 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) durch die elektronische Form ersetzt. Nach § 36a Abs. 2 Satz 2 SGB I ist, wenn die in § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG angeordnete Schriftform durch die elektronische Form ersetzt wird, das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz zu versehen (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28.09.2010, a.a.O., RdNr. 18; Hessisches LSG, Urteil vom 18.03.2008, a.a.O., RdNrn. 16, 17; Hessisches LSG, Beschluss vom 11.07.2007, a.a.O., RdNr. 5; VG Neustadt, Urteil vom 22.09.2011, a.a.O., RdNrn. 36, 37; VG Neustadt, Urteil vom 09.07.2009, a.a.O., RdNr. 23; VG München, Urteil vom 05.02.2009, a.a.O., RdNrn. 31, 32; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 15.02.2007, a.a.O., RdNr. 27; Skrobotz, juris PR-ITR 17/2008 Anmerkung 5). Qualifizierte elektronische Signaturen sind nach § 2 Nrn. 1 bis 3 des Gesetzes über Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen - Signaturgesetz (SigG) - Daten in elektronischer Form, die anderen elektronischen Daten beigefügt oder logisch mit ihnen verknüpft sind und die zur Authentifizierung dienen, wobei sie ausschließlich dem Signaturschlüssel-Inhaber zugeordnet sind, die Identifizierung des Signaturschlüssel-Inhabers ermöglichen, mit Mitteln erzeugt werden, die der Signaturschlüssel-Inhaber unter seiner alleinigen Kontrolle halten kann, und mit den Daten, auf die sie sich beziehen, so verknüpft sind, dass eine nachträgliche Veränderung der Daten erkannt werden kann. Zudem müssen sie auf einem zum Zeitpunkt ihrer Erzeugung gültigen qualifizierten Zertifikat beruhen und mit einer sicheren Signaturerstellungseinheit erzeugt werden.

Die E-Mail des Antragstellers vom 03.12.2010 war nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen.

c) Jedoch genügt der beim Antragsgegner erstellte Ausdruck der auf elektronischem Wege übermittelten Datei der Schriftform i.S.d. § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG (ebenso BGH, Beschluss vom 15.07.2008 – X ZB 8/08, zitiert nach Juris, RdNrn. 12 ff.; Wassermann, jurisPR-BHGZivilR 18/2008 Anmerkung 1; Kloppenburg, jurisPR-ArbR 4/2009 Anmerkung 2; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 18.01.2011 – L 5 AS 433/10 B, zitiert nach Juris, RdNr. 2; Brandenburgisches OLG, Urteil vom 27.11.2008 – 5 U 179/07, zitiert nach Juris, RdNr. 35; Skrobotz, jurisPR-ITR 6/2009 Anmerkung 3; Zöller, ZPO, 29. Auflage 2012, § 130 RdNrn. 18d, 21 ff.; a.A. Bayrisches LSG, Beschluss vom 24.02.2012 – L 8 SO 9/12 B ER, zitiert nach Juris, RdNrn. 11 ff.; VG Neustadt, Urteil vom 11.02.2008, a.a.O., RdNrn. 20 f.). Der Ausdruck verkörpert die Widerspruchseinlegung in einem Schriftstück und schließt mit der Unterschrift des Klägers ab. Dass die Unterschrift nur in der Kopie wiedergegeben ist, ist unschädlich, weil der im Original unterzeichnete Schriftsatz vom Antragsteller eingescannt und elektronisch als PDF-Datei übermittelt und vom Antragsgegner entgegengenommen und ausgedruckt worden ist (BGH, Beschluss vom 15.07.2008 a.a.O., RdNr. 13).

Der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes hat mit Beschluss vom 05.04.2000 (GmS-OGB 1/98, zitiert nach Juris, RdNrn. 15 f.) zur Rechtsmitteleinlegung mittels Computerfax ausgeführt: "Es entspricht der langjährigen Entwicklung dieser Rechtsprechung, die dem technischen Fortschritt auf dem Gebiet der Telekommunikation Rechnung trägt, die Übermittlung bestimmender Schriftsätze auch durch elektronische Übertragung einer Textdatei mit eingescannter Unterschrift auf ein Faxgerät des Gerichts zuzulassen. Die Erfüllung der gesetzlich erforderlichen Schriftform, zu der grundsätzlich die eigenhändige Unterschrift gehört, ist solchen bestimmenden Schriftsätzen nicht deshalb abzusprechen, weil sie durch moderne elektronische Medien - wie das im Streitfall zu beurteilende Computerfax - übermittelt werden und mangels Vorhandenseins eines körperlichen Originalschriftstücks beim Absender eine eigenhändige Unterzeichnung nicht möglich ist. Auch bei der von der Rechtsprechung zu Recht gebilligten und zum Gewohnheitsrecht erstarkten Übung der telefonischen Telegrammaufgabe existiert keine vom Absender unterschriebene Urschrift. Maßgeblich für die Beurteilung der Wirksamkeit des elektronisch übermittelten Schriftsatzes ist nicht eine etwa beim Absender vorhandene Kopiervorlage oder eine nur im Textverarbeitungs-PC befindliche Datei, sondern allein die auf seine Veranlassung am Empfangsort (Gericht) erstellte körperliche Urkunde. Der alleinige Zweck der Schriftform, die Rechtssicherheit und insbesondere die Verläßlichkeit der Eingabe zu gewährleisten, kann auch im Falle einer derartigen elektronischen Übermittlung gewahrt werden. Entspricht ein bestimmender Schriftsatz - wie im Ausgangsverfahren die Berufungsbegründung - inhaltlich den prozessualen Anforderungen, so ist die Person des Erklärenden in der Regel dadurch eindeutig bestimmt, daß seine Unterschrift eingescannt oder der Hinweis angebracht ist, daß der benannte Urheber wegen der gewählten Übertragungsform nicht unterzeichnen kann. Auch der Wille, einen solchen Schriftsatz dem Gericht zuzuleiten, kann in aller Regel nicht ernsthaft bezweifelt werden."

Zwar entsteht bei der Übermittlung einer einer E-Mail angehängten PDF-Datei – anders als beim Computerfax – nicht unmittelbar allein auf Veranlassung des Absenders beim Empfänger eine körperliche Urkunde. Vielmehr ist ein Zutun des Empfängers in Form des Ausdruckens erforderlich.

Der Empfänger ist allerdings nach Auffassung des Senats nicht verpflichtet, die Datei auszudrucken. Wird sie nicht ausgedruckt, entsteht zu keiner Zeit eine körperliche Urkunde beim Empfänger. Die Schriftform i.S.d. § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG ist in diesem Falle nicht gewahrt. Das Risiko, dass ein als PDF-Datei per E-Mail übermitteltes Schreiben nicht ausgedruckt wird und damit nicht die Schriftform erlangt, trägt der Absender (Wassermann, a.a.O.).

Druckt der Adressat die Datei jedoch aus, entsteht – ebenso wie beim Computerfax ¬– eine körperliche Urkunde. In diesem Fall erscheint dem Senat eine andere Behandlung als beim Computerfax nicht gerechtfertigt. Der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes hat es – unter Wiedergabe der Rechtsprechung zur Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen per Telegramm und Fernschreiben (jeweils ohne handschriftliche Unterschrift des Absenders) ¬– in o.g. Entscheidung gerade betont, dass es der langjährigen Entwicklung der Rechtsprechung entspricht, dem technischen Fortschritt auf dem Gebiet der Telekommunikation Rechnung zu tragen (ebenso Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 18.04.2007 – 1 BvR 110/07, zitiert nach Juris, RdNr. 17). Mit jeder technischen Weiterentwicklung der Telekommunikation werden neue Übertragungsmöglichkeiten erschlossen werden. Eine andere Betrachtungsweise (vgl. Bayerisches LSG; Beschluss vom 24.02.2012 – L 8 SO 9/12 B ER, zitiert nach Juris, RdNrn. 12, 15; VG Neustadt, Urteil vom 11.02.2008, a.a.O., RdNrn. 20 f.), würde dieser Intention widersprechen. Der Zugang zum Gericht würde aus Sicht des Senats in unzumutbarer, durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigende Weise erschwert (BVerfG, Beschluss vom 18.04.2007, a.a.O., RdNr. 21; BGH, Beschluss vom 15.07.2008, a.a.O., RdNr. 14; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 18.01.2011, a.a.O.; Zöller, a.a.O., RdNr. 21).

Der Senat schließt sich nach eigener Prüfung auch den folgenden Ausführungen des BGH im Beschluss vom 15.07.2008 (a.a.O., RdNrn. 13 ff.) an: "Ein erhöhtes Risiko, dass eine über das Internet übermittelte Datei auf diesem Wege verfälscht werden könnte, rechtfertigt eine Ungleichbehandlung von Telekopien und Bilddateien beim Unterschriftserfordernis nicht. Ein per Telefax übermittelter Schriftsatz kann zulässigerweise als Computerfax mit eingescannter Unterschrift des Prozessbevollmächtigten versandt werden (GmS-OGB BGHZ 144, 160), und der Versand kann von jedem beliebigen Telefonanschluss erfolgen (BAG, Beschl. v. 14.3.1989 - 1 AZB 26/88, NJW 1989, 1822); zudem soll nach der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung die Wiedergabe der Unterschrift in der Telekopie unabhängig davon ausreichen, ob das Telefax bei Gericht unmittelbar eingeht oder diesem durch einen Boten überbracht wird (BT-Drucks. 14/4987, S. 24). Schon dies erlaubt kaum eine Überprüfung, ob der Schriftsatz tatsächlich von demjenigen autorisiert ist, von dem er autorisiert zu sein scheint. Zudem bieten zahlreiche Dienstleister die Möglichkeit an, ein Telefax aus dem Internet zu versenden. Technisch möglich, wenn auch noch kaum gebräuchlich ist ferner die Echtzeitübertragung von Faxnachrichten über IP-Netze mittels des von der International Telecommunication Union (ITU) definierten Standards T.38 (‚Fax over IP’ - FoiP). Auch solche Fernkopien fallen in den Anwendungsbereich des § 130 Nr. 6 ZPO, weil die Übermittlung an den Empfänger über das Telefonnetz erfolgt, dürften aber kaum eine höhere Gewähr für eine autorisierte und unverfälschte Übermittlung als eine Versendung per E-Mail bieten." (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 30.03.2006 – 8 B 8/06, NJW 2006, 1989 zur Übermittlung per Funkfax; BVerwG, Urteil vom 13.02.1987 – 8 C 25/85, NJW 1987, 2098 zur Übermittlung per Telebrief).

2. Ungeachtet dessen fehlt dem Antrag nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG das in jeder Lage des Verfahrens zu prüfende Rechtsschutzbedürfnis (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012, vor § 51, RdNrn. 16, 16a und 20). Der Verwaltungsakt, gegen den sich das Rechtsschutzbedürfnis richtet, hat sich wegen Zeitablaufs gemäß § 39 Abs. 2 SGB X erledigt. In dem angefochtenen Bescheid vom 30.11.2010 wird bestimmt, dass dieser nur für den Zeitraum vom 30.11.2010 bis 29.05.2011 gültig ist, sofern zwischenzeitlich keine andere Vereinbarung erfolgt ist. Eine solche ist – wie sich aus dem Schriftsatz des Antragsgegners vom 11.04.2012 ergibt – nicht getroffen worden (vgl. Sächsisches Landessozialgericht (SächsLSG), Beschluss vom 01.03.2012 - L 7 AS 936/11 B ER).

Ein Rechtsschutzbedürfnis besteht auch nicht etwa deshalb, weil der Antragsteller ein rechtlich schützenswertes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des durch Zeitablauf erledigten Verwaltungsakts (Fortsetzungsfeststellungsinteresse) hätte. Ein Fortsetzungsfeststellungsantrag ist in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes unzulässig (SächsLSG, Beschluss vom 01.03.2012, a.a.O.; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26.08.2009 – L 5 AS 1273/09 B ER, zitiert nach Juris. RdNr. 16; Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss vom 27.01.1995 – 7 VR 16/94, zitiert nach Juris, RdNr. 27; Bundesfinanzhof (BFH), Beschluss vom 17.01.1985 – VII B 46/84, zitiert nach Juris, RdNr. 2; Keller, a.a.O., § 86b, RdNr. 9b, § 131 RdNr. 7c).

Nach alledem war der Beschluss des SG aufzuheben und der Antrag abzulehnen.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG.

Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar, § 177 SGG.

Weinholtz Reichert Dr. Anders
Rechtskraft
Aus
Saved