L 7 AS 822/12 B PKH

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 54 AS 1283/11
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 822/12 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Eine schwierige, bislang ungeklärte Rechtsfrage darf nicht im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden werden.
Ob der vom Gesetzgeber für die Zeit ab 2011 festgelegte Regelbedarf verfassungwidrig ist, ist keine schwierige, bislang ungeklärte Rechtsfrage. Der Gesetzgeber hat sich sehr genau an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gehalten. Das Bundesverfassungsgericht hat den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers betont und im Wesentlichen eine Ermittlung des Existenzminimums in einem schlüssigen Verfahren gefordert.
Die Kritik am neuen Regelbedarf ist vereinzelt geblieben und kann nicht überzeugen.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 25. September 2012 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.
Streitig ist die Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe für eine Klage auf Gewährung eines höheren Regelbedarfs für die Zeit ab Beginn des Jahres 2011.

Mit Bescheid vom 27.09.2010 bewilligte der Beklagte und Antragsgegner dem Kläger Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 01.11.2010 bis 30.04.2011. Mit einem weiteren Bescheid wurde Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 01.05.2011 bis 30.09.2011 bewilligt.

Mit zwei Änderungsbescheiden vom 31.03.2011 setzte der Beklagte für die Zeit von Januar bis September 2011 die Erhöhung des Regelbedarfs auf 364,- Euro und die Übernahme der Kosten für Warmwasser um. Im Ergebnis wurden damit die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung als Bedarf berücksichtigt. Der Kläger erhob dagegen Widerspruch mit der Begründung, der Regelbedarf sei verfassungswidrig zu niedrig festgesetzt. Die Widersprüche wurden mit zwei Widerspruchsbescheiden vom 19.04.2011 zurückgewiesen.

Der Kläger erhob am 18.05.2011 zwei Klagen (S 54 AS 1282/11 und S 54 AS 1283/11), die vom Sozialgerichts zu einer Klage verbunden wurden. Die Klage wurde dahingehend begründet, dass der Regelbedarf zu niedrig festgesetzt sei. Am 14.11.2011 wurde die Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragt. Die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse wurde am 17.04.2012 vorgelegt.

Mit Beschluss vom 25.09.2012 lehnte das Sozialgericht München die Gewährung von Prozesskostenhilfe ab. Es bestehe keine hinreichende Erfolgsaussicht für eine Klage, die ausschließlich mit der Verfassungswidrigkeit der ab 01.01.2011 gültigen Regelbedarfe begründet werde. Hierzu wurde auf Beschlüsse des Beschwerdegerichts zur Ablehnung von Prozesskostenhilfe für derartige Klagen und das Urteil des Bundessozialgerichts vom 12.07.2012, B 14 AS 153/11 R, verwiesen. Der Beschluss wurde dem Kläger am 04.10.2012 zugestellt.

Der Kläger hat am 02.11.2012 Beschwerde gegen die Ablehnung der Prozesskostenhilfe eingelegt. Die Erfolgsaussicht der Klage sei nicht zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Prozesskostenhilfe (PKH) zu prüfen, sondern aus der Sicht zum Zeitpunkt der Einreichung des PKH-Antrags. Das Sozialgericht habe sich fast ein ganzes Jahr Zeit gelassen, um über den PKH-Antrag zu entscheiden. Bereits das beim BSG anhängige Revisionsverfahren begründe die hinreichende Erfolgsaussicht der Klage.

II.
Die Beschwerde wurde form- und fristgerecht erhoben (§ 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Sie ist auch statthaft, da sie nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG ausgeschlossen ist.

Die Beschwerde ist unbegründet, weil das Sozialgericht die Bewilligung von PKH zu Recht abgelehnt hat. Für eine Klage auf Berücksichtigung eines höheren Regelbedarfs für die Zeit ab 01.01.2011 bestand und besteht keine Erfolgsaussicht.

Es trifft entgegen der Ansicht des Klägers nicht zu, dass die Prüfung der Erfolgsaussicht einer Klage nach § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) auf den Zeitpunkt bezogen ist, zu dem der PKH-Antrag gestellt wurde.

Nach einer Auffassung ist auf den Zeitpunkt der Entscheidungsreife des PKH-Antrags abzustellen, der frühestens dann gegeben ist, wenn ein vollständiger PKH-Antrag vorliegt und regelmäßig der Gegner Gelegenheit zur Stellungnahme nach § 118 Abs. 1 ZPO hatte (BayLSG, Beschluss vom 20.09.2010, L 7 AS 611/10 B PKH). Wenn das Gericht später entscheidet, sind den Klageerfolg begünstigende Änderungen aber zu berücksichtigen. Nach anderer Auffassung ist auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts über den PKH-Antrag abzustellen, es sei denn die Entscheidung des Gerichts hat sich über die Entscheidungsreife hinaus verzögert und es sind inzwischen Änderungen zum Nachteil des Klägers eingetreten (vgl. Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 10. Auflage 2012, § 73a Rn. 7d). Zwischen den beiden Auffassungen ergeben sich in der Praxis kaum Unterschiede.

Hier war es so, dass die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse erst am 17.04.2012 vorgelegt wurde, so dass dies - zuzüglich der Zeit für die Stellungnahme der Beklagten - der früheste Zeitpunkt zur Prüfung der Erfolgsaussicht war. Der konkrete Zeitpunkt kann hier offen bleiben, weil zu keiner Zeit eine hinreichende Erfolgsaussicht bestand.

Streitig ist allein die Rechtsfrage, ob der Regelbedarf für Alleinstehende, so wie er in § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II festgelegt wurde und den Bewilligungen der Leistungen für den Kläger der zugrunde gelegt wurde, verfassungswidrig ist.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) verlangt die Rechtsschutzgleichheit, hergeleitet aus Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG, dass schwierige, bislang ungeklärte Rechtsfragen nicht im PKH-Verfahren entschieden werden, sondern auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung zugeführt werden können. PKH muss aber nicht immer schon dann gewährt werden, wenn die entscheidungserhebliche Rechtsfrage noch nicht höchstrichterlich geklärt ist. Die Ablehnung von PKH kann ungeachtet des Fehlens einschlägiger höchstrichterlicher Rechtsprechung gerechtfertigt sein, wenn die Rechtsfrage angesichts der gesetzlichen Regelung oder im Hinblick auf Auslegungshilfen, die von bereits vorliegender Rechtsprechung bereitgestellt werden, ohne Schwierigkeiten beantwortet werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.02.2008, 1 BvR 1807/07, Rn. 23).

Es ist nicht erkennbar, dass der neue Regelbedarf für die Zeit ab 2011 vom Gesetzgeber in verfassungswidriger Weise festgelegt wurde. Der Gesetzgeber hat sich sehr genau an die Vorgaben des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010, 1 BvL 1/09 gehalten.

Das BVerfG hat klargestellt, dass der Gesetzgeber alle existenznotwendigen Aufwendungen in einem transparenten und sachgerechten Verfahren realitätsgerecht zu bemessen hat (BVerfG a.a.O., Rn. 139). Es hat aber ebenso deutlich dargelegt, dass der Gesetzgeber einen Gestaltungsspielraum bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums hat, der sich auf die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse sowie wertende Einschätzungen des notwendigen Bedarfs erstreckt (dort Rn. 138). Im Ergebnis hat das BVerfG ein schlüssiges Konzept zur Ermittlung des existenznotwendigen Bedarfs angemahnt. Der neue Regelbedarf beruht auf einem derartigen schlüssigen Konzept. Insoweit wird auf die vorliegende Rechtsprechung hingewiesen (BSG, Urteil vom 12.07.2012, B 14 AS 153/11 R; BayLSG, Beschluss vom 27.05.2011, L 7 AS 342/11 B PKH; BayLSG, Beschluss vom 22.08.2012, L 11 AS 549/12 B PKH; BayLSG, Beschluss vom 10.08.2011, L 16 AS 305/11 NZB).

Die vereinzelte Kritik, die am neuen Regelbedarf geäußert wird, auch der Vorlagebeschluss einer einzelnen Kammer des Sozialgerichts Berlin (SG Berlin, Beschluss vom 25.04.2012, S 55 AS 29349/12), führt nicht dazu, dass es sich deswegen um eine schwierige, bisher ungeklärte Rechtsfrage handelt. Die Kritik unterschätzt den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. Sie versäumt es auch, zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber an einigen Stellen über das verfassungsmäßig gebotene Existenzminimum hinausgegangen ist. So sind im laufenden Gesetzgebungsverfahren die Kosten für Warmwasser aus dem Regelbedarf herausgenommen und damit - im Vergleich zur davor erfolgten Festlegung des Regelbedarfs - zusätzlich gewährt worden. Dass einzelne Punkte der Ermittlung des neuen Regelbedarfs politisch unterschiedlich bewertet werden, darf nicht mit der Frage verwechselt werden, ob die getroffene Regelung verfassungswidrig ist.

Eine Kostenentscheidung unterbleibt im Beschwerdeverfahren gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. mit § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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