S 27 AS 686/12

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
27
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 27 AS 686/12
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
ohne
1. Der Beklagte wird verpflichtet, den Überprüfungsantrag des Klägers vom 16.06.2008 unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden. 2. Der Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten in gesetzlichem Umfang zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt mit der vorliegenden Untätigkeitsklage die Bescheidung seines Antrags auf Überprüfung nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – SGB X – vom 16.06.2008.

Der 1949 geborene Kläger stand im laufenden Leistungsbezug des Beklagten nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – SGB II -.

Ausweislich des Schreibens des Beklagten vom 11.04.2008 an den Kläger hatte dieser Kosten für Unterkunft und Heizung für die Wohnung in der O-A-Straße in A-Stadt in Höhe von monatlich 334,08 Euro Nettomiete, 68,00 Euro Nebenkosten und Müllbeseitigung sowie 41,00 Euro Heizkosten. Mit dem Schreiben vom 11.04.2008 forderte der Beklagte den Kläger zu Senkung der Kosten für Unterkunft und Heizung bis zum 30.06.2008. Angemessen sei eine Nettomiete von 285,00 Euro.

Mit Bewilligungsbescheid vom 18.04.2008 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen nach dem SGB II und senkte die Kosten für Unterkunft und Heizung ab 01.07.2008 auf insgesamt 387,60 Euro ab. Mit Änderungsbescheid vom 17.05.2008 setzte der Beklagte die Regelsatzerhöhung zum 01.07.2008 um.

Am 16.06.2008 sprach der Kläger bei dem Beklagten vor und wandte sich gegen die Absenkung der Kosten für Unterkunft und Heizung. Mit Schreiben ebenfalls vom 16.06.2008 erhob der Kläger generell Widerspruch gegen die Absenkung der Kosten für Unterkunft und Heizung. Einen konkreten Bescheid nannte der Kläger nicht.

Der Beklagte legte den Widerspruch als Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 17.05.2008 aus und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 13.08.2008 als unzulässig zurück, da der angegriffene Bescheid lediglich die Erhöhung der Regelleistung regele. Die bewilligten Unterkunftskosten seien mit Bescheid vom 18.04.2008 bestandskräftig geworden.

Hiergegen erhob der Kläger keine Klage.

Im Jahre 2011 nahm die Bevollmächtigte des Klägers im Rahmen eines anderweitigen Verfahrens Einsicht in die Leistungsakte. Sie wies den Beklagten mit Schreiben vom 12.12.2011 darauf hin, dass der Widerspruch des Klägers vom 16.06.2008 als Überprüfungsantrag betreffend den Bescheid vom 18.04.2008 hätte ausgelegt werden müssen und forderte den Beklagten zur Bescheidung auf. Nach Erinnerung vom 26.01.2012 und 08.06.2012 unter Fristsetzung bis 15.06.2012 erhob der Kläger Untätigkeitsklage zum Soziagericht Gießen.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, ihm auf den Überprüfungsantrag vom 16.06.2008 sowie den hieran anknüpfenden Überprüfungsantrag vom 12.12.2011 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Der Beklagte stellt keinen Antrag.

Der Beklagte hat sich weder auf das gerichtliche Schreiben vom 27.08.2012, worin er zur Mitteilung aufgefordert worden war, wann mit einer Entscheidung über den Überprüfungsantrag zu rechnen sei bzw. welche Hinderungsgründe vorlägen, noch auf das gerichtliche Erinnerungsschreiben vom 31.10.2012 geäußert. Auch hat er die angeforderten Leistungsakten des Klägers nicht übersandt. Auch auf die gerichtliche Mitteilung unter Fristsetzung zuletzt bis zum 21.02.2013, dass die Kammer beabsichtigt, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, hat sich der Beklagte nicht zum Verfahren gemeldet. Die Anhörung zum Gerichtsbescheid musste ihm mit Postzustellungsurkunde zugestellt werden, da auch das Empfangsbekenntnis nicht zur Gerichtsakte zurück gesandt worden ist.

Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die Gegenstand der Entscheidungsfindung war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, denn die Voraussetzungen des § 105 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG – liegen vor. Den schlüssigen Vortrag des Klägers zugrunde gelegt, weist die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf und der Sachverhalt ist insoweit als geklärt anzusehen, da sich der Beklagte weder eingelassen noch seine Verfahrensakte vorgelegt hat. Das Gericht hat die Beteiligten mit Schreiben vom 22.11.2012 bzw. 12.02.2013 zu einer beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört. Der Kläger hat hierzu mit Schreiben vom 01.12.2012 ausdrücklich sein Einverständnis erklärt. Der Beklagte hat sich nicht geäußert. Ausweislich der Zustellungsurkunde ist ihm jedenfalls das Anhörungsschreiben vom 12.12.2013 am 14.02.2013 zugestellt worden. Das Gericht übt sein Ermessen dahingehend aus, dass durch Gerichtsbescheid zu entscheiden ist, um weiteren zeitliche Verzögerungen entgegenzuwirken.

§ 88 Abs. 1 SGG bestimmt, dass wenn ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht beschieden worden ist, die Klage nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts zulässig ist. Liegt ein zureichender Grund dafür vor, dass der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen ist, so setzt das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist aus, die verlängert werden kann. Wird innerhalb dieser Frist dem Antrag stattgegeben, so ist die Hauptsache für erledigt zu erklären.

Die vorliegende Untätigkeitsklage ist zulässig. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger hinsichtlich seines auch als Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X auszulegenden Widerspruchs vom 16.06.2008 zwischenzeitlich beschieden worden ist. Die Kammer geht davon aus, dass der Widerspruch als Überprüfungsantrag auszulegen war, da nur insoweit dem Begehren des Klägers ausreichend Rechnung getragen werden konnte. Auch ist die Sperrfrist des § 88 Abs. 1 SGG von sechs Monaten ab Antragstellung verstrichen. Selbst wenn der Beklagte zunächst selber nicht von einem Überprüfungsantrag ausgegangen ist, hat der Kläger diesen mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 12.12.2011 hiervon in Kenntnis gesetzt und an eine Bescheidung erinnert. Bis zum Erheben der Untätigkeitsklage vom 20.08.2012 sind auch ab diesem Zeitpunkt mehr als sechs Monate vergangen. Die Untätigkeitsklage ist auch nicht verwirkt. Zwar ist sie erst nach mehr als drei Jahren erhoben worden. Allerdings ist nicht ersichtlich, dass neben dem Zeitablauf weitere Anhaltspunkte für eine Rechtsmissbräuchlichkeit der späten Klageerhebung gegeben sind (vgl. Mayer- Ladewig, SGG, 10. Aufl., vor § 60 Rn. 14 a). Insbesondere ist davon auszugehen, dass der Kläger, der bei der Erhebung des Widerspruchs am 16.06.2008 nicht anwaltlich vertreten war, die Rechtswidrigkeit zu einem früheren Zeitpunkt kannte. Die späte Geltendmachung verstößt nicht gegen Treu und Glauben.

Die Untätigkeitsklage ist auch begründet. Wegen der dauerhaften Nichtreaktion des Beklagten ist ein zureichender Grund für die Verzögerung weder vorgetragen noch ersichtlich.

Die Klage ist alleine auf Bescheidung gerichtet. Eine inhaltliche Entscheidung erfolgt seitens des Gerichts nicht. Allein rein vorsorglich weist die Kammer jedoch vorab darauf hin, dass bei der Bescheidung des Beklagten zu berücksichtigen sein dürfte, dass die Frist des § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II a.F. von sechs Monaten zum Zeitpunkt der Absenkung der Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem vorgetragenen Sachverhalt noch nicht abgelaufen gewesen sein dürfte. Darüber hinaus wird darauf hingewiesen, dass davon auszugehen ist, dass der Beklagte im Zeitraum des streitgegenständlichen Bewilligungsabschnitts jedenfalls kein schlüssiges Konzept, das den Anforderungen der BSG Rechsprechung (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 22.09.2009, B 4 AS 18/09 R) entspricht, gehabt haben dürfte, da bis zum 30.05.2011 die angemessenen Mietobergrenzen des Beklagten auf Werten basierten, die auf der Wohngeldtabelle begründet waren. Insoweit dürfte auch insoweit die zum damaligen Zeitpunkt gültige Wohngeldtabelle zzgl. eines Sicherheitsaufschlags in Höhe von 10% als Mietobergrenze anzuwenden sein.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Rechtmittelbelehrung ergibt sich aus §§ 105, 143 ff SGG. Die Berufungssumme von 750,00 Euro ist bei Zugrundelegung des Begehrens von Kosten für Unterkunft und Heizung für den Bewilligungsabschnitt in tatsächlicher Höhe nicht erreicht.
Rechtskraft
Aus
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