S 23 KR 338/13 ER

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
23
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 23 KR 338/13 ER
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Bei der Anwendung eines Systems zur kontinuierlichen Glukosemes-sung im Unterhautfettgewebe im Rahmen einer Insulinpumpentherapie handelt es sich um eine neue Behandlungsmethode, die mangels Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses gegenwärtig grundsätzlich nicht von der Leistungspflicht der GKV umfasst ist.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Der nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch sonst zulässige Antrag, der darauf gerichtet ist, die Antragsgegnerin vorläufig zu verpflichten, die an Diabetes mellitus Typ 1 erkrankte Antragstellerin mit einem Transmitter sowie mit Sensoren für das kontinuierliche Glukosemesssystem der Firma D. zu versorgen, bleibt ohne Erfolg.

Einstweilige Anordnungen sind zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes voraus. Ein Anordnungsanspruch liegt vor, wenn der Antragsteller das Bestehen eines Rechtsverhältnisses glaubhaft macht, aus dem er eigene Ansprüche herleitet. Maßgeblich sind mithin grundsätzlich die Erfolgsaussichten in der Hauptsache (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 86b Rn. 29). Ein Anordnungsgrund ist nur dann gegeben, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass ihm unter Berücksichtigung der widerstreitenden öffentlichen Belange ein Abwarten bis zur Entscheidung der Hauptsache nicht zuzumuten ist.

Nach Maßgabe dieser Voraussetzungen fehlt es bereits an einem Anordnungsanspruch. Die Kammer stützt ihre Entscheidung unter Berücksichtigung dessen, dass die Beteiligten vorliegend um für die Antragstellerin existentiell bedeutsame Leistungen der Krankenversicherung streiten, nicht allein auf eine ansonsten im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zulässige bloße summarische, sondern auf eine abschließende Prüfung der Rechtslage (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29.11.2007 – 1 BvR 2496/07 –, juris). Danach hat der Widerspruch der Antragstellerin vom 26.03.2013 gegen den Bescheid vom 15.03.2013 in der Fassung des Bescheides vom 26.03.2013, mit dem die Antragsgegnerin die Versorgung mit den o.g. Geräten zur Glukosemessung abgelehnt hat, keine Aussicht auf Erfolg.

I. Anspruchsgrundlage für das Begehren der Antragstellerin ist § 27 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Danach haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst auch die Versorgung mit Hilfsmitteln (§ 27 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 3 SGB V). Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind.

1. Sowohl bei dem zur Glukosemessung mittels einer Nadel im Unterhautfettgewebe anzubringenden Sensor, der die Glukosewerte aufzeichnet, als auch bei dem Transmitter, der die Glukoseinformation drahtlos an die Insulinpumpe übermittelt, handelt es sich um sächliche medizinische Leistungen und mithin um Hilfsmittel (vgl. zur Abgrenzung von Heil- und Hilfsmitteln BSG, Urteil vom 19.10.2004 – B 1 KR 28/02 R –, juris).

2. Der – hier notwendigerweise kombinierte – Einsatz von Insulinpumpe, Transmitter und Sensor zur kontinuierlichen interstitiellen Glukosemessung soll auch den Erfolg der Krankenbehandlung sichern (so auch LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 29.01.2013 – L 4 KR 89/12 B ER –, n.v.). Denn die Antragstellerin ist wegen ihrer Erkrankung an Diabetes in fortdauernder ärztliche Behandlung, und der behandelnde Diabetologe, Dr. K., hält die Versorgung mit einem Gerät zur kontinuierlichen Glukosemessung im Falle der Antragstellerin für erforderlich, um sie in die Lage zu versetzen, insbesondere anlaufende Hypoglykämien (Unterzuckerungen) frühzeitig zu erkennen und diese durch eigene, manuelle Steuerung der Insulinpumpe zu vermeiden. Die von der Antragstellerin benutzte Insulinpumpe der Marke Animas® Vibe™ verfügt nach Herstellerinformationen (www.animaseurope.eu/de/) über eine zusätzliche Funktion zur Anzeige der Glukosewerte und ihrer Entwicklung. Um diese Funktion nutzen zu können, bedarf es – wie oben dargestellt – sowohl des Sensors als auch des Transmitters der Firma D ... Beim Sensor handelt es sich um ein auszuwechselndes Element für den Einmalgebrauch, das in die Bauchdecke eingeführt wird und dort bis zu 7 Tage zur kontinuierlichen Überwachung der Blutzuckerwerte verbleibt, während der Transmitter wiederverwendbar ist (s. dazu im Einzelnen S. 85 des Animas® Vibe™-Benutzerhandbuchs auf www.animaseurope.eu). Neben der Darstellung der Werte auf dem Bildschirm der Pumpe können Alarme für den Fall der Überschreitung bestimmter Blutzuckerwerte eingestellt werden. Dr. K. hat zudem im Kostenübernahmeantrag vom 28.05.2012 erklärt, dass unter der kontinuierlichen Glukosemessung die Glukosewerte nicht nur durchgehend überwacht und angezeigt würden, sondern darüber hinaus auch zum Download und somit zur Analyse der Therapieeinstellung und -führung zur Verfügung stünden. Ziel der Messung sei neben einer besseren Prognose über die Entwicklung des Blutzuckerspiegels eine effizientere Arzneimittelversorgung sowie die Vermeidung von Krankenhausbehandlungen und Arbeitsunfähigkeit durch Entgleisungen des Stoffwechsels. Er erwarte, durch die kontinuierliche Glukosemessung die genauen Ursachen u.a. von Hypoglykämien und Hyperglykämien aufzudecken, um daraufhin ggf. die Therapie anzupassen. Zusätzlich könne die Dokumentation des Glukoseverlaufs zu Schulungszwecken der Antragstellerin verwendet werden. 3. Ob die in Streit stehenden Hilfsmittel darüber hinaus auch dazu dienen, einer drohenden Behinderung der Antragstellerin vorzubeugen oder eine bestehende Behinderung auszugleichen (§ 33 Abs. 1 Satz 1, Alt. 2 und 3 SGB V), kann dahingestellt bleiben (dazu im Einzelnen LSG Sachsen-Anhalt aaO). Denn für die Antragstellerin ergäbe sich daraus keine günstigere rechtliche Beurteilung des Sachverhalts (dazu sogleich).

II. Ein Anspruch der Antragstellerin scheidet indes deshalb aus, weil es sich bei der Anwendung des Systems zur interstitiellen kontinuierlichen Glukosemessung im Rahmen der durchgeführten Insulinpumpentherapie um eine neue Behandlungsmethode handelt, die von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht umfasst ist.

1. Der Anspruch auf Krankenbehandlung ist gemäß den allgemeinen Bestimmungen der §§ 2 Abs. 1 Satz 3, 12 Abs. 1 SGB V auf solche Leistungen beschränkt, die die Gewähr für Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit bieten, und zwar jeweils nach Maßgabe des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse (BSG, Urteil vom 27.09.2005 – B 1 KR 6/04 R –, juris). Dazu müssen grundsätzlich zuverlässige wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen in dem Sinne vorliegen, dass der Erfolg der Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Anzahl von Behandlungsfällen belegt ist (BSG, Urteil vom 18.05.2004 – B 1 KR 21/02 R –, juris). Im Bereich ärztlicher Behandlungen obliegt diese Feststellung grundsätzlich dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) im Verfahren nach § 135 Abs. 1 SGB V. Danach dürfen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB) in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der G-BA in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen abgegeben hat über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit.

Diese Anforderungen gelten auch, sofern ein Hilfsmittel im Rahmen einer Krankenbehandlung angewendet wird, um deren Erfolg zu sichern (§ 33 Abs. 1 Satz 1, Alt. 1 SGB V). Seine Verwendung ist dann nicht von dem zu Grunde liegenden Behandlungskonzept und den dafür geltenden Anforderungen nach den §§ 2 Abs. 1 Satz 3, 12 Abs. 1 iVm § 135 Abs. 1 SGB V zu trennen. Insoweit erfasst die Sperrwirkung des in § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V begründeten Leistungsverbots mit Erlaubnisvorbehalt jegliche Maßnahme im Rahmen einer bei einem bestimmten Krankheitsbild systematisch angewandten "Methode" (so zur Aufnahme eines Hilfsmittels in das GKV-Hilfsmittelverzeichnis BSG, Urteil vom 12.08.2009 – B 3 KR 10/07 R –, juris). Solange diese Methode als NUB nicht zur Versorgung in der GKV zugelassen ist, stellen auch die dabei eingesetzten Hilfsmittel keine von der Leistungspflicht der GKV umfassten Hilfsmittel dar. An die Entscheidungen des G-BA sind Krankenkassen und Gerichte gebunden (BSG, Urteil vom 04.04.2006 – B 1 KR 12/05 R –, juris).

Untersuchungs- oder Behandlungsmethode ist dabei die auf einem theoretisch-wissenschaftlichen Konzept beruhende systematische Vorgehensweise bei der Untersuchung und Behandlung einer Krankheit (BSG, Urteil vom 23.07.1998 – B 1 KR 19/96 R –, juris). "Neu" ist eine Untersuchungs- oder Behandlungsmethode jedenfalls dann, wenn sie zum Zeitpunkt der Behandlung nicht als abrechnungsfähige Leistung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab aufgeführt wird (BSG, Urteil vom 16.09.1997 – 1 RK 28/95 –, juris). Eine Behandlungsmethode kann auch dann als "neu" zu beurteilen und deshalb der besonderen krankenversicherungsrechtlichen Qualitätskontrolle zu unterwerfen sein, wenn sie sich aus einer neuartigen Kombination verschiedener für sich jeweils anerkannter oder zugelassener Maßnahmen zusammensetzt (BSG, Urteil vom 19.10.2004 – B 1 KR 27/02 R –, juris).

2. Vorliegend ist als Behandlungsmethode die Diabetesbehandlung durch Insulinpumpentherapie zu betrachten (so auch LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.02.2013 – L 5 KR 459/12 ER-B –, n.v.; ähnlich: SG Berlin, Beschluss vom 15.05.2012 – S 72 KR 500/12 ER –, juris Rn. 39: Messverfahren sei "Teil einer Behandlungsmethode"; abweichend: LSG Sachsen-Anhalt aaO: Behandlungsmethode sei die kontinuierliche Glukosemessung selbst), die durch die Verbindung mit der kontinuierlichen Glukosemessung als "neu" iSv § 135 Abs. 1 SGB V qualifiziert werden muss (a). Es bedürfte deshalb einer positiven Empfehlung des G-BA, an der es aber gegenwärtig noch mangelt (b). Rechtliche Mängel des Verfahrens vor dem G-BA kann die Kammer nicht erkennen (c).

a) Die von der Antragstellerin begehrte Durchführung der Insulinpumpentherapie unter Anwendung einer kontinuierlichen interstitiellen Glukosemessung stellt eine neue Behandlungsmethode dar. Zunächst liegt der kontinuierlichen Glukosemessung selbst unzweifelhaft ein theoretisch-wissenschaftliches Konzept zugrunde (LSG Sachsen-Anhalt aaO). Dies strahlt auf die bei der Antragstellerin durchgeführte Diabetesbehandlung insgesamt aus.

Der dagegen gerichtete Einwand, das Messsystem komme in Fällen wie dem vorliegenden nicht – wie es für die Anwendung des § 135 Abs. 1 SGB V Voraussetzung ist – im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung zur Anwendung, da es durch den Patienten und nicht durch den Arzt genutzt werde (so LSG Sachsen-Anhalt aaO für den dort entschiedenen Fall: Die Glukosesensoren würden "in erster Linie selbst und eigenständig" durch den Antragsteller genutzt; ähnlich SG Detmold, Beschluss vom 01.12.2010 – S 5 KR 325/09 –, juris Rn. 29: Die "hinter der Messung des Körperzustandes stehende ärztliche Behandlungsmaßnahme" sei die Insulintherapie, und diese sei nicht neu; so auch SG Berlin aaO: Die Behandlungsmethode sei nur dann als neu zu bewerten, "wenn die behandelnden Ärzte im Ergebnis der Auswertung der Messergebnisse eine neue Diabetestherapie, d.h. neue Behandlungskonzepte entwickeln und anwenden würden."), führt nach Ansicht der Kammer zu einer künstlichen Aufspaltung eines einheitlichen Behandlungsvorgangs und überzeugt auch vor dem Hintergrund des konkreten Falles nicht.

Die Verwendung des Messgerätes durch den Patienten selbst kann nicht ohne das übergeordnete Therapiekonzept des behandelnden Arztes gesehen werden. Dafür sprechen schon die o.g. Ausführungen des Dr. K. im Antragsschreiben zur Verwendung der erhobenen Daten und der daraus ggf. folgenden Anpassung der Insulintherapie. Insoweit greift die Argumentation der Antragstellerin, das Messgerät werde (allein) von ihr persönlich, nicht aber vom behandelnden Arzt bedient, weshalb es an einer vertragsärztlichen Tätigkeit fehle, zu kurz. Das Hilfsmittel wird gerade Bestandteil des Behandlungskonzepts und beeinflusst dieses, da es dem Arzt die Möglichkeit eröffnet, sich bei seinen Therapieentscheidungen auch an den durch die kontinuierliche Messung erhobenen Blutzuckerdaten zu orientieren. Darüber hinaus müssen auch die Schwellenwerte für das Auslösen eines Alarms (s.o.) durch den Arzt oder jedenfalls in Absprache mit diesem eingestellt werden. Mithin führt der von der Antragstellerin in den Mittelpunkt gestellte Umstand, dass sie die Steuerung der Insulinpumpe – wie auch ohne Verwendung des Systems zur kontinuierlichen Glukosemessung – manuell vornehme, zu keiner anderen Bewertung. Ob sich der dem Beschluss des LSG Baden-Württemberg (aaO) zugrunde liegende Fall insoweit vom vorliegenden unterschied, als dort eine automatische Steuerung der Insulinpumpe erfolgte, ist deshalb unerheblich. Denn auch vorliegend führt der Gebrauch des Messgerätes letztlich zu einer weiterentwickelten Methode der Diabetesbehandlung.

b) Eine Empfehlung des G-BA zu dieser neuen Behandlungsmethode liegt indes nicht vor. Vielmehr hat der G-BA zunächst auf Antrag des GKV-Spitzenverbandes vom 14.07.2011 gem. § 91 SGB V am 22.11.2012 beschlossen, das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen mit der "Bewertung der kontinuierlichen interstitiellen Glukosemessung mit RealTime-Messgeräten zur Therapiesteuerung bei Patientinnen und Patienten mit insulinpflichtigem Diabetes mellitus" gem. §§ 139a Abs. 3 SGB V zu beauftragen.

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin wäre eine Empfehlung des G-BA auch dann erforderlich, wenn das System der kontinuierlichen Glukosemessung zugleich einer drohenden Behinderung der Antragstellerin vorbeugen oder eine bei ihr bestehende Behinderung ausgleichen sollte. Dient ein Hilfsmittel – wie hier – dazu, den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern und führt seine Anwendung dazu, dass die Behandlungsmethode insgesamt als neu iSv § 135 Abs. 1 SGB V zu bewerten ist, gilt das Erfordernis einer Empfehlung des G-BA auch, soweit das Hilfsmittel daneben dem Behinderungsausgleich oder der Vorbeugung einer Behinderung dient. Lediglich Hilfsmittel, die ausschließlich dem Behinderungsausgleich oder der -vorbeugung dienen, unterfallen nicht dem Empfehlungserfordernis nach § 135 Abs. 1 SGB V. Die aus der Anwendung im Rahmen einer NUB erforderlich werdende Qualitätsprüfung dergestalt, dass der therapeutische Nutzen nachgewiesen wird, wird nicht dadurch entbehrlich, dass das Hilfsmittel weiteren, in § 33 Abs. 1 Satz 1, Alt. 2 und 3 SGB V genannten Zwecken dient.

c) Ungeachtet der Frage, inwieweit Verfahrensverstöße des G-BA hier überhaupt zu einem Leistungsanspruch der Antragstellerin führen könnten, vermag die Kammer solche auch nicht zu erkennen.

Das Begründungserfordernis nach § 94 Abs. 2 SGB V, das die Antragstellerin verletzt sieht, gilt nur für Richtlinien des G-BA, nicht hingegen – auch nicht entsprechend – für Beschlüsse nach § 91 SGB V. Darüber hinaus kann von einer Verletzung der Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung durch den G-BA nicht die Rede sein. Soweit die Antragstellerin dies mit der möglicherweise als missverständlich zu beurteilenden Formulierung des unparteiischen Vorsitzenden im Newsletter des G-BA vom Mai 2012, bei dem in Rede stehenden Messsystem werde eine Sonde unter die Haut "implantiert", zu begründen versucht, überzeugt dies nicht. Bereits aus o.g. der Konkretisierung des Auftrags vom 22.11.2012 ist deutlich erkennbar, welches System hier überprüft werden soll.

III. Eine Leistungspflicht der Antragstellerin folgt auch nicht aus § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V. Danach können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von Absatz 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Der Gesetzgeber hat in dieser Vorschrift die vom BVerfG formulierten Anforderungen (sog. "Nikolausbeschluss" vom 06.12.2005 – 1 BvR 347/98 –, juris) mit Wirkung ab dem 01.01.2012 einfachgesetzlich niedergelegt. Ihre Voraussetzungen liegen aber im Falle der Antragstellerin nicht vor.

Die Kammer verkennt nicht, dass es sich bei der Diabeteserkrankung der Klägerin um eine schwerwiegende Erkrankung handelt, die sie in ihrer Lebensqualität nicht unerheblich beeinträchtigt. Es handelt sich aber weder um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung, noch ist sie einer solchen wertungsmäßig gleichzustellen.

Mit dem Merkmal "regelmäßig tödlich" ist eine strengere Voraussetzung umschrieben, als mit dem Erfordernis der "schwerwiegenden Erkrankung" für den off-label-use vom BSG (dazu Urteil vom 14.12.2006 – B 1 KR 12/06 R –, juris) formuliert (Noftz, in: Hauck/Noftz, SGB V, K § 2 Rn. 67c). Dass die Erkrankung an Diabetes mellitus Typ 1 nicht regelmäßig einen tödlichen Verlauf nimmt, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Sie ist auch nicht als lebensbedrohlich iSd § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V zu beurteilen. Der Gesetzgeber wollte durch Aufnahme des Absatzes 1a klarstellen, dass der Geltungsumfang des Nikolausbeschlusses für das gesamte Leistungsrecht des SGB V gilt (BT-Drs. 17/6906, S. 52). An den in der Rechtsprechung des BSG im Anschluss an die Entscheidung des BVerfG konkretisierten Maßstäben sollte nichts geändert werden. Dies verdeutlicht die Begründung des Gesetzentwurfes (aaO S. 53), in der – in Wiedergabe der vom BSG gewählten Formulierung (vgl. BSG, Urteil vom 28.02.2008 – B 1 KR 15/07 R –, juris) – sowohl für die lebensbedrohliche als auch für die regelmäßig tödliche Erkrankung eine notstandsähnliche Situation gefordert wird, die nur dann vorliege, "wenn nach den konkreten Umständen des Einzelfalls droht, dass sich der tödliche Krankheitsverlauf bzw. der nicht kompensierbare Verlust eines wichtigen Sinnesorganes oder einer herausgehobenen Körperfunktion innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums wahrscheinlich verwirklichen wird."

Diesen Maßstabe zugrunde gelegt, ist die Erkrankung der Antragstellerin auch unter Berücksichtigung häufiger auftretender Hypoglykämien nicht lebensbedrohlich. Denn wenn auch die teilweise mit Ohnmacht einhergehenden Unterzuckerungen wegen ihrer schweren Vorhersehbarkeit gefährlich sein können, so fehlt es doch – glücklicherweise – an der geforderten Wahrscheinlichkeit eines tödlichen Verlaufs.

Letztlich ist die Situation der Antragstellerin auch nicht wertungsmäßig mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung gleichzustellen. Eine solche Gleichstellung hat das BSG bisher insbesondere bei drohendem Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion erwogen (BSG, Urteil vom 05.05.2009 – B 1 KR 15/08 R –, juris). Auch insoweit wird der erforderliche Wahrscheinlichkeitsgrad (s.o.) nicht erreicht.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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