L 8 AY 1801/12 B ER

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
8
1. Instanz
SG Altenburg (FST)
Aktenzeichen
S 21 AY 3362/12 ER
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 8 AY 1801/12 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
THÜRINGER LANDESSOZIALGERICHT Az: L 8 AY 1801/12 B ER Az: S 21 AY 3362/12 ER - Sozialgericht Altenburg - Beschluss In dem Rechtsstreit , ..., - Antragstellerin und Beschwerdegegnerin - Rechtsanwalt., , gegen Stadt. vertreten durch den Oberbürgermeister, , ... - Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin - hat der 8. Senat des Thüringer Landessozialgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Landessozialgericht Wehrhahn, den Richter am Landessozialgericht Munzinger und den Richter am Sozialgericht Dr. Herbst ohne mündliche Verhandlung am 17. Januar 2013 be-schlossen: Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Alten-burg vom 11. Oktober 2012 aufgehoben und der Antrag auf einstweilige Anordnung zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind für beide Instanzen nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin (Ast) begehrt höhere Leistungen nach § 3 AsylbLG.

Nach eigenen Angaben reiste die (ebenfalls nur laut ihren Angaben) 1981 geborene Ast am 18. November 2009 aus Moskau auf dem Luftweg mit gefälschtem Pass und mittels Schlep-per in Deutschland ein. Nach Ablehnung des Asylantrags durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als offensichtlich unbegründet und Feststellung, dass Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG nicht vorläge, sowie nach Ablehnung des Antrags auf vorläu-figen Rechtsschutz gegen die Abschiebeandrohung durch das VG Weimar (Beschluss vom 24. Februar 2010 - 7 E 20012/10 WE), war sie seit dem 24. Februar 2010 vollziehbar ausrei-sepflichtig. Unter dem 28. August 2012 wies das VG Weimar auch die gegen die Ablehnung des Asylantrags gerichtete Klage als unbegründet ab (7 K 20011/10 We). Die Ausreise der Ast konnte bis heute aufgrund fehlender Indentitätspapiere nicht vollzogen werden.

Nach Zuweisung an die Gemeinschaftsunterkunft G. bewilligte die Antragsgegnerin (Agg) mit Bescheid vom 13. Januar 2010 für den Monat Januar 2010 Leistungen nach § 3 AsylbLG; Zahlungen, die der erstmaligen Leistung folgen, stellten eine Weiterbewilligung der Leistung für den jeweiligen Monat dar. Mit derselben Ergänzung bewilligte sie unter dem 29. April 2010 für Mai 2010 Leistungen, nunmehr eingeschränkt nach § 1a AsylbLG auf Wertgutschei-ne im Wert von 140,61 Euro für Ernährung, Haushaltsmittel von geringem Wert und Putzmit-tel. Daneben gewährte sie Energie (zusammen mit Unterkunft kostenlos in der Gemein-schaftsunterkunft) und Bekleidung als Sachleistung (Gesamtwert 224,97 Euro ohne Unter-kunft).

In der Folge wurde die Ast wiederholt aufgefordert, sich im russischen Generalkonsulat in L. vorzustellen; dem kam sie nach Gestellung einer Fahrkarte am 16. Juni 2010 nach, ohne dass es dabei zur Klärung ihrer Identität kam. In der Ausländerakte findet sich der Vermerk, sie habe geschlafen bzw. sei auf dem Stuhl zusammengesackt; ein Gespräch sei schwer zu führen gewesen. Es wurde vermutet, dass falsche Angaben gemacht wurden.

Mit Bescheid vom 9. August 2012 setzte die Agg für den Monat August Leistungen nach § 1a AsylbLG in Höhe von 149 Euro in Form der Gewährung von Wertgutscheinen für Ernährung, Bekleidung, Energie und Pflegemittel fest; Zahlungen, die der erstmaligen Leistung folgen, stellten eine Weiterbewilligung der Leistung für den jeweiligen Monat dar. Auf Widerspruch der Ast wurde unter dem 20. September 2012 für August 2012 zusätzlich ein Barbetrag in Höhe von 23,08 Euro gewährt. Mit weiterem Bescheid vom 29. August wurden für September 2012 Gutscheine im Wert von 149 Euro und ein Barbetrag in Höhe von 23,10 Euro gewährt und mit Bescheid vom 24. September 2012 wurden für den Monat Oktober 2012 Gutscheine im Wert von 149,31 Euro und ein Barbetrag von 23,08 Euro gewährt. In den künftigen monat-lichen Leistungen sollten ebenfalls Weiterbewilligungen liegen. Gegen jeden Bescheid legte die Ast Widerspruch mit dem Ziel ein, unter Berufung auf die Entscheidung des BVerfG von 2012 ungekürzte Leistungen zu erhalten; besonders der ungekürzte Barbetrag gehöre zum grundgesetzlich garantierten menschenwürdigen Existenzminimum.

Unter dem 21. September 2012 hat die Ast Klage zum SG Altenburg erhoben (S 21 AY 3363/12) und zugleich die Verpflichtung der Agg im Wege der einstweiligen Anordnung be-gehrt, ungekürzte Leistungen nach § 3 AsylbLG zu erbringen, hilfsweise aber eingeschränkte, die nicht ihre Rechte verletzten. Eine allein migrationspolitisch motivierte Absenkung von Leistungen sei nach der Rspr. des BVerfG nicht zulässig und verletzte ihre Menschenwürde.

Unter dem 19. Oktober hat die Agg die Widersprüche zurückgewiesen und dazu ausgeführt, die Identität der Ast sei bis heute nicht geklärt. Infolge ihrer mangelnden Mitwirkung sei eine Klärung bisher nicht möglich gewesen und damit die Beschaffung eines Passes bzw. von Passersatzpapieren. Daher sei die Leistung gekürzt worden. Mit seinem Urteil vom 18. Juli 2012 (1 BvR 10/10) habe das BVerfG die Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG nicht berührt, andernfalls wären auch in anderen Fürsorgesystemen keine Sanktionen mehr mög-lich. Bei der Festsetzung der Bedarfe seien die Vorgaben aus der Entscheidung des BVerfG zu beachten. In Anlehnung an das SGB II läge die Grenze des unabweislichen Bedarfs bei 70 % des menschenwürdigen Existenzminimums. Die Kosten der Unterkunft und Leistungen der Abt. 3, 4 und 5 EVS würden als Sachleistungen erbracht, insbesondere sei auch der Verweis auf die örtliche Kleiderkammer rechtens. Das physische Existenzminimum betrage nach EVS 212 Euro (bestehend aus Abt. 1, 3, 4 und 6), das soziokulturelle Existenzminimum belaufe sich auf 23,08 Euro für August und 23,10 Euro für September, wobei Leistungen der Abt. 7 - 11 gekürzt und solche der Abt. 12 anteilig zu 83,3 % gewährt würden. Dementsprechend sei-en die Bescheide abgefasst.

Mit Beschluss vom 11. Oktober 2012 hat das SG Altenburg die Agg im Wege der einstweili-gen Anordnung verpflichtet, ab 21. September 2012 über die bereits bewilligte Leistung hin-aus monatlich 110,90 Euro bis zum Abschluss des anhängigen Hauptsacheverfahrens zu ge-währen und den Antrag im Übrigen abgelehnt. Nach Auffassung des SG folge aus der Ent-scheidung des BVerfG vom 18. Juli 2012 (1BvR 10/10), dass das soziokulturelle Existenzmi-nimum in keinem Fall unterschritten werden dürfe, auch nicht in den Fällen des § 1a AsylbLG. Die Antragsgegnerin gewähre mit dem Barbetrag für die Bedarfe nach Abt. 7 - 12 EVS lediglich einen Betrag von 23,10 Euro. Der tatsächliche (für 2012 angepasste) Bedarf von 134 Euro sei damit um 110,90 Euro monatlich unterdeckt. Das unabweisbar nach § 1a AsylbLG Gebotene belaufe sich auf diesen Betrag. Dies Verständnis entspreche einer verfas-sungskonformen Auslegung der Vorschrift. Etwas anders sei auch nicht aus dem Gedanken gerechtfertigt, der Betroffene habe es ja in der Hand, durch Mitwirkung in den Genuss der vollen Leistung zu gelangen. Die Beeinträchtigung der Menschenwürde dürfe nicht als Druckmittel eingesetzt werden.

Gegen den am 16. Oktober 2012 zugestellten Beschluss hat die Agg am 7. November 2012 Beschwerde eingelegt. Da es sich nur um eine monatliche Bewilligung handele, sei schon der auf Dauer bewilligende Tenor falsch. Es fehle zudem an der Anordnung der Vorläufigkeit. Das Urteil des BVerfG verhalte sich zur Kürzung nach § 1a AsylbLG nicht. Wie in anderen Leistungssystemen müsse auch hier ein Mittel zur Durchsetzung der Mitwirkungspflichten gegeben sein. Leistungen der Abt. 4 und 5 würden als Sachleistung in der Gemeinschaftun-terkunft erbracht und solche der Abt. 3 über die Kleiderkammer. Für Nahrungsmittel würden 132,80 Euro angesetzt und für Gesundheitspflege 16,08 Euro. Gerundet würden Gutscheine über 149 Euro ausgegeben. Der Barbetrag von 23,08 bzw. 23,10 Euro decke die Abt. 12 ab. Die sich so errechnenden Leistungen erreichten unter Einbezug der Sachleistungen 70 % der Regelleistung, deren Einhaltung nach einem Hinweisschreiben des Thüringer Landessozialge-richts vom 2. August 2012 (L 8 AY 1088/12 B ER) die Grenze des unabweisbaren Bedarfes bilde. Hinsichtlich der Gründe für die Kürzung wird auf den Inhalt des Berichts des FG Aus-länderrecht vom 5. Dezember 2012 verwiesen.

Sie beantragt daher,

den Beschluss des SG Altenburg vom 11. Oktober 2012 aufzuheben und den Antrag auf einstweilige Anordnung zurück zu weisen.

Die Ast beantragt,

die Beschwerde abzuweisen.

Sie sei in Aserbaidschan (Sumgait) geboren. Ihre Eltern seien verstorben. Sie sei 1988 nach Moskau gezogen. Dort habe sie keinen russischen Pass erhalten. Sie habe sich ohne Aufent-haltsrecht dort aufgehalten und nicht die russische Staatsangehörigkeit erhalten. Auch Aser-baidschan anerkenne nicht ihre Staatsangehörigkeit und verwehre ihre Einreise. Dies sei als politische Verfolgung zu werten. Der Migrationsdienst der russischen Föderation habe ihre Staatsangehörigkeit nicht bestätigt. Ein Geburtseintrag in Aserbaidschan existiere nicht. Eine Geburtsurkunde könne sie nicht vorlegen. Verwandte und Bekannte habe sie nicht in Aser-baidschan. Daher könne sie keine Papiere beschaffen. Die Leistungskürzung sei im Übrigen unverhältnismäßig.

Dem Senat haben bei seiner Entscheidung die Ausländerakte und die Leistungsakte der Agg vorgelegen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig; insbesondere ist der Beschwerdewert nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG erreicht, da diesbezüglich auf die formale Beschwer der Agg durch den angefochtenen Beschluss abzustellen ist; dieser umfasst einen Zeitraum von mehr als einem Monat bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens und erreicht damit grundsätzlich prognostisch einen Betrag von mehr als 750 Euro; zugleich betrifft die Beschwerde gegen die zukunftsoffene Verpflichtung zur Leistung einen Zeitraum von prognostisch mehr als einem Jahr.

Die Beschwerde ist begründet.

Allerdings war das SG, anders als die Agg meint, jedenfalls im vorläufigen Rechtsschutzver-fahren nach § 86b SGG berechtigt, über die mit den angefochtenen Bescheiden allein bewil-ligten Monate August und September 2012 hinaus zu entscheiden, denn anders wird jeden-falls das Gebot zum effektivem Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG in den Fällen wie dem vorliegenden nicht gewahrt. Insoweit ist eine der Verfahrenslage bei Versagungsbescheiden nach § 66 SGB I vergleichbare Lage gegeben (Senatsbeschluss vom 24. Mai 2012 - L 4 AS 243/12 B ER), die es rechtfertigt, über den Gegenstand des Hauptsacheverfahrens hinaus zu entscheiden. Andernfalls wäre für jeden einzelnen Monat ein Antrag auf vorläufigen Rechts-schutz zu verfolgen; ein kaum praktikables Verfahren. Auf die Frage, ob in diesen Fällen in Anwendung der Rspr. des BSG (Urt. v. 17. Juni 2008 - B 8 AY 11/07 R) zu § 86 SGG auch eine analoge Anwendung des § 96 SGG in Betracht kommt, kommt es daher nicht an.

Die Agg ist auch passiv legitimiert. Sie ist nach § 1 Thüringer Verordnung zur Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes (ThürDVOAsylbLG) vom 5. Mai 2000 (GVBl. S. 102) sachlich und örtlich zuständig für die Leistungen nach § 3 AsylbLG.

Allerdings liegen die Voraussetzungen für eine einstweilige Anordnung nicht vor. Nach § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall von § 86 b Abs. 1 SGG - wie hier - nicht vorliegt, auf Antrag einer einstweilige Anordnung in Be-zug auf den Streitgegenstand treffen, wenn anders die Gefahr besteht, dass durch eine Verän-derung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers verei-telt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zuläs-sig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Nach § 86 b Abs. 2 S. 4 SGG gelten die §§ 922, 921, 923, 926, 928- 932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung (ZPO) entsprechend.

Der Antrag ist dann begründet, wenn das Gericht auf Grund hinreichender Tatsachenbasis durch Glaubhaftmachung (§ 86 b Abs. 2 S. 4 SGG i.V. m. §§ 920 Abs. 2, 994 Abs. 1 ZPO) und bzw. oder im Wege der Amtsermittlung (§ 103 SGG) einen Anordnungsanspruch bejahen kann. Ein solcher Anordnungsanspruch liegt vor, wenn im Hauptsachverfahren das materielle Recht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gegeben ist. Darüber hinaus muss in Abwägung der für die Verwirklichung des Rechts bestehenden Gefahr einerseits und der Notwendigkeit einer Regelung andererseits ein Anordnungsgrund zu bejahen sein.

Ein Anordnungsanspruch ist zur Überzeugung des Senats hier nicht gegeben; der vom SG festgesetzte weitere Barbetrag von 110,90 Euro lässt sich nicht aus dem AsylbLG herleiten. Ein höherer als der bereits bewilligte Barbetrag ergibt sich nicht.

Die sich tatsächlich in Deutschland aufhaltende Ast zählt als vollziehbar ausreiseverpflichtete, ehemalige Asylbewerberin nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG zum berechtigten Personenkreis des AsylbLG. Sie kann allerdings nach § 1a AsylbLG nur Leistungen nach §§ 3, 4 und 6 AsylbLG beanspruchen, soweit dies im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten ist, denn sie zählt zu den Leistungsberechtigten im Sinne § 1 a Nr. 2 AsylbLG, bei denen aus von ihnen zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen wer-den können. Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift des § 1a Nr. 2 AsylbLG bestehen nicht; sie ist daher hier dem Grunde nach anwendbar (a) und die Voraussetzungen der Kürzungsvorschrift sind erfüllt (b). Schließlich sind keine höheren als die bereits gewähr-ten Leistungen unabweisbar im Sinne der Vorschrift (c).

a) Die Vorschrift des § 1a Nr. 2 AsylbLG verstößt zur Überzeugung des Senats nicht gegen die Verfassung und ihre verfassungskonforme Auslegung erfordert nicht wie das SG meint, die Annahme, der unabweisbare Bedarf sei der ungekürzte. Die Vorschrift würde damit fakti-sche abgeschafft. Die Verfassung gebietet nicht die Gewährung von bedarfsunabhängigen, voraussetzungslosen Sozialleistungen (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 7. Juli 2010 - 1 BvR 2556/09, Rn. 13 zur Einkommensanrechnung). Die Verfassung fordert kein vorausset-zungsloses Bürgergeld, schließt es aber natürlich auch nicht aus; die Entscheidung hierüber muss dem Gesetzgeber überlassen bleiben. Dies ist hier allein schon deshalb unbedenklich, weil es der Leistungsberechtigte des AsylbLG in der Hand hat, durch sein Verhalten die Leis-tungsvoraussetzungen zu erfüllen und eine Kürzung oder den Wegfall zu vermeiden. Nicht anders als in anderen Grundsicherungssystemen ist daher die Verknüpfung von Mitwirkungs-pflichten und Verhaltenspflichten mit Leistungseinschränkungen auch im AsylbLG verfas-sungsrechtlich unbedenklich. Regelmäßig ist die Entscheidung über eine Leistung oder die Feststellung ihrer Voraussetzungen nur möglich, wenn der Antragsteller bestimmte Voraus-setzungen durch sein Verhalten erfüllt bzw. zumutbare Angaben zu leistungsrelevanten Um-ständen macht. So sieht § 31 SGB II einen Katalog von Verhaltenspflichten des Leistungsbe-rechtigten vor, bei deren Verletzung eine Absenkung des Regelbedarf in einer ersten Stufe von 30 % vorgesehen ist; bei wiederholten Verstößen ist sogar die Absenkung auf 60 % bzw. der vollständige Wegfall vorgesehen. Allerdings ist diese Wirkung auf einen Zeitraum von drei Monaten beschränkt. § 26 SGB XII sieht ebenfalls Leistungseinschränkungen als Folge bestimmter Pflichtverletzungen vor. Am deutlichsten bildet § 66 SGB I die Folgen unterblie-bener Mitwirkungspflichten ab; danach entfällt eine Leistung in diesen Fällen sogar ganz.

Aus der Entscheidung des BVerfG vom 18. Juli 2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) folgt nichts anderes; das BVerfG verhält sich in dieser Entscheidung zu dem Kürzungstatbestand des § 1a AsylbLG nicht. Aus der Einbeziehung des Taschengeldes in den Bereich des menschenwür-digen Existenzminimums allein folgt gerade nicht der Ausschluss von Kürzungsmöglichkei-ten, denn dann wäre dies auch im SGB II und SGB XII der Fall, was bisher von der verfas-sungsgerichtlichen Rspr. nicht erkannt worden ist. Der Einfluss von Pflichtverletzungen des Leistungsberechtigten ist nicht Gegenstand dieser Entscheidung gewesen. Soweit auf die un-zulängliche Berücksichtigung der Folgen der steten Ausweitung des Personenkreises des § 1 AsylbLG hingewiesen worden ist, die dem AsylbLG nicht mehr nur solche Personen zuord-net, die sich kurzzeitig in Deutschland aufhalten, sondern auch solche mit faktischer Aufent-haltsverfestigung (vgl. dazu BSG im Terminbericht Nr. 70/12 Ziff. 4), so handelt es sich nicht um Fälle wie die der Ast. Sie zählt vielmehr zum klassischen Personenkreis dieses Ge-setzes.

Es ist deutlich hervorzuheben, dass den Leistungsberechtigten des AsylbLG, der keinen Pass oder Passersatz besitzt, die ausländerrechtliche Verpflichtung des § 48 Abs. 3 AufenthG trifft, bei der Beschaffung der Identitätspapiere mitzuwirken. Diese Vorschrift korrespondiert mit der Vorschrift des § 1a Nr. 2 AsylbLG. Dabei ist diese Vorschrift so ausgelegt, dass die Kür-zung nur solange erfolgt, wie die Mitwirkung unterbleibt. Der Leistungsberechtigte hat es also in der Hand, durch seine Mitwirkung die ungekürzte Leistung wieder herbei zu führen. Um-gekehrt würde die Toleranz fehlender Mitwirkung die Erfüllung der gesetzlichen Mitwir-kungspflicht in das Belieben des Leistungsberechtigten stellen, ein offensichtlich widersinni-ges Ergebnis. Die Ausgestaltung der Kürzungsvorschrift ohne zeitlichen Rahmen rechtfertigt sich ebenfalls aus dieser Verhaltensabhängigkeit, denn während § 31 SGB II an einem einma-ligen, in der Vergangenheit abgeschlossenen Verhalten anknüpft, greift § 1a Nr. 2 AsylbLG bei einem in seiner Wirkung noch andauernden, unununterbrochenen Tun oder Unterlassen.

b) Zur Überzeugung des Senats sind von der Ast zu vertretende Gründe im Sinne des § 1a Nr. 2 AsylbLG gegeben. Voraussetzung für eine Ausreise oder Abschiebung zur Beendigung ih-res Aufenthaltes ist, dass ein gültiger Pass oder Passersatzpapiere vorliegen. Über solche Do-kumente verfügt die Ast nicht. Diese können nur beschafft werden, wenn die Identität der Ast feststeht. Dazu müsste sie korrekte Angaben zu ihren Personalien und ihrer Herkunft machen. Dies ist seit Eintritt der Vollziehbarkeit ihrer Ausreisepflicht am 24. Februar 2010 bis heute nicht geschehen. Bei ihrer Vorstellung in dem Generalkonsulat der Russischen Föderation in Leipzig im Juni 2010 konnte aufgrund ihres Verhaltens kein Gespräch mit ihr geführt werden. Bei einem Gespräch im Oktober 2010 hat sie Mitarbeitern der Ausländerbehörde der Agg gegenüber angegeben, selbst nichts unternommen zu haben, um Papiere zu erhalten. Der von der Ast angegebene letzte Wohnort in Moskau ist nicht nachweisbar; die entsprechende An-frage unter Angabe der Adresse wurde mit Schreiben des Russischen Föderalen Migrations-dienstes vom 15. Oktober 2010 verneint. Der von ihr angegeben Geburtsort ist falsch, wie der Mitteilung der Botschaft der Republik Aserbaidschan vom 22. September 2011 zu entnehmen ist. Schließlich teilt ihre langjährige Unterstützungsperson, Herr D., am 6. November 2012 Mitarbeitern der Agg mit, die Ast habe der Ausländerbehörde gegenüber falsche Angaben zu ihren Personalien gemacht; sie habe eine Mutter in Aserbaidschan mit der sie regelmäßig per Computer kommuniziere; er werde sie nicht weiter unterstützen. Aus alledem geht eindeutig hervor, dass gezielt falsche Angaben gemacht und eine Mitwirkung (konkrete Benennung des Namens, Geburtsdatums, Verwandtschaft etc.) bei der Identifizierung boykottiert wird.

Auf die vom Bevollmächtigten der Ast aufgeworfene Frage, ob politische Verfolgung vor-liegt, kommt es hier nicht an. Das Asylverfahren ist rechtskräftig abgeschlossen.

c) Trotz Kürzung des Regelbedarfs um ca. 30 % durch die Agg wird der unabweisbare Bedarf im Sinne der Vorschrift des § 1a AsylbLG gedeckt. Der Begriff unterscheidet sich von dem gleichlautenden Begriff der Unabweisbarkeit in § 21 Abs. 6 SGB II, denn dort sind Leistun-gen oberhalb des Regelbedarfs erfasst. Der Bedarf ist auch nicht im Umfang des soziokultu-rellen Existenzminimums unabweisbar, wie das SG meint, denn dann wäre dies auch für Ab-senkungen im SGB II, SGB XII und nach § 66 SGB I der Fall (siehe oben a) und eine Absen-kung wäre de facto überhaupt nicht möglich. Dem Senat erscheint es in Anknüpfung an die Wertung des Gesetzgebers in § 31a SGB II angemessen, die Kürzung nach § 1a AsylbLG auf 30 % des Regelbedarfs unter Berücksichtigung etwaiger Sachleistungsgewährung zu be-schränken, sofern dies nur in das sog. Taschengeld erfolgt. Damit wird das Physische Exis-tenzminimum gewahrt, welches in den Bedarfen der Abteilungen (Abt.) 1 bis 6 zusammenge-fasst wird, und darüber hinaus noch in geringem Umfang ein Barbetrag für die Bedarfe der Abt. 7 bis 12 zur Verfügung gestellt. Auf diese Bedarfe (Verkehr, Nachrichtenübermittlung, Freizeit, Unterhaltung, Kultur, Bildung, Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen, an-dere Waren und Dienstleistungen) kann offenkundig am ehesten vorübergehend verzichtet werden.

Da der Leistungsberechtigte es in der Hand hat, die Kürzung zu beenden (siehe oben a), er-scheint es auch verhältnismäßig, wenn die Kürzung bei unverändertem Verhalten, wie hier, über mehrere Jahre anhält. Angesichts der Verknüpfung des Kürzungstatbestandes mit den ausländerrechtlichen Verpflichtungen des Leistungsberechtigten und dem grundsätzlich nur vorübergehenden Charakter des Aufenthalts der Klägerin, nämlich bis zur Vollstreckung der Ausreise, erscheint jedenfalls in diesen Fällen eine geringere Kürzung - etwa 10 % - als nicht sachgerecht. Soweit im Rechtsstreit L 8 AY 1088/12 B ER vom Senat mit Schreiben vom 2. August 2012 eine Kürzung nur des Taschengeldes (gemeint war nicht der Regelbedarf) auf 70 % als unbedenklich bezeichnet wurde, so hält wird an dieser Auffassung nicht festgehalten. Ausgehend von einem Regelbedarf im Jahr 2012 von 374 Euro ist damit eine Kürzung um 112 Euro gerechtfertigt.

Hier hat die Agg die Bemessung der Leistungen entsprechend den Vorgaben in der Entschei-dung des BVerfG vom 18. Juli 2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) zutreffend an dem Regelbe-darf der Stufe 1 nach dem RBEG orientiert. Die Bedarfe nach den Abt. 1, 3, 4, 5 und 6 hat die Agg ungekürzt gewährt, wie sich aus dem Folgenden ergibt. Zu Recht hat die Agg die Leis-tungen der Abt. 3, 4 und 5 nach § 5 Abs. 1 RBEG als Sachleistungen erbracht. Das BVerfG hat ausdrücklich entschieden, dass die Regelung des Gesetzes vorrangig Sachleistungen zu erbringen von dem Urteil nicht berührt werde. Soweit die Leistungen nach Abt. 1 (132,80 Euro) und 6 (16,08 Euro) nur als Wertgutscheine im Wert von insgesamt 149 Euro erbracht worden sind, so kann die Rechtmäßigkeit dieses Verfahrens an dieser Stelle dahingestellt bleiben, da die Ast nicht in Beschwerde gegangen ist und das SG dieses Verfahren nicht be-anstandet hat. Zudem ergäbe sich keine höhere Leistung für die Ast, da die genannten Beträge die vollen, im Regelbedarf eingerechneten Beträge umsetzen.

Es verbleibt entsprechend den Vorgaben des BVerfG (Urteil vom 18. Juli 2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11, Rn. 134) für die Abt. 7 bis 12 ein Betrag zur möglichen baren Auszahlung in Höhe von 130,46 Euro, nach § 28 Abs. 4 Satz 5 SGB XII also gerundet 130 Euro. Würde dieser Betrag um die möglichen 112 Euro (siehe oben) gekürzt, so bliebe nur ein Barbetrag von 18 Euro. Mit der tatsächlichen Gewährung eines Barbetrages von 23,08 bzw. 23,10 Euro überschreitet die Agg somit diesen Betrag sogar zugunsten der Ast.

Bei dieser Sach- und Rechtslage erscheint die zusprechende Entscheidung des SG auch unter dem Gesichtspunkt der Interessenabwägung nicht mehr als gerechtfertigt und ist daher aufzu-heben.

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung von § 193 Abs. 1 SGG.

Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten wer-den (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved