S 35 AL 753/12

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
35
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 35 AL 753/12
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 4.5.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.8.2012 verurteilt, über den Antrag vom 8.11.2011 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Bewilligung eines Gründungszuschusses für eine zum 2.1.2012 hauptberuflich aufgenommene selbstständige Tätigkeit.

Der 1980 geborene Kläger ist gelernter Groß- und Außenhandelskaufmann sowie Diplomkaufmann (FH). Bis zum Dezember 2011 war er bei der C. GmbH beschäftigt. Mit Wirkung zum 1.1.2012 meldete der Kläger sich bei der Beklagten arbeitslos.

Bereits am 8.11.2011 beantragte der Kläger die Bewilligung eines Gründungszuschusses für die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit ab dem 2.1.2012 als "Marketing Agentur" mit der Geschäftsidee "Webportal für Erlebnisse". Er sei bereits seit April 2009 nebenberuflich in der Marketing-Branche selbstständig tätig. Der Kläger legte eine Stellungnahme der D. und E. GbR als fachkundige Stelle vom 12.1.2012 zur Tragfähigkeit der Existenz-gründung vor. Hier ist ausgeführt, die Existenzgründung sei tragfähig. Das Unternehmenskonzept sei überzeugend sowie wettbewerbsfähig, die Erfolgsaussichten positiv, die Planzahlen realistisch.

In seinem Businessplan beschrieb der Kläger, er wolle unter der Domain www.xyz.de eine Onlineplattform für Erlebnisse anbieten. Es handle sich sozusagen um "Gelbe Seiten der Erlebnis- und Freizeitaktivitäten" wie zum Beispiel Quadtouren, Hochseilgärten und Fallschirmspringen. Die Kenntnisse bezüglich des Anbietermarktes habe er unter anderem durch seine Tätigkeit für die C. GmbH. Betriebs-wirtschaftliche Kenntnisse habe er durch seine kaufmännische Ausbildung sowie das BWL-Studium. Das Kerngebiet sei Deutschland, Österreich und die Deutsch sprechende Schweiz. Ziel sei der Freizeit- und Tourismusmarkt. Zielgruppe seien zum einen die Anbieter der Erlebnisse (Wellness, Sport, Action, Fliegen und Fallen, Motorsport, Gastronomie) und zum anderen abenteuerlustige und sportlich ambitionierte Menschen zwischen 18 und 45 Jahren, die ihre Freizeit qualitativ hochwertiger gestalten möchten. Im Gegensatz zu den auf dem Markt vorhandenen Anbietern wolle er sich nicht auf die Zielgruppe der Schenker, sondern der Selbsterleber konzentrieren. Statt einer hohen Provision pro Vermittlung zahle der Erlebnispartner daher eine geringe monatliche Gebühr, welche sich größtenteils schon durch einen einzigen Kunden in zwei Monaten amortisiere. So werde dem Erlebnispartner auch Zeit erspart, da es keine komplizierten Provisionsabrechnungs-systematiken gebe. Dies bedeute, die Anbieter der Erlebnisse nutzen seine Plattform um den Kunden die Erlebnisse anzubieten und zahlen dafür ein monatliches Entgelt. Prozentuale Provisionen für die Vermittlung eines einzelnen Erlebnisses fallen nicht an. Seine Umsatzplanung basiere auf monatlichen Gebühren von 15,- Euro pro Erlebnispartner. Um die Unternehmung tragfähig zu machen, müssten monatliche Umsätze von 4.519,- Euro generiert werden. Diese setzen sich aus den Lebenshaltungskosten vor Steuern von 1.500,- Euro (brutto ca. 2.300,- Euro) und den monatlichen Betriebsausgaben von 2.219,- Euro zusammen. Um den potentiellen Erlebnispartnern besonders zu Beginn der Unter-nehmung entgegenzukommen und stärkere Verkaufsargumente nutzen zu können, wer-den alle neu hinzu gewonnenen Erlebnispartner erst ab Mai 2012 Mitgliedsbeiträge zahlen müssen. Er rechne mit einer Absprungrate von 25 Prozent nach dem ersten Mitgliedsjahr. Zum Start der Unternehmung bringe er private Mittel in Höhe von 25.000,- Euro ein. Er rechne im ersten Jahr mit einem Jahresumsatz von 29.259,- Euro bei 374 Erlebnispartnern und im zweiten Geschäftsjahr mit einem Umsatz von 102.360,- Euro bei 761 Erlebnispartnern. Für das dritte Jahr hoffe er auf einen Umsatz von 167.670,- Euro bei 1.121 Erlebnispartnern. Hieraus ergebe sich ein Betriebsergebnis vor Steuern im ersten Jahr von 2.619,- Euro, im zweiten Jahr von 56.988,- Euro und im dritten Jahr von 107.298,- Euro bzw. 2.619,- Euro, 37.690,- Euro und 61.868,- Euro nach Steuern.

Der Antrag des Klägers wurde zunächst nicht abschließend bearbeitet, da noch eine Bestätigung des Finanzamts fehlte. Mit e-Mail vom 22.4.2012 fragte der Kläger bei der Beklagten an, wann mit einer Bewilligung des Gründungszuschusses zu rechnen sei. Leider sei es so, dass er seit Januar kein monatliches Einkommen bekommen habe, sodass er mittlerweile Geld verwenden müsse, welches als Investition in das geschäftliche Vorhaben getätigt werden sollte.

Mit Bescheid vom 4.5.2012 lehnte die Beklagte den Antrag auf Förderung der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit mit Gründungszuschuss ab. Die Unternehmung sei zum einen nicht tragfähig und zum anderen liege Eigenleistungsfähigkeit vor. Der Kläger habe erklärt, dass er seit der Abmeldung in die Selbständigkeit am 2.1.2012 lediglich 650,- Euro Umsatz erzielt habe und dass er in den ersten sechs Monaten keine adäquaten Einkünfte zur Sicherung des Lebensunterhalts erwirtschaften konnte. Im Businessplan sei für das Jahr 2012 lediglich ein Gewinn vor Steuern in Höhe von 2.619,- Euro veranschlagt. Dem-nach sei nicht von einer wirtschaftlichen Tragfähigkeit auszugehen. Folgerichtig habe der Kläger mit e-Mail vom 22.4.2012 mitgeteilt, dass er wegen fehlender Einkünfte Eigenmittel verwenden müsse. Nachdem er außerdem über ein Eigenkapital von 25.000,- Euro verfüge, sei von ausreichender Eigenleistungsfähigkeit auszugehen. Vor diesem Hintergrund könne der beantragte Gründungszuschuss nicht gewährt werden.

Mit Widerspruch trug der Kläger vor, bei den Eigenmitteln in Höhe von 25.000,- Euro handle es sich um einen Familienkredit. Diesen müsse er zurückzahlen. Darüber hinaus sei die Begründung (nicht tragfähig und Eigenleistungsfähigkeit) widersprüchlich. Das Darlehen sei in den ersten beiden Jahren nach Auszahlung tilgungsfrei gestellt. Dann sei es jedoch vollständig und mit Zinsen zurückzuzahlen. Eine Eigenleistungsfähigkeit liege daher nicht vor. Die Tragfähigkeit der Existenzgründung sei durch die Stellungnahme der fachkundigen Stelle nachgewiesen. Richtig sei, dass für das erste Jahr der Existenzgründung lediglich ein Ergebnis nach Steuern von 2.619,- Euro prognostiziert sei. Bereits ab dem zweiten Jahr werde allerdings ein Geschäftsergebnis nach Steuern in Höhe von 37.690,- Euro und im dritten Jahr von 61.868,- Euro prognostiziert. Die Liquiditätslücke, die im ersten Jahr tatsächlich bestehe, sei durch das Familiendarlehen in Höhe von 25.000,- Euro gedeckt. Für die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit sei es typisch, dass die ersten Jahre durch Fremdmittel überbrückt werden müssen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14.8.2012 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück; Tragfähigkeit liege nicht vor. Der Kläger habe im Zeitraum Januar bis 4.4.2012 lediglich einen Umsatz von 650,- Euro generieren können, dies entspreche einem monatlich Umsatz von 50,- Euro. Auch im Businessplan sei für das Kalenderjahr 2012 – und damit für einen deutlich über der möglichsten Höchstförderdauer liegenden Zeitraum – ein Betriebsergebnis vom lediglich 218,- Euro angesetzt. Dieser Betrag liege unter dem monatlichen Regelsatz nach dem SGB II. Demzufolge könne eine wirtschaftliche Tragfähigkeit nicht angenommen werden. Selbst wenn alle Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt wären, bestünde kein Rechtsanspruch auf den Gründungszuschuss. Die Beklagte habe die verfügbaren Mittel so zu bewirtschaften, dass eine Bewilligung und Erbringung der einzelnen Leistungen im gesamten Haushaltsjahr gewährleistet sei. Daher habe die Beklagte über ermessenslenkende Weisungen sichergestellt, dass über das ganze Jahr hinweg nach einheitlichen und sachgerechten Kriterien über die Anträge auf Gründungszuschuss entschieden werde. Nachdem der Kläger über Eigenmittel in Höhe von 25.000,- Euro verfüge, liege außerdem eine ausreichende Eigenleistungsfähigkeit vor und er könne die soziale Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung selbst sicher-stellen. Für das Darlehen würden auch erst ab dem 1.1.2014 Zinsen fällig. Der im Nach-rang zu Eigenleistungen stehende Gründungszuschuss habe nicht die Funktion, eine für das private Vermögen möglichst schonende Unternehmensgründung zu ermöglichen. Die Annahme einer Eigenleistungsfähigkeit widerspreche auch nicht der Beurteilung der fehlenden ausreichenden Tragfähigkeit. Es sei belegt, dass einerseits die selbständige Tätigkeit nicht ausreichend tragfähig ist, der Kläger aber andererseits die Finanzierungslücke mit Eigenmitteln bestreiten kann.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Klage zum Sozialgericht München eingereicht. Die Beklagte dürfe nicht auf die Eigenleistungsfähigkeit des Klägers abstellen. Außerdem sei die Hürde, die Stellungnahme der sachkundigen Stelle anzuzweifeln, sehr hoch. Der Gesetzgeber habe entschieden, dass die Stellungnahme zur Tragfähigkeit von einer fach-kundigen Stelle und nicht von der Beklagten abzugeben ist. Diese Stellungnahme könne die Beklagte auf Richtigkeit prüfen. Die Angaben des Klägers von April 2012 dürften dar-über hinaus überhaupt keine Berücksichtigung finden, da zu diesem Zeitpunkt die Gründung schon Monate zurücklag. Eine Berücksichtigung der Angaben von April 2012 wider-spreche dem Wesen einer Prognoseentscheidung. Diese Prognoseentscheidung treffe außerdem nicht die Beklagte, sondern die fachkundige Stelle. Nachdem sich aus der Presse ergebe, dass die Beklagte "Milliarden horte" könne der Antrag auch nicht unter Verweis auf knappe Haushaltsmittel abgelehnt werden.

In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger berichtet, dass er das Erlebnisportal bis zum 15.8.2012 als Haupterwerb betrieben habe, danach habe er aus finanziellen Zwängen ein Angestelltenverhältnis als Disponent angenommen. Das Erlebnisportal betreibe er heute als Nebenbeschäftigung.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 4.5.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.8.2012 zu verurteilen, über den Antrag vom 8.11.2011 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den Inhalt der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

A. Die form- und fristgerecht zum sachlich und örtlich zuständigen Sozialgericht München erhobene Klage ist als Verpflichtungsbescheidungsklage zulässig, §§ 51 Abs. 1 Nr. 4, 54 Abs. 1 und 2, 57 Abs. 1 Satz 1, 78 Abs. 1 Satz 1, 87, 90, 92 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

B. Die Klage ist darüber hinaus begründet.

Der Bescheid vom 4.5.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.8.2012 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Die Beklagte ist zum Einen zu Unrecht vom Nichtvorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen ausgegangen und hat zum Anderen fehlerhafte Ermessenserwägungen angestellt. Ist die Ermessensausübung fehlerhaft, ist der Verwaltungsakt schon deshalb rechtswidrig, § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG.

I. Der Kläger hat einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über seinen Antrag auf Leistung eines Gründungszuschusses, da die entsprechenden Tatbestandsvoraussetzungen nach Auffassung des Gerichts erfüllt sind.

Gemäß § 57 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) Drittes Buch (III) (in der Fassung vom 20.12.2011) können Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbständigen hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung einen Gründungszuschuss erhalten.

Gemäß § 57 Abs. 2 Satz 1 SGB III a. F. kann ein Gründungszuschuss geleistet werden, wenn der Arbeitnehmer 1. bis zur Aufnahme der selbständigen Tätigkeit einen Anspruch auf Entgeltersatzleistungen nach diesem Buch hat oder eine Beschäftigung ausgeübt hat, die als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme nach diesem Buch gefördert worden ist, 2. bei Aufnahme der selbständigen Tätigkeit noch über einen Anspruch auf Arbeitslosengeld, dessen Dauer nicht allein auf § 127 Abs. 3 SGB III beruht, von mindestens 150 Tagen verfügt, 3. der Agentur für Arbeit die Tragfähigkeit der Existenzgründung nachweist und 4. seine Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung der selbständigen Tätigkeit darlegt.

Gemäß § 57 Abs. 2 Satz 2 SGB III ist zum Nachweis der Tragfähigkeit der Existenzgründung der Agentur für Arbeit die Stellungnahme einer fachkundigen Stelle vorzulegen; fachkundige Stellen sind insbesondere die Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, berufsständischen Kammern, Fachverbände und Kreditinstitute.

Der Kläger hatte bis zur Aufnahme der selbständigen Tätigkeit am 2.1.2012 einen Anspruch auf Arbeitslosengeld nach dem SGB III von mehr als 150 Tagen.

Der Kläger hat der Beklagten seine Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung der selbständigen Tätigkeit dargelegt. Der Kläger verfügt nicht nur über eine abgeschlossene Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann, sondern hat auch einen Abschluss als Diplomkaufmann (FH). Darüber hinaus hat er insgesamt über zwei Jahre bei der C. GmbH gearbeitet, welche auch im Bereich des Erlebnis-Marketings arbeitet. Es ist daher davon auszugehen, dass der Kläger über die notwendigen Kenntnissen und Fähigkeiten zur Ausübung der von ihm angestrebten selbständigen Tätigkeit verfügt.

Der Kläger hat der Beklagten die Tragfähigkeit der Existenzgründung nachgewiesen. Er hat eine Stellungnahme einer fachkundigen Stelle vom 12.1.2012 vorgelegt, die die Tragfähigkeit seines Geschäftsmodells bestätigt.

Grundsätzlich ist die Tragfähigkeit der Unternehmung durch die Stellungnahme einer fachkundigen Stelle nachzuweisen. Allerdings kann die Beklagte, wenn plausible Gründe vorliegen, die gegen eine erfolgreiche selbständige Tätigkeit sprechen, trotz Vorliegens einer positiven Stellungnahme einer fachkundigen Stelle von der fehlenden Tragfähigkeit ausgehen. Dafür müssen allerdings plausible Gründe vorliegen, warum die Prognoseentscheidung der fachkundigen Stelle fehlerhaft ist. Solche Gründe sind vorliegend weder ersichtlich, noch von der Beklagten vorgebracht. Die Beklagte folgt nämlich grundsätzlich den Angaben im Businessplan, hält allerdings im Gegensatz zur fachkundigen Stelle die hiermit erwirtschafteten Beträge nicht für ausreichend.

Die Beklagte kann sich zur Erschütterung der Tragfähigkeit einer Existenzgründung nicht darauf berufen, dass die tatsächlichen Umsatzzahlen in den ersten Monaten der selbständigen Tätigkeit nicht für eine Tragfähigkeit des Unternehmens sprechen. Dies ergibt sich nicht nur aus der Tatsache, dass in einer Rentabilitätsvorschau niemals exakte Werte ermittelt werden können, sondern dies ergibt sich insbesondere aus dem Wesen einer Prognoseentscheidung. Genauso wie bei Vorliegen einer negativen Tragfähigkeitsbescheinigung ein Arbeitsloser nicht durch den tatsächlichen Erfolg einer Unternehmung im Nachhinein eine positive Prognose belegen kann, kann die Beklagte eine positive Tragfä-higkeitsbescheinigung nicht mit dem tatsächlichen Verlauf der selbständigen Tätigkeit entkräften. Die Beurteilung der Tragfähigkeit der Existenzgründung ist eine Prognoseentscheidung, die nicht bereits dadurch fehlerhaft wird, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse anders als prognostiziert entwickeln (LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 11.12.2009, Az.: L 3 AL 28/08, zitiert nach Juris). Zum Wesen einer Prognoseentscheidung gehört es, dass diese für die Zukunft getroffen wird. Eine positive oder negative Prognoseentscheidung kann auch gerechtfertigt gewesen sein, wenn sie sich im Gesche-hensablauf nicht bewahrheitet. Auch wenn durch Zeitablauf die ursprüngliche Prognose widerlegt worden ist, bleibt diese nämlich beachtlich, wenn sie zum Prognosezeitpunkt bei vorausschauender Betrachtung zutreffend gewesen ist; dies liegt im Wesen einer Prognoseentscheidung (LSG Schleswig-Holstein, a.a.O.) Nachdem die Prognoseentscheidung von der fachkundigen Stelle am 12.1.2012 getroffen wurde, kann die Beklagte dem Kläger keine Geschehnisse nach diesem Datum entgegenhalten. Die Unternehmensgründung erfolgte am 2.1.2012, die Prognose hinsichtlich der Tragfähigkeit am 12.1.2012.

Darüber hinaus hat die Beklagte nicht berücksichtigt, dass der Kläger gemäß seines Businessplans seinen Kunden seine Leistung bis Mai 2012 ohne Geltendmachung einer monatlichen Gebühr anbieten will. Daher konnte der Kläger in den ersten fünf Monaten der selbständigen Tätigkeit keine relevanten Umsätze erzielen. Dieses vom Kläger gewählte Marketinginstrument hat die Beklagte bei ihrer Bewertung der Tragfähigkeit völlig ignoriert. Letztlich muss es einem Existenzgründer offen stehen, aus Gründen des erfolgreichen Marketings zu Beginn seiner Tätigkeit Leistungen als Lockmittel kostenlos anzubieten. Der Kläger benötigt für (zukünftige) Kunden ein Argument, seine Dienstleistung zunächst auszuprobieren. Hieraus ergibt sich auch nicht die fehlende Tragfähigkeit des Unternehmens.

Die Beklagte prüft die Prognose der fachkundigen Stelle auf ihre Richtigkeit (Winkler in Gagel, SGB III, 48 EL, § 93, Rdn. 48). Verbleiben trotz Vorlage einer entsprechenden Be-scheinigung Zweifel an der Tragfähigkeit, hat die Agentur für Arbeit von Amts wegen, auch unter Heranziehung anderer Erkenntnisquellen, weiter zu ermitteln (Schmidt in BeckOK, SGB III, Stand 1.3.2013, § 93, Rdn. 7). Die Beklagte hat keine weiteren Ermittlungen angestellt, sie hat sich lediglich auf den weiteren Geschehensverlauf berufen.

Die vorliegende Tragfähigkeitsbescheinigung ist auch nicht dadurch entkräftet, dass der im ersten Jahr erzielte Gewinn unter den Regelsätzen des SGB II liegt.

Nach Auffassung des Gerichts ist im vorliegenden Fall von einer Tragfähigkeit der Unternehmung auszugehen, da davon auszugehen war, dass die Unternehmung dem Kläger ab dem zweiten Jahr eine ausreichende Lebensgrundlage bieten kann.

Von einer ausreichenden Lebensgrundlage wurde jedenfalls ausgegangen, wenn der fachkundigen Stellungnahme zu entnehmen ist, dass der Arbeitslose nach einer angemessenen Anlaufzeit aus der selbstständigen Tätigkeit voraussichtlich auf Dauer ein monatliches Bruttoeinkommen erzielen kann, das dem durchschnittlichen monatlichen Bruttoeinkommen abhängig Beschäftigter mindestens zu zwei Dritteln entspricht (Hassel in Brand, SGB III, 6. Aufl., § 93, Rdn. 12). Angesichts der sinkenden Reallöhne und der tat-sächlichen Lebensverhältnisse zahlreicher kleiner Selbständiger wird bei einem zu erwartenden Einkommen, das für eine Einzelperson einen Anspruch auf Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II ausschließt, also bei etwa netto 1.000 bis 1.100 Euro von einer Erfolgsaussicht auszugehen sein (Winkler in Gagel, SGB III, 48 EL, § 93, Rdn. 43). Nach der Prognose, die der Stellungnahme der fachkundigen Stelle zugrunde liegt, wird die Unternehmung des Klägers demnach im ersten Jahr voraussichtlich keine ausreichende Lebensgrundlage bieten, ab dem zweiten Jahr allerdings schon. Im – auch von der Beklagten nicht angezweifelten Rentabilitätsplan – wird im ersten Jahr von einem Ergebnis von 2.619,- Euro ausgegangen und im zweiten Jahr von einem Ergebnis nach Steuern von 37.690,- Euro (vor Steuern 56.988,- Euro.)

Nach Überzeugung der Kammer ist der Ablauf von etwa zwölf Monaten im vorliegenden Fall eine angemessene Anlaufzeit.

Für die Bestimmung der Dauer einer angemessenen Anlaufzeit, gibt es keinen festen Zeitraum. Die Dauer der angemessenen Anlaufzeit hängt letztlich auch von der Art der Unternehmung ab. In welcher Branche welche Dauer eine angemessene Anlaufzeit ist, kann auch die fachkundige Stelle beurteilen. Es muss allerdings sichergestellt sein, dass die selbständige Tätigkeit voraussichtlich nicht wegen Geldmangels abgebrochen werden muss, bevor sie rentabel wird (bzw. dass keine anderen Sozialleistungen beantragt werden müssen). Wenn dies nicht der Fall ist, ist die selbstständige Tätigkeit nicht realisierbar und kann nicht gefördert werden.

Vorliegend hält die fachkundige Stelle offensichtlich eine Anlaufzeit von einem Jahr für angemessen. Dem schließt sich das Gericht an. Eine nach Ablauf der Förderdauer (1. Phase) bis zur Schaffung einer ausreichenden Lebensgrundlage entstehende Finanzierungslücke kann der Kläger mit den beschafften Eigenmitteln ausgleichen. Für die Zeit nach der Existenzgründung ist für die Bestreitung des Lebensunterhalts und die soziale Sicherung zunächst der Gründungszuschuss vorgesehen und kann für eine zweite Phase zur sozialen Sicherung verlängert werden (insgesamt 15 Monate). (Nahezu) Jede Exis-tenzgründung hat zu Beginn mit Anlaufschwierigkeiten zu kämpfen. Die Frage ist, ob die Existenzgründung schon deshalb zum Scheitern verurteilt ist, weil diese Phase nicht überbrückt werden kann. Zur Überbrückung dieser Anlaufphase ist zum einen der Gründungszuschuss heranzuziehen und zum anderen können auch vorhandene Eigenmittel eingesetzt werden. Es gibt daher im Gründungszeitpunkt keinen Grund davon auszugehen, dass der Kläger (bei Bewilligung des Gründungszuschusses) seine Unternehmung vor Eintritt des wirtschaftlichen Erfolgs wird abbrechen müssen. Auch hier gilt: sollte sich dies im tatsächlichen Verlauf anders darstellen, heißt das nicht, dass die Prognose nicht gerechtfertigt war.

Im Bereich des SGB II geht der Gesetzgeber davon aus, dass Existenzgründungen geför-dert werden können, wenn innerhalb von zwei Jahren die Hilfebedürftigkeit durch die selbständige Tätigkeit dauerhaft überwunden oder verringert werden kann. "Da Existenzgründungen aus Arbeitslosigkeit im SGB II regelmäßig unter schwierigen Bedingungen erfolgen, bedarf es bei Existenzgründern eines größeren Spielraums. Bei dieser Personengruppe sollte daher ein Zeitraum von bis zu 24 Monaten zugrunde gelegt werden" (BT-Drs. 16/10810 S. 47). Nachdem der Gesetzgeber diese lange Frist bewusst vor dem Hintergrund der Situation von SGB-II-Leistungsempfängern gewählt hat, verbietet es sich nicht die angemessene Anlaufzeit im SGB III kürzer zu fassen als zwei Jahre. Dies gilt im vorliegenden Fall insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Kläger sich schon vor Ein-tritt der Arbeitslosigkeit für eine selbstständige Tätigkeit entschieden hat und quasi nie aus dem Erwerbsleben ausgestiegen war. Seine Situation ist daher mit der Situation eines durchschnittlichen SGB-II-Leistungsempfängers nicht vergleichbar. Es ist also durchaus von einer kürzeren Frist als die von zwei Jahren für eine angemessene Anlaufzeit auszugehen. Die angemessene Anlaufzeit im Rahmen des SGB III ist aber keineswegs auf die Förderhöchstdauer der 1. Förderphase, also sechs Monate, zu begrenzen. Sie richtet sich wie bereits ausgeführt nach der Art der Unternehmung. Dabei muss der Gründer aber sicherstellen, dass er die Zeit vom Ende der ersten Förderphase bis zum Eintritt des wirtschaftlichen Erfolgs zum Beispiel durch Eigenmittel überbrücken kann.

II. Nachdem der Kläger die Tragfähigkeit der Unternehmung nachgewiesen hat, hat er einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über seinen Antrag vom 8.11.2011. Dieser Anspruch ist bislang nicht erfüllt, denn die Ermessenserwägungen, die die Beklagte im Vorverfahren angestellt hat, waren fehlerhaft.

Gemäß § 39 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) Erstes Buch (I) haben Leistungsträger ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten, wenn sie ermächtigt sind, bei der Entscheidung über Sozialleistungen nach ihrem Ermessen zu handeln. Gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB I besteht auf die pflichtgemäße Ausübung des Ermessens ein Anspruch.

Ob das Ermessen richtig ausgeübt worden ist, kann von dem Gericht nur eingeschränkt überprüft werden. Das Gericht darf sein Ermessen nicht an die Stelle des Ermessens der Verwaltung setzen, vielmehr darf es nur prüfen, ob die Grenzen des Ermessens eingehalten worden sind. Bei der Überprüfung der eigentlichen Ermessensentscheidung findet nur eine Rechtskontrolle, keine Zweckmäßigkeitsprüfung statt (Keller in: Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage, § 54 Rdnr. 28). Als rechtswidrig aufgehoben werden kann die Entscheidung der Behörde nur bei einem Ermessensfehler. Er liegt vor, wenn entweder eine Ermessensausübung gänzlich unterlassen worden ist (Ermessensnichtge-brauch) oder wenn vom Zweck der Ermessensregelung her sachfremde, d.h. willkürliche Erwägungen angestellt worden sind (Ermessensfehlgebrauch).

Im Falle eines Bescheidungsurteils bindet die Rechtsauffassung des Gerichts die Verwal-tung nur insoweit, als diese zur Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsaktes geführt hat (BSG am 25.10.1990 zum damaligen Überbrückungsgeld als "Kann"-Leistung, Az.: 7 RAr 14/90, Rd. 39, zitiert nach Juris).

Es ist vorliegend ermessensfehlerhaft, den Antrag auf Förderung mittels Gründungszu-schuss aufgrund vorhandener Eigenleistungsfähigkeit abzulehnen.

Grundsätzlich ist es nach Auffassung des Gerichts möglich im Rahmen des Ermessens eine vorhandene Eigenleistungsfähigkeit zu berücksichtigen. Allerdings nur dann, wenn aus der selbständigen Tätigkeit selbst von Anfang an voraussichtlich derartige Gewinne erwirtschaftet würden, dass die Förderung mittels Gründungszuschuss nicht notwendig ist, um die Gründungsphase zu überbrücken (so SG Berlin am 8.2.2010, Az. S 70 AL 3675/07 zur Weitergewährung des Gründungszuschusses, zitiert nach Juris). Dies ergibt sich aus dem Zweck der Vorschrift, mit dem Zuschuss die wirtschaftlich in der Regel schwierige Anfangszeit einer Gründung zu überbrücken. Ist diese Phase im Einzelfall nicht wirtschaftlich schwierig, kann der Gründungszuschuss seinen Zweck nicht erfüllen und ist zur Gründung nicht notwendig. Eine solche Überlegung einzubeziehen ist nach Überzeugung des Gerichts rechtmäßig.

Nicht zu verbrauchen sind jedoch Vermögensmittel oder Einkünfte, die nicht aus der streitgegenständlichen selbständigen Tätigkeit resultieren. Das SGB III stellt grundsätzlich nicht auf die Eigenleistungsfähigkeit ab (im Gegensatz zum SGB II). Bei den Leistungen der Beklagten handelt es sich um Versichertenleistungen. Der Kläger muss nicht – bevor er Leistungen der Beklagten beantragt – vorhandene Mittel verbrauchen. Schon gar nicht muss er zu diesem Zweck Kredite in Anspruch nehmen. Daher ist es nach Überzeugung der Kammer ermessensfehlerhaft, die vom Kläger durch die Aufnahme eines Kredites geschaffene Eigenleistungsfähigkeit zur Ablehnung des Förderantrags heranzuziehen.

In den Dienstanweisungen der Beklagten ist vorgesehen, bei einer Betriebsübernahme und bei der Ausdehnung einer Nebentätigkeit in eine hauptberufliche Selbständigkeit die Eigenleistungsfähigkeit zu prüfen. Dies ist nach Überzeugung des Gerichts auch insofern richtig, als die Eigenleistungsfähigkeit aus der selbständigen Tätigkeit selbst heraus geprüft wird. Gerade im Fall einer Betriebsübernahme oder einer Ausdehnung einer Nebentätigkeit in eine hauptberufliche Selbstständigkeit ist es denkbar, dass es eine wirtschaftlich schwierige Anlaufphase nicht gibt, eine Förderung durch die Beklagte daher ihren Zweck nicht erfüllen kann und eine Förderung nicht notwendig ist.

Vorliegend hat der Kläger zwar unter dem Firmennamen auch zuvor eine selbständige Tätigkeit im Nebenerwerb betrieben, diese war jedoch inhaltlich dermaßen anders gestaltet als die hauptberuflich selbständige Tätigkeit, dass ein Einfluss auf die Schwierigkeiten in der Startphase nicht anzunehmen ist.

Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass die Beklagte zu Unrecht von einer fehlenden Tragfähigkeit des Unternehmens ausgegangen ist und darüber hinaus zu Unrecht auf vorhandene Eigenleistungsfähigkeit abgestellt hat.

Unter Aufhebung des ergangenen Verwaltungsaktes war die Beklagte daher zu verpflichten, erneut über den Antrag des Klägers zu entscheiden.

Nachdem das Gericht nicht seine Auffassung an die Stelle der Entscheidung der Beklagten zu setzen hat, obliegt es der Beklagten, über den Antrag des Klägers vom 8.11.2011 erneut zu entscheiden. Sie kann diesen Antrag nach Auffassung des Gerichts weder aufgrund fehlenden Nachweises der Tragfähigkeit ablehnen, noch kann sie im Rahmen der Ermessensentscheidung darauf abstellen, dass dem Kläger Eigenmittel (Kredit) in Höhe von 25.000,- Euro zur Verfügung stehen.

Dabei kann die Beklagte im Rahmen ihrer Ermessenserwägungen nicht berücksichtigen, dass der Kläger diese selbständige Tätigkeit seit dem 15.8.2012 nicht mehr als Haupterwerb, sondern als Nebenbeschäftigung ausübt. Ein Gründungszuschuss wird als Zuschuss geleistet, der auch bei fehlendem Erfolg der Existenzgründung nicht zurückzuzahlen ist. Dem Wesen einer Prognoseentscheidung ist es immanent, dass es faktisch nicht auszuschließen ist, dass auch Unternehmen gefördert werden, die sich letztlich nicht als tragfähig erweisen. Entscheidend ist nicht, ob die Unternehmung tatsächlich tragfähig war, sondern ob im Zeitpunkt der Gründung bzw. im Zeitpunkt der Prognoseentscheidung für die Zukunft vom Vorliegen der Tragfähigkeit auszugehen war. Hat die Beklagte die Förderung der Existenzgründung zu Unrecht abgelehnt, kann sie sich nicht nachträglich darauf berufen, dass die Unternehmung zwischenzeitlich aufgegeben worden ist oder trotz positiver Prognose gescheitert ist (LSG Hessen, Urteil vom 23.9.2011, Az.: L 7 AL 104/09, zitiert nach juris).

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.
Rechtskraft
Aus
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