S 5 U 293/12

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 5 U 293/12
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Bemerkung
Zum Unfallversicherungsschutz bei Überfall auf einen Beschäftigten mit Arbeitsplatz im eigenen Wohnhaus
I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger am 12.03.2007 einen Arbeitsunfall erlitten hat.

Der im Jahre 1962 geborene Kläger arbeitete als Regionalbevollmächtigter der L. Bauspar AG in einem Home Office im eigenen Wohnhaus. Nach eigenen Angaben habe er sich am 12.03.2007 auf ein Läuten hin zur Hauseingangstür begeben, wo ihm ein mit blauem Overall und schwarzer Wollmütze bekleideter Mann erklärte, dass er wegen eines Kabelschadens den Strom abstellen müsse. Nachdem er aus der Tür getreten war sei er mit einer Pistole bedroht und gezwungen worden, in die Küche zu gehen, wo ein zweiter Mann dazugekommen sei. Auch seinem im haus befindlichen Sohn sei dann eine Waffe vorgehalten worden. Er selbst sei ins Schlafzimmer gebracht worden, wo ihm auf dem Bett liegend in beide Kniegelenke geschossen worden sei. Danach hatten die Täter das Haus verlassen, ohne Wertsachen mitzunehmen.

Der Kläger wurde ab dem 12.03. 2007 wegen einer Schussverletzung im Bereich beider Kniegelenke stationär in der Universitätsklinik in D. versorgt. Mit einer Unfallanzeige vom 08.10. 2010 zeigte er das Ereignis der Beklagten an.

Mit Bescheid vom 07.06.2011 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall ab. Zur Begründung führte sie aus, dass der Kläger zum Öffnen der Haustür die den Versicherungsschutz begründende Tätigkeit unterbrochen habe. Es sei davon auszugehen, dass der Überfall auf private Gründe zurück zu führen sei.

Hiergegen erhob der Kläger mit einer E-Mail vom 12.07.2011 Widerspruch und wies darauf hin, dass er nicht wisse, aus welchen Gründen er Opfer des Überfalls geworden sei.

Die Beklagte hielt den Widerspruch für unzulässig, wertete die E-Mail als Überprüfungsantrag und lehnte aber mit Bescheid vom 17.11.2011 die Zurücknahme des Bescheids vom 09.06.2011 ab. Da der Kläger nicht gewusst habe, wer an der Tür klingelte, könne der Weg zur Tür nicht betrieblichen Interessen gedient haben.

Dem widersprach der Kläger jetzt mit einer E-Mail vom 09.02.2012, die er ausdruckte und am 18.02.2012 in den Hausbriefkasten der Beklagten warf. Die Beklagte habe nicht korrekt ermittelt.

Im Zuge der nun aufgenommenen Ermittlungen zog die Beklagte ua die Strafakte des Amtsgerichts D. bei. In diesem Verfahren hatte der Kläger ausgesagt, dass ihm die beiden Angeklagten gesagt hätten, dass er sich mit den falschen Leuten eingelassen habe. Um was es dabei gegangen sei, wollte er zunächst nicht mitteilen, da er sich immer noch in akuter Lebensgefahr befinden würde, um dann aber schließlich doch zu erwähnen, dass es um Fördermittelzusagen von einer Million an einen Verein gegangen sei und ihm Vereinsmitglieder gedroht hätten, mal zwei Russen vorbeizuschicken, falls das schiefgehen sollte. Nach Abgabe des Verfahrens an das Landgericht D. wurden die beiden Angeklagten russischer Abstammung im März 2008 durch die Große Strafkammer rechtskräftig zu Freiheitsstrafen von fünf bzw. vier Jahren und sechs Monate verurteilt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25.07.2012 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Ein Arbeitsunfall habe nicht vorgelegen. Zum Zeitpunkt des Öffnens der Haustür sei der Kläger keiner versicherten Tätigkeit nachgegangen. Der Überfall habe auch nicht mit der versicherten Tätigkeit in Verbindung gestanden. Ein Arbeitsunfall sei somit nicht feststellbar. Vielmehr würden die Ermittlungen des Landgerichts auf einen anderen Zusammenhang schließen lassen.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit der am 27.08.2012 erhobenen Klage. Er sei am 12. 03.2007 zur Haustür gegangen, weil er geglaubt habe, dass er Geschäftspost bekomme. Zu-vor sei er seiner Geschäftstätigkeit nachgegangen. Regelmäßig sei ein Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit gegeben, wenn ein Versicherter am Arbeitsplatz Opfer eines Überfalls werde.

Der Kläger beantragt daher sinngemäß, den Bescheid der Beklagten vom 17.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.07.2012 aufzuheben und festzustellen, dass der Überfall vom 12.03.2007 ein Arbeitsunfall ist.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie bestreitet, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Klingelns an der Haustür betriebliche Tätigkeiten verrichtet habe. Die Meldung des Geschehens an den Arbeitgeber sei erst dreieinhalb Jahre später erfolgt. Die Nichterweislichkeit einer versicherten Tätigkeit gehe zu Lasten des Klägers.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, die vorgelegen hat, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte durch Gerichtsbescheid gemäß § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden, da der Sachverhalt geklärt war und die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufwies. Die Beteiligten wurden zu dieser Vorgehensweise angehört. Dem Schreiben des Klägers vom 06.05.2013 ließen sich keine Gründe entnehmen, die die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung erforderlich gemacht hätten.

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet. Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide nicht in seinem Rechten verletzt. Denn er hat keinen Anspruch auf Feststellung des Ereignisses vom 12.03.2007 als Arbeitsunfall.

Ein Unfall, den ein Versicherter infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit) erleidet, ist nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII ein Arbeitsunfall. Dabei muss das Verhalten, bei dem sich der Unfall ereignet, einerseits der versicherten Tätigkeit zuzurechnen sein und die Verrichtung andererseits den Unfall herbeigeführt haben. Es muss eine sachliche Verbindung mit der im Gesetz genannten versicherten Tätigkeit bestehen (so genannter innerer Zusammenhang), die es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Der innere Zusammenhang ist wertend zu ermitteln, in dem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenzen liegt, bis zu der der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht. Umfang und Grenzen des Versicherungsschutzes werden durch die für die gesetzliche Unfallversicherung geltenden Grundsätze bestimmt. Ein wesentliches Prinzip ist dabei die Ablösung der Haftung des Unternehmers gegenüber den bei ihm abhängig Beschäftigten (vgl. dazu Gitter/von Nunius in Schulin, HS - UV, § 5 Rdnrn. 28, 51, 119). Mit der gesetzlichen Unfallsicherung wird dessen Haftung für schuldhaftes Verhalten wegen der Verletzung von Schutz- oder Fürsorgepflichten und aus Gefährdungshaftung abgelöst (BSG, Urteil vom 19.12.2000 - B 2 U 37/99 R -).

Grundsätzlich stehen auch dann, wenn sich die Wohnung des Versicherten und die Arbeitsstätte in einem Haus befinden, Unfälle auf Wegen in den zur Arbeitsstätte gehörenden Betriebsräumen unter Versicherungsschutz, wenn sie der versicherten Tätigkeit dienen sollen (BSG, Urteil vom 29.01.1960 - 2 RU 265/56 -). Rechtliche Schwierigkeiten hinsichtlich der Zurechnung von Wegen zur versicherten Tätigkeit oder zur Wohnung bei Wohnung und Arbeitsstätte in demselben Haus, treten vor allem in zwei Fallgestaltungen auf:

Die erste Fallgestaltung betrifft Unfälle im rein persönlichen Wohnbereich, bei denen die Situation durch eine Art Rufbereitschaft und die Notwendigkeit, sofort zu handeln, geprägt ist. Diese Fallgestaltung spielt vorliegend keine Rolle.

Bei der zweiten Fallgestaltung handelt es sich um Unfälle, die sich in Räumen bzw. auf Treppen ereignen, die weder eindeutig der Privatwohnung noch der Betriebsstätte zugerechnet werden können. Bei dieser Konstellation hat das Bundessozialgericht immer wieder darauf abgestellt, ob der Ort, an dem sich der Unfall ereignete, auch Betriebszwecken (wesentlich) dient, ob der rein persönliche Lebensbereich schon verlassen oder wieder erreicht wurde bzw. auf den Nutzungszweck zum Unfallzeitpunkt (vgl. z. B. Urteil vom 29.01.1960 - 2 RU 265/56; 2 RU 47/58 -). Als maßgeblich wurde dabei immer angesehen, ob neben den – immer zu berücksichtigenden – gesamten Umständen des Einzelfalls der Teil des Gebäudes, in dem sich der Unfall ereignete, rechtlich wesentlich den Zwecken des Unternehmens dient. Als Kriterium für die Wesentlichkeit wurden eine ständige und nicht nur gelegentliche Nutzung des Unfallorts für betriebliche Zwecke angeführt.

Vorliegend kann dahinstehen, ob der Kläger bevor es an der Haustür geklingelt hatte, in seinem Arbeitszimmer seiner versicherten Tätigkeit nachgegangen war. Unerheblich ist auch, ob er schon an der Haustür durch die Bedrohung mit der Schusswaffe oder erst im Schlafzimmer durch die Schüsse in beide Kniegelenke einen Unfall erlitten hat.

Nach Maßgabe vorstehender Grundsätze zur Abgrenzung des Versicherungsschutzes steht ein abhängig Beschäftigter bei einem Überfall, also einem vorsätzlichen tätlichen Angriff, grundsätzlich nicht unter Versicherungsschutz, denn der vorsätzliche tätliche Angriff löst den Zusammenhang des Überfalls mit der betrieblichen Tätigkeit (BSG, Urteil vom 30.06. 1988 - B 2 U 29/97 R -). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt unter Berücksichtigung des Prinzips der Haftungsersetzung nur dann, wenn der Angriff des Täters aus betriebsbezogenen Motiven erfolgt. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn der Überfall auf einen Menschen bei einer versicherten Tätigkeit deshalb erfolgt, weil der Täter betrieblich verwahrte Gelder erlangen will. Als Beispiel hierfür ist der Raubüberfall auf den Kassierer eines Geldinstituts zu nennen. Ein den Versicherungsschutz ausnahmsweise begründender Fall liegt auch dann vor, wenn der Täter für seinen Überfall Situationen ausnutzt, die grundsätzlich dem Versicherungsschutz unterfallen. Entscheidend sind insoweit allerdings die Beweggründe des Täters und nicht die objektiven Umstände (vgl dazu BSG Urteil vom 19.03.1996 - 2 RU 19/95 -). Denn allein die Motivlage des Täters begründet den Versicherungsschutz (vgl. dazu auch BSG, Urteil vom 19.12.2000, aaO). Dies ist z.B. dann der Fall, wenn der Täter einen grundsätzlich unter Versicherungsschutz stehenden Weg als besonders geeignet ansieht und deshalb die Tat begeht. Eine Lösung des Zusammenhangs zwischen Überfall und betrieblicher Tätigkeit tritt aber auf jeden Fall dann ein, wenn er aus Motiven erfolgt, die aus der persönlichen Beziehung zwischen Täter und Opfer resultieren. Denn das Prinzip der Haftungsersetzung des Unternehmers gebietet es insoweit nicht, den Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung zu begründen (vgl. hierzu auch Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.01.2012 - L 2 U 200/10 -).

Die Motive der Täter, die den Kläger am 12.07.2007 überfallen und verletzt haben, ließen sich zwar im strafrechtlichen Verfahren nicht zweifelsfrei klären. Am wahrscheinlichsten war jedoch, dass der Überfall mit der Tätigkeit des Klägers als Berater des M. - und E. Parks T. e.V. zusammenhing. Wegen der Nutzung von Grundstücken war es dort mehrfach zum Streit gekommen und entsprechende Drohungen, wie ... man wolle sich "Russen" besorgen, um seine Interessen durchzusetzen ..., ausgestoßen worden. Dies wurde dann auch vom Kläger vermutet und wegen angeblicher fortbestehender Lebensgefahr weitere Angaben verweigert. Ein Zusammenhang des Überfalls mit seiner Tätigkeit als Versicherungsangestellter ist daher nicht feststellbar.

Es bestand auch kein Versicherungsschutz, weil sich besondere Risiken der versicherten Tätigkeit realisiert haben. Es ist für die Frage des Versicherungsschutzes ohne Belang, ob die objektiven Tatumstände - hier der Überwältigung des Klägers an der Haustür und die damit einhergehende Möglichkeit das Opfer von dort in von außen nicht einsehbare Räume im Haus zu verbringen - die Begehung der Tat erleichtert haben. Die Motivlage der Täter umfasste diese Umstände nicht. Es ist nicht feststellbar, dass die Täter bewusst gerade den Kläger bei seiner versicherten Tätigkeit antreffen wollten, um dies auszunutzen. Zudem ist nicht erkennbar, worin die dem versicherten Bereich zuzuordnenden Verhältnisse liegen sollen, die den Angriff wenigstens wesentlich begünstigt haben sollen. Die Tat hätte genauso gut zu jedem anderen Zeitpunkt geschehen können, an dem der Kläger die Haustür geöffnet hätte, auch um eine eigenwirtschaftliche Verrichtung vorzunehmen.

Die Beweislosigkeit anspruchsbegründender Tatsachen geht nach den allgemeinen Regeln objektiver Beweislast zu Lasten des Versicherten (BSGE 35, 216, 217).

Nach alledem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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