L 27 R 671/09

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
27
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 10 R 282/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 27 R 671/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 25. März 2009 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 1. März 2006.

Der 1980 geborene Kläger schloss im August 2000 seine Ausbildung zum Fahrzeuglackierer erfolgreich ab. Anschließend war er in diesem Beruf für knapp zwei Jahre tätig. Am 22. Juli 2002 wurde er wegen Beschwerden an der Lendenwirbelsäule krank geschrieben.

Auf den Rentenantrag des Klägers zog die Beklagte u.a. den Entlassungsbericht des Reha-Klinikums H vom 19. Februar 2003 sowie das Gutachten des Arztes Dr. K von der Agentur für Arbeit vom 28. April 2004 bei und veranlasste die Begutachtung des Klägers durch den Orthopäden Dr. M, der im Gutachten vom 6. August 2004 eine Lumboischialgie links mit Bandscheibenvorfall in den Etagen L4 bis S1 diagnostizierte. Eine berufliche Tätigkeit von wirtschaftlichem Interesse sei dem Kläger vorläufig nicht zumutbar. Die Beklagte gewährte dem Kläger eine Rente auf Zeit wegen voller Erwerbsminderung zuletzt bis zum 28. Februar 2006.

Am 13. Oktober 2005 beantragte der Kläger bei der Beklagten, ihm die Rente über Februar 2006 hinaus zu gewähren. Die Beklagte holte das Gutachten der Chirurgin Dr. B vom 9. Dezember 2005 ein. Die Gutachterin stellte bei dem Kläger eine schmerzhafte Minderbelastbarkeit der Lendenwirbelsäule bei Bandscheibenvorfall L4/5 und flachem Prolaps L5/S1 ohne sensomotorische Defizite an den unteren Extremitäten fest. Für den Beruf als Lackierer sei das Leistungsvermögen vorläufig aufgehoben. Hingegen könne der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig leichte Arbeiten unter qualitativen Einschränkungen durchführen.

Die Beklagte lehnte unter Berufung auf dieses Gutachten den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 16. Dezember 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. März 2006 ab.

Mit der Klage vor dem Sozialgericht Potsdam hat der Kläger eine Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 1. März 2006 begeht.

Das Sozialgericht hat das Gutachten des Arztes Dr. K von der Agentur für Arbeit vom 2. März 2006 beigezogen sowie neben Befundberichten der den Kläger behandelnden Ärzte das Gutachten des Orthopäden und Chirurgen Dr. T vom 19. Oktober 2007 eingeholt. Der Gutachter stellte als Gesundheitsstörungen leichte bis mäßige Funktionsstörungen der Lendenwirbelsäule bei Zustand nach erweiterter Fensterung L4/5- und Bandscheibenvorfallausräumung L4/5 links am 26. Oktober 2006 sowie eine leichte Adipositas fest. Dem Kläger seien körperlich nur noch leichte Tätigkeiten unter bestimmten qualitativen Einschränkungen im Umfang von mindestens sechs Stunden zuzumuten.

Auf den Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Sozialgericht den Orthopäden Prof. Dr. N gehört, der im Gutachten vom 16. September 2008 neben der leichten Adipositas eine leichte Funktionseinschränkung an der Lendenwirbelsäule festgestellt hat. Bei einem Restleistungsvermögen von mindestens sechs Stunden seien dem Kläger nur noch leichte Tätigkeiten bei Berücksichtigung von bestimmten qualitativen Leistungseinschränkungen zuzumuten.

Mit Urteil vom 25. März 2009 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger sei weder voll noch teilweise erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch (SGB VI). Denn er sei nicht aufgrund einer Krankheit auf nicht absehbare Zeit außer Stande, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Bezugspunkt der Leistungsfähigkeit sei hier der allgemeine Arbeitsmarkt. Berufsschutz im Sinne des § 240 SGB VI bestehe nicht, weil der Kläger nicht vor dem 2. Januar 1961 geboren sei.

Das Gericht stütze sich auf das schlüssige Gutachten des Sachverständigen Dr. T, der überzeugend dargelegt habe, dass der Kläger noch über ein Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden täglich verfüge. Diese Bewertungen würden durch das Gutachten des Orthopäden Prof. Dr. N vom 16. September 2008 gestützt.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren weiter verfolgt. Er ist der Auffassung, dass die erstinstanzlich eingeholten Sachverständigengutachten sein Leistungsvermögen nur unzutreffend wiedergäben. Er sei nicht sechs Stunden täglich arbeitsfähig. Er könne die Wirbelsäule kaum bewegen, keine Gewichte heben, nicht längere Zeit liegen, sitzen, stehen oder laufen. Seine gesundheitliche Situation habe zu psychischen Beeinträchtigungen geführt, die unzureichend berücksichtigt worden seien.

Im August 2010 ist bei dem Kläger eine Bandscheibenprothese L4/5, L5/S1 implantiert worden. Die Beklagte hat den Reha-Entlassungsbericht der S Kliniken S, Rehabilitationsklinik vom 22. September 2010 vorgelegt.

Das Landessozialgericht hat neben Befundberichten der den Kläger behandelnden Ärzte das Gutachten des Orthopäden Dr. E vom 8. Februar 2011 mit mehreren ergänzenden Stellungnahmen eingeholt. Der Gutachter hat die Ansicht vertreten, dass der Kläger körperliche Verrichtungen - wie beispielsweise Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen - nur noch für unter drei Stunden täglich ausüben könne. Diese Leistungseinschränkungen folgten aus den Nervenwurzelreizerscheinungen seitens der Wirbelsäule und des außergewöhnlichen chronischen Schmerzsyndroms - wegen der notwendigen Einnahme von Opioiden - dritten Grades. Das Leistungsvermögen sei von März 2006 bis März 2007 und seit September 2009 aufgehoben. Die aktuell festgestellten quantitativen Leistungseinbußen seien nicht dauernder Natur. Es bestehe die begründete Aussicht, dass eine Stabilisierung innerhalb von zwei Jahren nach der Implantation der Bandscheibenprothesen eintreten werde.

Weiter hat das Landessozialgericht Beweis erhoben durch Einholung des Gutachtens des Nervenarztes R vom 15. Januar 2012. Der Sachverständige hat festgestellt, dass ein pseudoradikuläres Schmerzsyndrom dritten Grades nicht vorliegt. Der Kläger könne regelmäßig noch über sechs Stunden täglich tätig sein. Zumutbar seien ihm nur körperlich leichte Tätigkeiten mit bestimmten qualitativen Einschränkungen. Dieses Leistungsvermögen bestehe seit dem 28. Februar 2006, dem Ende der Zeitrente.

Das Gericht hat den Beteiligten sind Auszüge aus den Berufsinformationskarten der Bundesanstalt für Arbeit zum Pförtner und Versandfertigmacher und Kopien der Ausführungen des berufskundlichen Sachverständigen L vom 14. Februar 2000 und vom 13. Oktober 2008 zum Pförtner sowie vom 1. November 2002, vom 24. November 2002, vom 14. Januar 2005 und vom 13. Oktober 2008 zum Versandfertigmacher übersandt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 25. März 2009 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16. Dezember 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. März 2006 zu verurteilen, ihm ab dem 1. März 2006 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer, hilfsweise, für die Zeit vom 1. März 2006 bis zum 28. Februar 2009, für die Zeit vom 1. März 2009 bis zum 29. Februar 2012 und für die Zeit vom 1. März 2012 bis zum 28. Februar 2015 jeweils befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom 16. Dezember 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. März 2006 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung, und zwar weder auf Dauer noch auf die im Antrag genannten Zeiträume befristet.

Der Anspruch des Klägers richtet sich nach § 43 Abs. 2 SGB VI in der am 1. Januar 2001 in Kraft getretenen Fassung des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (RRErwerbG) vom 20. Dezember 2000 (BGBl I 1827) mit Folgeänderungen, zuletzt durch Gesetz vom 20. April 2007 (BGBl. I 554). Bei Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3) haben danach Versicherte Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind (Abs 2 Satz 1 Nr. 1). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Abs. 2 Satz 2). Erwerbsgemindert ist hingegen nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (Abs 3).

Nach den vorliegenden gutachterlichen Feststellungen ist der Kläger mit dem ihm verbliebenen Restleistungsvermögen noch in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts eine Tätigkeit zu verrichten.

Der Senat folgt hinsichtlich der Einschätzung des quantitativen Leistungsvermögens den insoweit überzeugenden Ausführungen des Urteils des Sozialgerichts; hierauf nimmt er Bezug und sieht daher von einer weiteren Darlegung der Entscheidungsgründe gemäß § 153 Abs. 2 SGG ab.

Die Ermittlungen im Berufungsverfahren rechtfertigen keine andere Beurteilung des Leistungsvermögens des Klägers.

Soweit der Orthopäde Dr. E in seinem Gutachten vom 8. Februar 2011 die Ansicht vertreten hat, dass der Kläger in den Zeiträumen von März 2006 bis März 2007 und seit September 2009 körperliche Verrichtungen nur noch für unter drei Stunden täglich habe ausüben können bzw. ausüben könne, folgt ihm der Senat nicht. Die Begründung des Sachverständigen, der die Leistungseinschränkungen des Klägers aus einem außergewöhnlichen chronischen Schmerzsyndroms dritten Grades abgeleitet hat, überzeugt nicht. Denn ein derartiges Schmerzsyndrom besteht bei dem Kläger nicht. Dies ergibt sich aus den schlüssigen Darlegungen des Nervenarztes R in dessen Gutachten vom 15. Januar 2012. Das Stadium 3 bedeutet nach den fachärztlichen Ausführungen dieses Sachverständigen einen Dauerschmerz ohne oder mit seltenem Intensitätswechsel, einen langjährigen Medikamentenmissbrauch, einen mehr als dreimaligen Wechsel des persönlichen Arztes, zielloser Arzt- und Heilpraktikerbesuch, mehr als drei schmerzbezogene operative Maßnahmen, Versagen in Familie, Beruf und Gesellschaft. Derartige Merkmale sind bei dem Kläger nicht festgestellt worden. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Begründung durch den Orthopäden Dr. E, die Dosierung von Opioiden rechtfertige die Annahme eines außergewöhnlichen chronischen Schmerzsyndroms, als Zirkelschluss. Vielmehr beschränken sich die Einschränkungen des Leistungsvermögens des Klägers, worauf der Nervenarzt R ausdrücklich hingewiesen hat, auf das orthopädische Fachgebiet. Insoweit weichen die Feststellungen Orthopäden Dr. E nicht von denen des erstinstanzlich als Sachverständigen herangezogenen Orthopäden und Chirurgen Dr. T und des von dem Sozialgericht gehörten Orthopäden Prof. Dr. N ab, die übereinstimmend zu dem Schluss gelangt sind, dass der Kläger noch über ein Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden täglich für leichte Tätigkeiten unter bestimmten qualitativen Einschränkungen, die seiner Verwendung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht entgegen stehen, verfügt.

Auch nach § 43 As. 2 SGB VI in der Fassung des RRErwerbG bleibt für einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung weiterhin maßgeblich, ob der jeweilige Versicherte mit seinem individuellen gesundheitlichen und beruflichen Leistungsvermögen Tätigkeiten ausüben kann, mit denen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ein Erwerbseinkommen zu erzielen ist (so Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 19. Oktober 2011 - B 13 R 78/09 R -, BSGE 109, 189, wonach die Grundsätze, die höchstrichterlich zur Erwerbsunfähigkeit nach der vor Inkrafttreten des RRErwerbG geltenden Rechtslage herausgearbeitet worden waren, auch für Ansprüche auf Renten wegen Erwerbsminderung nach dem ab dem 1.1.2001 geltenden Recht weiter anzuwenden sind).

Es kommt deshalb darauf an, ob der Versicherte mit dem ihm verbliebenen Restleistungsvermögen – wenn auch mit qualitativen Einschränkungen – in der Lage ist, in dem genannten zeitlichen Umfang unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs 1 Satz 2, Abs 3 Halbs 1 SGB VI). Dies setzt voraus, dass es solche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt überhaupt gibt; nicht entscheidend ist hingegen, ob der Kläger eine konkrete Arbeitsstelle tatsächlich auch findet. Der "allgemeine Arbeitsmarkt" in diesem Sinne umfasst jede nur denkbare Tätigkeit, die es auf dem Arbeitsmarkt gibt (vgl. BT-Drucks 14/4230, S 25). Das Merkmal "allgemein" grenzt den Arbeitsmarkt lediglich von Sonderbereichen ab, wie beispielsweise Werkstätten für Behinderte und andere geschützte Einrichtungen. Unter den "üblichen Bedingungen" im Sinne des § 43 SGB VI ist das tatsächliche Geschehen auf dem Arbeitsmarkt und in den Betrieben zu verstehen, d.h. unter welchen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt die Entgelterzielung üblicherweise tatsächlich erfolgt. Hierzu gehören sowohl rechtliche Bedingungen, wie etwa Dauer und Verteilung der Arbeitszeit, Pausen- und Urlaubsregelungen, Beachtung von Arbeitsschutzvorschriften sowie gesetzliche und tarifvertragliche Vorschriften, als auch tatsächliche Umstände, wie beispielsweise die für die Ausübung einer Verweisungstätigkeit allgemein vorausgesetzten Mindestanforderungen an Konzentrationsvermögen, geistige Beweglichkeit, Stressverträglichkeit und Frustrationstoleranz (vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 a.a.O., mit weiteren Nachweisen).

Für den Regelfall kann damit davon ausgegangen werden, dass ein Versicherter, der nach seinem verbliebenen Restleistungsvermögen noch körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten - wenn auch mit qualitativen Einschränkungen - täglich mindestens sechs Stunden verrichten kann, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen noch erwerbstätig sein kann. Denn dem Versicherten ist es mit diesem Leistungsvermögen in der Regel noch möglich, diejenigen Verrichtungen auszuführen, die in meist ungelernten Tätigkeiten in der Regel gefordert werden (beispielsweise Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw. – vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 a.a.O., unter Hinweis auf BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr. 8).

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts besteht auch auf der Grundlage des RRErwerbG weiterhin die Pflicht zur Benennung zumindest einer Verweisungstätigkeit, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt. Wenn "ernsthafte Zweifel" bestehen, ob der Versicherte "in einem Betrieb einsetzbar" ist, muss die Verweisungstätigkeit bezeichnet werden, was auch zu der individuellen Prüfung führt, ob dem Versicherten der Arbeitsmarkt praktisch verschlossen ist oder nicht. Angesichts der im Schrifttum geäußerten Kritik an der Praktikabilität dieser Rechtsprechung (vgl. insbes. Blaser, Der Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" im Sozialrecht, 2009, S. 107) hat das Bundesverwaltungsgericht darauf hingewiesen, dass sich aus Zweckmäßigkeits- und aus Effektivitätsgründen die rentenrechtliche Prüfung in zwei Schritten anbietet:

(1) Bei Versicherten, die trotz qualitativer Leistungseinschränkungen noch zu den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten können, ist die Einsatzfähigkeit des Versicherten in einem Betrieb nicht ernsthaft in Zweifel zu ziehen. Auf der ersten Prüfstufe ist daher festzustellen, ob das Restleistungsvermögen dem Versicherten Verrichtungen oder Tätigkeiten (wie z.B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw.) erlaubt, die in ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden. In diesem Fall genügt die Benennung von "Arbeitsfeldern", von "Tätigkeiten der Art nach" oder von "geeigneten Tätigkeitsfeldern", die der Versicherte ausfüllen könnte. Damit können "ernste Zweifel" an der oben beschriebenen Einsatzfähigkeit des Versicherten als Folge von qualitativen Leistungseinschränkungen ausgeräumt werden.

(2) Erst dann, wenn sich solche Bereiche des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht beschreiben lassen, in denen es Arbeitsplätze gibt, die der Versicherte unter Berücksichtigung seines Restleistungsvermögens noch ausfüllen kann und insofern "ernste Zweifel" an der tatsächlichen Einsatzfähigkeit des Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen aufkommen, stellt sich die Prüfpflicht, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine besondere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt. Verbleibt es bei den ernsten Zweifeln an der Einsatzfähigkeit des Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Berücksichtigung der individuellen Leistungseinschränkungen, ist mindestens eine konkrete Verweisungstätigkeit mit ihren typischen, das Anforderungsprofil bestimmenden Merkmalen (kein konkreter Arbeitsplatz) zum Ausschluss der Voraussetzungen des Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsminderung erforderlich (vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 a.a.O., unter Hinweis auf BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr. 8).

Gemessen an diesen Maßstäben ist der Kläger mit dem ihm verbliebenen Restleistungsvermögen – auch unter Berücksichtigung qualitativen Einschränkungen – in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts erwerbstätig zu sein.

Nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen R im Gutachten vom 15. Januar 2012 sind dem Kläger Verrichtungen oder Tätigkeiten, die in ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden, nämlich beispielsweise Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen, nur unter Einhaltung von Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit möglich: Dem Kläger sind nur körperlich leichte Tätigkeiten zumutbar, überwiegend im Sitzen, ohne häufiges Bücken, ohne Heben und Tragen von Lasten aus der Vorbeuge, ohne ständige Rumpfzwangshaltungen, ohne Stauchungen und Rüttlungen der Wirbelsäule. Insbesondere beim Zureichen darf keine Notwendigkeit für das Tragen von Lasten aus der Vorbeuge heraus bestehen, die über 2,5 kg wiegen; ebenso wenig dürfen bei Zusammensetzen von Teilen keine mittelschweren oder schweren Lasten gehoben werden. Übereinstimmend haben die gerichtlichen Sachverständigen Arbeiten in geschlossenen Räumen empfohlen, im Freien unter Witterungsschutz in angepasster Kleidung bis zu 50 % der gesamten Arbeitzeit. Unzumutbar ist das Arbeiten auf Gerüsten oder Leitern, wohl aber das gelegentliche Ersteigen einer kurzen Leiter. Trotz dieser qualitativen Einschränkungen ist dem Kläger der allgemeine Arbeitsmarkt nicht verschlossen. Denn dem Kläger sind unter Einhaltung der notwendigen Einschränkungen Tätigkeiten als Pförtner zumutbar. Nach den berufskundlichen Stellungnahmen hat ein Pförtner den Personenverkehr (unter Umständen auch den Fahrzeugverkehr) zu überwachen. Er empfängt Besucher, Kunden oder Lieferanten und leitet diese weiter. Gegebenenfalls registriert er Ausweispapiere, gibt Besucherkarten aus und nimmt sie später wieder entgegen. Zu den Aufgaben eines Pförtners gehört oft die Schlüsselkastenverwaltung, d.h. er hat Schlüssel für Tore, Türen, Haupt- und Nebengebäude auszugeben und Ersatzschlüssel zu verwahren. Er gibt Hinweise auf Örtlichkeiten und Parkmöglichkeiten. Tätigkeiten dieser Art werden nach einer Einweisungszeit von maximal drei Monaten wettbewerbsfähig ausgeübt. Der Pförtner hat keine körperlich belastenden Arbeiten zu verrichten. Der Senat ist deshalb davon überzeugt, dass dem Kläger mit dem verbliebenen Restleistungsvermögen – auch unter Berücksichtigung seiner qualitativen Einschränkungen – diese Tätigkeit zumutbar ist. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang in der Sache.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe gemäß § 160 Abs. 2 SGG nicht gegeben sind.
Rechtskraft
Aus
Saved