L 2 U 516/11

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 U 116/11
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 516/11
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Das Abheben von Bargeld am Geldautomaten oder Bankschalter ist jedenfalls dann gemäß § 2 Abs 1 Nr. 17 SGB VII versichert, wenn
1. die Abhebung von einem Konto des Pflegebedürftigen erfolgt und das abgehobene Bargeld getrennt von den eigenen Geldbeständen der Pflegeperson aufbewahrt wird,
2. das Bargeld für Einkäufe der hauswirtschaftlichen Versorgung der Pflegebedürftigen vorgesehen ist, die im unmittelbaren Anschluss an das Abheben erfolgen sollen, und
3. mit dem Geldabheben eine nur unerhebliche Abweichung vom ohnehin versicherten Weg zum Einkaufen verbunden ist.
I. Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 26. September 2011 aufgehoben.

II. Unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 31. Januar 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2011 wird festgestellt, dass der Unfall der Klägerin vom 09. Dezember 2010 ein Arbeitsunfall war.

III. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Die Parteien streiten darüber, ob der Unfall der Klägerin vom 09.12.2010 im Rahmen einer nach § 2 Abs. 1 Nr. 17 Sozialgesetzbuch Sieben (SGB VII) versicherten Tätigkeit eingetreten ist.

Die 1952 geborene Klägerin pflegte im Zeitpunkt des Unfalls ihre später verstorbene Schwiegermutter K. A., die seit dem Jahr 2003 Leistungen der Pflegestufe II von der AOK Bayern bezog. Die Schwiegermutter lebte im Haushalt der Klägerin und ihres Ehemannes.

Die Klägerin hatte die EC-Karte ihrer Schwiegermutter im Alleinbesitz. Das Konto der Schwiegermutter wurde bei der Stadtsparkasse A-Stadt, Filiale N. Straße in A-Stadt, geführt. Generalvollmacht für dieses Konto hatte der Sohn der Schwiegermutter und Ehemann der Klägerin, der Zeuge A ... Die Klägerin und ihr Ehemann hatten selbst dort kein Konto. Die Klägerin erledigte mit Hilfe der EC-Karte ihrer Schwiegermutter, die sie in ihrem Alleinbesitz hielt, die Einkäufe für die Schwiegermutter. Dazu hob sie ein bis zweimal monatlich bei der genannten Filiale Geld vom Konto der Schwiegermutter ab, um Bareinkäufe erledigen zu können. Für andere Einkäufe bezahlt sie direkt mit Hilfe der EC-Karte.

Am Donnerstag, dem 09.12.2010, hatte der Ehemann der Klägerin Geburtstag und deshalb dienstfrei. Die Klägerin und ihr Ehemann wollten den Vormittag nutzen, um gemeinsam Einkäufe zu erledigen. Der Ehemann fuhr die Klägerin gegen 10.20 Uhr zu der genannten Bankfiliale und setzte sie an der Einfahrt zum Parkplatz ab. Er selbst fuhr weiter auf den Parkplatz des auf der anderen Straßenseite liegenden L.-Marktes, wo er das Getränke-Leergut abgeben und dann einkaufen wollte. Die Klägerin ging über den Parkplatz der Stadtsparkasse in Richtung des Eingangs, um dort am Bankautomaten mittels der EC-Karte Geld vom Konto der Schwiegermutter abzuheben. Dabei überquerte sie einen Bereich des Parkplatzes, der spiegelglatt und nicht gestreut war. Die Klägerin stürzte nach hinten auf den Kopf, den Rücken und die linke Hand. Die von dem Sturz benommene Klägerin wurde von zwei Helfern in die Bankfiliale gebracht. Einer der Helfer ging dann ihren Ehemann im L.-Markt suchen. Da die Klägerin ihn anhand seiner markanten Dienstjacke beschreiben konnte, wurde er schnell gefunden, als er sich, nachdem er das Leergut abgegeben hatte, gerade einen Einkaufswagen holen wollte. Der Ehemann begab sich sofort in die Bank. Dort zahlte man ihm 200 EUR vom Konto der Schwiegermutter gegen Unterschrift aus, da man ihn dort persönlich kannte und er für seine Mutter Generalvollmacht hatte. Sodann verständigte der Ehemann eine Verwandte, dass sie sich um seine Mutter kümmern solle, bevor der Ehemann die Klägerin mit dem eigenen Auto in die Notaufnahme des Krankenhauses V. fuhr.

Nach dem Durchgangsarztbericht von Dr. B. vom 15.12.2010 wurden als Erstdiagnosen nach Röntgen eine Distorsion der Halswirbelsäule und eine Prellung der Lendenwirbelsäule gestellt. Weitere Verletzungsfolgen sind im Einzelnen streitig, insbesondere ein Dauerschaden in der linken Hand durch Verschiebung des Erbsenbeins, die nach Angaben der Klägerin zu einer schmerzhaften Verengung des Gelenkspalts geführt hat.

Mit Schreiben vom 31.01.2011 teilte die Beklagte dem Chefarzt der Chirurgischen Klinik III am Zentralklinikum A-Stadt, Prof. Dr. E. M. mit, dass in der Angelegenheit der Klägerin keine Leistungspflicht der Beklagten bestehe. Er werde gebeten, das bis dahin für Rechnung der Beklagten durchgeführte Heilverfahren abzubrechen. Der Unfall vom 09.12.2010 sei nicht im Rahmen einer versicherten Pflegetätigkeit nach § 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB VII geschehen. Die Klägerin erhielt einen Abdruck dieses Schreibens zur Kenntnisnahme.

Am 09.02.2011 legte die Klägerin gegen den von der Klägerin "am 14.01.2011" an ihre behandelnden Ärzte und an sie verschickten "Ablehnungsbescheid zur Übernahme der Kosten" Widerspruch ein. Sie wies darauf hin, dass sie Geld habe abheben müssen, um Einkäufe für ihre Schwiegermutter zu erledigen. Dies betreffe die Pflege im Rahmen der Ernährung und Mobilität.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30.03.2011 als unbegründet zurück. Das Besorgen von Geld könne nicht als versicherte Tätigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB VII angesehen werden, weil es nicht dem Versicherten direkt zugute komme, sondern lediglich eine unversicherte Vorbereitungshandlung darstelle.

Gegen den am 31.03.2011 mit einfachem Brief zur Post gegebenen Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 02.05.2011 beim Sozialgericht (SG) Augsburg Klage erhoben. In der Klageschrift hat sie behauptet, sie habe am Unfalltag Geld abheben wollen, um damit Einkäufe für ihre Schwiegermutter zu tätigen. Zwar sei der Gang zur Bank nicht ausdrücklich im Gesetz aufgeführt. Jedoch seien Einkäufe für den Pflegebedürftigen versichert, daher sei es eine Selbstverständlichkeit, dass auch die vorherige Beschaffung der Geldmittel zu den versicherten Tätigkeiten gehöre.

Mit Anwaltsschriftsatz vom 27.06.2011 ließ die Klägerin eine Bestätigung ihrer Schwiegermutter vorlegen, wonach die Klägerin am 09.12.2011 auf Bitte der Schwiegermutter auf dem Weg zur Bank gewesen sei. Sie habe ein Geldgeschenk für ihren Sohn abholen sollen, der an diesem Tag Geburtstag hatte.

Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 26.09.2011 (Az. S 8 U 116/11) die Klage als unbegründet abgewiesen. Ein Arbeitsunfall liege nicht vor. Der Gang zur Bank am 09.12.2010 sei keine gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB VII versicherte Tätigkeit gewesen. Dies wäre nur dann der Fall gewesen, wenn das Geld der Versorgung der Pflegebedürftigen gedient hätte, indem es eine "mehr oder weniger unvermeidbare Handlung im Vorfeld zur eigentlichen Pflegetätigkeit" dargestellt hätte. Dies sei nicht der Fall, wenn - wie vorliegend - das Geld als Geschenk für den Sohn der Pflegebedürftigen vorgesehen ist.

Die Klägerin hat gegen den Gerichtsbescheid, der ihr am 29.09.2011 zugestellt worden ist, am 28.10.2011 beim Bayerischen Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt.

Mit ihrer Berufung bringt die Klägerin vor, von den 200 EUR, die am 09.12.2010 vom Konto der Schwiegermutter abgehoben worden seien, sei nur ein Teil von 100 EUR als Geburtstagsgeschenk für den Sohn der Pflegeperson bestimmt gewesen. Die restlichen 100 EUR seien für Einkäufe gedacht gewesen, die noch am selben Tag für die Pflegebedürftige getätigt werden sollten.

Das LSG hat in der mündlichen Verhandlung vom 27.03.2013 die Klägerin persönlich angehört und ihren Ehemann als Zeugen vernommen.
Die Klägerin hat ausgesagt, sie hätte am Unfalltag dringende Einkäufe für die Schwiegermutter erledigen müssen. Am Vortag hätte die Schwiegermutter mehrfach unter schwerer Inkontinenz sowohl beim Wasserlassen als auch beim Stuhlgang gelitten. Da die Schwiegermutter krankheitsbedingt 40 kg abgenommen hätte, habe sie einige Kleidungsstücke, die ohnehin nicht mehr passten, bei dieser Gelegenheit entsorgen und durch neue Kleidung ersetzen wollen. Außerdem habe sie dringend neue Reinigungsmittel benötigt. Da sei es ihr gerade recht gekommen, dass ihr Ehemann wegen seines Geburtstags am nächsten Tag dienstfrei hatte und sie gemeinsam die Einkäufe erledigen konnten, wobei ihr Ehemann selbstständig die Einkäufe bei L. erledigen sollte, während sie bei der Drogerie DM und beim Textilgeschäft KIK, die benachbart zur Stadtsparkasse lagen, Reinigungsmittel (wie Duschgel) und neue Wäsche und Vorlagen für die Schwiegermutter einkaufen wollte. Dazu habe sie jedoch zuvor noch Geld holen wollen, weil das Bargeld der Schwiegermutter, das sie in einem eigenen Geldbeutel getrennt von ihrem eigenen Geld aufbewahrte, nahezu aufgebraucht gewesen sei. Sie habe einen Betrag von 200 EUR abheben wollen, davon 100 EUR für Barbeschaffungen für die Schwiegermutter und 100 EUR als Geburtstagsgeschenk der Schwiegermutter für ihren Mann, was ihr ihre Schwiegermutter aufgetragen habe. Die Schwiegermutter sei zwar damals schon dement gewesen, jedoch mit wechselnder Tagesform. Als sie den Wunsch geäußert habe, ihrem Sohn 100 EUR zum Geburtstag zu schenken, habe sie gewusst, was sie tat. Geplant sei gewesen, dass die Klägerin unmittelbar nach dem Geldabheben die Besorgungen für die Schwiegermutter bei DM und KIK erledigen sollte, anschließend wollte sie ihren Mann beim L. treffen.
Der Ehemann der Klägerin hat angegeben, er habe gewusst, dass die Klägerin einen Betrag von 200 EUR vom Konto seiner Mutter abheben und anschließend Einkäufe für diese erledigen wollte. Wofür die 200 EUR verwendet werden sollten, habe er nicht gewusst, auch nichts von der Absprache zwischen seiner Mutter und der Klägerin über sein Geburtstagsgeschenk. Zum gemeinsamen Feiern sei man wegen des Unfalls erst am Tag darauf gekommen, und da habe ihm seine Mutter einen Betrag von 100 EUR als Geschenk überreicht. Die Einkäufe für seine Frau und ihn würden von ihm erledigt, um die Einkäufe für seine Mutter kümmere sich ausschließlich seine Frau.

Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 26.09.2011 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 31.01.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.03.2011 aufzuheben und festzustellen, dass der Unfall der Klägerin ein Arbeitsunfall ist.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, der neue Sachvortrag im Berufungsverfahren, wonach von dem abgehobenen Betrag nur eine Hälfte für das Geburtstagsgeschenk und die andere Hälfte für Einkäufe vorgesehen sei, erscheine sehr zweckorientiert. Die Klägerin habe in erster Instanz vorgebracht, dass das Geld ausschließlich als Geburtstagsgeschenk geholt werden sollte.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogene Akte der Beklagten verwiesen.



Entscheidungsgründe:


Die Berufung ist zulässig, insbesondere wurde sie form- und fristgerecht eingelegt (§§ 105 Abs. 2 Satz 1, 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Berufung bedarf gemäß § 144 SGG keiner Zulassung.

Die Berufung ist auch begründet. Zu Unrecht hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Klage auf Feststellung des Vorliegens eines Arbeitsunfalls ist statthaft als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 und § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG. Ein Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren wurde durchgeführt. Das Schreiben der Beklagten vom 31.01.2011 an die behandelnden Ärzte, wonach diese die Behandlung auf Kosten der Beklagten einzustellen hätten, weil der Unfall nicht im Rahmen einer versicherten Tätigkeit geschehen sei, verbunden mit der Mitteilung dieses Schreibens an die Klägerin zur Kenntnis, ist als Verwaltungsakt i. S. d. § 31 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) anzusehen mit der Feststellung, dass ein Arbeitsunfall nicht vorliege.

Die Klage ist begründet, denn der Unfall der Klägerin vom 09.12.2010 stellt einen Arbeitsunfall dar. Nach § 8 Abs. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Gesundheitserstschaden liegt im vorliegenden Fall unstreitig jedenfalls im Sinne einer Distorsion der Hals- und einer Prellung der Lendenwirbelsäule vor. Ob und inwieweit der Unfall zu weiteren Gesundheitsschäden geführt hat, ist nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits. Fraglich ist allein, ob die Tätigkeit der Klägerin, in deren Zusammenhang sich der Unfall ereignet hat, gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB VII versichert war. Nach dieser Vorschrift sind kraft Gesetzes in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert Pflegepersonen im Sinne des § 19 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) bei der Pflege eines Pflegebedürftigen im Sinne des § 14 SGB XI; die versicherte Tätigkeit umfasst Pflegetätigkeiten im Bereich der Körperpflege und - soweit diese Tätigkeiten überwiegend Pflegebedürftigen zugute kommen - Pflegetätigkeiten in den Bereichen der Ernährung, der Mobilität sowie der hauswirtschaftlichen Versorgung (§ 14 Abs. 4 SGB XI). Pflegepersonen im Sinne des § 19 SGB XI sind Personen, die nicht erwerbsmäßig einen Pflegebedürftigen im Sinne des § 14 SGB XI in seiner häuslichen Umgebung pflegen. Pflegebedürftig im Sinne des § 14 SGB XI sind Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedürfen. Die Schwiegermutter der Klägerin war aufgrund der ihr zuerkannten Pflegestufe II in höherem als erheblichem Maß hilfebedürftig. Damit war die Klägerin Pflegeperson im Sinne des § 19 SGB XI, unabhängig vom Ausmaß der Hilfe, die sie tatsächlich leistete. Ob dies in einem Umfang von mindestens 40 h wöchentlich erfolgte - was gemäß § 19 Satz 2 SGB XI Voraussetzung für Leistungen zur sozialen Sicherung nach § 44 SGB XI gewesen wäre - spielt im Rahmen des § 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB VII keine Rolle (BSG, SozR 4-2700 § 2 Nr. 3; Bereiter-Hahn/ Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, 5. A., Stand 2011, § 2 SGB VII Rdnr. 33.2). Damit war der persönliche Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB VII eröffnet.

Der Gang der Klägerin am 09.12.2010 zum Bankautomaten, um dort Geld vom Konto ihrer Schwiegermutter für unmittelbar anschließend zu erledigende Einkäufe abzuheben, stellte eine gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB VII versicherte Tätigkeit dar. Nach dieser Vorschrift umfasst die versicherte Tätigkeit Pflegetätigkeiten im Bereich der Körperpflege und - soweit diese Tätigkeiten überwiegend Pflegebedürftigen zugute kommen - Pflegetätigkeiten in den Bereichen der Ernährung, der Mobilität sowie der hauswirtschaftlichen Versorgung (§ 14 Abs. 4 SGB XI). Durch den ausdrücklichen Verweis auf § 14 Abs. 4 SGB XI wird klargestellt, dass die hauswirtschaftliche Versorgung insbesondere auch das Einkaufen umfasst, das in § 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI als eine mögliche Verrichtung im Rahmen der hauswirtschaftlichen Versorgung aufgezählt wird. Ob und unter welchen Voraussetzungen das Abheben von Geld bei der Bank als Vorbereitungshandlung zum Einkaufen vom Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB VII umfasst ist, ist höchstrichterlich noch nicht ausreichend entschieden. Allerdings unterfallen nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) Vorbereitungshandlungen, die einer versicherten Tätigkeit vorangehen und ihre Durchführung erleichtern oder ermöglichen, auch dann unter den Versicherungsschutz, wenn sie einen besonders engen sachlichen, örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der eigentlich versicherten Tätigkeit oder einer kraft Gesetzes versicherten Vorbereitungshandlung aufweisen, so dass beide nach natürlicher Betrachtungsweise eine Einheit bilden (vgl. hierzu u. a. BSG vom 28.04.2004 - B 2 U 26/03 R - Juris RdNr. 16 f.). Der Senat ist der Auffassung, dass das Abheben von Bargeld am Geldautomaten oder Bankschalter jedenfalls dann gemäß § 2 Abs 1 Nr. 17 SGB VII versichert ist, wenn
1. die Abhebung von einem Konto des Pflegebedürftigen erfolgt und das abgehobene Bargeld getrennt von den eigenen Geldbeständen der Pflegeperson aufbewahrt wird,
2. das Bargeld für Einkäufe der hauswirtschaftlichen Versorgung der Pflegebedürftigen vorgesehen ist, die im unmittelbaren Anschluss an das Abheben erfolgen sollen, und
3. mit dem Geldabheben eine nur unerhebliche Abweichung vom ohnehin versicherten Weg zum Einkaufen verbunden ist.
Für diese Auslegung spricht, dass der Begriff des Einkaufens in § 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI sehr weit ausgelegt wird, so dass bei der Ermittlung der Pflegestufe im Bereich des Einkaufens zum Beispiel auch der Zeitbedarf zählt, den die Pflegeperson hat, um sich den notwendigen Überblick zu verschaffen, welche Waren wo eingekauft werden müssen, sowie über die Genieß- und Haltbarkeit der vorhandenen Lebens- und Genussmittel, und der Zeitbedarf für die richtige Lagerung (Begutachtungs-Richtlinien Nr. D 4.4). Daraus wird ersichtlich, dass nicht nur der Vorgang des Einkaufs als solcher, sondern auch notwendig damit verbundene Vor- und Nachbereitungshandlungen erfasst sind. Zudem ist der unmittelbare Weg nach und von dem Ort des Einkaufs gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII versichert. Es wäre nicht nachvollziehbar, wenn eine unwesentliche Abweichung von dem unmittelbaren Weg mit dem Ziel, das für den unmittelbar nachfolgenden Einkauf benötigte Geld abzuheben, von dem Versicherungsschutz auszunehmen, da es sich hierbei um eine notwendige Vorbereitungshandlung für den Einkauf handelt und unter den o. g. Voraussetzungen eine übermäßige Ausweitung des Versicherungstatbestandes nicht zu befürchten ist. Ausdrücklich offen bleibt dabei, ob
1. das Abheben von Geld vom Konto der Pflegeperson mit dem Ziel, damit Einkäufe für den Pflegebedürftigen zu erledigen,
2. das Abheben von Geld auf Vorrat für später geplante Einkäufe oder
3. das Abheben von Geld an Orten, die einen wesentlich anderen Anfahrtsweg als die nächste Einkaufsstelle aufweisen,
unter den Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB VII fallen können.

Im vorliegenden Fall sind die oben beschriebenen Voraussetzungen, um das Geldabheben und den Weg dorthin als nach § 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB VII versicherte Tätigkeit im Rahmen des Einkaufens einzustufen, erfüllt. Die Klägerin wollte Geld vom Konto der Schwiegermutter abheben und getrennt von ihrem eigenen Geld in einem eigens dafür vorgesehenen Geldbeutel aufbewahren, weil das Bargeld der Pflegeperson zur Neige gegangen war. Dieses Bargeld war für die nachfolgenden Einkäufe von Reinigungsmitteln und Wäsche bei KIK und DM vorgesehen. Die Einkäufe sollten unmittelbar nach dem Geldabheben erfolgen, und die Geschäfte befanden sich in nächster Nähe zur Bank. Um den Bankautomaten zu erreichen, musste die Klägerin von dem Weg, der sie unmittelbar zu den Geschäften geführt hätte, allenfalls um wenige Meter abweichen. Die Einkäufe von Reinigungsmitteln, Unterwäsche und Vorlagen sollten ausschließlich für die Schwiegermutter erfolgen, es handelte sich um keine Einkäufe etwa von Lebensmitteln, die im gemeinsamen Haushalt auch der Klägerin und ihrem Ehemann zugute gekommen wären. Die Waren, insbesondere die Unterwäsche und die Vorlagen, dienten auch der hauswirtschaftlichen Versorgung der Pflegebedürftigen und wurden für die Grundpflege benötigt. Diese Feststellungen beruhen auf den übereinstimmenden Aussagen der Klägerin und ihres Ehemannes. Der Senat sieht keinen Anlass, an der Richtigkeit dieser Aussagen zu zweifeln. Insbesondere schenkt der Senat der Aussage Glauben, dass von den 200 EUR, die abgehoben wurden, nur ein Anteil von 100 EUR als Geburtstagsgeschenk für den Ehemann vorgesehen war und 100 EUR für Einkäufe für die Pflegebedürftige bestimmt waren. Zunächst trifft es im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten nicht zu, dass das Argument, das Geld sei auch für Einkäufe für die Schwiegermutter benötigt worden, erstmals im Berufungsverfahren nachgeschoben worden wäre. Vielmehr hat die Klägerin von Anfang an - auch bereits im Verwaltungsverfahren - behauptet, das Geld sei für Einkäufe für die Schwiegermutter vorgesehen gewesen. Dieses Argument wurde im Widerspruchsverfahren und in der Klageschrift wiederholt. Erstmals im Klageverfahren hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 27.06.2011 eine Bestätigung der Schwiegermutter vorgelegt, wonach die Klägerin auf ihre Bitte hin am 09.12.2011 ein Geldgeschenk für ihren Sohn von der Bank habe holen sollen. Ein Betrag war in dieser Bestätigung jedoch nicht genannt. Eine mündliche Verhandlung hat in der ersten Instanz nicht stattgefunden. Der Prozessbevollmächtigte hat in der mündlichen Verhandlung des Berufungsverfahrens vorgebracht, es sei seine Schuld gewesen, dass er bei der Einreichung der Bestätigung der Schwiegermutter nicht sofort darauf hingewiesen habe, dass das Geldgeschenk nur die eine Hälfte des abgehobenen Betrags ausmachte, weil er die rechtliche Relevanz dieser Unterscheidung nicht erkannt habe. Dieser Aussage schenkt der Senat Glauben, weil sie im Einklang mit den sonstigen Aussagen und Ermittlungen steht. Insbesondere wirkten die Klägerin und ihr Ehemann in der mündlichen Verhandlung völlig glaubwürdig. Es entstand in keiner Weise der Eindruck, dass ihre Aussagen vorbereitet oder abgesprochen gewesen wären, um ein bestimmtes rechtlich erwünschtes Ergebnis zu begründen. Im Gegenteil, machten die Klägerin und ihr Ehemann bei der Befragung teilweise den Eindruck, den rechtlichen Hintergrund der detaillierten richterlichen Fragen nicht mehr nachvollziehen zu können, was die Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen noch erhöht. Die geplanten Einkäufe von Reinigungsmitteln und Wäsche hielten sich auch eindeutig im Rahmen der hauswirtschaftlichen Versorgung im Sinne des § 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB IX, weil es sich um Einkäufe handelte, die für die Aufrechterhaltung der häuslichen Versorgung erforderlich waren.

An der objektivierten Handlungstendenz einer auf die hauswirtschaftlichen Versorgungsverrichtung "Einkaufen" gerichteten Tätigkeit änderte sich beim Abheben des Geldes auch dadurch nichts, dass die Hälfte des abgehobenen Geldbetrags als Geldgeschenk der Pflegebedürftigen für ihren Sohn bestimmt war. Zwar ist das Abheben von Geld, um es zu verschenken, kein "Einkaufen" im Rahmen der hauswirtschaftlichen Versorgung des Pflegebedürftigen. Jedoch führt diese gleichzeitig mit dem Geldabheben verbundene privatwirtschaftliche Handlungstendenz nicht dazu, dass es sich um eine unversicherte Tätigkeit handelte. Vielmehr lag eine Verrichtung mit gespaltener Handlungstendenz bzw. mit gemischter Motivationslage vor, weil das Abheben von Geld sowohl mit privatwirtschaftlicher als auch mit "betrieblicher" (hier im Sinne von: auf eine versicherte Tätigkeit bezogener) Zielsetzung erfolgte (BSG, SozR 4-277 § 8 Nr. 39, Rdnr. 23). Eine solche Verrichtung mit gespaltener Handlungstendenz steht dann im inneren bzw. sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit, wenn die konkrete Verrichtung hypothetisch auch dann vorgenommen worden wäre, wenn die private Motivation des Handelns entfallen wäre, wenn also die Verrichtung nach den objektiven Umständen in ihrer konkreten, tatsächlichen Ausgestaltung ihren Grund in der betrieblichen Handlungstendenz findet (BSG, aaO., Rdnr. 24). Dies ist im vorliegenden Fall zu bejahen. Die Klägerin hat glaubhaft angegeben, dass sie wegen der am Vortag mehrfach aufgetretenen starken Inkontinenz der Schwiegermutter dringend neue Reinigungsmittel und Wäsche für diese benötigte und dass sie deshalb den freien Tag ihres Ehemannes nutzte, um zusammen mit diesem die Einkäufe zu erledigen. Der Senat hat deshalb keine Zweifel, dass selbst dann, wenn die Schwiegermutter nicht den Auftrag erteilt hätte, 100 EUR als Geburtstagsgeschenk für ihren Sohn abzuheben, die Klägerin und ihr Ehemann an genau diesem Tag die wegen am Vortag aufgetretener Inkontinenz dringend notwendigen Einkäufe erledigt hätten und dementsprechend die Klägerin zuvor noch etwas Bargeld für die Einkäufe der Pflegebedürftigen, das ihr zur Neige gegangen war, abgehoben hätte. Damit stand das Abheben des Geldes hier in besonders engem sachlichen, örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Einkaufen zum Zweck der hauswirtschaftlichen Versorgung der Pflegebedürftigen und bildete bei natürlicher Betrachtungsweise eine Einheit gemäß mit der versicherten Verrichtung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB XI.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
Insbesondere berücksichtigt der Senat die Rechtsprechung des BSG zum Versicherungsschutz von Vorbereitungshandlungen.
Rechtskraft
Aus
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