S 19 SO 116/13 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
19
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 19 SO 116/13 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt die darlehensweise Übernahme von Mietschulden im Eilver-fahren.

Der am 00.00.000 geborene Antragsteller, der von der Antragsgegnerin seit Februar 2011 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung bezieht, be-wohnte ursprünglich ein Eigenheim in 52499 Baesweiler. Seit dem 01.02.2013 bewohnt er allein eine 57 qm große Wohnung in der T.-Straße 00 in 52499 Baesweiler. Die Nettokaltmiete für diese Wohnung beträgt 270,00 Euro, die monatliche Betriebskostenvorauszahlung 160,00 Euro. Eine Zustimmung der Antragsgegenerin zum Umzug in diese Wohnung wurde von ihm nicht eingeholt. Die Antragsgegnerin bewilligte in der Vergangenheit die von ihr für angemessen befundenen Kosten der Unterkunft in Höhe von 334,00 Euro monatlich zzgl. Heizkosten. Nachdem der Antragsteller mit den Mietzahlungen für die Zeit von April bis Juli 2013 in Zahlungsverzug geraten war, kündigte dessen Vermieter das Mietverhältnis unter dem 12.07.2013 außerordentlich wegen Zahlungsverzugs und gewährte eine Frist zur Räu-mung der Wohnung bis zum 26.07.2013.

Daraufhin hat sich der Antragsteller nach Vorsprache bei der Antragsgegnerin am 18.07.2013 an das Gericht gewandt und Eilrechtsschutz begehrt.

Der Antragsteller beantragt seinem schriftsätzlichen Vorbringen nach sinngemäß, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm zur Begleichung seiner Mietrückstände einen Betrag in Höhe von 1.720,00 Euro darlehensweise zu zahlen.

Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen.

Das Gericht hat auf Anfrage bei der Stadt Baesweiler die Nachricht erhalten, dass ein Mietspiegel für die Stadt Baesweiler nicht existiert. Es hat ferner die Richtlinien der Städteregion Aachen betreffend die Angemessenheit von Kosten der Unterkunft beigezogen und ausgewertet und eine Internetrecherche betreffend Mietwohnungen in der Stadt Baesweiler durchgeführt. Es hat ferner eine telefonische Auskunft des Jobcenters für die Städteregion Aachen sowie eine Auskunft der Antragsgegnerin vom 26.07.2013 betreffend freie Wohnungen im Stadtgebiet Baesweiler eingeholt.

Hinsichtlich der weiteren wesentlichen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte verwiesen.

II.

Der zulässige Antrag ist unbegründet.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Der geltend gemachte Hilfeanspruch (Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (An¬ordnungsgrund), die Eilbedürftigkeit, sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO).

Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller jedenfalls einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft zu machen vermocht.

Grundlage für das diesbezügliche Begehren des Antragstellers ist § 36 Abs. 1 Satz 1 und 2 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII). Danach können Schulden übernommen werden, wenn dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht.

Die Kammer lässt es im vorliegenden Fall ausdrücklich dahin stehen, ob bereits Woh-nungslosigkeit "droht". Denn bislang ist lediglich eine außerordentliche Kündigung des Wohnungsmietverhältnisses ausgesprochen worden. Eine Räumungsklage ist vom Vermieter des Antragstellers noch nicht erhoben worden. Denn jedenfalls ist die Übernahme der Mietschulden im vorliegenden Fall nicht gerechtfertigt.

Die Übernahme von Mietschulden ist nicht gerechtfertigt, wenn es sich um eine unan-gemessene Unterkunft handelt (vgl. für die gleichlautende Vorschrift im SGB II nur LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.07.2008 – L 7 B 331/07 AS ER = juris). Denn die Hilfegewährung zur Sicherung der Unterkunft verfolgt stets das Ziel des längerfristigen Erhalts der Unterkunft, der im Fall einer unangemessenen Unterkunft nicht gegeben ist.

Im vorliegenden Fall ist die von dem Antragsteller bewohnte Unterkunft unangemessen. Welche Kosten der Unterkunft und Heizung angemessen sind, ist im Rahmen einer mehrstufigen Prüfung zu ermitteln. In einem ersten Schritt ist die abstrakt angemessene Wohnungsgröße zu ermitteln. In einem zweiten Schritt ist festzulegen, auf welchen räumlichen Vergleichsmaßstab für die weiteren Prüfungsschritte abzustellen ist. In einem dritten Schritt ist schließlich nach Maßgabe der sog. Produkttheorie zu klären, wie viel auf dem maßgeblichen Wohnungsmarkt für eine einfache Wohnung aufzuwenden ist (vgl. für die inhaltsgleichen Regelungen des SGB II etwa BSG, Urteil vom 22.09.2009, B 4 AS 18/09 R = juris Rdnr. 13 ff.; BSG, Urteil vom 17.12.2009 – B 4 AS 27/09 R = juris, Rdnr. 15 ff.; für das SGB XII etwa LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26.05.2010 – L 12 (20) SO 37/07 m.w.N.; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 08.07.2008 – L 20 B 49/08 SO ER).

Zur Bestimmung der angemessenen Wohnfläche ist auf die in den landesrechtlichen Bestimmungen zur Wohnraumgröße im sozialen Mietwohnungsbau anerkannte Wohnfläche abzustellen. In Nordrhein-Westfalen haben diese Vorschriften zum 01.01.2010 eine grundlegende Änderung erfahren. Bis 31.12.2009 war nach Nr. 5.71 des Runderlasses des Ministeri-ums für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport zu § 27 Abs. 4 des Gesetzes über die soziale Wohnraumförderung vom 08.03.2002 (VV-Wobind, SMBl.NRW. 238) für eine alleinstehende Person eine Wohnungsgröße von 45 m² angemessen. Diese Verwaltungsvorschrift ist nunmehr durch die auf der Grundlage des neuen Gesetzes zur Förderung und Nutzung von Wohnraum für das Land Nordrhein-Westfalen (WFNG NRW) vom 08.12.2009 (GV. NRW S 772) erlassenen Wohnraumnutzungsbestimmungen (WNB, Rderl. des Ministeriums für Bauen und Verkehr vom 12.12.2009, MBl. NRW 2010, 6 ff.) abgelöst worden (vgl. Nr. 19 Abs. 2 dieser Verwaltungsvorschriften). Nach Nr. 8.2 lit a) dieser Verwaltungsvorschriften sind für eine allein stehende Person 50 m² Wohnfläche angemessen im Sinne des § 18 Abs. 2 WFNG NRW (vgl. zum Ganzen mittlerweile BSG, Urteil vom 16.05.2012 – B 4 AS 109/11 R = juris; so bereits SG Aachen, Beschluss vom 25.02.2010 – S 6 AS 205/10 ER). Für die Wohnung des Antragstellers sind ausweislich der Angaben im Mietvertrag mo-natlich 270,00 Euro Nettokaltmiete zu zahlen. Auf 50 m² umgerechnet, entspricht dies einem m²-Preis von 5,40 Euro. Dieser Mietzins ist unangemessen.

Was den räumlichen Vergleichsmaßstab angeht, so sieht die Kammer das Gebiet der Stadt Baesweiler als Vergleichsmaßstab an. Insbesondere handelt es sich bei diesem Vergleichsraum um einen ausreichend großen Raum vergleichbarer Wohnbebauung, der aufgrund seiner räumlichen Nähe, seiner Infrastruktur und seiner verkehrstechni-schen Verbundenheit einen insgesamt homogenen Lebens- und Wohnbereich bildet (zu dieser Voraussetzung etwa BSG, Urteil vom 19.02.2009 – B 4 AS 30/08 R; BSG, Urteil vom 17.12.2009 – B 4 AS 27/09 R = juris, Rdnr. 18).

Probleme bereitet für diesen räumlichen Vergleichsmaßstab jedoch der dritte Schritt, mithin die Beantwortung der Frage, wie viel auf dem Wohnungsmarkt der Stadt Baes-weiler für eine einfache Wohnung für eine Person aufzuwenden ist. Grundsätzlich ist diese Frage anhand eines überprüfbaren "schlüssigen Konzepts" zu beantworten, d.h. der Leistungsträger muss nicht nur ein Konzept haben, nach dem er die Referenzmiete bestimmt, sondern dieses Konzept muss zudem einer gerichtlichen Überprüfung standhalten (BSG, Urteil vom 22.09.2009 – B 4 AS 18/09 R = juris; BSG, Urteil vom 17.12.2009 – B 4 AS 27/09 R = juris Rdnr. 21).

Das Vorliegen eines solchen schlüssigen Konzeptes durch die Antragsgegnerin ist nicht ersichtlich. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass sie unter Beachtung des räumlichen Vergleichsmaßstabs systematisch am Wohnungsmarkt Mieten ermittelt und so ein schlüssiges Konzept erarbeitet hat (zu den näheren Anforderungen etwa BSG, Urteil vom 02.07.2009 – B 14 AS 33/08 R = juris; BSG, Urteil vom 17.12.2009 – B 4 AS 27/09 R = juris Rdnr. 26 ff.), zumal ein (qualifizierter) Mietspiegel für die Gemeinde Baesweiler nicht zur Verfügung steht.

Liegt ein schlüssiges Konzept nicht zu Grunde, so sind die tatsächlichen Aufwendungen des Hilfebedürftigen zu übernehmen, begrenzt jedoch durch die Tabellenwerte in § 8 des Wohngeldgesetzes (WoGG) alte Fassung (BSG, Urteil vom 22.09.2009 – B 4 AS 18/09 R = juris, Rdnr. 27). Dem entsprechend hat die Kammer auf die Höchstbeträge in § 12 Abs. 1 des WoGG in der ab dem 01.01.2009 geltenden Fassung i.V.m. der Anlage zu § 1 Abs. 3 der Wohngeldverordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Oktober 2001, zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung vom 15. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2486, WoGV) abgestellt. Danach ist für die Gemeinde Baesweiler die Mietenstufe II zu Grunde zu legen, deren Höchstbetrag bei einem Haushaltsmitglied 308,00 Euro monatlich beträgt.

Im Weiteren kann dahin stehen, ob die Tabellenwerte des WoGG um 10% zu erhöhen sind (so etwa LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 20.07.2012 – L 9 AS 117/11 = juris; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 21.11.2011 h – L 11 AS 1063/11 B ER = juris; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 07.12.2012 – L 3 AS 5600/11 = juris). Denn selbst unter Zugrundelegung dieser für den Antragsteller günstigen Auffassung ergäbe sich eine angemessene Bruttokaltmiete in Höhe von 338,80 Euro (308,00 Euro + 30,80 Euro) monatlich. Demgegenüber beträgt die vom Antragsteller geschuldete Bruttokaltmiete 430,00 Euro monatlich (270,00 Euro nettokalt + 160,00 Euro Betriebskostenvorschuss).

Zwar bestehen für die Kammer Zweifel, ob zu einer monatlichen Bruttokaltmiete von 338,80 Euro oder gar 308,00 Euro monatlich am Wohnungsmarkt des Vergleichsraumes ausreichend Wohnungen zur Verfügung stehen. Dies belegt eine vom Kammervorsitzenden durchgeführte Internet-Recherche, welche lediglich drei Wohnungen für die Stadt Baesweiler ergeben hat, die alle über der o.a. monatlichen Bruttokaltmiete liegen. Weiter belegt dies auch eine am 25.07.2013 eingeholte telefonische Auskunft des Jobcenters der Städteregion Aachen, welches auf Anfrage mitgeteilt hat, für Baesweiler seien derzeit keine freien Wohnungen in der Größenordnung bis 50 qm gelistet. Da jedoch die vom Kammervorsitzenden ermittelten freien Wohnungen in Baesweiler immer noch (deutlich) unter der vom Antragsteller derzeit geschuldeten Bruttokaltmiete liegen, erscheint es nicht gerechtfertigt im Sinne von § 36 Abs. 1 Satz 1 SGB XII, die aufgelaufenen Mietrückstände zu übernehmen. Mit der derzeitigen Wohnung werden also in absehbarer Zeit wesentlich höhere Mietrückstände auflaufen, als bei Anmietung einer der Wohnungen, die derzeit am Markt angeboten werden und dennoch die Werte der Wohngeldtabelle übersteigen. Angesichts des deutlichen Überschreitens der Angemessenheitsgrenze (und selbst des Wertes, zu dem Wohnungen in Baesweiler derzeit am Markt zu haben sind), ist der Antragsteller daher auf günstigeren Wohnraum zu verweisen. Überdies hast die Antragsgegnerin unter dem 26.07.2013 eine freie Wohnung für die Stadt Baesweiler aufgeführt, welche 48 qm groß ist und für eine Bruttokaltmiete von 307,00 Euro monatlich angemietet werden kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf analoger Anwendung von § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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