L 19 AS 2334/12 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 21 AS 3429/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 2334/12 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 31.10.2012 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Nach abgeschlossenem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes streitig ist ein Anspruch der Antragstellerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für die Durchführung des Antragsverfahrens mit dem Ziel einer Verpflichtung des Antragsgegners zur Übernahme offener Gas- und Stromschulden.

Die 1948 geborene Antragstellerin bezog bis zum Eintritt ihrer Altersrente im April 2013 ergänzend zu Einkünften aus einer Witwenrente Leistungen nach dem SGB II für Unterkunft und Heizung, die ihr zuletzt mit Bescheid vom 21.01.2013 bewilligt wurden. Die von der Antragstellerin bewohnte Wohnung wird mit Strom beheizt, eine der vier seit 2009 von der Antragstellerin genutzten und jeweils im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners gelegenen Wohnungen wurde mit Gas beheizt.

Am 27.08.2012 beantragte die Antragstellerin die Übernahme von Energiekostenrückständen für Strom- und Gaslieferungen als Darlehen. Sie sei ihren Zahlungsverpflichtungen nicht immer pünktlich nachgekommen und der Energieversorger sei "sicher auch nicht bereit, mir Ratenzahlungen einzuräumen". Die Klägerin reichte Abrechnungen und eine "Mahnung vor Versorgungseinstellung" vom 13.08.2012 ein, wonach Forderungen des Energieversorgers i.H.v. 2.280,14 EUR bestanden. Nach einer Erläuterung des Energieversorgers vom 23.08.2012 ist dieser Rückstand auf die Lieferung von Gas für die vormalige Wohnanschrift der Wohnung L-Straße 00 der Antragstellerin zurückzuführen.

Die Antragstellerin hatte darüber hinaus Rückstände aus Stromlieferungen für die vormalige Verbrauchsstelle M-weg 00, H i.H.v. 100,74 EUR, für die vormalige Verbrauchsstelle L 00, H i.H.v. 156,17 EUR und für die vormalige Verbrauchsstelle L-straße 00, H i.H.v. 19,60 EUR zu begleichen, so dass sich eine Gesamtforderung von 2.556,65 EUR ergebe.

Mit Bescheiden vom 06.09.2012 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Übernahme der Nachzahlung für Stromlieferungen und den Antrag auf ein Darlehen für die auf Gaslieferungen zurückzuführenden Schulden ab.

Gegen beide Bescheide hat die Antragstellerin anwaltlich vertreten am 12.09.2012 Widerspruch eingelegt sowie mit Antrag an das Sozialgericht vom 08.10.2012 die einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners begehrt, die Energiekostenrückstände bei ihrem Versorger zuschussweise, hilfsweise als Darlehen zu übernehmen. Der Versuch einer Ratenzahlungsvereinbarung mit dem Energieversorger sei gescheitert; es existiere kein gerichtlicher Titel gegen die Antragstellerin. Diese habe auch ihrerseits das Amtsgericht nicht angerufen.

Der Antragsgegner hat darauf hingewiesen, dass wegen der Gasschulden nur eine Sperrung der Gasversorgung in Betracht komme, die die Antragstellerin nicht betreffe, weil ihre aktuelle Wohnung mit Strom beheizt werde.

Mit Schreiben vom 29.10.2012 hat der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin angegeben, über die bereits bekannten Energiekostenschulden hinaus bestünden auch für die aktuell bewohnte Wohnung wieder Rückstände. Die Rückstände aus der Gasversorgung dürften auf eine der Antragstellerin nicht anzulastende Fehlablesung zurückzuführen sein. Eine Einstellung der Stromversorgung wegen der auf Gaslieferungen zurückzuführenden Rückstände dürfte nicht möglich sein. Die Klägerin habe dem mit einer Sperrung beauftragten Mitarbeiter des Energieversorgers am 24.10.2012 den Zutritt verweigert und erwarte nun die Zustellung eines Antrages des Energieversorgers auf Duldung der Einstellung im Wege der einstweiligen Anordnung.

Mit Beschluss vom 31.10.2012 hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung sowie den Antrag auf Bewilligung von PKH für das Antragsverfahren abgelehnt. Eine Übernahme der Energieschulden sei zur Behebung der Notlage nicht gerechtfertigt, die durch den Energieversorger angedrohte Sperrung sei rechtswidrig. Auf die Begründung des Beschlusses wird Bezug genommen.

Gegen den am 31.10.2012 zugestellten Beschluss richtet sich die gegen die Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von PKH gerichtete Beschwerde der Antragstellerin vom 30.11.2012. Eine Einstellung der Stromversorgung habe zweifelsfrei gedroht; der Energieversorger habe jedoch in der Zwischenzeit nichts mehr in Richtung auf eine Unterbrechung der Versorgung mit Strom unternommen.

Der Antragsgegner verweist auf die seiner Ansicht nach den Beschluss tragenden Gründe.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Zutreffend hat das Sozialgericht das Vorliegen hinreichender Erfolgsaussicht als Voraussetzung des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach §§ 73a SGG, 114 ZPO verneint.

Durchgängig fehlte es an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes nach § 86b Abs. 2 SGG im Sinne der Notwendigkeit einer gerichtlichen Regelung zur Vermeidung von im Hauptsacheverfahren nicht wieder rückgängig zu machenden schwerwiegenden Nachteilen.

Die mögliche Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruches sowohl auf Übernahme der Rückstände aus Gas- als auch aus Stromversorgung bildet § 22 Abs. 8 SGB II, obgleich Haushaltsenergie nicht den Kosten für Unterkunft und Heizung, vielmehr der Regelleistung zuzuordnen ist, was im Falle der Inanspruchnahme von Darlehen die Anwendung von § 24 Abs. 1 SGB II als Rechtsgrundlage zunächst nahelegt (vgl. Luik in Eicher SGB II, 3.Aufl., § 22 Rn. 244). Nach § 22 Abs. 8 SGB II können, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden, auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden (§ 22 Abs. 8 S. 4 SGB II). Nach den Gesetzesmaterialien zum inhaltsgleichen § 22 Abs. 5 SGB II a.F. sind Schulden, die übernommen werden können, auch Energieschulden (vgl. BT-Drs 16/688, S. 14). Dem systematischen Zusammenhang nach handelt es sich um Schulden, die Kosten der Unterkunft und/oder Heizung (KdU) betreffen, somit lediglich um Energierückstände von Heizung und Warmwasserversorgung. Wegen der vergleichbaren Notlage bei Energierückständen für sonstigen Haushaltsstrom, der nicht zu den KdU, sondern zur Regelleistung zählt (§ 20 Abs. 1 S. 1 SGB II) gehen Rechtsprechung und Literatur davon aus, dass auch solche Schulden im Rahmen von § 22 Abs. 8 SGB II übernommen werden können (vgl. z.B. LSG NRW Beschluss vom 18.07.2012 - L 7 AS 1256/12 B ER; Beschluss des Senats vom 15.06.2012 - L 19 AS 728/12 B ER; LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 13.03.2012 - L 2 AS 477/11 B ER; LSG Schleswig-Holstein Beschluss vom 13.01.2012 - L 3 AS 233/11 B ER; LSG Mecklenburg-Vorpommern Beschluss vom 29.09.2011 - L 8 B 509/09 ER; Berlit in LPK-SGB II, 4. Aufl. 2011 § 22 Rn 193 m. w. N.; Boerner in Löns/Herold-Tews, 3. Aufl. 2011 § 22 Rn 125 m. w. N.; Zusammenfassung in LSG NRW, Beschluss vom 13.05.2013, - L 2 AS 313/13 B ER).

Die Sperrung der Energieversorgung ist auch eine Notlage, die die Bewohnbarkeit der Wohnung der Antragstellerin insgesamt beeinträchtigt und die Notwendigkeit von Maßnahmen zur Sicherung der Unterkunft i.S.v. § 22 Abs. 8 SGB I (dem Grunde nach) erforderlich machen kann.

Ein Eingreifen des Grundsicherungsträgers - bzw. nachfolgend: der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit im einstweiligen Rechtsschutzverfahren - wird jedoch erst dann erforderlich, wenn zumutbare Möglichkeiten des Leistungsempfängers ergebnislos ausgeschöpft worden sind, eine Fortsetzung der Energielieferung aus eigenem Vermögen zu erreichen (vgl. hierzu LSG NRW Beschlüsse vom 20.08.2012 - L 2 AS 1415/12 B ER, 13.05.2013 - L 2 AS 313/13 B ER; 18.07.2012 - L 7 AS 1256/12 B ER; Beschluss des Senats vom 16.04.2012 - L 19 AS 556/12 B ER; LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 13.03.2012 - L 2 AS 477/11 B ER; LSG Schleswig-Holstein Beschluss vom 13.01.2012 - L 3 AS 233/11 B ER; LSG Berlin-Brandenburg Beschlüsse vom 23.09.2011 - L 14 AS 1533/11 B ER, 05.08.2011 - L 5 AS 1097/11 B ER m.w.N.; Berlit in LPK-SGB II, 4. Aufl. § 22 Rn 194).

Vor dem Hintergrund der Regelung in § 2 Abs. 1 SGB II, wonach die leistungsberechtigte Person alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen muss, sind zunächst sämtliche zur Verfügung stehenden Mittel und Möglichkeiten einzusetzen, bevor öffentliche Leistungen, wie hier die Gewährung eines Darlehens zur Schuldentilgung, in Anspruch genommen werden dürfen. Dies gilt in besonderem Maße für die Übernahme rückständiger Energiekosten, da der Leistungsträger sonst zum "Ausfallbürgen der Energieversorgungsunternehmen" würde (vgl. Hammel, info also 2011, 251, 253 m. w. N.). Das Risiko des Energieversorgers, die von ihm an seinen Kunden erbrachten Leistungen auch abgegolten zu erhalten, muss zunächst weitgehend im zugrundeliegenden zivilrechtlichen Rechtsverhältnis geklärt sein, bevor ein etwaiger Einstand des Leistungsträgers und damit eine Risikoüberleitung auf den Steuerzahler in Betracht kommt. Entsprechend hat der Leistungsberechtigte sich sowohl um Ratenzahlungsvereinbarungen mit dem bisherigen Energieversorger als auch um einen Vertragsabschluss mit einem anderen Stromanbieter zu bemühen (LSG NRW Beschluss vom 20.08.2012 - L 2 AS 1415/12 B ER; LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 13.03.2012 - L 2 AS 477/11 B ER; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 23.09.2011 - L 14 AS 1533/11 B ER). Letzteres gilt wegen des Kontrahierungszwangs des § 36 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes über die Elektrizitäts- und Gasversorgung vom 26.07.2011 (Energiewirtschaftsgesetz - EnWG - BGBl I, S. 1554) in besonderem Maße, wenn der Leistungsberechtigte die Möglichkeit hat, zu einem anderen Grundversorger (vgl. § 36 Abs. 2 S. 1 EnGW) zu wechseln. Zahlungsrückstände bei anderen Energielieferanten kann der Grundversorger dem Haushaltskunden nicht entgegenhalten (§ 2 Abs. 5 der Stromgrundversorgungsverordnung - StromGVV). Ebenfalls ist es dem Leistungsberechtigten regelmäßig zumutbar, sich im Zivilrechtsweg gegen eine angekündigte oder ausgeübte Stromsperre zu wenden (LSG NRW Beschlüsse vom 20.08.2012 - L 2 AS 1415/12 B ER, 13.05.2013 - L 2 AS 313/13 B ER m.w.N.; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 05.08.2011 - L 5 AS 1097/11 B ER), jedenfalls dann, wenn der Leistungsberechtigte Kenntnis von dieser Möglichkeit hat (LSG NRW Beschluss vom 08.10.2012 - L 12 AS 1442/12 B ER ) bzw. vom Leistungsträger diesbezüglich beraten und unterstützt wird (so LSG NRW Beschlüsse vom 18.07.2012 - L 7 AS 1256/12 B ER, 22.02.2012 - L 7 AS 1716/11 B, 15.10.2012 - L 7 AS 1730/12 B ER mit der Annahme einer Verpflichtung des Leistungsträgers insoweit; LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 13.03.2012 - L 2 AS 477/11 B ER; Berlit a.a.O. § 22 Rn 194).

Ob die Antragstellerin, deren Vortrag im Verfahrensverlauf gewechselt hat, ausreichende Anstrengungen unternommen hat, eine Ratenzahlungsvereinbarung mit ihrem Energieversorger zustande zu bringen, mag noch dahinstehen, da sie jedenfalls eine gerichtliche Klärung der Berechtigung ihres Energieversorgers, eine Sperrmaßnahme zu ergreifen, nicht herbeigeführt bzw. abgewartet hat, bevor sie sozialgerichtlichen Eilrechtsschutz in Anspruch nahm.

Gerade im vorliegenden Fall wäre ein zivilrechtliches Vorgehen bzw ein Abwarten, ob der Energieversorger zivilrechtlich vorgeht, aus den vom Sozialgericht bereits angeführten Gründen, auf die gemäß § 142 Abs. 2 S. 3 SGG Bezug genommen wird, auch erfolgversprechend gewesen. Die Hürden für Energieversorger, eine Liefersperre zivilrechtlich durchzusetzen, gelten als hoch ( Luik a.a.O. Rn. 251 m.w.N.). Für die Richtigkeit dieser Annahme spricht der weitere Verlauf des Verfahrens, in dem der Energieversorger ganz offensichtlich von einer Durchsetzung von Sperrmaßnahmen abgesehen und die Antragstellerin deshalb auch nicht Beschwerde gegen die Ablehnung ihres Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz eingelegt hat.

Kosten des Beschwerdeverfahrens nach Ablehnung von PKH sind gem. §§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 127 Abs. 4 ZPO nicht zu erstatten.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved