L 6 U 59/11

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 3 U 59/08
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 59/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird mit der Klarstellung zurückgewiesen, dass die Bandscheibenschäden in der Lendenwirbelsäule des Klägers - Höhenminderung bzw. fortgeschrittene Chondrose im Segment L3/4 sowie im Segment L5/S1, verbunden mit einem lokalen Lumbalsyndrom, pseudoradikulärer Schmerzausstrahlung und einem geringgradigen, sensiblen S1-Wurzelreizsyndrom - ab dem 1. August 2005 eine Berufskrankheit nach der Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung sind.

Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten für das Berufungsverfahren zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob bei dem Kläger eine Berufskrankheit nach der Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BK Nr. 2108) vorliegt.

Der Kläger ist am ... 1962 geboren. Von 1979 bis 1982 absolvierte er eine Lehre zum Baufacharbeiter und leistete anschließend bis Oktober 1983 seinen Wehrdienst. Zwischen November 1983 bis März 1990 arbeitete er im VEB W. D. Hier übte er nach eigenen Angaben zu 70 Prozent Fliesenverlegungsarbeiten sowie zu dem übrigen Teil Transporttätigkeiten aus. Auch anschließend war er - unterbrochen von einer knapp halbjährigen Arbeitslosigkeit - als Fliesenleger angestellt. Seit Mai 1993 war er als selbstständiger Fliesenleger tätig und hat hierbei u.a. 50 kg schwere Zementsäcke auf der Schulter getragen und abgesetzt. Von Mai 1996 bis Juli 2005 beschäftigte der Kläger ein bis drei Mitarbeiter, die überwiegend die Transportarbeiten durchführten. Nur an ca. 100 Arbeitstagen pro Jahr transportierte der Kläger nach eigenen Angaben über jeweils 50 bis 100 Meter zehn Fliesenpakete pro Tag (Gewicht 8 kg). Seit 1. August 2005 beschränkt sich der Kläger in seiner selbständigen Tätigkeit auf Baustellenkontrollen, Beratung und die Anfertigung von Angeboten. Wirbelsäulenbelastungen treten insoweit seitdem nicht mehr auf.

Die Präventionsabteilung der Beklagten kam im Laufe des Klageverfahrens zu dem Ergebnis, dass die Lebensdosis im Sinne der BK Nr. 2108 mit Sicherheit nicht unter 12,5 MNh, aber auch nicht über 25 MNh gelegen habe.

Eine Röntgenuntersuchung der Lendenwirbelsäule (LWS) am 30. August 1995 ergab eine Hyperlordose sowie eine nach links gerichtete Skoliose der LWS mit annähernd normal hohen Wirbelkörpern mit auffallenden Unregelmäßigkeiten an Deck- und Grundplatten sowie reaktiven Sklerosierungen. Es zeigten sich verschmälerte Zwischenwirbelräume in allen LWS-Segmenten bei primären Bandscheibenläsionen. Weiterhin wurde eine beginnende Spondylarthrose bei L5/S1 festgestellt. Dieses Bild wurde als degenerative Veränderung im Sinne einer Osteochondrosis intervertebralis eingestuft. Bei einer Röntgenaufnahme der Halswirbelsäule (HWS) am 27. Februar 1996 waren degenerative Veränderungen bei einer Osteochondrose intervertebralis bei C6/C7 bei primärer degenerativ bedingter Bandscheibenerniedrigung sowie beginnender Spondylarthrose im Segment zum Übergang zur Brustwirbelsäule (BWS) erkennbar.

Eine Röntgenuntersuchung der BWS und LWS am 23. Dezember 2004 belegte eine deutliche Fehlstellung mit erheblichen degenerativen Veränderungen mit deutlichen Bandscheibenschäden vom Lendenwirbelkörper 3 abwärts. Eine Röntgenaufnahme der HWS zeigte am 19. August 2004 eine deutliche Steilstellung bei Osteochondrose und Spondylose bei C5 bis C7 und eine deutliche Unkarthrose mit beginnenden Retrospondylophyten bei C5/6 beidseits. Bei einer Untersuchung des Orthopäden Dr. B. am 21. Juni 2005 gab der Kläger wiederkehrende Dysästhesien im LWS-Bereich an. Ein Magnetresonanztomogramm (MRT) der LWS am 7. Juli 2005 zeigte einen Zustand nach Morbus Scheuermann mit deutlichen knöchernen degenerativen Veränderungen ohne signifikante Spinalkanalstenose oder knöcherne Destruktionen. Es bestanden degenerativ veränderte Bandscheiben mit flachen NPP’en (Nukleus pulposus-Prolaps; Bandscheibenvorfälle) und knöchernen Abstützreaktionen bei L3/L4 und L4/L5.

Eine weitere MRT-Untersuchung der BWS am 10. April 2006 ergab keinen Hinweis auf eine knöcherne Enge des Spinalkanals oder Zeichen einer Myelopathie. Es bestanden mäßige degenerative Veränderungen im Sinne einer Osteochondrose und Spondylose insbesondere im mittleren Drittel.

Am 17. Februar 2006 wurde ein MRT der LWS gefertigt. Dieses zeigte insbesondere degenerative Veränderungen im Sinne einer Osteochondrose und Spondylose im Bereich der gesamten LWS insbesondere im mittleren und kaudalen Drittel mit Prolapsen i. H. v. L4/5 sowie L3/4 mit einem kräftigen Retrospondylophyten i. H. v. L5/S1. Im Vergleich zu den Aufnahmen von 2005 ergab sich nach Ansicht des Radiologen Dr. H. keine signifikante Änderung (Bl. 80 Verwaltungsakte [VA]).

Bei einer MRT-Untersuchung der LWS am 26. Januar 2007 wurde ein linksbetonter Retrospondylophyt in Höhe von L5/S1 sowie ein flacher, breitbasiger Prolaps i. H. v. L4/5 sowie ein weiterer Prolaps L3/4 festgestellt. Weiterhin bestanden eine deutliche Osteochondrose und Spondylose in sämtlichen lumbalen Übergängen, insbesondere im kaudalen LWS-Drittel. Zusammenfassend kam Dr. H. zu dem Ergebnis, dass im Vergleich zu den Voraufnahmen von Februar 2006 keine signifikante Veränderung festzustellen sei.

Unter dem 23. Februar 2007 stellte die Fachärztin für Physikalische und Rehabilitative Medizin Dipl.-Med. R. unter anderem die Diagnosen Fehlstatik der Wirbelsäule, Radikulärsyndrom bei L4, Osteochondrose der LWS, Morbus Scheuermann und Torsionsskoliose. Bezüglich der HWS berichtete sie über eine Cervikalneuralgie, ein Cervicobrachialsyndrom bei Spondylose, Osteochondrose sowie Arthrose.

Am 19. März 2007 beantragte der Kläger die Anerkennung einer Berufskrankheit. Die Beklagte zog einen ausführlichen Bericht des Städtischen Klinikums D. vom 29. Januar 2007 bei. Nach weiteren Ermittlungen beauftragte sie den Orthopäden Dr. O. mit einer gutachtlichen Stellungnahme. Dieser führte unter dem 29. Juli 2007 aus, es handele sich bei den beschriebenen Zwischenwirbelraumverschmälerungen um einen primär bandscheibenbedingte Körperschaden. Belastungsinduzierte Veränderungen an der Wirbelsäule ließen sich von den anlagebedingten Veränderungen und der lumbalen Skoliose mit knöcherner Abstützreaktion am Segment L3/4 nicht trennen. In dem abgelaufenen Morbus Scheuermann sei keine konkurrierende Ursache für bandscheibenbedingte Veränderungen zu sehen. Dies gelte jedoch nicht für reaktive Veränderungen i. S. einer Abstützreaktion bei Skoliose. Liege wie hier der Schwerpunkt der Bandscheibenveränderung belastungsfern im Bereich der BWS, deren bandscheibenbedingten Veränderungen nicht als belastungsabhängig akzeptiert würden, lasse sich eine Relation zwischen einer wirbelsäulenbelastenden Exposition und Bandscheibenveränderungen nicht wahrscheinlich machen. Damit sei hier das Gesamtschadensbild mit dem Schwerpunkt BWS nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit belastungsbedingt.

Mit Bescheid vom 12. Juli 2007 lehnte daraufhin der Rentenausschuss der Beklagten die Anerkennung der Wirbelsäulenveränderungen als BK Nr. 2108 ab. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und schilderte zur Begründung seine Arbeitstätigkeit. Weiterhin legte er ein Gutachten für eine private Berufsunfähigkeitsversicherung von Privat-Dozentin (Priv.-Doz.) Dr. F. - Ärztin für Orthopädie und Traumatologie - vor. Mit Widerspruchsbescheid vom 30. Juni 2008 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 15. Juli 2008 Klage erhoben und seinen bisherigen Vortrag wiederholt. Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Facharztes für Chirurgie, Unfallchirurgie, Sport- und Sozialmedizin Dr. S. Dieser hat nach einer ambulanten Untersuchung des Klägers am 18. März 2009 ausgeführt, die nachgewiesenen Veränderungen an den Bandscheiben erklärten sich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht als primäre Bandscheibenerkrankung, sondern als Veränderungen der Bandscheiben im Rahmen einer generalisierten anlagebedingten Erkrankung aller Komponenten der Wirbelsäule (Wirbelkörper, Zwischenwirbelräume, Wirbelgelenke). Dies gelte sowohl für die HWS als auch die LWS. Die Veränderungen an HWS, BWS und LWS gingen über das altersentsprechende Maß hinaus. Es liege kein sogenanntes belastungskonformes Schadensbild vor. Bei dem Kläger lägen Schäden der Deck- und Abschlussplatten in gleicher Weise in allen Segmenten vor. Die erheblichen Veränderungen im Segment L3/4 beträfen fast ausschließlich die rechte Seite, während die linke zumindest von spondylotischen Veränderungen betroffen sei. Warum bei dem Kläger die rechte Seite im Segment L3/4 in spektakulärer bildtechnischer Weise verändert sei, lasse sich letztlich nicht erklären. Sofern man die sogenannten Konsensempfehlungen heranziehe, lasse sich ein Zusammenhang ebenfalls nicht wahrscheinlich machen. Es läge die Konstellation B7 bzw. C2 vor, d. h. es bestehe ein Bandscheibenschaden mit Vorfall in mindestens einem Segment der LWS. Hier sei kein Konsens erzielt worden.

Das Gericht hat weiter Beweis erhoben gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Einholung eines Gutachtens von dem Facharzt für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin Prof. Dr. B.

In einem dazu gefertigten neurologischen Zusatzgutachten hat Dr. K. ausgeführt, dass der Kläger an einer degenerativen Veränderung der Wirbelsäule mit einer diskreten Sensibilitätsstörung im Dermatom S1 leide. Objektive Zeichen einer Wurzelschädigung habe er nicht gefunden. Auf neurologischem Fachgebiet sei aufgrund der diskreten Ausfälle noch keine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) abzuleiten. Zudem hat der Radiologe T. ein weiteres Zusatzgutachten für Prof. Dr. B. erstellt.

In seinem Hauptgutachten vom 30. März 2010 hat Prof. Dr. B. nach einer Darstellung der Arbeitstätigkeit des Klägers ausgeführt, dass dieser eine Gesamtdosis von 21,1 mal 106 Nh erreiche. Bei der zuletzt ausgeübten Tätigkeit von Mai 1996 bis Juli 2005 sei mit dem Transport der Fliesenpakete mit einem Lastgewicht von acht Kilogramm eine Druckkraft auf die untere Lendenwirbelsäulenbandscheibe von 2840 N verbunden. Damit sei der Richtwert des BSG für die Druckkraft von 2700 N überschritten, so dass auch diese zuletzt ausgeübte Tätigkeit als gefährdend eingestuft werden müsse. Dementsprechend habe der Kläger die gefährdende Tätigkeit erst im August 2005 unterlassen.

Der Gesundheitszustand des Klägers zum Zeitpunkt der Aufgabe der schädigenden Tätigkeiten im August 2005 könne man am besten mit dem MRT-Befund von Juli 2005 feststellen. Damals habe eine bisegmentale altersuntypische Bandscheibenschädigung der LWS vorgelegen. Insgesamt erfülle der Kläger die Kriterien der Fallkonstellation B2. Es lägen u.a. eine Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben vor.

Die Beklagte hat hierzu vorgetragen, dass das Fehlen einer Begleitspondylose zwar unstreitig sei. Jedoch liege eine konkurrierende Ursache im Segment L3/4 vor, da sich dort eine örtlich begrenzte Skoliose finden lasse. Zudem seien auch die Voraussetzungen der Konstellation B2 nicht gegeben, da das Vorliegen einer "black disc" an mindestens zwei angrenzenden Segmenten nicht festgestellt werden könne. Die Konstellation B2 liege damit nicht vor, sondern die Konstellation B3.

Weiter hat die Beklagte eine gutachterliche Stellungnahme der Fachärztin für Chirurgie, Unfallchirurgie und Chirotherapie Dr. H. zu dem Gutachten von Prof. Dr. B. vorgelegt. Diese wies darauf hin, dass die Höhenminderung im Segment L3/4 sowie im Segment L5/S1 durch die örtlich begrenzte Skoliose im Segment L3/4 sicherlich mit begünstigt worden sei. Dies zeige auch die asymmetrische Abstützreaktion. Eine Begleitspondylose, die ein ganz wichtiges Indiz für ein belastungskonformes Schadensbild sei, bestehe nicht. Auch die Konstellation B2 liege nicht vor. Es sei schon nicht zweifelsfrei zu verneinen, ob nicht konkurrierende Ursachenfaktoren vorlägen, weil sich wie dargelegt die asymmetrische Abstützreaktion im Segment L3/4 nur durch eine prädiskotische Deformität erklären ließe, auch wenn formal der erforderliche COBB-Winkel nicht zu bestätigen sei. Man könne diese Überbrückungsreaktion nicht einfach ignorieren. In der Konstellation B2 müsse dann in mindestens zwei angrenzenden Segmenten eine "black disc" vorhanden sein, d. h. es müsse auch noch ein Schaden an zwei Segmenten oberhalb des geschädigten Segmentes L5/S1 nachweisbar sein. Dies sei hier zweifelsfrei nicht der Fall. Erschwerend komme hinzu, dass bei dem Kläger in zwei Segmenten der HWS ebenfalls altersüberschreitende Veränderungen vorlägen. Insgesamt seien die Schäden in beiden Segmenten annähernd vergleichbar mit leichten "Vorteilen" für die LWS.

Mit Urteil vom 15. Juni 2011 hat das Sozialgericht den angefochtenen Bescheid der Beklagten in der Fassung des Widerspruchsbescheides aufgehoben und festgestellt, dass die LWS-Erkrankung des Klägers eine Berufskrankheit nach der BK Nr. 2108 sei. Zur Begründung hat es sich im Wesentlichen auf das Gutachten von Prof. Dr. B. gestützt.

Gegen die ihr am 29. Juni 2011 zugestellte Entscheidung hat die Beklagte am 18. Juli 2011 Berufung eingelegt und zur Begründung auf das Gutachten von Dr. S. und insbesondere die Ausführungen ihrer Beratungsärztin Dr. H. verwiesen. Hiermit habe sich das Sozialgericht nicht auseinandergesetzt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 15. Juni 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass seine Bandscheibenschäden in der LWS - Höhenminderung bzw. fortgeschrittene Chondrose im Segment L3/4 sowie im Segment L5/S1, verbunden mit einem lokalen Lumbalsyndrom, pseudoradikulärer Schmerzausstrahlung und einem geringgradigen, sensiblen S1- Wurzelreizsyndrom - ab dem 1. August 2005 eine Berufskrankheit nach der Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung sind.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und verweist auf die seiner Ansicht nach schlüssige Argumentation von Prof. Dr. B.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines arbeitsmedizinischen Gutachtens nach Aktenlage von Prof. Dr. S. Dieser hat unter dem 22. Februar 2012 darauf hingewiesen, dass unzweifelhaft und unstreitig bei dem Kläger eine bandscheibenbedingte Erkrankung vorliege und ebenso unzweifelhaft die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt seien. Bei dem Kläger liege eine Skoliose mit einem Winkel von 10 Grad vor. Nach den Konsensempfehlungen seien Skoliosen leichteren Grades (Winkel 10 bis 19 Grad) mit Scheitelpunkt oberhalb von L4/5 nicht als Prädisposition im Sinne einer wesentlichen Ursache eines Bandscheibenschadens anzusehen. Damit könne Dr. H. insoweit nicht gefolgt werden. Zudem könne ihr Ansatz nicht erklären, warum die Bandscheibe sowohl auf der Konkav- als auf der Konvexseite der Skoliose höhengemindert sei. Soweit Dr. H. für die Konstellation B2 von einem zwingenden Vorhandensein von "black discs" in mindestens zwei angrenzenden Segmenten ausgehe, sei dies nicht nachvollziehbar und mit dem Wortlaut der Konsensempfehlungen nicht vereinbar. Schäden an der HWS seien unstreitig geringer ausgeprägt als an der LWS. Hinzu komme, dass der Kläger im Rahmen seiner Tätigkeit auch Lasten auf der Schulter getragen habe. Dies erfülle zwar nicht die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die BK Nr. 2109; insoweit könne die HWS-Schädigung aber nicht als Gegenargument gegen eine berufliche Verursachung der LWS-Bandscheibenschäden herangezogen werden. Insgesamt stimme er dem Gutachten von Prof. Dr. B. zu. Die Höhenminderung bzw. fortgeschrittene Chondrose im Segment L3/4 sowie im Segment L5/S1, verbunden mit einem lokalen Lumbalsyndrom, pseudoradikulärer Schmerzausstrahlung und einem geringgradigen, sensiblen S1- Wurzelreizsyndrom seien auf die Berufskrankheit zurückzuführen.

Die Beklagte hat erneut eine Stellungnahme von Dr. H. vorgelegt, in der diese ihre bisherige Auffassung weiter begründete.

Der Berichterstatter hat unter dem 19. August 2012 darauf hingewiesen, dass die Ausführungen von Dr. H. nicht nachvollziehbar seien und hat dies näher ausgeführt. Daraufhin hat die Beklagte eine weitere Stellungnahme von Dr. H. vom 17. September 2012 vorgelegt. Sie hat ausgeführt, unter dem Begriff "mehrere Bandscheiben" habe die Konsensarbeitsgruppe mindestens drei Bandscheiben verstanden. Dies sei in der Konstellation B2 unsauber formuliert. Rein medizinisch gesehen sei eine Konstellation B2 mit einem bisegmentalen Befund nicht vereinbar. Hierzu hat sie auf Entscheidungen anderer Landessozialgerichte hingewiesen und eine zusätzliche Begutachtung durch Dr. G. angeregt.

Der Senat hat weiter eine ergänzende Stellungnahme des Orthopäden Prof. Dr. G. aus einem Parallelverfahren beigezogen.

Dem Gericht haben bei der mündlichen Verhandlung und der Entscheidung die Gerichtsakte sowie die Akte der Beklagten vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Die nach § 143 SGG statthafte, form- und fristgerecht erhobene (§ 151 Abs. 1 SGG) und auch ansonsten zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Der Bescheid der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides beschwert den Kläger im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, weil er vom 1. August 2005 (Aufgabe der schädigenden Tätigkeit) an einen Anspruch auf die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV hat.

Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) sind Berufskrankheiten Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung (BKV) mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleidet. Die näheren Einzelheiten zum Erlass der BKV regelt § 9 Abs. 1 Sätze 2 und 3 sowie Abs. 6 SGB VII.

Gemäß diesen Vorgaben lassen sich bei einer Listen-BK im Regelfall folgende Tatbestandsmerkmale ableiten, die ggf. bei einzelnen Listen-BKen einer Modifikation bedürfen: Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt (Einwirkungskausalität) und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 27. Juni 2006 - B 2 U 20/04 R - SozR 4-2700 § 9 Nr. 7). Ein Zusammenhang ist hinreichend wahrscheinlich, wenn nach herrschender ärztlichwissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen ihn spricht und ernste Zweifel an einer anderen Ursache ausscheiden (vgl. BSG, a. a. O.).

Voraussetzung für die Anerkennung der hier strittigen BK Nr. 2108 ist nach deren Tatbestand das Vorliegen bandscheibenbedingter Erkrankungen der LWS durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Danach müssen für die Feststellung einer BK Nr. 2108 folgende Kriterien erfüllt sein: Der Versicherte muss aufgrund seiner versicherten Tätigkeit langjährig schwere Lasten gehoben oder getragen bzw. Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung verrichtet haben, bei ihm muss eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS vorliegen, die durch diese beruflichen Einwirkungen entstanden ist, diese Erkrankung muss zum Unterlassen aller gefährdenden Tätigkeiten gezwungen haben und der Versicherte darf eine solche Tätigkeit tatsächlich nicht mehr ausüben (vgl. BSG, a.a.O.).

1. Der Kläger erfüllt zunächst die so genannten arbeitstechnischen Voraussetzungen, d. h. die im Sinne der BK Nr. 2108 erforderlichen Einwirkungen durch langjähriges schweres Heben und Tragen bzw. Arbeit in Rumpfbeugehaltung. Dies ergibt sich aus den vorliegenden Berechnungen der Präventionsabteilung der Beklagten und von Prof. Dr. B. zum Ausmaß der mechanischen Belastung nach dem Mainz-Dortmunder Dosismodell (MDD). Das MDD legt selber für die Belastung durch Heben und Tragen keine Mindestwerte fest, die erreicht werden müssen, damit von einem erhöhten Risiko von Bandscheibenschäden durch die berufliche Tätigkeit ausgegangen werden kann. Die auf Grund einer retrospektiven Belastungsermittlung für risikobehaftete Tätigkeitsfelder ermittelten Werte, insbesondere die Richtwerte für die Gesamtbelastungsdosis, sind nicht als Grenzwerte, sondern als Orientierungswerte oder -vorschläge zu verstehen. Von diesem Verständnis geht auch das aktuelle Merkblatt des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung zur BK Nr. 2108 aus, das für eine zusammenfassende Bewertung der Wirbelsäulenbelastung auf das MDD verweist (BArbBl 2006, Heft 10 S. 30 ff.) Danach sind zwar die arbeitstechnischen Voraussetzungen für eine BK Nr. 2108 zu bejahen, wenn die Richtwerte im Einzelfall erreicht oder überschritten werden; umgekehrt schließt aber ein Unterschreiten dieser Werte das Vorliegen der BK nicht von vornherein aus (vgl. BSG, a. a. O.).

Das BSG hat daher in seinen Entscheidungen vom 30. November 2008 (B 2 U 14/07 R und B 2 U 14/08 R, Juris) Modifizierungen zur Anwendung des MDD für notwendig erachtet. Der untere Grenzwert, bei dessen Unterschreitung nach gegenwärtigem Wissensstand ein Kausalzusammenhang zwischen beruflichen Einwirkungen und bandscheibenbedingter Erkrankung der LWS ausgeschlossen und deshalb auf einzelfallbezogene medizinische Ermittlungen verzichtet werden kann, ist auf die Hälfte des im MDD vorgeschlagenen Orientierungswertes für die Gesamtbelastungsdosis von 25 MNh, also auf 12,5 MNh, herabzusetzen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B. bestehen an der Erfüllung dieser arbeitstechnischen Voraussetzungen keine Zweifel. Dies hat die Präventionsabteilung der Beklagten bestätigt. Dem schließt sich der Senat an.

2. Die Bandscheibenschäden in der Lendenwirbelsäule des Klägers - Höhenminderung bzw. fortgeschrittene Chondrose im Segment L3/4 sowie im Segment L5/S1, verbunden mit einem lokalen Lumbalsyndrom, pseudoradikulärer Schmerzausstrahlung und einem geringgradigen, sensiblen S1-Wurzelreizsyndrom - sind ab dem 1. August 2005 als Berufskrankheit nach BK Nr. 2108 anzuerkennen.

In der medizinischen Wissenschaft ist allerdings anerkannt, dass Bandscheibenschäden und Bandscheibenvorfälle insbesondere der unteren LWS in allen Altersgruppen, sozialen Schichten und Berufsgruppen vorkommen. Sie sind von multifaktorieller Ätiologie. Da diese Bandscheibenerkrankungen ebenso in Berufsgruppen vorkommen, die während ihres Arbeitslebens keiner schweren körperlichen Belastung ausgesetzt waren, genauso wie in solchen, die wie der Kläger auch schwere körperliche Arbeiten geleistet haben, kann allein die Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen im Sinne des MDD die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines wesentlichen Kausalzusammenhanges nicht begründen (vgl. Merkblatt zu der BK Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV, BArbBl. 2006, Heft 10 S. 30 ff.). Im Hinblick auf die Schwierigkeiten der Beurteilung des Ursachenzusammenhanges bei der BK Nr. 2108 war die medizinische Wissenschaft gezwungen, weitere Kriterien zu erarbeiten, die zumindest in ihrer Gesamtschau für oder gegen eine berufliche Verursachung sprechen. Diese sind niedergelegt in den medizinischen Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der LWS, die als Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung auf Anregung der vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften eingerichteten interdisziplinären Arbeitsgruppe anzusehen sind (vgl. Trauma und Berufskrankheit Heft 3/2005, Springer Medizin Verlag, S. 211 ff.). Weder der Sachverständige Dr. S. noch der Sachverständige Prof. Dr. B. noch Prof. Dr. S. noch die Beklagte haben einen neueren, von den Konsensempfehlungen abweichenden Stand der wissenschaftlichen Diskussion zu den bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS aufgezeigt. Der Senat geht daher davon aus, dass diese nach wie vor den aktuellen Stand der nationalen und internationalen Diskussion zur Verursachung von Bandscheibenerkrankungen der LWS durch körperliche berufliche Belastungen darstellen (vgl. auch BSG, Urteil vom 27. Oktober 2009 - B 2 U 16/08 R -, zitiert nach Juris, und Urteil vom 27. Juni 2006 - B 2 U 13/05 R - in SozR 4-2700 § 9 Nr. 9). Zur Gewährleistung einer im Geltungsbereich der gesetzlichen Unfallversicherung gleichen und gerechten Behandlung aller Versicherten begegnet es daher keinen Bedenken, wenn die befassten Gutachter und die Sozialgerichtsbarkeit diese Konsensempfehlungen anwenden.

Der Senat kann sich daher nicht dem Gutachten von Dr. O. anschließen, der diese Konsensempfehlungen nicht erwähnt. Es lässt sich zudem in tatsächlicher Hinsicht nicht feststellen, dass der Schwerpunkt der Bandscheibenveränderung im Bereich der BWS liegt, weshalb die Argumentation von Dr. O. auch unabhängig davon ins Leere geht. Wie in dem radiologischen Zusatzgutachten von Dr. T. ausgeführt wird, zeigte sich in der MRT-Aufnahme der BWS vom 10. April 2006 kein Nachweis einer Chondrose oder einer Retrospondylose und auch keine Protrusio oder ein Vorfall (vergl. Seite 8 seines Gutachtens). Ausdrücklich hat dieser Radiologe ausgeführt, die Chondrosen und Vorfälle an der LWS seien stärker ausgeprägt als im Vergleich zur BWS (Seite 12 seines Gutachtens). Ergänzend hat Prof. Dr. B. darauf hingewiesen, dass die Röntgenbilder der BWS vom 23. Dezember 2004 überhaupt keine Bandscheibenschädigung in Form einer Chondrose gezeigt hätten (Anlage 3, Seite 5).

Ebenso nicht überzeugend ist das Gutachten von Dr. S., der altersuntypische Veränderungen nur im Segment L3/L4 sowie im Bereich der HWS bei C5 bis C7 annimmt (vergl. Seite 19 seines Gutachtens = 60 GA). Auch dies konnte Dr. T. nicht bestätigen. Dieser stellte zum einen atypische Bandscheibenverschmälerungen in den Segmenten L3/L4 und L5/S1 fest. Zudem konnte dieser radiologische Zusatzgutachter im MRT der LWS vom 20. Juli 2005 zusätzlich einen altersuntypischen Bandscheibenprolaps bei L5/S1 sowie im MRT vom 26. Januar 2007 einen altersuntypischen Bandscheibenprolaps bei L3/L4 feststellen. Eine von oben nach unten zunehmende Intensität der Bandscheibenschädigung ist nach den Konsensempfehlungen nicht erforderlich, worauf Prof. Dr. B. zutreffend hinweist.

Auch ist der Bandscheibenschaden an der HWS schwächer ausgeprägt als an der LWS (vgl. Gutachten Dr. T. S. 12). Sogar die Beratungsärztin der Beklagten Dr. H. geht von Schäden mit leichten "Vorteilen" für die LWS aus. Daher ist das Gutachten von Dr. S. bereits insoweit nicht überzeugend, als das es für die angenommene Konstellation B7 von gleich stark ausgeprägten Bandscheibenschäden an HWS und LWS ausgeht. Auffällig ist bereits, dass Dr. S. insoweit die Schäden an der HWS und LWS nicht vergleicht, sondern undifferenziert über Schäden an diesen Wirbelsäulenabschnitten berichtet.

Unverständlich ist, dass Dr. S. unter Verweis auf die Konstellation B7 einen Zusammenhang ablehnt, denn in diesem Fall besteht ein Zusammenhang. Die Konstellation B7 ist in den Konsensempfehlungen wie folgt beschrieben: "Wie Konstellation B1, aber mit Bandscheibenschaden an der HWS, der gleich stark ausgeprägt ist wie an der LWS. Beurteilung: Zusammenhang wahrscheinlich (Grenzfall).

Umgekehrt überzeugen die Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. S. sowie das Gutachten von Prof. Dr. B.

Die bei dem Kläger durch diese Sachverständigen festgestellten Veränderungen der Wirbelsäule stellen eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS im Sinne der BK Nr. 2108 dar. Unabdingbare, aber nicht hinreichende Voraussetzung für den Nachweis einer bandscheibenbedingten Erkrankung ist nach den Konsensempfehlungen unter Punkt 1.3 der bildgebende Nachweis eines altersuntypischen Bandscheibenschadens, d. h. einer Höhenminderung der Bandscheibe (= Chondrose) bzw. eines Bandscheibenvorfalls. Dies ist hier der Fall.

Hinzu treten muss nach den Konsensempfehlungen eine damit korrelierende klinische Symptomatik. Erforderlich ist ein Krankheitsbild, das über einen längeren Zeitraum andauert, also chronisch oder zumindest chronisch wiederkehrend ist, und das zu Funktionseinschränkungen führt, die eben eine Fortsetzung der genannten Tätigkeit unmöglich machen. Erforderlich sind daher ein bestimmtes radiologisches Bild sowie ein damit korrelierendes klinisches Bild (vgl. das aktuelle Merkblatt zur BK Nr. 2108 sowie die Konsensempfehlungen Punkt 1.3). Auch dies ist hier nach dem neurologischen Gutachten von Dr. K. der Fall; dies ist für den Senat überzeugend. Die Diagnosen Dr. K.s stehen im Einklang mit der Zusammenfassung des Orthopäden Dr. B., der bereits nach der Behandlung am 21. Juli 2005 eine deutliche linksbetonte lumboischialgieforme Beschwerdesymptomatik feststellte.

Unter Zugrundelegung der Konsensempfehlungen (Punkt 1.4) handelt es sich im Falle des Klägers nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B. in seinem Gutachten vom 30. August 2010 um die Konstellation B2.

Danach muss folgendes Bild bestehen:

es liegt eine gesicherte bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS vor,

es besteht eine plausible zeitliche Korrelation zur Entwicklung der bandscheibenbedingten Erkrankung (z. B. ausreichende Exposition muss der Erkrankung vorausgehen; Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs nimmt mit der Länge des Zeitraums zwischen Ende der Exposition und erstmaliger Diagnose der Erkrankung ab),

die bandscheibenbedingte Erkrankung betrifft L5/S1 und/oder L4/5,

Chondrose Grad II oder höher und/oder Vorfall,

wesentliche konkurrierende Ursachenfaktoren (wie z. B. eine relevante Skoliose) liegen nicht vor,

eine Begleitspondylose liegt nicht vor,

zusätzlich mindestens 1 der folgenden Kriterien erfüllt:

Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben - bei monosegmentaler/m Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/5 "black disc" im MRT in mindestens zwei angrenzenden Segmenten

Besonders intensive Belastung; Anhaltspunkt: Erreichen des Richtwertes für die Lebensdosis in weniger als 10 Jahren

Besonderes Gefährdungspotential durch hohe Belastungsspitzen; Anhaltspunkt: Erreichen der Hälfte des MDD-Tagesdosis-Richtwertes durch hohe Belastungsspitzen (Frauen ab 4,5 kN, Männer ab 6 kN).

Etwas abweichend kommt Prof. Dr. S. zu dem Ergebnis, dass hier die Konstellation B4 vorliege, bei der ebenfalls ein Zusammenhang bejaht wird. Diese hat die gleichen Voraussetzungen wie die Konstellation B2, hinzu kommt aber ein

Bandscheibenschaden an der HWS, der schwächer ausgeprägt ist als an der LWS.

Da die Konstellation B 4 gegenüber derjenigen bei B2 lediglich ein zusätzliches Abgrenzungskriterium enthält und dieses nach der überzeugenden Beurteilung Prof. Dr. S.s zu Gunsten das Klägers einzuschätzen ist, kommt es auf die genaue Unterscheidung der Konstellationen nicht an, zumal auch Prof. Dr. B. unter Bezugnahme auf das radiologische Zusatzgutachten urteilt, der Bandscheibenschaden an der HWS sei nicht (einmal) gleich stark ausgeprägt wie an der LWS.

a) Das Vorliegen einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS ist zwischen den Beteiligten unstreitig; dies bejahen alle behandelnden und alle gutachterlich tätigen Ärzte. Dem schließt sich der Senat an.

b) Eine plausible zeitliche Korrelation zwischen beruflicher Belastung und Entwicklung der bandscheibenbedingten Erkrankung ist hier zu bejahen. Dabei kommt es nicht darauf an, wann der Kläger erstmals auf den Rücken bezogene Beschwerden geschildert hat, denn diese können genauso muskulär bedingt sein. Entscheidend ist die zeitliche Korrelation zwischen der nachgewiesenen Erkrankung und der Exposition. Im Falle des Klägers ist diese gegeben, da er bei Erstmanifestation im Dezember 2004 bereits rund 25 Jahre lang wirbelsäulenbelastend tätig gewesen war und die Gesamtbelastungsdosis nach Ansicht von Prof. Dr. B. nach dem MDD sich bis zu diesem Zeitpunkt auf ca. 21,16 MNh (so sein Gutachten auf S. 9) bzw. nach Ansicht der Präventionsabteilung der Beklagten zumindest mit Sicherheit nicht unter 12,5 MNh lag.

c) Die bandscheibenbedingte Erkrankung betrifft das Segment L5/S1.

d) An diesem Segment besteht eine Chondrose Grad II.

e) Wesentliche konkurrierende Ursachenfaktoren sind nach übereinstimmender Einschätzung der Sachverständigen nicht bekannt. Insbesondere die Skoliose stellt keine solche dar. Nach den Konsensempfehlungen sind die Skoliosen nach ihrem Schweregrad entsprechend dem röntgenologisch ermittelten Skoliosewinkel nach COBB einzuteilen. Bei einem Winkel von 10-19° entsprechend einer leichtgradigen Skoliose stellt sie keine konkurrierende Ursache dar. Eine solche nur geringe Skoliose liegt hier mit einem Winkel von 10° vor, wie Prof. Dr. S. und Prof. Dr. B. betonen. Auch Dr. H. hat eingeräumt, dass "formal" der erforderliche COBB-Winkel nicht zu bestätigen sei.

Auch der Morbus Scheuermann stellt keine konkurrierende Ursache für die bandscheibenbedingten Veränderungen dar, wie bereits Dr. O. ausgeführt hat. In den Konsensempfehlungen wird hierzu ausgeführt: Nur für den seltenen Fall einer lumbalen Lokalisation des Morbus Scheuermann mit Keilwirbelbildung und Abweichung von mindestens 10° ist es nach Expertenmeinung plausibel, dass bei Vorliegen einer solchen Erkrankung anlagebedingte biomechanische Überlastungen wirksam werden, so dass eine individuelle Bewertung erforderlich ist (Konsensempfehlungen, a.a.O. S. 244). Eine solche Erkrankung verneint Prof. Dr. B. ausdrücklich (vgl. S. 44 = Bl. 153 GA); Einwände hiergegen sind weder ersichtlich noch vorgetragen.

f) Eine Begleitspondylose liegt nach Einschätzung aller Mediziner nicht vor; dem schließt sich der Senat an.

g) Als zusätzliches Kriterium der Fallgruppe B2 liegt hier eine Höhenminderung im Sinne einer Chondrose Grad II bei L5/S1 und L3/4 - also an zwei Segmenten - vor. Auch diese Schäden ergeben sich aus den Gutachten von Prof. Dr. S. und Prof. Dr. B. sowie dem radiologischen Gutachten von Dr. T. Hieran zweifeln auch die Beklagte und ihre Beratungsärztin nicht.

Im Gegensatz zu der Beklagten ist der Senat mit den Sachverständigen Prof. Dr. B. und Prof. Dr. S. auch davon überzeugt, dass die in den Konsensempfehlungen niedergelegte herrschende medizinisch-wissenschaftliche Lehre damit schlüssig und ohne innere Widersprüche formuliert worden ist. Danach reicht der Befall zweier Bandscheiben der LWS mit einer zweitgradigen Chondrose als Krankheitsbild aus, wenn auch einer der unteren Abschnitte betroffen ist.

Der Wortlaut der Konsensempfehlungen spricht von "mehreren Bandscheiben"; damit ist ein Befall von mindestens zwei Bandscheiben gemeint. Würde unter Befall von "mehreren Bandscheiben" ein solcher von mindestens drei Bandscheiben verstanden, wäre der bisegmentale Bandscheibenschaden von der Konsensusgruppe nicht geregelt worden, wovon nicht auszugehen ist (so auch die Urteile des Sächsischen LSG vom 21. Juni 2010 - L 2 U 170/08 LW, LSG Berlin-Brandenburg 19. Januar 2012 - L 2 U 24/09 ZVW, jeweils zitiert nach Juris). Es ist angesichts der Vielzahl von Autoren auszuschließen, dass nur eine mono- und die tri- bzw. mehrsegmentale Chondrose geregelt wurde.

Der Senat kann sich daher nicht der Ansicht des Hessischen Landessozialgerichts (27.03.2012, L 3 U 81/11; genauso LSG Bayern, 20.08.2009, L 2 U 330/07 Rn. 31) anschließen. Dieses hat ausgeführt (Rn. 38 a.a.O.): "Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. u. a. Urteil vom 18. August 2009 - L 3 U 202/04 - juris) sind mit "mehreren" Bandscheiben mindestens drei gemeint. Für diese Auslegung spricht schon die Systematik der in den Konsensempfehlungen definierten Fallkonstellationen. Alle B-Konstellationen gehen schon von einer Lokalisation der bandscheibenbedingten Erkrankung bei L5/S1 und/oder L4/L5 aus, also an einer oder zwei Bandscheiben. In der B1 Konstellation muss sodann die Begleitspondylose als Positivkriterium hinzukommen, um einen Zusammenhang wahrscheinlich zu machen. In der B2 Konstellation wird das Fehlen der Begleitspondylose durch die dort genannten Zusatzkriterien ersetzt, so dass mit "mehreren" Bandscheiben über die in den B-Konstellationen grundsätzlich vorausgesetzten Veränderungen hinausgehend mindestens drei betroffene Bandscheiben gemeint sind."

Wenn richtigerweise in allen B-Konstellationen eine Erkrankung an einer oder zwei Bandscheiben vorausgesetzt wird und es kommt etwas dazu, so muss das Ergebnis nicht eine Erkrankung an drei Bandscheiben sein. Systematisch und vom Wortlaut her liegt es sogar näher, dass ein monosegmentaler Schaden genügt, wie es auch nach Ansicht des LSG Hessen der Grundfall in allen B-Konstellationen und aufgrund der ausdrücklichen Nennung auch in der Konstellation B2 sein kann. Demgegenüber wäre es nach der Rechtsprechung des LSG Bayern im Hinblick auf die Abschichtung des Einstiegstatbestandes völlig beliebig, ob einer oder beide unteren Abschnitte der LWS von höhergradigen Chondrosen oder Vorfällen betroffen sind. Dafür kann der Senat mit den vorgenannten Sachverständigen keinen wissenschaftlichen Ansatz zu erkennen.

Im Ergebnis müssten nach dieser hier abgelehnten Ansicht bei einer bisegmentalen Höhenminderung der unteren LWS zusätzlich eine "black disc" in mindestens zwei angrenzenden Segmenten vorliegen, d.h. Krankheitserscheinungen an insgesamt vier Segmenten. Bei einer monosegmentalen Chondrose müssten nur drei Segmente verändert sein. Wenn die Auffassung der Beklagten zuträfe, wäre für den Senat nicht verständlich, dass dann nicht wenigstens die Voraussetzung eines "black disc" in mindestens zwei angrenzenden Segmenten auf eine einzige zu reduzieren ist. Schlüssiger erscheint es dem Senat mit den Sachverständigen allerdings, zwei schwere Befunde (Chondrose bzw. Vorfall) genügen zu lassen und dann von der Forderung nach einer "black disc" als radiologisch auffällige Erscheinung abzusehen. Die Chondrose ist nach den Konsensempfehlungen Ausgangspunkt für die Beurteilung als Berufskrankheit; eine "black disc" kann aber nach den diesen Empfehlungen schon bei geringgradigen Bandscheibendegenerationen im Sinne einer nur magnetresonanztomograpisch feststellbaren Veränderung vorliegen (a.a.O. S. 220).

Dieser Sprachgebrauch in den Konsensempfehlungen wird auch an anderer Stelle unter 2.1.14 (Persistierende Wirbelbogenspalten) deutlich, wenn ausgeführt wird, dass "bei der Spina bifida [ ] der Bogenschluss eines oder mehrerer Wirbel ausbleibt." Ähnlich wird unter 2.1.5 Skoliosen ausgeführt, dass "durch dieses Fehlwachstum einzelner oder mehrerer Wirbel es zu deren Drehung" kommt. Auch hier wird nur zwischen einem und mehreren Schadensorten unterschieden, d.h. ein Schaden an zwei Wirbeln als Schaden an mehreren Segmenten betrachtet. Von einem bisegmentalen Schaden wird in den Konsensempfehlungen an keiner Stelle gesprochen.

Im Übrigen werden die Konsensempfehlungen sowohl von Prof. Dr. S. als auch von Prof. Dr. B. in ihren Gutachten in dieser Weise verstanden. Dies ist nicht unerheblich, da beide Mitautoren dieser Empfehlungen sind. Wie sich aus der beigezogenen Stellungnahme des Orthopäden Prof. Dr. G. aus einem Parallelverfahren ergibt, teilt auch dieser - an der Entwicklung der Konsensempfehlungen ebenfalls beteiligte - Orthopäde die Bewertung der sachverständigen Arbeitsmediziner Prof. Dr. B. und Prof. Dr. S., eine "black disc" sei bei einer bisegmentalen Höhenminderung nicht mehr erforderlich.

Es kommt daher auf die Frage, ob bei dem Kläger eine besonders intensive Belastung oder ein besonderes Gefährdungspotential durch hohe Belastungsspitzen vorgelegen hat, nicht an.

3. Letztlich hat die bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS auch zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können, wie Prof. Dr. B. überzeugend ausführt. Der hier bei der BK Nr. 2108 geforderte Unterlassungszwang setzt laut dem BSG in der Regel voraus, dass die Tätigkeiten, die zu der Erkrankung geführt haben, aus arbeitsmedizinischen Gründen nicht mehr ausgeübt werden sollen und der Versicherte die schädigende Tätigkeit und solche Tätigkeiten, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich sein können, tatsächlich aufgegeben hat, wobei es auf das Motiv des Versicherten nicht ankommt (ständige Rspr., vgl. Urteil des BSG vom 19. August 2003 - B 2 U 27/02 R -, zitiert nach Juris). Hier ist der Kläger seit dem 1. August 2005 nicht mehr wirbelsäulengefährend tätig. Ab diesem Datum waren die Bandscheibenveränderungen daher als Berufskrankheit anzuerkennen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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