L 18 AS 1572/13 B PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 117 AS 24393/12
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AS 1572/13 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 15. Mai 2013 wird zurückgewiesen.

Gründe:

Die Beschwerde des Klägers ist nicht begründet; das Sozialgericht (SG) hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) zu Recht abgelehnt.

Die erhobene und statthafte isolierte Anfechtungsklage gegen den Absenkungsbescheid des Beklagten vom 11. Juni 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. September 2012 hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (vgl § 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG – iVm § 114 Zivilprozessordnung – ZPO -).

Der Sanktionsbescheid begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. Er ist hinreichend bestimmt (vgl § 33 Abs. 1 SGB X). Die erforderliche Anhörung (vgl § 24 SGB X) ist erfolgt. Der Bescheid vom 11. Juni 2012 war auch im Übrigen gemäß § 31 Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) rechtmäßig und der Beklagte berechtigt, damit gemäß § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB) X den ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 11. April 2012 nach § 48 Abs. 1 SGB X für den Leistungszeitraum vom 1. Juli 2012 bis 30. September 2012 zu ändern.

Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 iVm §§ 31a Abs. 1 Satz 1, 31b SGB II wird das Arbeitslosengeld II in einer ersten Stufe um 30 vH der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 SGB II maßgeblichen Regelleistung abgesenkt, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigert, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit nach § 16d SGB II oder eine mit einem Beschäftigungszuschuss nach § 16e SGB II geförderte Arbeit aufzunehmen, fortzuführen oder deren Anbahnung durch sein Verhalten verhindert, ohne hierfür einen wichtigen Grund zu haben (vgl § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II).

Der Kläger hat durch sein Verhalten die Anbahnung eines Arbeitsverhältnisses verhindert, ohne hierfür einen wichtigen Grund zu haben. Die angeführten gesundheitlichen Gründe sind weder ausreichend dargelegt noch ansatzweise substanziiert worden. Letztlich erhellt aus dem Vorbringen des Klägers im Widerspruchs- und Klageverfahren, dass er die angebotene Arbeitsgelegenheit wegen des aus seiner Sicht sittenwidrigen Entgelts iHv 5,30 EUR pro Stunde und auch deshalb abgelehnt hat, weil sie nicht seiner früher erworbenen Qualifikation entsprochen haben soll. Auch dies stellt indes keinen wichtigen Grund dar. Denn eine Sittenwidrigkeit iS eines Lohnwuchers ist vorliegend – worauf das SG zutreffend hingewiesen hat – jedenfalls nicht erkennbar. Es gilt daher § 10 Abs. 1 Satz 1 SGB II, wonach dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen grundsätzlich jede Arbeit zumutbar ist.

In der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG), auf die das Bundessozialgericht (BSG) bereits im Hinblick auf die Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung Bezug genommen hat (vgl BSG, Urteil vom 13. April 2011 – B 14 AS 98/10 R = SozR 4-4200 § 16 Nr 7 mit Bezugnahme auf BAG, Urteil vom 26. September 2007 – 5 AZR 857/06 = AP Nr 3 zu § 16 SGB II), ist geklärt, wann Lohnwucher und Sittenwidrigkeit iSv § 138 Bürgerliches Gesetzbuch vorliegen (vgl etwa BAG, Urteil vom 22. April 2009 – 5 AZR 436/08 = BAGE 130, 338-346), nämlich grundsätzlich (erst) dann, wenn die Arbeitsvergütung nicht einmal zwei Drittel des in der betreffenden Branche oder Wirtschaftsregion üblicherweise gezahlten Tariflohns erreicht. Abzustellen ist dabei auf das tarifliche Regelentgelt, nicht aber auf sonstige tarifliche Zulagen, Zuschläge und Leistungen. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die tatsächlichen Voraussetzungen eines Lohnwuchers im Falle der angebotenen Arbeitsgelegenheit vorlagen, sind jedoch nicht ersichtlich. Bereits aus dem "Tarifspiegel Niedrigentgelte für Berlin und Brandenburg" – Stand März 2013 - des Gemeinsamen Tarifregisters Berlin und Brandenburg der Senatsverwaltung für Arbeit, Frauen und Integration (www.berlin.de/sen/arbeit/tarifregister) erhellt, dass in der Zeitarbeitsbranche für einfache Tätigkeiten mit Einweisung, zB für Hilfskräfte, tarifliche Stundenentgelte von 7,50 EUR gezahlt werden. Das dem Kläger in Aussicht gestellte Stundenentgelt von 5,30 EUR übersteigt damit zwei Drittel dieses Entgelts. Auch für Bürokräfte allgemein ist in Berlin von einem Durchschnittsgehalt iHv 1.323,48 EUR monatlich auszugehen (vgl www.gehalt-tipps.de/Gehaltsvergleich/Gehalt/Buerokraft/6971/berlin/1678/); auch insoweit überstieg das dem Kläger angebotene Entgelt iHv 900,- EUR die 2/3-Schwelle.

Der Kläger ist auch zutreffend und vollständig über die Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung belehrt worden. Der 14. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat hierzu im Anschluss an die Rechtsprechung des 4. Senats des BSG (BSGE 102, 201 = SozR 4-4200 § 16 Nr 4 und Urteil vom 17. Dezember 2009 - B 4 AS 30/09 R = SozR 4-4200 § 31 Nr 3 Rn 19) durch Urteil vom 18. Februar 2010 (- B 14 AS 53/08 R = BSGE 105, 297 = SozR 4-4200 § 31 Nr 5 RdNr 17 ff) im Einzelnen dargelegt, dass die Festsetzung von Sanktionen nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II voraussetzt, dass der Hilfebedürftige über die Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung konkret, verständlich, richtig und vollständig belehrt worden ist. Dabei kommt es auf den objektiven Erklärungswert der Belehrung an. Sämtliche in § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr 1 SGB II genannten Sanktionstatbestände setzen voraus, dass der Hilfebedürftige über die Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung belehrt worden ist. Die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Rechtsfolgenbelehrung orientieren sich dabei an den vom BSG zum Arbeitsförderungsrecht entwickelten Grundsätzen. Schon die Gesetzesbegründung knüpft hieran an, indem sie darauf verweist, dass die Rechtsfolgenbelehrung nach § 31 Abs. 1 SGB II die Funktion haben soll, dem Hilfebedürftigen in verständlicher Form zu erläutern, welche unmittelbaren und konkreten Auswirkungen auf seinen Leistungsanspruch die in § 31 Abs. 1 SGB II genannten Pflichtverletzungen haben werden. Die Belehrung soll zeitlich vor der Pflichtverletzung liegen. Im Hinblick auf die Sperrzeittatbestände hat das BSG entschieden, dass die Rechtsfolgenbelehrung als Voraussetzung für ihre Wirksamkeit konkret, richtig, vollständig und verständlich sein und dem Arbeitslosen zeitnah im Zusammenhang mit einem Arbeitsangebot zutreffend erläutern muss, welche unmittelbaren und konkreten Auswirkungen auf seinen Leistungsanspruch eine unbegründete Arbeitsablehnung haben kann. Dabei hat das BSG auch den zwingenden formalen Charakter der Rechtsfolgenbelehrung betont und dies aus dem übergeordneten sozialen Schutzzweck abgeleitet, den Arbeitslosen vor den Folgen einer Pflichtverletzung zu warnen (vgl BSGE 53, 13, 15 = SozR 4100 § 119 Nr 18 S 87 mwN). Der Warnfunktion der Rechtsfolgenbelehrung kommt im Bereich des SGB II noch eine größere Bedeutung zu als im Bereich der Arbeitsförderung. Dies folgt nicht zuletzt aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 9. Februar 2010 (1 BvL 1/09, 3/09 und 4/09), in der das BVerfG betont hat, dass das SGB II insgesamt der Realisierung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums iS des Art 1 Abs 1 iVm Art 210 Abs 1 Grundgesetz (GG) diene. Die zeitlich vor der Pflichtverletzung erteilte Rechtsfolgenbelehrung des Beklagten in dem Vermittlungsvorschlag vom 1. März 2012 entspricht diesen Vorgaben. Sie ist inhaltlich richtig, vollständig und weist klar auf die drohenden Rechtsfolgen bei einer Weigerung der Arbeitsaufnahme hin.

Kosten sind im PKH-Beschwerdeverfahren kraft Gesetzes nicht zu erstatten (vgl § 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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