L 15 SF 241/12 B

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
15
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 6 SF 169/11 E
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 SF 241/12 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Kostenbeschluss
Leitsätze
Die Vergütung, die die Staatskasse dem beigeordneten Rechtsanwalt schuldet, darf nicht von vornherein auf den Restbetrag reduziert werden, der neben den Zahlungen des erstattungspflichtigen Gegners noch offen erscheint eine solche Vorabkürzung ist im Gesetz nicht vorgesehen. Zahlungen des erstattungspflichtigen Gegners sind vielmehr allein nach §§ 58 und 59 RVG abzuwickeln.
Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 15. Oktober 2012 aufgehoben. Die Kostenfestsetzung der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle beim Sozialgericht Augsburg vom 12. Mai 2011 wird dahin abgeändert, dass die Vergütung gemäß dem Antrag des Beschwerdeführers vom 24. Februar 2011 festgesetzt wird. Der Beschwerdeführer erhält weitere 214,20 EUR.

Gründe:

I.

Das Beschwerdeverfahren betrifft die aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung nach §§ 45 ff. RVG.

Der Beschwerdeführer vertrat den damaligen Kläger in einem arbeitsförderungsrechtlichen Klageverfahren vor dem Sozialgericht Augsburg (S 7 AL 105/09), wobei er diesem im Rahmen der Prozesskostenhilfe (PKH) beigeordnet worden war. Das Verfahren endete in der mündlichen Verhandlung am 22.12.2010 durch Prozessvergleich. Dabei wurde vereinbart, dass die beklagte Bundesagentur für Arbeit die notwendigen außergerichtlichen Kosten zur Hälfte trägt. Am 03.02.2011 zahlte die Bundesagentur für Arbeit in Ausführung der Kostenregelung des Prozessvergleichs 526,22 EUR an den Beschwerdeführer; das entsprach dem Betrag, den dieser als zu erstattende außergerichtliche Kosten veranschlagt hatte.

Unter dem Datum 24.02.2011 beantragte der Beschwerdeführer, die Vergütung nach §§ 45 ff. RVG auf insgesamt 766,84 EUR festzusetzen. Von den 526,22 EUR, die seitens der Bundesagentur für Arbeit erstattet worden waren, "setzte" er 169,22 EUR für die Vergütung nach §§ 45 ff. RVG ein, indem er diesen Betrag von 766,84 EUR subtrahierte. Die verbleibende Differenz von 597,62 EUR wollte er vom Freistaat Bayern geleistet erhalten.

Die Urkundsbeamtin beim Sozialgericht Augsburg schloss sich in ihrer Kostenfestsetzung vom 12.05.2011 dem Antrag des Beschwerdeführers insofern an, als sie sämtliche von diesem veranschlagten Vergütungskomponenten - und zwar auch in der veranschlagten Höhe - berücksichtigte. Die Anrechnung der Zahlungen der Bundesagentur für Arbeit nahm sie jedoch anders vor, als es der Beschwerdeführer getan hatte: Wegen der im Prozessvergleich getroffenen Kostenregelung sprach sie nur die Hälfte der errechneten 766,84 EUR zu, also 383,42 EUR. Die am 20.05.2011 eingelegte Erinnerung, mit der die Vergütungsfestsetzung so wie ursprünglich beantragt begehrt worden ist, hat die Kostenrichterin beim Sozialgericht Augsburg mit Beschluss vom 15.10.2012 als unbegründet zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 26.10.2012 eingelegte Beschwerde.

Der Senat hat die Akte des Sozialgerichts S 7 AL 105/09 beigezogen.

II.

Zuständig für die Entscheidung über die Beschwerde ist zwar prinzipiell der Einzelrichter (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG). Jedoch entscheidet wegen grundsätzlicher Bedeutung der hier vorliegenden Angelegenheit gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG der Senat als Gesamtspruchkörper. Ehrenamtliche Richter wirken nicht mit (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 8 Satz 3 RVG).

Die zulässige Beschwerde ist in vollem Umfang begründet. Der Beschwerdeführer hat nicht nur im Ergebnis Recht; auch der von ihm vorgetragenen Begründung schließt sich der Senat an.

Die Anrechnungstechnik des Sozialgerichts mag bei undifferenzierter Betrachtung "vernünftig" erscheinen. Mit der Gesetzeslage stimmt sie nicht überein. Falsch ist schon der gedankliche Ausgangspunkt, Leistungen der PKH würden nur insoweit erbracht, als die Erstattung der außergerichtlichen Kosten durch die Gegenseite Deckungslücken hinterlässt. Damit wird die Subsidiarität der PKH fehlinterpretiert. Zwar besteht in der Tat eine Subsidiarität der PKH, die im weitesten Sinn Sozialhilfeleistung ist. Diese wird aber im Rahmen der Prüfung, ob die wirtschaftlichen Voraussetzungen erfüllt sind, berücksichtigt. Für eine Manifestation der Subsidiarität im Leistungsrecht, so wie es das Sozialgericht praktiziert hat, fehlt jede rechtliche Grundlage.

Wie der Senat im Beschluss vom 08.05.2013 - L 15 SF 104/12 B ausgeführt hat, ist das Leistungsrecht im Bereich der PKH weitgehend gesetzlich vorprogrammiert; die Leistungen werden in § 122 ZPO (alle im Folgenden genannten ZPO-Vorschriften sind über § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG anwendbar) und §§ 45 ff. RVG grundsätzlich unveränderbar festgelegt. Eine Dispositionsfreiheit der Staatskasse unter Einbeziehung von Vernunfts-, Zweckmäßigkeits- oder gar Sparsamkeitserwägungen existiert nicht.

PKH ist ohne Einschränkung bewilligt worden (wobei nicht einmal bei einer Teilbewilligung von PKH die Vergütung von vornherein nur entsprechend dieser Quote ausbezahlt werden dürfte). Nach der gesetzlichen Struktur erwirbt der beigeordnete Rechtsanwalt einen gesonderten Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse, der zu dem gegen den Mandanten hinzutritt. Mit der Beiordnung und den entsprechenden anwaltlichen Tätigkeiten entstehen gegen die Staatskasse also eigene Vergütungsansprüche (es erfolgt kein Schuldbeitritt der Staatskasse, geschweige denn eine Schuldübernahme), die von der Wahlanwaltsvergütung unabhängig sind. Der Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse nach §§ 45 ff. RVG muss auch vom Kostenerstattungsanspruch gegen den Prozessgegner streng unterschieden werden. Denn Schuldner und Gläubiger innerhalb der beiden Rechtsverhältnisse sind unterschiedlich. Dass § 126 Abs. 1 ZPO dem Rechtsanwalt die Befugnis gibt, seine Vergütung von dem in die Prozesskosten verurteilten Gegner im eigenen Namen beizutreiben, ändert daran nichts; denn diese Beitreibung betrifft nur die Wahlanwaltsvergütung, also diejenige Vergütung, die aus dem Anwaltsvertrag mit dem Mandanten gegen diesen entstanden ist. Die Wahlanwaltsvergütung darf bei Bewilligung von PKH zwar nicht mehr gegen den Mandanten selbst durchgesetzt werden (vgl. § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO), die Verpflichtung des Prozessgegners zur Kostenerstattung - auf der Basis der Wahlanwaltsvergütung - bleibt jedoch davon unberührt (vgl. § 123 ZPO). Schon diese generellen Erwägungen verbieten es, die Zahlungen des Prozessgegners, hier also der Bundesagentur für Arbeit, als Erfüllung der Vergütungsforderung gegen den Freistaat Bayern anzusehen. Vor allem darf die Quote der Kostenerstattung durch den Prozessgegner nicht auf die Vergütung nach §§ 45 ff. RVG übertragen werden.

Hinzu kommt, dass das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz das Zusammentreffen eines Anspruchs nach §§ 45 ff. RVG mit einem Kostenerstattungsanspruch gegen den Prozessgegner spezifisch regelt. Aus § 58 Abs. 2 RVG ergibt sich zwar, dass Zahlungen - zu denen auch der hier von der Bundesagentur für Arbeit entrichtete Betrag von 526,22 EUR gehört - durchaus auf den Vergütungsanspruch nach §§ 45 ff. RVG angerechnet werden müssen. Die Obliegenheit, Zahlungen Dritter zu Gunsten der Staatskasse einzusetzen, wird unterstrichen durch § 59 Abs. 1 RVG: Hat die Staatskasse geleistet, bevor der Prozessgegner die von ihm zu erstattenden außergerichtlichen Kosten gezahlt hat, geht der Kostenerstattungsanspruch gegen den Prozessgegner auf die Staatskasse über. Im hier vorliegenden Fall ist § 59 Abs. 1 RVG allerdings nicht einschlägig, weil die Bundesagentur für Arbeit zuerst gezahlt hat. Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass die Staatskasse grundsätzlich anrechnungsbefugt ist.

Das Sozialgericht hat jedoch übersehen, dass die Zahlung zunächst bei der Wahlanwaltsvergütung (die für die Kostenerstattung durch den Prozessgegner maßgebend ist) zu berücksichtigen ist, soweit diese die Vergütung nach §§ 45 ff. RVG übersteigt. Das führt letztlich dazu, dass die 526,22 EUR, die die Bundesagentur für Arbeit entrichtet hat, in der Tat zunächst für die Geschäftsgebühr für das Widerspruchsverfahren zu verwenden sind. Denn die Geschäftsgebühr, die für das Betreiben des Widerspruchsverfahrens entstanden ist, gehört zu den notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers. Das Argument des Sozialgerichts, das Widerspruchsverfahren sei nicht von der PKH-Bewilligung erfasst, geht ins Leere; gleichwohl - oder besser gerade deshalb - muss die Zahlung der Bundesagentur für Arbeit primär dafür eingesetzt werden. Das entspricht dem Berechnungsschema, wie es bei Hartmann, Kostengesetze, 42. Auflage 2012, § 58 Rn. 7, dargestellt ist. Dieses hat zwar auch die Kostenrichterin herangezogen; sie hat aber den Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse fälschlicher Weise vorher halbiert.

Wendet man § 58 Abs. 2 RVG korrekt an, erhält man exakt den Vergütungsbetrag, den der Beschwerdeführer beansprucht.

Das Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG).

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).
Rechtskraft
Aus
Saved