L 9 SO 15/12

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Lübeck (SHS)
Aktenzeichen
S 31 SO 116/10
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 9 SO 15/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Rechtsgrundlage für die Heranziehung zu einem Kostenbeitrag vom Ausbildungsgeld bei stationärer Unterbringung im Rahmen der Eingliederungshilfe ist § 88 Abs. 1 Satz 2 SGB XII.

2. § 88 Abs. 2 SGB XII ist weder entsprechend noch vom Rechtsgedanken her heranzuziehen.

3. Es ist sachgerecht, Bezieher von Ausbildungsgeld hinsichtlich eines Kostenbeitrages ungleich zu behandeln zu Beziehern von Hilfe zum Lebensunterhalt und Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsunfähigkeit.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 10. Januar 2012 wird zurückgewiesen. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Eingliederungshilfe ohne Berücksichtigung eines Kostenbeitrages.

Der am -. - 1994 geborene Kläger leidet an einem hirnorganischen Psychosyndrom, einer dissozialen Persönlichkeitsstörung, Polytoxikomanie und Hepatitis. Nachdem er zunächst im Haus B der V Heime in L- im Rahmen der Eingliederungshilfe nach dem Sozialgesetzbuch, Zwölftes Buch (SGB XII), stationär untergebracht war, wechselte er im März 2008 in die Wohnanlage A der V Heime. Der Beklagte übernahm mit Bescheid vom 5. März 2008 die Kosten auch dieser vollstationären Unterbringung. Mit Bescheid vom 16. September 2008 erfolgte die Weiterbewilligung für den Zeitraum vom 1. September 2008 bis zum 31. August 2009.

Der Kläger war in der Zeit vom 2. Juni 2009 bis zum 1. September 2009 im Eingangsbereich und vom 2. September 2009 bis 1. September 2010 im ersten Berufsbildungsjahr der V Werkstätten tätig und auf einem Arbeitsplatz in der Tischlerei beschäftigt. Hierfür erhielt er ein Ausbildungsgeld in Höhe von 62,00 EUR monatlich in der Zeit vom 2. Juni 2009 bis 1. Juni 2010 sowie in Höhe von 73,00 EUR in der Zeit vom 2. Juni 2010 bis 1. September 2011.

Mit Bescheid vom 30. Juni 2009 setzte der Beklagte einen Kostenbeitrag für die vollstationäre Unterbringung und Betreuung für die Zeit vom 2. Juni 2009 bis 30. Juni 2009 in Höhe von 29,97 EUR fest sowie für die Zeit vom 1. Juli 2009 bis zum 31. Au-gust 2009 in Höhe von monatlich 31,00 EUR. Gegen diesen Bescheid legte der Betreuer des Klägers am 23. Juli 2009 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 28. April 2010, zugestellt am 4. Mai 2010, zurückgewiesen wurde.

Der Kläger hat am 2. Juni 2010 Klage vor dem Sozialgericht Lübeck erhoben und vorgetragen, das Ausbildungsgeld sei ihm in voller Höhe zu belassen, denn er habe Anspruch auf das soziokulturelle Existenzminimum. Das Ausbildungsgeld sei bei Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII nicht als Einkommen zu berücksichtigen. Dementsprechend könne es auch im Rahmen der Eingliederungshilfe nicht als Kostenbeitrag gefordert werden. Das Ausbildungsgeld müsse als Einkommen aus nichtselbstständiger Tätigkeit berücksichtigt werden, um eine Ungleichbehandlung mit den behinderten Menschen auszuschließen, die im Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen beschäftigt seien. Nach § 82 Abs. 3 SGB XII sei das Arbeitsförderungsgeld von vornherein vom Einkommen abzusetzen und darüber hinaus noch ein Achtel des Eckregelsatzes zuzüglich 25 % des diesen Betrag übersteigenden Arbeitsentgeltes. Zumindest sei aber der Schutzgedanke aus § 88 Abs. 2 SGB XII heranzuziehen mit der Folge, dass lediglich 21,09 EUR abzugsfähig seien.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 30. Juni 2009 in Form des Widerspruchsbescheides vom 28. April 2010 aufzuheben und dem Kläger die auf seinen Antrag vom 24. Juni 2009 hin gewährten Leistungen gemäß §§ 43, 53, 54 SGB XII ohne Anrechnung des Ausbildungsgeldes als Kostenbeitrag zu gewähren.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat sich auf die Gründe der angegriffenen Bescheide bezogen.

Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 10. September 2010 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt B , F-, bewilligt.

Es hat mit Urteil vom 10. Januar 2012 die Klage abgewiesen und ausgeführt, der Kläger sei zu einem Kostenbeitrag in der geforderten Höhe heranzuziehen. Das Ausbildungsgeld stelle Einkommen im Sinne des § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XII dar. Nach § 88 Abs. 1 Satz 2 SGB XII könne im angemessenen Umfang die Aufbringung der Mittel verlangt werden. Daher sei die Heranziehung des Klägers zu dem geforderten Kostenbeitrag rechtmäßig. Weder § 82 Abs. 3 SGB XII noch § 88 Abs. 2 SGB XII stünden der Heranziehung zu dem geforderten Kostenbeitrag entgegen. Diese Vorschriften seien nicht einschlägig und könnten daher nicht angewandt werden. Auch eine entsprechende Anwendung von § 88 Abs. 2 SGB XII sei nicht möglich. Das die Berufung zulassende Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 27. Januar 2012 zugestellt.

Der Kläger hat am 15. Februar 2012 Berufung eingelegt und vorgetragen, neben Taschengeld sei das Ausbildungsgeld sein einziges Einkommen. Daher belaste ihn eine Anrechnung von 31,00 EUR als Kostenbeitrag erheblich. Außerdem werde er ungebührlich benachteiligt, denn Grundsicherungsbezieher erhielten das Ausbildungsgeld in voller Höhe, wohingegen ihm das Ausbildungsgeld gekürzt werde. Dafür gebe es keinen sachlichen Grund. Zumindest sei bei der Ermessensausübung in § 88 Abs. 1 Satz 2 SGB XII zu berücksichtigen, dass hier eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung vorliege, so dass die Ermessensreduzierung auf Null gerechtfertigt sei. Dies folge daraus, dass jedenfalls in § 88 Abs. 2 SGB XII gesetzgeberisch eine reduzierte Beteiligung im Rahmen des Kostenbeitrages gewollt sei. Dieser Rechtsgedanke müsse auch bei dem Ausbildungsgeld und einem Kostenbeitrag im Rahmen der Eingliederungshilfe angewandt werden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 10. Januar 2012 und den Bescheid des Beklagten vom 30. Juni 2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28. April 2010 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm dem Kläger Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch, Zwölftes Buch, ohne Anrechnung des Ausbildungsgeldes zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist darauf, dass der Kläger nicht in einer anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen arbeite, so dass ein sachlicher Grund gegeben sei, das Ausbildungsgeld hier als Einkommen anzurechnen. Eine Ungleichbehandlung zu den in der Werkstatt Beschäftigten bestehe nicht, denn auch diese würden zu den Kosten der stationären Betreuung gemäß § 88 Abs. 2 SGB XII herangezogen.

Der Senat hat mit Beschluss vom 20. Juni 2013 den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt B , F-, abgelehnt und ausgeführt, das Sozialgericht habe zutreffend entschieden, Rechtsgrundlagen, das Ausbildungsgeld anrechnungsfrei zu belassen, seien hier nicht einschlägig. Den dahingehenden Entscheidungen lägen Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt und der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII zugrunde. Hier gehe es aber um Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII. Da der Beklagte die Kosten der vollstationären Unterbringung und Betreuung des Klägers in den V Heimen übernehme, sei es geboten, dass er das Ausbildungsgeld auch in der geforderten Höhe einsetze.

Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 29. Februar 2012 und vom 8. März 2012 ihr Einverständnis zur Entscheidung durch den Einzelrichter erklärt.

Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf die Gerichts- und Beiakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Berichterstatter konnte gemäß § 155 Abs. 3, Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als Einzelrichter entscheiden, nachdem die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt hatten.

Die Berufung ist zulässig, denn das Sozialgericht hat diese in dem Urteil vom 10. Ja-nuar 2012 gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.

Die Berufung ist aber nicht begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 10. Januar 2012 und die angegriffenen Bescheide verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten und können daher nicht aufgehoben werden.

Die Heranziehung des Klägers zu einem Kostenbeitrag für den Monat Juni 2009 in Höhe von 29,97 EUR sowie für die Zeit vom 1. Juli 2009 bis zum 31. August 2009 in Höhe von monatlich 31,00 EUR ist rechtmäßig gemäß § 88 Abs. 1 Satz 2 SGB XII. Zwecks Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf die ausführliche und zutreffende Begründung im angegriffenen Urteil gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen und auf die Gründe des Beschlusses des Senats vom 20. Juni 2013.

Lediglich im Hinblick auf das Vorbringen im Berufungsverfahren ist hervorzuheben:

§ 82 Abs. 3 SGB XII ist für den hier betreffenden Fall keine Rechtsgrundlage. Diese Vorschrift regelt lediglich die Absetzung vom Einkommen bei der Hilfe zum Lebensunterhalt und Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Hier werden aber keine Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt und der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung geleistet. Aus diesem Grunde sind auch die zu dieser Vorschrift ergangenen Entscheidungen nicht zu berücksichtigen, wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat.

Ebenso kann § 88 Abs. 2 SGB XII nicht herangezogen werden. Diese Vorschrift regelt Absetzungen vom Einkommen bei "einer entgeltlichen Beschäftigung". Eine solche liegt hier nicht vor. Für die Anwendung von § 88 Abs. 2 SGB XII entsprechend oder als Rechtsgedanke ist hier ebenfalls kein Raum. Der Gesetzgeber hat den hier vorliegenden Fall in § 88 Abs. 1 Satz 2 SGB XII geregelt. Eine Lücke liegt somit nicht vor. Der entsprechenden Heranziehung einer anderen Vorschrift oder des Rechtsgedankens aus einer anderen Vorschrift bedarf es daher nicht.

Nach § 88 Abs. 1 Satz 2 SGB XII soll in angemessenem Umfang die Aufbringung der Mittel verlangt werden, wenn eine Person für voraussichtlich längere Zeit Leistungen in einer stationären Einrichtung bedarf. Dies trifft hier zu, wie das Sozialgericht ausgeführt hat. Somit ist das Ausbildungsgeld des Klägers als Kostenbeitrag zu berücksichtigen, und es ist nicht zu beanstanden, dass hier die Hälfte des Ausbildungsgeldes angerechnet wird (vgl. ebenso: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 22. Februar 2001 – 12 L 3923/00 – zu der identischen Vorschrift des Bundessozialhilfegesetzes; vgl. ebenso Verwaltungsgericht Magdeburg, Urteil vom 10. Oktober 2011 – 4 A 110/11 –). Eine Ermessensreduzierung, wie der Prozessbevollmächtigte des Klägers meint, ist hier nicht ersichtlich, wie das Sozialgericht ebenfalls zutreffend ausgeführt hat.

Im Übrigen liegt auch keine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber den in einer Werkstatt für behinderte Menschen bereits Beschäftigten vor. Es ist vielmehr sachgerecht, Auszubildende anders zu behandeln als diejenigen, die bereits in einer Werkstatt arbeiten. Auch ein geringeres Ausbildungsgeld dient noch als Anreiz, die Ausbildung fortzuführen, denn als weiterer Anreiz besteht nach Beendigung der Ausbildung die Chance, in der Werkstatt als Beschäftigter aufgenommen zu werden. Der Motivation zur Durchführung und Fortführung einer Ausbildung dient daher nicht nur das Ausbildungsgeld, sondern auch eine abgeschlossene Ausbildung, die es ermöglicht, das Erlernte in einem Arbeitsverhältnis oder in einer Werkstatt anzuwenden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG zuzulassen, sind nicht ersichtlich. Hierzu hat der Senat bereits in seinem Beschluss vom 20. Juni 2013 hinsichtlich der Zulassung der Berufung durch das Sozialgericht Stellung genommen.

-
Rechtskraft
Aus
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