S 15 KR 142/12

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 15 KR 142/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid der Beklagten vom 14.03.2012 in der Gestalt des Wider- spruchsbescheides vom 03.05.2012 wird aufgehoben, soweit soweit dieser bei der Festsetzung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung die dem Kläger gewährte Aufwandsentschädigung als Kreistagsabgeordneter berücksichtigt. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers trägt die Beklagte.

Tatbestand:

Streitig ist die Berücksichtigung der dem Kläger gezahlten Aufwandsentschädigung als Kreistagsabgeordneter bei der Bemessung der Beiträge zur Kranken- und Pflege-versicherung.

Der Kläger ist seit dem 01.05.2010 freiwilliges Mitglied der Beklagten und als Selbstständiger ohne Anspruch auf Krankengeld versichert. Neben seiner selbstständigen Tätigkeit als Rechtsanwalt ist er als Kreistagsabgeordneter (Fraktionsvorsitzender) des Kreises XY tätig und hat hierfür für die Zeit vom 01.01. bis zum 31.12.2010 eine Brutto-Aufwandsentschädigung in Höhe von 18.763,20 EUR erhalten. Ausweislich des Einkommensteuerbescheides 2010 wurden hiervon 15.817,- EUR als Einkünfte aus anderer selbstständiger Tätigkeit der Besteuerung zugrundegelegt.

Mit Bescheid vom 14.03.2012 setzte die Beklagte – auch im Namen der Pflegekasse – die Beiträge ab dem 01.01.2012 auf 644,52 EUR monatlich neu fest (KV: 569,93 EUR, PV: 74,59 EUR). Für den Zeitraum vom 01.05.2010 bis zum 31.12.2010 wurden die Beiträge auf insgesamt 609,38 EUR monatlich und für den Zeitraum vom 01.01.2011 bis zum 31.12.2011 auf insgesamt 625,55 EUR monatlich festgesetzt und eine Nachforderung in Höhe von 5.175,39 EUR errechnet. Die Beklagte führte aus, Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche Tätigkeiten nach § 14 Abs. 1 Satz 3 SGB IV i.V.m. § 3 Nr. 12 EStG würden nach den Beitragsverfahrensgrundsätzen nicht zur Beitragsberechnung herangezogen, soweit diese steuerfrei seien. Sei das Einkommen steuerpflichtig, so müsse es für die Beitragsberechnung herangezogen werden. Aus diesem Grund würden die Einnahmen aus dem Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2010 herangezogen.

Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch mit der Begründung, das sozialversicherungs-relevante Einkommen sei fehlerhaft berechnet worden. Für den Zeitraum vom 01.05.2010 bis zum 31.12.2010 habe er Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit in Höhe von 31.308,- EUR erzielt. Die Aufwandsentschädigung sei kein Verdienstausfall und unterliege nicht der Beitragspflicht. Eine andere Beurteilung widerspräche dem Sinn der Aufwandsent-schädigung, finanzielle Nachteile durch die Mandatsausübung auszugleichen und Bürger zur Übernahme eines kommunalpolitischen Mandats anzuregen.

Diesen Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 03.05.2012 – auch im Namen der Pflegekasse – als unbegründet zurück. Im Wesentlichen wurde ausgeführt, für freiwillige Mitglieder werde die Beitragsbemessung einheitlich durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen geregelt (§ 240 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Dieser habe entsprechende Regelungen in den Beitragsverfahrensgrundsätzen Selbstzahler getroffen. Als beitragspflichtige Einnahmen seien das Arbeitsentgelt, das Arbeitseinkommen, der Zahlbetrag der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung, der Zahlbetrag der Versorgungsbezüge sowie alle Einnahmen und Geldmittel, die für den Lebensunterhalt verbraucht würden oder verbraucht werden könnten, ohne Rücksicht auf ihre steuerliche Behandlung zugrunde zu legen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler). Als Nachweis der Einnahmen seien nur amtliche Nachweise – in der Regel Steuerbescheide – anzuerkennen. Wenn entsprechende Nachweise noch nicht vorhanden seien, sei eine vorläufige Einstufung zulässig, die von vorneherein auf Ersetzung durch den endgültigen Verwaltungsakt angelegt sei und daher keine Bindungswirkung entfalte. Nach Beibringung eines amtlichen Nachweises erfolge die endgültige Einstufung nach den Einnahmen aus dem vorgelegten Nachweis, die rückwirkend zugrunde zu legen seien. Der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2010 sei somit Grundlage der Beitragsfestsetzung mit Wirkung ab 01.05.2010. Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche Tätigkeiten nach § 14 Abs. 1 Satz 3 SGB IV i.V.m. § 3 Nr. 12 EStG würden nicht zur Beitragsberechnung herangezogen, soweit diese steuerfrei seien. Der steuerpflichtige Teil unterfalle jedoch der Beitragspflicht, da jedenfalls diese Einnahmen für den Lebensunterhalt verbraucht werden könnten. Zur Beitrags-berechnung seien daher die Einkünfte aus der freiberuflichen Tätigkeit und die – steuerpflichtigen – sonstigen Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit heranzuziehen. Da beitragspflichtige Einnahmen oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze erzielt worden seien, sei diese der Beitragsbemessung zugrundezulegen (§ 223 Abs. 3 SGB V, § 55 Abs. 2 SGB XI).

Hiergegen richtet sich die am 14.05.2012 erhobene Klage. Der Kläger vertritt die Auffassung, es bestünden ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der im angefochtenen Bescheid erfolgten Festsetzung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung. Bei der Anwendung von § 3 Abs. 1 der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler handele die Antragsgegnerin offensichtlich fehlerhaft. Bei den Beitragsverfahrensgrundsätzen Selbstzahler handele es sich um eine bloße Interpretation des § 240 Abs. 2 Satz 1 SGB V, wonach mindestens die Einnahmen zu berücksichtigen seien, die bei einem vergleichbaren versicherungspflichtig Beschäftigten der Beitragsbemessung zugrunde zu legen seien. Es sei allgemein anerkannt, dass Mitglieder kommunaler Vertretungen unentgeltlich nach freier, nur durch Rücksicht auf das Gemeinwohl bestimmter Gewissensüberzeugung tätig seien und daher nicht in einem von Abhängigkeit geprägten Arbeitsverhältnis ständen und insoweit keine sozialrechtlich relevante Tätigkeit ausübten. Somit bestehe für diese auch keine Beitragspflicht zur gesetzlichen Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung. Die vom Kreis Heinsberg für die Kreistagsmitglieder gezahlten Aufwandsentschädigungen stellten lediglich einen Ersatz für entstandene Aufwendungen dar, so dass es sich hierbei nicht um Einnahmen handele, die er zum Lebensunterhalt verbrauche oder verbrauchen könne. § 14 Abs. 1 Satz 3 SGB IV sei auf kommunalpolitische Mandatsträger nicht anwendbar, da diese Vorschrift das Arbeitsentgelt aus einer Beschäftigung regele.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Schriftsätzlich hat der Kläger sinngemäß beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 14.03.2012 in der Gestalt des Widerspruchs- bescheides vom 03.05.2012 aufzuheben, soweit mit ihm die Festsetzung von Beiträgen zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung aus Aufwands- entschädigungen aus der Wahrnehmung eines kommunalpolitischen Mandats im Kreistag XY erfolgt ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich auf die Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid und weist ergänzend darauf hin, dass bei der Beitragsbemessung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen sei (§ 240 Abs. 1 Satz 2 SGB V, § 57 Abs. 4 Satz 1 SGB XI). Zur Beitragsberechnung seien daher die Einkünfte aus der Anwaltstätigkeit und die – steuerpflichtigen – sonstigen Einkünfte aus selbstständiger Arbeit heranzuziehen. Im Fall des Klägers ergäben sich beitragspflichtige Einnahmen oberhalb der Beitrags-bemessungsgrenze. Warum die steuerpflichtigen Einnahmen aus der Abgeordnetentätig-keit nicht für den Lebensunterhalt zur Verfügung stehen sollten, leuchte nicht ein. Auch nach § 14 Abs. 1 Satz 3 SGB IV i.V.m. § 3 Nr. 12 EStG würden – in Bezug auf das Arbeitsentgelt – Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche Tätigkeiten nur von der Beitragsberechnung ausgenommen, soweit diese steuerfrei seien.

Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakten und den der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte vorliegend eine die Instanz abschließende Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung treffen, da die Beteiligten ihr Einverständnis mit dieser Ver¬fahrensweise erklärt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).

Die zulässige Klage ist auch sachlich begründet.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 14.03.2012 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 03.05.2012 entspricht nicht der Sach- und Rechtslage und ist daher rechtswidrig. Durch ihn wird der Kläger beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG, weil die ihm gewährte Aufwandsentschädigung als Kreistagsabgeordneter nicht der Beitragspflicht zur Kranken- und Pflegeversicherung unterliegt.

Für freiwillige Mitglieder der Krankenversicherung wird die Beitragsbemessung seit dem 01.01.2009 einheitlich durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen geregelt. Dabei ist sicherzustellen, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds berücksichtigt (§ 240 Abs. 1 SGB V). Zu berücksichtigen sind insoweit mindestens die Einnahmen des freiwilligen Mitglieds, die bei einem vergleichbaren versicherungspflichtig Beschäftigten der Beitragsbemessung zugrunde zu legen sind (§ 240 Abs. 2 Satz 1 SGB V). Als beitragspflichtige Einnahme gilt für den Kalendertag mindestens der neunzigste Teil der monatlichen Bezugsgröße (§ 18 Abs. 1 SGB IV). Bei Mitgliedern der Pflegekasse, die freiwillige Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung sind, ist für die Beitragsbemessung § 240 SGB V entsprechend anzuwenden (§ 57 Abs. 4 Satz 1 SGB XI). Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ergibt sich grundsätzlich aus den Einnahmen und Geldmitteln, die das Mitglied zum Lebensunterhalt verbraucht oder verbrauchen könnte, ohne Rücksicht auf die steuerliche Behandlung (BSG SozR 4-2500 § 240 Nr. 6 m.w.N.). Es muss sich also um solche Einnahmen und Geldmittel handeln, die dem Mitglied bei wirtschaftlicher Betrachtung zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes zur Verfügung stehen (BSG SozR 3-2500 § 240 Nr. 31).

Rechtsgrundlage für die Beitragsbemessung sind die vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen erlassenen "Einheitlichen Grundsätze zur Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung und weiterer Mitgliedergruppen sowie zur Zahlung und Fälligkeit der von Mitgliedern selbst zu entrichtenden Beiträgen (Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler)" vom 27.10.2008. Die zunächst bestehenden Bedenken an der Wirksamkeit der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler sind durch die rückwirkende Bestätigung der Grundsätze durch den Verwaltungsrat des GKV-Spitzenverbandes in seiner Sitzung vom 30.11.2011 ausgeräumt worden (vgl. hierzu ausführlich Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 25.01.2012 – L 1 KR 145/11 – veröffentlicht in www.sozialgerichtsbarkeit.de).

Die Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler enthalten jedoch keine ausreichende Rechtsgrundlage für die Heranziehung der d. Kl. gewährten Aufwandsentschädigung als beitragspflichtige Einnahme. Die Kammer teilt die Auffassung d. Kl., dass es sich insoweit nicht um eine Einnahme handelt, die zum Lebensunterhalt verbraucht werden kann und hierzu auch bestimmt ist.

Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler unterliegen der Beitragsbemessung Einnahmen und Geldmittel, die für den Lebensunterhalt verbraucht werden oder verbraucht werden können, ohne Rücksicht auf ihre steuerliche Behandlung. Ausgeschlossen sind damit Geldmittel, die lediglich einen Ersatz für entstandene Aufwendungen darstellen und daher keinen Einnahmencharakter besitzen (vgl. auch "Katalog von Einnahmen und deren beitragspflichtige Bewertung nach § 240 SGB V"). Nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a) i.V.m. § 3 Abs. 1 Buchst. d) der Verordnung über die Entschädigung der Mitglieder kommunaler Vertretungen und Ausschüsse erhält d. Kl. als Fraktionsvorsitzender in Gemeinden und Kreisen einer Fraktion mit mehr als 10 Mitgliedern eine Aufwandsentschädigung in Höhe des dreifachen Satzes des Betrages von 390,- EUR als monatliche Pauschale. Hierdurch werden den Abgeordneten entstehende Werbungskosten im Sinne des § 9 EStG ersetzt, so dass ihnen verwehrt ist, mandatsbedingte Aufwendungen als Werbungskosten geltend zu machen. Überlegungen, den Abzug von Werbungskosten neben dem pauschalierten Kostenersatz zuzulassen, wurden im Zuge der Gesetzesberatung mit der Überlegung verworfen, dass durch eine Kombination von Kostenpauschale und Werbungskostenabzug der mit dem pauschalen Kostenersatz bezweckte Vereinfachungseffekt gefährdet werden könne (vgl. hierzu BFH, Urteil vom 29.03.1983 – VIII R 97/82 – abrufbar bei juris). Das OVG Münster hat mit Urteil vom 10.01.1989 (8 A 1753/87 – OVGE 40, 277 ff.) mit Bezug auf die Sozialhilfe festgestellt, dass Aufwandsentschädigungen für kommunale Abgeordnete dazu dienen, mandatsbedingte Mehraufwendungen abzudecken, nicht aber die normalen Auf-wendungen zur Bestreitung des Lebensunterhaltes. Aufgrund des ehrenamtlichen Charakters des kommunalen Mandats ist die Aufwandsentschädigung keine Alimentation (vgl. BVerfG, Beschluss vom 04.04.1978 – 2 BvR 1108/78 – in BVerfGE 48, 64, 89; BVerwG, Urteil vom 10.03.1994 – 2 C 11/93 – in BVerwGE 95, 208). Entsprechend werden Entschädigungen ehrenamtlicher Mitglieder von kommunalen Vertretungsorganen auch nicht auf das Arbeitslosengeld I angerechnet.

Soweit die Spitzenverbände der Krankenkassen in ihrem Rundschreiben vom 14.03.2002 in der Fassung vom 07.05.2004 die Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche Mitglieder kommunaler Vertretungen als "Einnahme zum Lebensunterhalt" qualifiziert haben, ist diese Auffassung von der Rechtsprechung bislang nicht bestätigt und in der Literatur kritisiert worden (Kasper, NWVBl. 2007, 219, 221; Kleerbaum/Palmen, Gemeindeordnung NRW, 2.Aufl. 2010, § 45 Anm. IV. 5.). Das Ziel der Aufwandsent-schädigung, Bürger zur Übernahme eines kommunalpolitischen Ehrenamtes anzuregen, würde durch eine Unterwerfung unter die Sozialversicherungspflicht unterlaufen.

Schließlich verlangt auch das Bestimmtheitsgebot, dass der Beitragsschuldner aus den die Beitragspflicht regelnden Rechtsvorschriften ersehen kann, wie sich der Beitrag zusammensetzt und welche Belastung ihn erwartet (vgl. hierzu Sächsisches LSG, a.a.O.). Aufgrund des Wortlauts des § 3 der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler, wonach nur für den Lebensunterhalt zur Verfügung stehende Einnahmen der Beitragspflicht unterliegen, ist nicht ersichtlich, dass die d. Kl. gewährte Aufwandsentschädigung der Beitragspflicht unterliegt, zumal die im o.a. Rundschreiben vertretene Auffassung keinen Niederschlag gefunden hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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