S 3 U 82/09

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 3 U 82/09
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 198/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
- Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen besteht nur, wenn der Tod infolge eines Versicherungsfalls eingetreten ist;
- Der Versicherungsfall, hier: tödlicher Arbeitsunfall muss im Vollbeweis belegt sein;
- Mutmaßungen über genaue Umstände ersetzen nicht den Nachweis des inneren oder sachlichen Zusammenhangs zu einer versicherten Tätigkeit
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit steht die Anerkennung eines Arbeitsunfalles und die Gewährung von Hinterbliebenenrente.

Die Klägerin ist die Witwe des 1956 geborenen und 2008 verstorbenen Versicherten X. A. Herr A. war seit 21.03.1995 beim Furnierwerk A-Stadt beschäftigt, zunächst befristet, später unbefristet als Furnierarbeiter im Dreischichtbetrieb. Im Wesentlichen war er als einer der Kranführer tätig.

Herr A. verstarb 2008 infolge schwerster abdomineller Verletzungen, indem er auf einem Kran des Furnierwerkes, der zu diesem Zeitpunkt von dem Zeugen G. geführt wurde, oberhalb von Arbeitskanzel und Laufschiene eingeklemmt wurde. Die genauen Umstände, wie und weshalb Herr A. sich dorthin begab, sind ungeklärt. Vom Unfallmonat existiert die sog. "Stechkarte" (Zeiterfassungskarte), worauf für den Unfalltag am 07.10.2008 in der Spalte "Vormittag/Ziffer 1/Kommen" die Zahl 0404 mit einer kleinen Ziffer 2 davor eingestempelt ist, in der Spalte "Nachmittag" ist bei Ziffer 3/Kommen" die Zahl 1345 eingestempelt, ebenfalls mit einer kleinen Ziffer 2 davor. In der Spalte "Sollzeit/Bemerkungen" hat jemand handschriftlich die Zahl 9 eingetragen.

Der Zeuge G. sagte gegenüber der Polizei am 09.10.2008 aus, er habe den Verstorbenen ca. ½ Stunde vor dem Unfall gesehen, wie er unten an der Halle umhergegangen sei. Er wisse nicht, was dieser dort gemacht habe. Die Frühschicht ende normalerweise um 13.00 Uhr. Der Verstorbene habe an diesem Tag Frühschicht gehabt, er habe die Spätschicht gehabt. Es sei nicht ungewöhnlich, dass der Verstorbene länger dort gewesen sei, als seine Schicht gegangen sei. Das sei sogar normal gewesen. Er habe erst von dem Unfall über seiner Krankanzel Kenntnis erhalten, als der Kran automatisch stoppte, da er sich auf die Ladevorgänge unter ihm konzentriert habe. Der Kran habe gestoppt, weil durch den Körper des Verstorbenen der Nothebel oberhalb des Krankanzeldaches gedrückt worden war.

Durch Bescheid vom 20.11.2008 lehnte die Beklagte die Anerkennung eines Arbeitsunfalles sowie die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen ab, da keine betrieblichen Gründe hätten ermittelt werden können, welche den Versicherten nach Beendigung seiner Schicht hätten dazu veranlassen können, nochmals den Kran zu besteigen. Der Unfall habe sich somit nicht während einer versicherten Tätigkeit ereignet. Hiergegen wurde fristgerecht Widerspruch eingelegt und dieser mit dem Hinweis auf eine zweite Stempelkarte begründet. Der Verstorbene habe sich faktisch öfters aus betrieblichen Gründen länger auf dem Betriebsgelände aufgehalten, er sei z.B. öfter angerufen worden, ob er seine Schicht nicht früher beginnen könne, außerdem habe er eine zweite Stempelkarte besessen für Brennholzspalten.

Hierzu gelangten Gesprächsvermerke des damaligen Betriebsleiter F., des geschäftsführenden Gesellschafters C. sowie des Zeugen G. zur Akte, wonach es für den Todesmonat keine zweite Stempelkarte gegeben habe, da das Brennholzspalten nur in den Monaten der Holzbeifuhr angefallen sei. Durch Widerspruchsbescheid vom 29.04.2009 wies die Beklagte den Widerspruch danach als unbegründet zurück. Der Beweis für das Verrichten einer versicherten Tätigkeit durch den Verstorbenen im Unfallzeitpunkt sei weiterhin nicht erbracht.

Die Witwe des Herrn A. hat hiergegen am 11.05.2009 vor dem Sozialgericht Gießen Klage erhoben. Das Gericht hat die Personalakte des Verstorbenen bei dem Furnierwerk beigezogen, darin u. a. dessen Arbeitsvertrag vom 24.06.1996 sowie eine Abmahnung vom 06.03.2007. Mit Datum vom 30.10.2012 hat sich der Geschäftsführer des Furnierwerkes A-Stadt, C. schriftlich geäußert. Im Termin am 07.02.2013 hat das Gericht die Zeugen H., F. und G. gehört sowie weitere Stechkarten des Verstorbenen und eine Übersicht über die Rundholzverwaltung 2008 zur Akte genommen. Schließlich ist noch eine auf den Todesmonat des Versicherten spezifizierte Aufstellung der Holzbeifuhr zur Akte gelangt.

Die Klägerin vertritt die Auffassung, ihr seien Leistungen aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes zu erbringen, da dieser sich sicher aus betrieblichen Gründen im Furnierwerk aufgehalten habe. Einen anderen Grund könne es nicht geben. Vieles sei unklar bzw. werde nicht offengelegt.

Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 20.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.04.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr unter Anerkennung des tödlichen Unfalles ihres Ehemannes X. A. am 07.10.2008 als Arbeitsunfall Hinterbliebenenversorgung aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält die getroffenen Feststellungen für zutreffend. Der Nachweis einer versicherten Tätigkeit anlässlich des tödlichen Unfalles des Versicherten sei nicht erbracht.

Mit Schreiben vom 15.05.2013 hat das Gericht die Beteiligten zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid gem. § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angehört. Zum Sach- und Streitstand im Einzelnen wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte gemäß § 105 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) über den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, denn die Sache weist keine Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf und der Sachverhalt ist hinreichend geklärt.

Die Beteiligten sind vorher zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört worden und haben nichts vorgetragen, was einer Entscheidung gemäß § 105 SGG entgegenstehen würde.

Die insbesondere form- und fristgerecht vor dem zuständigen Gericht erhobene Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet. Der angegriffene Bescheid der Beklagten ist nicht zu beanstanden, denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung des tödlichen Unfalles ihres Ehemannes X. A. als Arbeitsunfall sowie Gewährung von Hinterbliebenenleistungen hieraus, weil kein Versicherungsfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung nachweisbar ist.

Gemäß § 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) ist es Aufgabe der Unfallversicherung, nach Maßgabe der Vorschriften des SGB VII
1. mit allen geeigneten Mitteln Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten sowie arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren zu verhüten,
2. nach Eintritt von Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit der Versicherten mit allen geeigneten Mitteln wiederherzustellen und sie oder ihre Hinterbliebenen durch Geldleistungen zu entschädigen. Nach § 63 Abs. 1 SGB VII haben Hinterbliebene von Versicherten dementsprechend Anspruch auf
1. Sterbegeld,
2. Erstattung der Kosten der Überführung an den Ort der Bestattung,
3. Hinterbliebenenrenten,
4. Beihilfe. Der Anspruch auf derartige Leistungen nach § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB VII besteht allerdings nur, wenn der Tod infolge eines Versicherungsfalls eingetreten ist.

Nach § 7 Abs. 1 SGB VII sind Versicherungsfälle Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Nach § 8 Abs. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach der Legaldefinition des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Körperschaden oder zum Tod führen. Zur Definition des Arbeitsunfalles nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII hat auch das Bundessozialgericht mit Urteil vom 09.05.2006 (BSGE 96, 196 ff., Az. B 2 U 1/05 R) ausgeführt, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalles der versicherten Tätigkeit zuzurechnen sein muss im Sinne eines inneren oder sachlichen Zusammenhangs, dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis (Unfallereignis) führen (sogenannte Unfallkausalität) und dass das Ereignis einen Gesundheitsschaden verursacht haben muss (haftungsbegründende Kausalität).

Voraussetzung für die Entschädigungsleistung ist dabei, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem festgestellten Körperschaden bzw. dem eingetretenen Tod besteht, d. h. es kann nur ein Körperschaden berücksichtigt werden, der rechtlich wesentlich durch den Arbeitsunfall verursacht wurde. Für diesen rechtlich wesentlichen Zusammenhang muss eine hinreichende Wahrscheinlichkeit bestehen. Wahrscheinlichkeit bedeutet hierbei, dass bei vernünftigem Abwägen aller Umstände die auf die berufliche Verursachung deutenden Faktoren so stark überwiegen, dass darauf die Entscheidung gestützt werden kann. Die alleinige Möglichkeit des ursächlichen Zusammenhangs reicht nicht aus. Eine Möglichkeit verdichtet sich zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und ernsthafte Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden. Ein nur in zeitlicher Hinsicht bestehender Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Auftreten von gesundheitlichen Beeinträchtigungen genügt diesen Anforderungen ebenfalls nicht.

Während jedoch ein ursächlicher Zusammenhang der Gesundheitsstörung/Todesfolge mit dem schädigenden, versicherten Vorgang nur wahrscheinlich zu sein braucht, müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen selbst (schädigendes versichertes Ereignis i. S. Versicherungsfall, gesundheitliche Erstschädigung i. S. Primärschaden, verbliebene Dauergesundheitsstörung) bewiesen sein, d. h. es muss hierfür eine so hohe Wahrscheinlichkeit bestehen, dass darauf die Überzeugung von der Wahrheit und nicht der bloßen Wahrscheinlichkeit gegründet werden kann (sogenannter Vollbeweis). Insoweit gilt auch im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung der Grundsatz der objektiven Beweislast.

Vorliegend ist es nicht zur Überzeugung des Gerichts erwiesen, dass sich der tödliche Unfall des X. A. vom 07.10.2008 in Ausübung einer Verrichtung ereignet hat, die einen inneren oder sachlichen Zusammenhang zu der versicherten Tätigkeit des Herrn A. hat. Versicherte Tätigkeit des Herrn A. war die arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit als Furnierarbeiter/Kranführer im Dreischichtbetrieb. Diese war am Unfalltag um 13.45 Uhr mit dem "Ausstechen" beendet. Betriebliche Gründe für einen weiteren Aufenthalt auf dem Firmengelende mit einer eindeutig "betrieblichen" Handlungstendenz konnten trotz Beweiserhebung nicht objektiviert werden.

Nach den objektiven Umständen war die Schicht des Herrn A. als Kranführer im Furnierwerk A-Stadt zum Zeitpunkt des Unfalles bereits beendet, er hatte "ausgestochen", der nachfolgende Kranführer Herr G. hatte seine Schicht auf dem Kran bereits angetreten, und nach den Aussagen der Zeugen war der Versicherte an diesem Tag auch nicht als "Springer" o. ä. im Rahmen einer Sonderschicht in den Betrieb beordert worden. Eine vermeintlich "betriebsbezogene" Handlungstendenz ist nach den von der Klägerseite geschilderten Umständen zwar nicht gänzlich auszuschließen, jedoch sprechen viele Fakten wie der Zeitpunkt des Unfalles außerhalb der Monate der sog. Holzbeifuhr, das Nichtvorhandensein einer zweiten Stempelkarte für den Todesmonat, der vom Versicherten betriebene "Privatgarten" auf dem Firmengelände sowie die von dem Zeugen K. geschilderte Verarbeitung von Abfallhölzern zu Brennholz auf eigene Rechnung – außerhalb der von der Firma angeordneten bzw. gebilligten Brennholzherstellung über die zweite Stempelkarte – dafür, dass sich der Versicherte auch häufig aus nicht betrieblichen Gründen auf dem Firmengelände aufgehalten hat. Dies haben letztlich alle Zeugen übereinstimmend angegeben.

Eine weitergehende Klärung des Sachverhaltes ist letztlich nicht möglich, auch Mutmaßungen über die Beweggründe für das Verhalten des Versicherten anlässlich des tödlichen Unfallereignisses ersetzen nicht den erforderlichen Vollbeweis, dass dieser in Ausübung einer betrieblichen Verrichtung den Kran bestiegen hat.

Zur Vermeidung von Wiederholungen wird im Übrigen gem. § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die auch durch das Ergebnis der Beweisaufnahme nicht widerlegten Ausführungen im angegriffenen Bescheid der Beklagten verwiesen. Diese sind zutreffend.

Demnach war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, die Rechtsmittelbelehrung folgt aus § 143 SGG.
Rechtskraft
Aus
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