L 18 U 138/11

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 15 U 296/09
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 U 138/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 17/13 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein Landwirt, der einen bei einer nicht landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft versicherten Arbeitsunfall erleidet, hat weder gegen diese noch gegen die landwirtschaftliche Krankenkasse einen Anspruch auf Betriebshilfe.
I. Das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 22.02.2011 wird wie folgt abgeändert: Auch die Klage gegen die Beigeladene wird abgewiesen. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

II. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Kosten für vom Kläger in Anspruch genommene Betriebshilfe.

Der im Jahre 1973 geborene Kläger erlitt am 22.07.2009 einen Arbeitsunfall in Ausübung seiner bei der Beklagten versicherten Tätigkeit als Lagerarbeiter, als er auf einer Treppe stürzte und sich dabei am rechten Unterschenkel verletzte. Infolgedessen war er vom 22.07.2009 bis 23.08.2009 arbeitsunfähig, dabei vom 27.07.2009 bis 01.08.2009 in stationärer Behandlung. Der Kläger ist seit dem 01.03.2008 als landwirtschaftlicher Unternehmer bei der Beigeladenen gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 Zweites Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte (KVLG 1989) (pflicht-)krankenversichert. Am 23.07.2009 stellte er daher bei der Beigeladenen einen Antrag auf Betriebshilfe. Die Beigeladene gab diesen Antrag am 31.07.2009 an die Beklagte weiter mit dem Bemerken, dass diese zuständig sei. Mit Schreiben vom 19.08.2009 teilte die Beklagte der Beigeladenen mit, dass eine Gewährung von Betriebshilfe durch die Beklagte nicht erfolgen könne. Bei der Erbringung von Betriebshilfe nach § 54 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) handele es sich um eine spezielle Leistung der Landwirtschaftlichen Unfallversicherung. Bei außerlandwirtschaftlichen Versicherungsfällen - wie im Falle des Klägers - werde Betriebshilfe von den Landwirtschaftlichen Krankenkassen erbracht. Eine Durchschrift dieses Schreibens ging an den Kläger.

Mit Bescheid vom 26.08.2009 lehnte die Beigeladene gegenüber dem Kläger den Antrag auf Betriebshilfe ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Betriebshilfe grundsätzlich von dem Leistungsträger zu erbringen sei, der auch die Grundleistung zu tragen hätte. Für den Unfall vom 22.07.2009 hätte die Beklagte die Grundleistung zu tragen. Eine Leistungspflicht der Beigeladenen scheide daher aus.

Der Kläger legte sowohl gegen den Bescheid der Beigeladenen vom 26.08.2009 als auch gegen das Schreiben der Beklagten vom 19.08.2009 Widerspruch ein.

Die Beklagte wies den Widerspruch gegen den Bescheid vom 19.08.2009 mit Widerspruchsbescheid vom 25.11.2009 zurück. Für die Erbringung der Betriebshilfe sei die Beigeladene zuständig.

Am 24.12.2009 hat der Kläger hiergegen Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben, mit der er von der Beklagten die Erstattung der für die vom 22.07.2009 bis zum 23.08.2009 in Anspruch genommene Betriebshilfe angefallenen Kosten begehrt. Er sei aufgrund des Arbeitsunfalls in diesem Zeitraum arbeitsunfähig gewesen, so dass deshalb der Einsatz von Betriebshilfe notwendig geworden sei. Hierfür seien Kosten in Höhe von 3.668,00 EUR angefallen.

Das SG hat mit Urteil vom 22.02.2011 die Beigeladene unter Aufhebung ihres Bescheides vom 26.08.2009 verurteilt, dem Kläger die Kosten für die im Sommer 2009 in Anspruch genommene Betriebshilfe dem Grunde nach zu erstatten und die Klage gegen die Beklagte abgewiesen. Die Klage sei hinsichtlich der Verurteilung der Beklagten unbegründet, jedoch hinsichtlich der Beigeladenen begründet. Der Kläger habe zwar nicht gegenüber der Beklagten Anspruch auf Erstattung der ihm für die Betriebshilfe angefallenen Kosten, jedoch dem Grunde nach gegenüber der Beigeladenen.

Dagegen hat die Beigeladene Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt. § 11 Abs. 5 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) stelle einen Leistungsausschluss kraft Gesetzes dar. Bezüglich der Nebenerwerbslandwirte habe der Gesetzgeber zur Vermeidung von Ungleichbehandlungen eine genau definierte Ausnahmeregelung erlassen, nämlich in § 10 Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) i. V. m. § 64 Abs. 2 Nr. 1 der Richtlinien des Spitzenverbandes der Landwirtschaftlichen Soziaversicherung für die Landwirtschaftliche Alterskassen über die Durchführung von Leistungen zur Betriebs- und Haushaltshilfe (AR). Demnach könne Betriebshilfe erbracht werden, wenn ein Landwirt die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für sonstige Leistungen gegenüber der Alterskasse erfüllt habe, diese aber nicht erhalte, weil die Leistungen aufgrund eines Arbeitsunfalles von einem anderen Reha-Träger erbracht würden. Der Kläger habe sich bereits 2007 von der Versicherungspflicht zur landwirtschaftlichen Alterskasse befreien lassen, so dass er auf diese zusätzliche Absicherungsmöglichkeit verzichtet habe. § 9 KVLG 1989 i.V.m. § 36 der Satzung der Beigeladenen würde eine Leistung dem Grunde nach zulassen, jedoch greife hier § 39 der Satzung. Danach werde Betriebshilfe erbracht, wenn auch die Grundleistung erbrachte werde. Zudem sei nicht geprüft worden, ob der Kläger gegen die Beklagte einen Kostenerstattungsanspruch nach 39 Abs. 2 SGB VII habe. Hingewiesen werde darauf, dass die Beklagte die Beigeladene zur Auszahlung von Verletztengeld für den Zeitraum vom 22.07.2009 bis 23.08.2009 angewiesen habe.

Die Beigeladene beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 22.02.2011 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid der Beigeladenen vom 26.08.2009 abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 22.02.2011 zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19.08.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.11.2009 zu verurteilen, die Kosten für die in Anspruch genommene Betriebshilfe zu erstatten.

Der Kläger führe einen landwirtschaftlichen Betrieb und sei deshalb bei der Beigeladenen krankenversichert. Die Landwirtschaft stelle den Haupterwerb dar. Am 22.07.2009 sei es zu einem außerlandwirtschaftlichen Unfall gekommen mit unfallbedingter Arbeitsunfähigkeit bis 23.08.2009. Der Kläger sei gezwungen gewesen, sowohl für die Viehhaltung als auch für die Erntearbeiten einen Betriebshelfer einzustellen. Der Rechtsauffassung des SG sei zu folgen. Der Leistungsausschluss greife nicht. Da die gewerbliche Unfallversicherung keine Betriebshilfe kenne, sei diese durch die Landwirtschaftliche Krankenkasse zu erbringen. Für Landwirte gelte gerade die Sonderregelung im SGB VII. Landwirte im Haupterwerb hätten auch gar nicht die Möglichkeit, sich in der gesetzlichen Krankenversicherung anzumelden. Die interne Satzungsregelung der Beigeladenen sei kein Hinderungsrund. Auf das Verletztengeld brauche sich der Kläger nicht verweisen zu lassen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 22.02.2011 zurückzuweisen.

Betriebshilfe zähle nicht zu ihrem Leistungskatalog; sie sei keine Leistung der gesetzlichen gewerblichen Unfallversicherung. Zuständig sei die Beigeladene.

Mit Bescheid vom 29.04.2011 hat die Beigeladene im Auftrag der Beklagten Verletztengeld für den Zeitraum vom 22.07.2009 bis 23.08.2009 in Höhe von 860,94 EUR zzgl. einer Beitragserstattung in Höhe von 348,40 EUR für die Krankenversicherung und 35,93 EUR für die Pflegeversicherung bewilligt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und der Beigeladenen und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die von der Beigeladenen form- und fristgerecht und auch ansonsten zulässigerweise eingelegte Berufung ist im Sinne des Entscheidungssatzes auch begründet.
Gegenstand der vom Kläger erhobenen Anfechtungs- und Leistungsklage ist der Bescheid der Beklagten vom 26.08.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.11.2009, mit dem diese es ablehnte, dem Kläger die Kosten für die in Anspruch genommene Betriebshilfe zu erstatten. Auf das Rechtsmittel der vom SG nach § 75 Abs. 2 SGG und Abs. 5 SGG verurteilten Beigeladenen ist auch über den gegen die Beklagte gerichteten Anspruch zu entscheiden (allgemeine Meinung, vgl. z.B. BSG, Urteil vom 15.01.1959, 4 RJ 111/57; BSG, Urteil vom 03.04.1986, 4a RJ 1/85; zustimmend z.B. Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl, 2012, § 75 RdNr 19).

Der Umstand, dass die Beigeladene noch kein Vorverfahren durchgeführt hat, steht einer Verurteilung der Beigeladenen nicht entgegen (vgl. Leitherer. aaO, § 75 Rdnr. 18b). § 75 Abs. 5 SGG eröffnet den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit die Möglichkeit, in allen Fällen, in denen gegen einen in Wahrheit nicht passiv legitimierten Versicherungsträger Klage erhoben worden ist, den tatsächlich leistungsverpflichteten, aber nicht verklagten Versicherungsträger nach Beiladung zu verurteilen, ohne dass dadurch eine Klageänderung vorgenommen oder bewirkt würde (BSG, Urteil vom 30.06.1964, 3 RK 7/61). Um dem in § 75 Abs. 5 SGG zum Ausdruck gebrachten Rechtsgedanken voll gerecht werden zu können, muss das Gericht über alle in Frage kommenden Ansprüche entscheiden können, auch dann, wenn nur der verurteilte Versicherungsträger ein Rechtsmittel eingelegt hat; sonst könnten einander widersprechende Entscheidungen ergehen mit der Folge, dass der Kläger zum Beispiel mit seinem Begehren in erster Instanz nicht gegen den einen, in der weiteren Instanz auch nicht gegen den anderen Träger durchdringt, obschon feststeht, dass jedenfalls gegen einen von ihnen ein Anspruch besteht (BSG, Urteil vom 11.09.1980, 1 RA 47/79).

Ein Anspruch des Klägers besteht jedoch weder gegen die beklagte Berufsgenossenschaft -BG- (siehe dazu unter 1.) noch gegen die beigeladene Krankenkasse (dazu unter 2.). Ein Anspruch ergibt sich auch nicht aus § 39 Abs. 2 SGB VII (dazu unter 3.).

1.
Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die beklagte Verwaltungs-BG nach § 54 SGB VII, da der Kläger nicht wegen eines Unfalls arbeitsunfähig war, den er als landwirtschaftlicher Unternehmer erlitten hat. Die Betriebshilfe nach § 54 SGB VII setzt nämlich die Versicherung des verwirklichten Unfallrisikos in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung voraus (vgl. Keller in Hauck-Noftz, SGB VII, Rdnr. 23 zu § 54).

2.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch gegen die beigeladene landwirtschaftliche Sozialversicherung (Krankenkasse). Die Voraussetzungen des § 9 KVLG 1989, der die Möglichkeit einer Betriebshilfe durch die landwirtschaftliche Krankenkasse vorsieht, sind nicht gegeben (a). Der geltend gemachte Anspruch lässt sich auch nicht durch eine Gesetzesanalogie (b) oder eine verfassungskonforme Auslegung (c) begründen.

a.
Gemäß § 9 Abs. 1 KVLG 1989 erhalten nach § 2 versicherungspflichtige landwirtschaftliche Unternehmer anstelle von Krankengeld Betriebshilfe nach Maßgabe des § 9 Abs. 2 bis 4 KVLG 1989.

Der als landwirtschaftlicher Unternehmer tätige Kläger ist nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVLG 1989 bei der landwirtschaftlichen Krankenkasse pflichtversichert und erfüllt - abgesehen von den Merkmalen "anstelle von Krankengeld" - auch die sonstigen Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 KVLG 1989 iVm § 35 der maßgeblichen Satzung der Land- und forstwirtschaftlichen Krankenkasse Franken und Oberbayern (Satzung) bzw. § 9 Abs. 4 KVLG 1989 i.V.m. § 36 der Satzung. Der Senat stellt hierzu fest, dass dem Kläger die Weiterführung des Betriebes, in dem keine Arbeitnehmer oder mitarbeitende Familienangehörige beschäftigt waren, nicht möglich und die Hilfe während der ärztlich bescheinigten Arbeitsunfähigkeit des Klägers zur Aufrechterhaltung des Betriebes erforderlich war. Dies ergibt sich zur vollen Überzeugung des Senats aus dem Inhalt der beigezogenen Akten, insbesondere der einschlägigen ärztlichen Stellungnahme der Klinik N. vom 27.07.2009 und dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, insbesondere aus den glaubhaften Angaben des Klägers. Das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale des § 9 Abs. 2 KVLG 1989 ist - mit Ausnahme der Merkmale "anstelle von Krankengeld" - zwischen den Beteiligten auch unstreitig.

Allerdings ist ein Anspruch des Klägers gegen die Beigeladene auf Betriebshilfe nach dem eindeutigen Wortlaut des § 9 Abs. 1 KVLG 1989 nicht gegeben, da im vorliegenden Fall Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sind und Betriebshilfe nur "anstelle von Krankengeld" gewährt werden kann.

Die Betriebshilfe stellt eine Ersatzleistung für das Krankengeld dar, wie sich aus dem Wortlaut des § 9 Abs. 1 KVLG 1989 ("anstelle von Krankengeld") zweifelsfrei ergibt. Betriebshilfe kann daher nur gewährt werden, wenn der Leistungsberechtigte einen Anspruch auf Krankengeld gegen die Krankenkasse hat, von der er die Betriebshilfe begehrt. Ein solcher Anspruch auf Krankengeld gegen die Beigeladene ist gemäß § 11 Abs. 5 SGB V ausgeschlossen, weil der Kläger gemäß §§ 46 ff. SGB VII einen Anspruch auf Verletztengeld gegen die Beklagte hatte. Nach dieser Vorschrift besteht auf Leistungen nach dem SGB V kein Anspruch, wenn sie als Folge eines Arbeitsunfalls im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung zu erbringen sind, was vorliegend eben der Fall ist. Der Kläger erhält von der Beklagten Verletztengeld als Entgeltersatzleistung wegen seines Arbeitsunfalls vom 22.07.2009, so dass auf die Entgeltersatzleistung Krankengeld kein Anspruch besteht (vgl. zur Rechtsnatur von Verletztengeld und Krankengeld als Entgeltersatzleistung BSG, Urteil vom 30.06.2009, B 2 U 1/08 R juris Rn 19, 27; vom 19.12.1974, 8 RU 18/74 juris LS 2 zum Verletztengeld; vom 12.03.2013, B 1 KR 17/12 R juris Rn 13 ff: zum Ausschluss von Krankengeld gemäß § 11 Abs. 5 SGB V - vormals § 11 Abs 4 SGB V - bei Bezug von Verletztengeld BSG, Urteil vom 25.06.2002, B 1 KR 13/01 R).

Zum gleichen Ergebnis kommt man durch Anwendung des § 39 der Satzung der Beigeladenen. Danach wird Betriebshilfe nur gewährt, wenn die Krankenkasse auch die Grundleistung erbringt. § 39 der Satzung setzt damit deklaratorisch die Regelung des § 11 Abs. 5 SGB V für die Betriebshilfe um.

Das nach dem Wortlaut gefundene Ergebnis wird durch die anderen Deutungskriterien bestätigt. Was das historische Auslegungskriterium betrifft, entspricht der Leistungsausschluss nach § 11 Abs. 5 SGB V dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers. Dieser hat bei verschiedenen Novellen des § 11 SGB V keine Notwendigkeit gesehen, die Regelung abzuändern. So wurde insbesondere bei der Novellierung vom 26.03.2007 (Art 1 Nr. 7b Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenkasse vom 26.03.2007, BGBl I, 378), mit welcher der frühere § 11 Abs. 4 unverändert als § 11 Abs. 5 SGB V übernommen wurde, durch den Gesetzgeber keine Notwendigkeit gesehen, die Bestimmung zu ändern, obwohl mittlerweile ab der noch darzulegenden Änderung in der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 25.06.2002, B 1 KR 13/01 R) Ausnahmen bei der Anwendung des Anspruchsausschlusses nach § 11 Abs 5 SGB V durch die Rechtsprechung nicht mehr gemacht werden. Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber in Bezug auf Nebenerwerbslandwirte wie den Kläger eine genau definierte Ausnahmeregelung für die Gewährung von Betriebshilfe erlassen hat: Nach § 10 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 ALG kann Betriebshilfe nach dort näher geregelten Maßgaben von der Alterskasse erbracht werden, wenn ein Landwirt die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für sonstige Leistungen der Alterskasse erfüllt. Der Kläger hat sich bereits 2007 von der Versicherungspflicht zur landwirtschaftlichen Alterskasse befreien lassen und damit auf diese Absicherungsmöglichkeit verzichtet.

Das nach dem grammatikalischen und historischen Deutungskriterium gefundene Ergebnis trägt auch dem Zweck des § 9 Abs. 1 KVLG 1989 und des § 11 Abs. 5 SGB V Rechnung (teleologisches Deutungskriterium). Die Vorschriften zielen auf die Vermeidung von doppelten Entgeltersatzleistungen, vorliegend also darauf, dass der Kläger neben dem von der Beklagten gewährten Verletztengeld keine Krankengeldleistungen (oder eben Leistungen anstelle des Krankengelds) erhält. Zweck des § 11 Abs. 5 (früher Abs. 4) SGB V ist es, dass den Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung die Leistungen der Unfallversicherung selbst dann verschlossen bleiben, wenn ein in beiden Systemen Versicherter begehrt, dass die als unzureichend niedrig empfundenen Geldleistungen der Unfallversicherung aufgestockt werden sollen. Die gesetzliche Regelung verfolgt das Ziel, kumulative Geldleistungsansprüche aus zwei nebeneinander bestehenden Sozialleistungssystemen zu vermeiden bzw. diese zusammenzuführen und zu begrenzen (BSG, Urteil vom 08.11.2005, B 1 KR 33/03 R juris Rn 22). § 9 Abs. 1 KVLG 1989 und § 39 der Satzung der Beigeladenen tragen damit auch der gesetzlichen Systematik der SGB V und VII Rechnung, nach der die spezielleren Regelungen bei Arbeitsunfall oder Berufskrankheit zu erbringenden Leistungen des SGB VII den allgemeinen Regelungen des SGB V vorgehen (systematisches Deutungskriterium).

b.
Auch eine analoge Anwendung des § 9 KVLG 1989 scheidet aus. Gesetzesanalogie setzt eine die analoge Anwendung rechtfertigende Gesetzeslücke und eine Vergleichbarkeit der Interessenlage voraus. Eine Gesetzeslücke liegt nicht vor. Dies zeigt sich schon daran, dass der Gesetzgeber sehr wohl erkannt hat, dass für anderweitig unfallversicherte Landwirte in Bezug auf die Betriebshilfe eine gewisse Versorgungslücke bestanden hatte, die er durch § 10 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 ALG, ursprünglich § 10 Abs. 2 Satz 2, mit Wirkung ab 01.01.1995 geschlossen hat. Im Krankenversicherungsrecht der Landwirte hielt der Gesetzgeber eine weitergehende Versorgung durch Betriebshilfe offensichtlich nicht für geboten. Eine durch die Gerichte im Wege der Gesetzesanalogie zu schließende Gesetzeslücke lässt sich bei dieser Rechtslage nicht bejahen.

c.
Entgegen der Auffassung des SG besteht auch nicht die Notwendigkeit einer (berichtigenden) verfassungskonformen Auslegung des § 9 KVLG 1989. Die verfassungskonforme Auslegung ist geboten, wenn bei der gerichtlichen Auslegung und Anwendung einfachrechtlicher Normen unter Berücksichtigung von Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Gesamtzusammenhang und Zweck mehrere Deutungen möglich sind, von denen jedenfalls eine zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führt (BVerfG vom 09.08.1978, 2 BvR 831/76; vom 08.04.1998, 1 BvL 16/90; vom 22.04.2004, 1 BvR 1372/98 jeweils mwN). Dann verdient diejenige den Vorzug, die den Wertentscheidungen der Verfassung entspricht und die die Grundrechte der Beteiligten möglichst weitgehend in praktischer Konkordanz zur Geltung bringt (st. Rspr., vgl. z.B. BVerfG vom 30.08.2010, 1 BvR 1631/08 juris Rn 61 mwN). Die Deutung darf nicht dazu führen, dass das gesetzgeberische Ziel in einem wesentlichen Punkt verfehlt oder verfälscht wird. Im Interesse der Normerhaltung ist es geboten, in den von der Verfassung gezogenen Grenzen das Maximum dessen zu erhalten, was der Gesetzgeber gewollt hat (BVerfG vom 09.08.1978, 2 BvR 831/76 juris Rn 26). Die verfassungskonforme Auslegung findet ihre Grenzen dort, wo sie mit dem Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzes in Widerspruch treten würde; im Wege der Auslegung darf einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz nicht ein entgegengesetzter Sinn verliehen, der normative Gehalt der auszulegenden Norm nicht grundlegend neu bestimmt oder das gesetzgeberische Ziel nicht in einem wesentlichen Punkt verfehlt werden (BVerfG vom 2.10.1985, 1 BvL 44/83 juris Rn 56 mwN; vom 11.06.1980, 1 PBvU 1/79; vom 30.06.1964, 1 BvL 16/62, 1 BvL 17/62, 1 BvL 18/62, 1 BvL 20/62).

Dies zugrunde gelegt, scheidet eine verfassungskonforme Auslegung des § 9 KVLG 1989 aus. Wie dargestellt führen vorliegend alle Deutungskriterien zu demselben Ergebnis bei der Auslegung und Anwendung des § 11 Abs 5 SGB V (iVm §§ 8, 9 KVLG 1989). Im Übrigen besteht für eine verfassungskonforme Auslegung entgegen der Auffassung des SG auch mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG keine Notwendigkeit.

Der allgemeine Gleichheitssatz ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten anders als eine andere behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und von solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können. Das Gewicht des Rechtfertigungsgrundes muss dabei zur Bedeutung der Benachteiligung in einem angemessenen Verhältnis stehen. Vorliegend besteht bereits keine unterschiedliche Behandlung im vorgenannten Sinne. Als Vergleichsgruppen kommen Haupt- und Nebenerwerbslandwirte in Betracht. Beide Gruppen erhalten als insofern Versicherte bei entsprechenden Versicherungsfällen "landwirtschaftlicher Arbeitsunfall" oder "Krankheit" Betriebshilfe nach § 54 SGB VII oder § 9 KVLG. Ebenso ist für beide Gruppen Betriebshilfe gesetzlich im SGB VII und im KVLG nicht vorgesehen, wenn die jeweils Betroffenen einen nicht landwirtschaftlichen Arbeitsunfall erleiden (der Haupterwerbslandwirt im Nebenberuf oder etwa als Nothelfer - § 2 Abs. 1 Nr. 13 SGB VII - oder als Pflegeperson - § 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB VII -; der Nebenerwerbslandwirt im Hauptberuf). Denn insofern greift § 54 SGB VII nicht ein und ein Anspruch aus § 9 KVLG ist ausgeschlossen, weil Verletztengeld zusteht ("anstelle von Krankengeld"). Beiden Gruppen steht umgekehrt die Absicherungsmöglichkeit nach dem ALG offen. In dem Umstand, dass die Wahrscheinlichkeit eines nicht landwirtschaftlichen Unfalls ohne die Absicherung durch einen Anspruch auf Betriebshilfe beim Nebenerwerbslandwirt höher ist als beim Haupterwerbslandwirt, vermag der Senat eine für Art. 3 Abs. 1 GG relevante Ungleichbehandlung nicht zu erkennen.

Selbst wenn man aber mit dem SG eine unterschiedliche Behandlung annehmen würde, hätte dies, gemessen an der Bedeutung der zugrunde liegenden gesetzgeberischen Entscheidung, für die Sozialversicherungssysteme kein solches Gewicht, dass sich daraus eine gleichheitswidrige Benachteiligung im Sinne der zu Art. 3 Abs. 1 GG entwickelten Grundsätze ableiten ließe. Denn es ist nicht verfassungsrechtlich geboten, beim Zusammentreffen unterschiedlich hoher Leistungen stets die jeweils höhere von beiden zu gewähren. Ausreichend ist, wenn eine anderweitige, der ausgeschlossenen Leistung adäquate soziale Absicherung besteht (BSG, Urteil vom 25.06.2002, aaO, juris Rn 18 unter Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 09.11.1988, 1 BvL 22/84). Letzteres ist im Vergleich von Verletztengeld und der hier ausgeschlossenen Betriebshilfe der Fall. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Betriebshilfe im Rahmen des § 54 SGB VII eine nur für die Versicherten der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften vorgesehene Leistung ist und deshalb Landwirte insoweit gegenüber anderen Berufsgruppen privilegiert werden. Alle anderen Berufsgruppen werden auf das Verletztengeld als Lohnersatzleistung verwiesen. Wenn es nun der Gesetzgeber in den Fällen, in denen typischer-, freilich nicht notwendigerweise Nebenerwerbslandwirte betroffen sind, bei der Lohnersatzleistung Verletztengeld belässt und keine (betragsmäßig u.U. darüber hinausgehende) Betriebshilfe gewährt, gewährt er dem Versicherten jedenfalls eine adäquate soziale Absicherung. Auf die auch für Nebenerwerbslandwirte mögliche zusätzlich bestehende Absicherung des § 10 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 ALG wurde bereits hingewiesen.

Nach alledem ist eine verfassungskonforme Auslegung des § 11 Abs 5 SGB V (iVm §§ 8, 9 KVLG 1989) weder wegen eines Konflikts der Deutungskriterien noch wegen einer gleichheitswidrigen Benachteiligung von Nebenerwerbslandwirten wie dem Kläger geboten. Vielmehr trägt die vom Senat vorgenommene Auslegung dem Wortlaut der Vorschrift und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzes Rechnung.

3.
Der Kläger hat schließlich auch keinen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Beklagten über eine besondere Unterstützung nach § 39 Abs. 2 SGB VII. Nach § 39 Abs. 2 SGB VII kann die Beklagte den Versicherten oder ihren Angehörigen zum Ausgleich besonderer Härten eine besondere Unterstützung gewähren. Das Tatbestandsmerkmal "besondere Härte" in § 39 Abs. 2 SGB VII ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, dessen Vorliegen durch die Gerichte voll nachprüfbar ist. Eine besondere Härte kann bei einem Versicherten vorliegen, bei dem eine besondere, atypische Bedarfssituation entstanden ist, die seinen Bedarf von dem typischen Bedarf anderer Versicherter mit der gleichen Berufskrankheit oder den gleichen Arbeitsunfallfolgen unterscheidet (Padè in juris-pk SGB VII, RdNr. 54; BSG, Urteil vom 29.11.2011, B 2 U 21/10 R). Diese Bedarfssituation kann in einer wirtschaftlichen Notlage bestehen, aber auch andere Bedarfslagen kommen in Betracht. Liegt eine solche Situation vor, kann der Träger als besondere Unterstützung auch eine (Geld-)Leistung gewähren, die in dieser Form im Gesetz nicht vorgesehen ist (z.B. zinslose Darlehen). Als besondere Unterstützung kann eine Zahlung für besondere, einmalige, durch den Versicherungsfall verursachte Bedarfslagen geleistet werden (vgl. BSG, aaO, juris-RdNr. 38). Die besondere Unterstützung ist nach der Stellung der Vorschrift im Gesetz entweder selbst eine Leistung zur Teilhabe oder eine solche, die die Leistungen zur Teilhabe hinsichtlich besonderer Bedarfe ergänzt. § 39 Abs. 2 SGB VII regelt damit einen Ergänzungs- und Auffangtatbestand (BSG aaO). Vorliegend fehlt es schon an einer besonderen, atypischen Bedarfssituation des Klägers, die die Beklagte zwingen würde, über einen Anspruch nach § 39 SGB VII zu entscheiden. Die Bedarfsituation des Klägers als Landwirt ist dem Gesetz vielmehr bekannt, wie § 54 SGB VII zeigt, und nicht atypisch. Die Gewährung von Betriebshilfe über die Härteregelung des § 39 Abs. 2 SGB VII durch eine nicht landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft wäre daher systemwidrig. Auch stehen keine Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft im Streit, für die § 39 SGB VII nach seiner systematischen Stellung im Gesetz eine Anspruchsgrundlage darstellt.

4.
Soweit das angefochtene Urteil des SG somit die Beigeladene zur Leistung verurteilt hat, war es abzuändern, die Abweisung der Klage gegen die beklagte Berufsgenossenschaft war dagegen zu bestätigen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision war zuzulassen, weil die Frage nach dem Anwendungsbereich und nach der Auslegung des § 9 KVLG über den vorliegenden Einzelfall hinaus Bedeutung hat (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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