L 5 R 554/13

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 7 R 6013/09
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 554/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 R 4/14 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein erster Betriebsprüfungsbescheid nach § 28p SGB IV ist erst nach § 45 SGB X zurückzunehmen, bevor zum selben Prüfzeitraum eine weitere Beitragsnachforderung erhoben werden darf (Revision zugelassen).
I. Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 28. Mai 2013 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten auch der Berufung.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig sind Beitragsnachforderungen aufgrund einer Betriebsprüfung.

Die Klägerin betreibt in A-Stadt unter ihrem Namen einen Friseurladen. Vormals war sie Inhaberin des Friseurgeschäfts "H.", A-Straße, A-Stadt. Dort waren für sie die Beigeladenen zu 1) bis 7) als Friseurinnen tätig.

Die Beklagte prüfte in der Person des als Zeugen einvernommenen Betriebsprüfers I. vom 08.12.2004 bis 15.02.2005 den Betrieb der Klägerin für den Zeitraum 01.01.2000 bis 31.12.2003. Nach einer Schlussbesprechung gemäß Protokoll vom 03.03.2005 machte die Beklagte mit Bescheid vom gleichen Tag für die Zeit 01.01.2002 bis 31.12.2003 eine Nachforderung von 193,12 EUR für Renten- und Krankenversicherungsbeiträge geltend, weil die Klägerin auf das Beschäftigungsverhältnis der Friseurin A. L. unzutreffende Beitragssätze angewandt hatte. Zum Inhalt des Protokolls der Schlussbesprechung sowie des Bescheides wird auf Blatt 98 bis 101 der Klageakte Bezug genommen. Die Klägerin beglich diese Nachforderung. Der Bescheid wurde bestandskräftig.

Die Beklagte führte in der Zeit vom 29.05.2008 bis 26.07.2008 eine weitere Betriebsprüfung in der Person des Betriebsprüfers H. durch. Dieser stellte dabei fest, dass die Klägerin die Beigeladenen zu 1) bis 7) nicht stets für den gesamten Zeitraum ihrer Tätigkeit gemeldet und nicht den Lohn gezahlt hatte, den sie nach den einschlägigen für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen für das Friseurhandwerk Bayern geschuldet hätte. Nach Anhörung vom 02.07.2008 forderte die Beklagte mit Bescheid vom 28.07.2008 für den Prüfzeitraum 01.03.2001 bis 08.02.2008 Gesamtsozialversicherungsbeiträge einschließlich Säumniszuschläge in Höhe von insgesamt 63.858,67 EUR nach. Die Nachforderung ergebe sich aus der Entgeltdifferenz zwischen dem gezahlten und dem geschuldeten Arbeitslohn sowie aus dem Arbeitslohn für beitragsrechtlich nicht gemeldete Zeiten.

Die Klägerin hat am 22.09.2008 gegen den Sofortvollzug der Beitragsnachforderung einen Eilantrag beim Sozialgericht Bayreuth gestellt (Az.: S 6 R 6066/08 ER), diesen aber am 01.10.2008 zurückgenommen.

Im Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 28.07.2008 reduzierte die Beklagte mit Teilabhilfebescheid vom 18.02.2009 die Nachforderung auf insgesamt 62.544,47 EUR (enthalten: Säumniszuschläge in Höhe von 17.539,67 EUR); wegen der ab 01.01.2003 eingetretenen Rechtsänderungen dürfe seither auf Einmalzahlungen wie das tariflich geschuldete Weihnachtsgeld nicht das Entstehungsprinzip, sondern das Zuflussprinzip Anwendung finden. Im Übrigen wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 22.04.2009 als unbegründet zurück.

Dagegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Bayreuth erhoben mit dem Begehren, die Nachforderung gänzlich zu beseitigen.

Einen Antrag der Beigeladenen zu 2) vom 05.02.2009, über das Vermögen der Klägerin die Insolvenz zu eröffnen, hat das Amtsgericht A-Stadt - Insolvenzgericht - mit Beschluss vom 21.04.2009 mangels Masse abgelehnt. Das Insolvenzgericht hat sich dabei auf ein Gutachten des Insolvenzverwalters P. vom 01.04.2009 gestützt, wonach die Klägerin überschuldet war. Das anschließend eingeleitete Strafverfahren hat die Staatsanwaltschaft A-Stadt gemäß Verfügung vom 15.06.2009 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Anhaltspunkte für ein vorsätzliches Nichtabführen von Beiträgen gemäß § 266 a StGB bestünden nicht.

Die Klägerin hat im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Bayreuth im Wesentlichen geltend gemacht, sie verfüge über ein Jahreseinkommen von wenigen tausend Euro, so dass sie die Nachforderungen der Beklagten in den Ruin trieben. Im Übrigen seien die Beigeladenen als Friseurinnen ordnungsgemäß angemeldet gewesen, sie habe pflichtgemäß die geschuldeten Beiträge abgeführt. Die Beigeladene zu 6) sei ab 2001 auf privater Basis und nur aus guter Freundschaft im Friseurgeschäft gewesen und habe verabredungsgemäß dafür nur ein Taschengeld erhalten, so dass ein Beschäftigungsverhältnis zunächst nicht vorgelegen habe.

Das Sozialgericht hat mit Gerichtsbescheid vom 28.05.2013 die Entscheidung der Beklagten insoweit aufgehoben, als diese Beiträge und Umlagen auch für die Zeit 01.03.2001 bis 31.12.2003 nachgefordert hatte. Die Beklagte dürfe nur die auf die Zeiträume ab 01.01.2004 entfallenden Beiträge in Höhe von 25.275,19 EUR und Säumniszuschläge von 5.215,50 EUR nachfordern. Denn der Bescheid vom 03.03.2005 zur Betriebsprüfung des Zeitraumes 01.01.2001 bis 31.12.2003 sei bestandskräftig geworden. Diesen Bescheid habe die Beklagte weder im Teilabhilfebescheid noch im streitgegenständlichen Bescheid beseitigt. Der Bescheid vom 03.03.2005 stehe daher einer weiteren Nachforderung für die bestandskräftig abgeschlossene Zeit entgegen. Im Übrigen seien die Beitragsnachforderungen einschließlich Säumniszuschläge zu Recht erfolgt. Die Beklagte habe das geschuldete und zu verbeitragende Arbeitsentgelt korrekt errechnet. Maßgeblich seien nicht die tatsächlich gezahlten Entgelte, sondern die Entgelte, die die Klägerin nach den jeweils zeitlich gültigen und für allgemein verbindlich erklärten Tarifverträgen für das Friseurhandwerk in Bayern geschuldet hatte.

Dagegen hat nur die Beklagte Berufung eingelegt mit dem Ziel, Beiträge auch für die Zeit 01.03.2001 bis 31.12.2003 nachfordern zu können. Dies entspreche ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Betriebsprüfungen bezweckten keine Entlastungen der Arbeitgeber. Sie fänden nur aufgrund von Stichprobenprüfungen statt, so dass der betroffene Arbeitgeber sich nicht auf Verwirkung der Beitragsnachforderung berufen dürfe. Eines Aufhebungsbescheides hinsichtlich des Bescheides vom 03.03.2005 habe es deshalb nicht bedurft.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 28.05.2003 aufzuheben und die Klage vollumfänglich abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 28.05.2013 zurückzuweisen.

Sie ist der Meinung, die Beklagte dürfe einen bereits geprüften und verbeschiedenen Prüfzeitraum nicht ohne Weiteres einer neuen Beitragsforderung unterwerfen. Es gelte der Grundsatz "geprüft ist geprüft". Im Übrigen sei ihr nicht verständlich, wie für ihren Kleinbetrieb eine so hohe Beitragsnachforderung habe entstehen können, während sie der Presse entnommen habe, dass bei Großfriseuren weit geringere Nachforderungen angefallen seien.

Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung vom 08.10.2013 den Zeugen I. einvernommen. Dieser hat angegeben, er könne sich angesichts der von ihm jährlich rund 300 bis 350 vorzunehmenden Betriebsprüfungen und wegen der mittlerweile vergangenen Zeit an die Prüfung der Klägerin im Jahr 2004/2005 nicht mehr erinnern. Wegen der Einzelheiten der Aussage wird auf die Niederschrift vom 08.10.2013 Bezug genommen. Beigezogen und Gegenstand der Verhandlung waren die Verwaltungsakten der Beklagten, die Akten der Staatsanwaltschaft A-Stadt, die Akten des Amtsgerichts A-Stadt - Insolvenzgericht sowie die Verwaltungsakten der Beklagten. Darauf sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), aber unbegründet. Die Beklagte war wegen des bestandskräftigen Betriebsprüfungsbescheides vom 03.03.2005 nicht berechtigt, ohne vorherige Rücknahme dieses Bescheides weitere Beiträge für den dortigen Betriebsprüfungszeitraum nachzufordern.

Streitgegenstand sind der Bescheid der Beklagten vom 28.07.2008 in der Gestalt des Teilabhilfebescheides vom 18.02.2009 jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2009 und der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 28.05.2013 nur noch insoweit, als dort Nachforderungen auch für die Zeit 01.03.2001 bis 31.12.2003 enthalten sind. Denn das Sozialgericht Bayreuth hat auf die Klage der Klägerin hin die genannte Entscheidung ausschließlich für diesen Zeitraum aufgehoben, im Übrigen aber die Klage abgewiesen. Dagegen hat allein die Beklagte Berufung eingelegt. In der Berufung ist daher über die Nachforderungen für die Zeit ab 01.01.2004 nicht zu befinden. In Bezug auf den strittigen Zeitraum ist der Bescheid vom 28.07.2008/Teilabhilfebescheid/Widerspruchsbescheid vom 22.04.2009 rechtswidrig und verletzt die Klägerin durch die auferlegten Zahlungspflichten in ihren Rechten, weil ein bestandskräftiger Bescheid anderen Inhalts vorliegt. Der angefochtene Gerichtsbescheid ist daher zu Recht ergangen.

1. Der im Berufungsverfahren noch streitgegenständlichen Forderung der Beklagten auf Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen für den Zeitraum 1.3.2001 bis 31.12.2003 steht der bestandskräftige Bescheid der Beklagten vom 3.3.2005 entgegen.

a) Nach Auslegung entsprechend des für Willenserklärungen geltenden § 133 BGB geht die Bindungswirkung des Bescheides vom 3.3.2005 dahin, dass die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen für den Zeitraum 1.3.2001 bis 31.12.2003 auf die damals festgesetzte Nachforderung in Höhe von 193,12 Euro begrenzt ist.

Spätestens mit der Unanfechtbarkeit des Bescheides vom 3.3.2005 erlangte dieser neben der formellen auch eine materielle Bestandskraft. Der Verwaltungsakt wurde damit im Verhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten in der Sache bindend (vgl. Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. (2012), § 77 Rdnr. 5a). Die materielle Bestandskraft ist nichts anderes als ein "Abweichungsverbot" für die Beklagte (vgl. Merten, NJW 1983, 1993, 1996). In Rechtsprechung und Literatur besteht Einigkeit dahin gehend, dass die Bindungswirkung der materiellen Bestandskraft sich zunächst auf den Entscheidungssatz (Verfügungssatz) des Verwaltungsakts beschränkt. Die Gründe eines Verwaltungsaktes erwachsen dagegen grundsätzlich nicht in Bestandskraft (vgl. Engelmann in: von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. (2010), § 31, Rdnr. 51; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. (2012), § 77 Rdnr. 5b; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 13. Aufl. (2012), § 43 Rdnr. 31; Dörr, NZS 1994, 203, 204). Dabei ist der Verfügungssatz eines Bescheides im Zweifel durch Auslegung zu bestimmen (Dörr, NZS 1994, 203, 204).

Maßgeblich ist der zu ermittelnde objektive Sinngehalt der im Bescheid formulierten Erklärung der Beklagten mit dem Inhalt, den die Klägerin als die Empfängerin der Erklärung bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalles objektiv verstehen musste. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sind für die Ermittlung des erklärten Willens auch weitere Umstände und Gesichtspunkte heranzuziehen, die zur Aufhellung des Inhalts der Verfügung beitragen können und die den Beteiligten bekannt sind, wenn der Verwaltungsakt sich erkennbar auf sie bezieht. Maßstab der Auslegung ist insofern der verständige und Zusammenhänge berücksichtigende Beteiligte (vgl. BSG, Urteil vom 20.3.2013 - B 5 R 16/12 R, Rz. 18). Bei der Beurteilung, mit welchem Inhalt der Bescheid vom 3.3.2005 Bestandskraft erlangt hat, ist der Gesamtkontext der Betriebsprüfung zu berücksichtigen. Insoweit ist der Maßstab des Bundesverwaltungsgerichts anwendbar, dass sich der "Gegenstand und die rechtliche Tragweite der Bestandskraft eines Verwaltungsaktes [ ...] nicht einheitlich für alle Rechtsgebiete und für alle Arten von Verwaltungsakten beurteilen" lässt (vgl. BVerwGE 48, 271 (279) = NJW 1976, 340).

Zunächst ist festzustellen, dass der Bescheid vom 3.3.2005 als unmittelbar der Anrede folgenden Verfügungssatz lediglich die Formulierung enthält: "die durchgeführte Prüfung hat in den geprüften Fällen folgende Feststellungen ergeben: Die sich aus der Prüfung ergebende Nachforderung beträgt insgesamt 193,12 Euro. Bitte zahlen Sie die sich im Einzelnen ergebenden Beiträge unter Berücksichtigung der in diesem Bescheid genannten Zahlungsfrist an die in der Anlage/den Anlagen bezeichnete(n) Einzugsstelle(n). Soweit zuviel gezahlte Beiträge anlässlich der Prüfung erstattet und verrechnet werden konnten, wurden sie mit der Forderung verrechnet." Der Prüfzeitraum ist im Bescheid noch vor der Anrede angegeben mit "Prüfzeitraum vom 1.1.2009 bis 31.12.2003".

Als weitere Umstände und Gesichtspunkte für die Ermittlung des erklärten Willens der Beklagten ergeben sich in Würdigung des Protokolls der Schlussbesprechung vom 03.03.2005, des Bescheides vom 03.03.2005 selbst und der Angaben der Beteiligten im Verfahren, dass damals die Beklagte die Klägerin als Arbeitgeberin und Betreiberin des Friseurgeschäftes "H.", A-Straße, A-Stadt einer mehrere Wochen dauernden Betriebsprüfung unterzog. Prüfgegenstand waren der Zeitraum 01.01.2000 bis 31.12.2003 sowie namentlich die in mehreren Aktenordnern von der Klägerin gesammelten Entgeltunterlagen nach § 8 BVV und Beitragsabrechnungen nach § 9 BVV. Nach deren wenige Wochen dauernder Auswertung führten der Prüfer I. und die Klägerin eine persönliche Schlussbesprechung durch. Diese hatte ebenso wie der Prüfbescheid zum Inhalt, dass für den Prüfgegenstand eine Beitragsnachforderung in Höhe von 193,13 EUR besteht.

Zwar bezog sich der Bescheid ausdrücklich auf die "Prüfung ... in den geprüften Fällen ...", die Beklagte hatte also eine Stichprobenprüfung iSd § 11 BVV durchgeführt. Jedoch waren die geprüften Fälle weder im Bescheid selbst benannt noch sonst erkennbar gemacht; sie waren auch anderweitig von den ungeprüften Fällen abgrenzbar. Dies ergibt sich aus dem vorgelegten Bescheid vom 03.03.2005, zu welchem weitere Aktenvorgänge nach den glaubhaften Angaben der Beklagten nicht mehr vorhanden sind, sowie aus dem Akteninhalt und dem Vorbringen der Beklagten im Übrigen. Es kann nicht nachvollzogen werden, nach welchen Gesichtspunkten die Beklagte ihre nicht näher spezifizierten Stichproben ("in den geprüften Fällen") ausgewählt hat, ob oder welches Stichprobenplanungs- oder -auswahlverfahren zu Grunde gelegt war. Eine weitere Konkretisierung der Stichprobe ist auch nicht durch Auslegung entsprechend § 133 BGB möglich. Der Stichprobenbegriff in § 11 BVV ist gesetzlich nicht näher definiert. Nach dem Sprachgebrauch (Brockhaus Enzyklopädie, 20. Auflage 1996) ) ist die Stichprobe eine Methode zur Qualitätskontrolle; sie findet Anwendung vor allem bei umfänglichen Prüfgegenständen, bei welchen die Prüfung jedes einzelnen Teiles zu aufwändig sowie unwirtschaftlich wäre. Zur Stichprobe wird danach aus einer Grundgesamtheit eine im Stichprobenplan festgelegte Menge von zufälligen Prüflingen entnommen, die einzeln nach den für eine ausreichende Qualität gültigen Kriterien geprüft werden. Da vorliegend kein Auswahlverfahren, kein Prüfplan oder -muster erkennbar ist, nach welchen die Stichproben vorgenommen wurden, ist eine zufällige oder willkürliche Stichprobenauswahl anzunehmen. Wegen dieser zufälligen oder beliebigen, jedenfalls nicht näher spezifizierbaren Vorgehensweise der Stichprobenprüfung kann aus der Stichprobenprüfung allein nicht bestimmt genug iSd § 33 SGB X entnommen werden, inwiefern die Bindungswirkung des Bescheides vom 03.03.2005 besteht und inwiefern nicht.

Zu entnehmen ist dem Prüfvorgang der Beklagten lediglich, dass die Stichproben keinen Anlass gegeben hatten, auf Fehler der Verbeitragungsvorgänge im Übrigen zu schließen und deshalb die Prüfung auszuweiten. Der so festgestellte Bescheidinhalt stimmt mit den diesbezüglichen in sich widerspruchsfreien Angaben der Klägerin im vorliegenden Verfahren überein. Für abweichende Regelungen oder Absprachen sind keine Anhaltspunkte vorhanden, wie sich aus den glaubhaften Angaben des Zeugen I. in der Einvernahme vom 08.10.2013 ergibt. Dieser hat nachvollziehbar angegeben, dass er angesichts von rund 320 zu prüfenden Betrieben pro Jahr nach mittlerweile rund 10 vergangenen Jahren keine Erinnerung mehr an die damaligen Vorgänge hat.

Damit ist zusammenfassend festzustellen, dass die Bindungswirkung des Bescheidinhalts, den die Klägerin als die Empfängerin der Erklärung bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalles objektiv verstehen musste, die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen für den Zeitraum 1.3.2001 bis 31.12.2003 auf die Nachforderung in Höhe von 193,12 Euro erfasst.

b) In Bezug auf den hier streitgegenständlichen Prüfbescheid ist festzustellen, dass die Beklagte die Klägerin als Arbeitgeberin des Friseurgeschäftes "H.", A-Straße, A-Stadt einer mehrere Wochen (vom 29.05.2008 bis 27.06.2008) dauernden Betriebsprüfung unterzog. Prüfgegenstand waren der Zeitraum 08.02.2008 sowie auch die in mehreren Aktenordnern von der Klägerin gesammelten Entgeltunterlagen nach § 8 BVV und Beitragsabrechnungen nach § 9 BVV. Nach Anhörung mit persönlicher Besprechung vom 02.07.2008 hat die Beklagte als Prüfergebnis verbeschieden, dass die Klägerin (auch) für die Zeit 01.03.2000 bis 31.12.2003 Beiträge nachentrichten muss und zwar iHv 32.054 Euro. Der Bescheid vom 03.03.2005 sowie dessen Inhalt waren nicht Inhalt des hier strittigen Prüfbescheides. Diese Feststellungen ergeben sich aus den Verwaltungsakten der Beklagten sowie aus den Angaben der Beteiligten im Verfahren.

In Auswertung der Verwaltungsakten der Beklagten und der Verfahrensakten beider gerichtlicher Instanzen ergibt ein Vergleich der streitgegenständlichen Entscheidung mit dem Erstbescheid vom 03.03.2005 weiter, dass von der Beklagten als identischer Behörde gegenüber der Klägerin als Arbeitgeberin der beigeladenen Friseurinnen nach einer Außenbetriebsprüfung einschließlich Anhörung der identische Sachverhalt, nämlich die Beitragspflicht der Klägerin für ihre Arbeitnehmerinnen im strittigen Zeitraum, zum einen eine Nachforderung iHv 193,13 Euro und zum anderen iHv 32.054 Euro auferlegt wurde. Es liegen damit zwei sich inhaltlich widersprechende Bescheide zum identischen Sachverhalt auf einheitlicher Rechtsgrundlage in Bezug auf die gleichen Betroffenen zum kongruenten Zeitraum vor, von denen der erstergangene in Bestandskraft erwachen war.

2. Die sich aus der materiellen Bestandskraft ergebende dauerhafte Bindung der Behörde an einen von ihr erlassenen Verwaltungsakt steht zwar unter dem Vorbehalt der Aufhebbarkeit dieses Verwaltungsakts (Erichsen, NVwZ 1983, 185, 189). Im Sinne der Rechtssicherheit sollen bestandskräftige Entscheidungen zwar zunächst auch bestandskräftig bleiben (vgl. Schütze in: von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. (2010), Vor §§ 44-49 ff., Rdnr. 8). Die Bindungswirkung kann aber allein durch Anwendung der §§ 44 ff SGB X durchbrochen werden.

a) Auf die vorliegende Betriebsprüfung bei der Klägerin gem. § 28p SGB IV ist als Verfahrensrecht das SGB X anzuwenden, §§ 1, 8 SGB X (vgl. LSG Hamburg vom 22.01.2009 - L 3 R 17/08 Rdnr. 33 - zitiert nach Juris). Weder dem Gesetz zur Einordnung der Vorschriften über die Meldepflichten des Arbeitgebers (Gesetz vom 20.12.1988 - BGBl. I S. 2230) und dessen zugehörigen Gesetzgebungsmaterialien (BT-Drs. 11/2221 vom 02.05.1988, BT-Drs. 11/2265 vom 06.05.1988 und BT-Drs. 11/3445 vom 22.11.1988) mit welchem das Betriebsprüfungsrecht in das SGB eingeordnet wurde, noch dem Dritten Gesetz zur Änderung des Sozialgesetzbuches, mit welchem den Rentenversicherungsträger die Betriebsprüfungen übertragen wurden (vom 30.06.1995 - BGBl. I S. 890) noch dessen Gesetzgebungsmaterialien (BT-Drs. 13/1205 vom 26.04.1995) lassen sich Regelungen entnehmen, die die Betriebsprüfungsverfahren vom Anwendungsbereich des SGB X ausnehmen. Auch die Beitragsverfahrensverordnung (BVV) vom 03.05.2006 (BGBl. I S. 1138 - zuletzt geändert durch Art. 9 des Gesetzes vom 05.12.2012, BGBl. I S. 2474) enthält kein vom SGB X abweichendes Recht; entsprechende Regelungen wären ohnehin mit den Ermächtigungsnormen § 28 n, § 28 d Abs. 9 SGB IV nicht zu vereinbaren.

b) Soweit ein begünstigender Verwaltungsakt rechtswidrig ist, darf er nach Bestandskraft nur unter den Einschränkungen des § 45 Abs. 2 bis 4 SGB X ganz oder teilweise mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Dabei darf ein begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf dessen Bestand vertraut hat und das Vertrauen schutzwürdig ist. Auf den Bescheid vom 03.03.2005 ist § 45 SGB X anzuwenden, obwohl dieser auf den ersten Blick belastend gewesen war, weil er für die Klägerin eine Beitragspflicht in Höhe von 193,00 EUR bestimmt hatte. Tatsächlich aber war der Bescheid vom 03.03.2005 für die Klägerin rechtlich begünstigend, weil er eine Beitragsnachforderung bestimmt hatte, die aus rechtlichen Gründen zu niedrig war.

Die Beklagte hatte zunächst die Beitragsnachforderung objektiv zu niedrig festgesetzt. Die Klägerin hatte im Prüfzeitraum keine bzw. zu niedrige Beiträge für die betroffenen beigeladenen Friseurinnen abgeführt. Wie vom Sozialgericht zutreffend festgestellt und ausgeführt, waren Gesamtsozialversicherungsbeiträge für die damals bestehenden Beschäftigungsverhältnisse mit den beigeladenen Friseurinnen nicht aus den gezahlten Entgelten, sondern wegen des Entstehungsprinzips aus den rechtlich geschuldeten Entgelten zu zahlen (§ 22 SGB X; vgl. BSG, Urteil vom 14.07.2004 - B 12 KR 1/04 R, Rn 17 ff - zitiert nach Juris). Zu betonen ist, dass die Klägerin namentlich zur Beitragsabführung aus den Entgelten einschließlich Weihnachtsgeld verpflichtet gewesen wäre, welche der für die betroffenen Jahre einschlägige und jeweils für allgemein verbindlich erklärte Lohntarifvertrag für das Friseurhandwerk Bayern bestimmt hatte - was die Klägerin entsprechend den Angaben in den Arbeitsverträgen sowie nach ihren eigenen Beteuerungen im streitgegenständlichen Verwaltungsverfahren - namentlich im Telefonat vom 1.7.2008 - auch wusste. Diesen zutreffenden Feststellungen und Ausführungen des Sozialgerichts schließt sich der Senat an, übernimmt sie und sieht von einer weiteren Darstellung ab § 153 Abs. 2 SGG.

Wegen dieser objektiven Minderbelastung hatte der Bescheid vom 03.03.2005 - gemessen an den gesetzlichen Erfordernissen - einen begünstigenden Inhalt (zu dieser Wertung vgl. BSG, Urteil vom 12.02.1992 - 10 RAr 6/90, Rn 16 mwN - zitiert nach Juris). Im Hinblick auf die vorliegende Streitfrage, ob der rechtliche Vorteil der Nichtgeltendmachung einer objektiv-rechtlich bestehenden Beitragsnachforderung im Bescheid vom 03.03.2005 Bestand haben kann, ist der Bescheid vom 03.03.2005 somit ein begünstigender Verwaltungsakt iSd § 45 Abs. 1 SGB X (vgl. Steinwedel in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 78. Ergänzungslieferung 2013, SGB X § 44 Rn 12 - 14; Schütze in: von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 45 Rn 22 mwN).

Es wäre damit erforderlich gewesen, den bestandskräftigen Erstbescheid vom 03.03.2005 vor Erlass der strittigen Entscheidung aufzuheben nach § 45 SGB X. Zur anderslautenden Auffassung der Beklagten, dass eine Nachveranlagung jederzeit möglich sei und § 45 SGB X keine Anwendung fände, hat das BSG im Urteil vom 12.02.1992 - 10 RAr 6/90 unter Rn 18 (zitiert nach Juris) entschieden: Der Gesetzgeber hat in § 45 Abs. 2 SGB X eine grundsätzliche Abwägung getroffen zwischen dem Rechtsstaatsprinzip einerseits und dem Vertrauensschutz des Beitragsschuldners (oder Berechtigten) andererseits. Dieser Widerstreit, der im Falle der Änderung einer rechtskräftigen Beitragsprüfung immer entsteht, würde bei der Verfolgung der Auffassung der Beklagten nicht ausgetragen. Mehr noch: es würde die ausdrückliche Regelung des Gesetzgebers in § 45 Abs. 2 SGB X übergangen, die nur für den Fall getroffen ist, dass eine rechtswidrige zu geringe Heranziehung vorliegt, die entweder auf Täuschung, auf vorsätzlich falschen Angaben oder aufgrund Fahrlässigkeit beruhen muss. Damit hat der Gesetzgeber zu erkennen gegeben, dass Verwaltungsakte, in denen zu geringe Belastungen eines Verpflichteten entstehen, ausschließlich auf dem Weg über § 45 SGB X zu berichtigen sind. Wie das Sozialgericht zutreffend festgestellt hat, ist eine Entscheidung der Beklagten, diesen Bescheid vom 03.03.2005 nachträglich zu beseitigen, weder ersichtlich noch auf anderem Wege in der streitgegenständlichen Entscheidung zu finden. Diesen Feststellungen des Sozialgerichts schließt sich der Senat in Übernahme an, § 153 Abs. 2 SGG.

3. Die Beklagte hat den Bescheid vom 03.03.2005 auch nicht widerrufen. Zudem ist die im Bescheid vom 03.03.2005 nur im Einleitungssatz vor dem Tenor enthaltene Formulierung " ... hat in den geprüften Fällen folgende Feststellungen ergeben" kein hinreichend bestimmter und auch nicht hinreichend bestimmbarer Widerrufsvorbehalt iSd § 32 Abs. 2 Nr. 3 IVm § 33 SGB X. Entsprechende Anhaltspunkte sind auch den übrigen Angaben der Beteiligten im Verfahren nicht zu entnehmen; sie sind auch nicht anderweitig erkennbar.

4. Der vorliegende Fall unterscheidet sich damit wesentlich von den Fällen der Rechtsprechung des BSG, auf die sich die Beklagte bezogen hat. In den von ihr zitierten Entscheidungen hat das Bundessozialgericht die Voraussetzungen festgelegt, unter denen der Beklagte "das Recht zur Geltendmachung der festgestellten Beitragsforderungen verwirkt" hätte (BSG, Urteil vom 10.09.1975 - 3/12 RK 15/74 Rdnr. 20 und Urteil vom 30.11.1978 - 12 RK 6/76 Rdnr. 10, 11 ; BSG, Urteil vom 14.07.2004 - B 12 KR 1/04 R Rdnrn. 42, 44 - jeweils zitiert nach Juris). Vorliegend ist über Voraussetzungen und Rechtsfolgen des § 45 SGB X zu befinden. Weil die Beklagte keinen Bescheid nach § 45 SGB X erlassen hat, bedarf es keiner Prüfung, ob die Beitragnachforderung bei ihrer Feststellung im Jahre 2008 verjährt war (vgl § 25 Abs 1 SGB IV). Ebenso wenig ist zu entscheiden, ob der Beitragnachforderung das als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) auch für das Sozialversicherungsrecht und insbesondere für die Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung anerkannte Rechtsinstitut der Verwirkung (vgl BSG, Urteil vom 14. Juli 2004 - B 12 KR 1/04 R, Rn. 43 - zitiert nach juris) entgegenstehen kann.

a) Die von der Beklagten in Bezug genommene Entscheidung 30.11.1978 (Az: 12 RK 6/76; vorangegangen im Instanzenzug BSG, Urteil vom 31.07.1974 - 12 RK 1/73) hatte sich auf Beitragsnachforderungen für die Zeiträume von Januar 1966 bis Mai 1970 bezogen gemäß der dort strittigen Bescheide vom 11.12.1968, 15.01.1969, 17.04.1970, 03.12.1970 (vgl. das im Instanzenzug vorangegangene BSG, Urteil vom 31.07.1974 - 12 RK 1/73 Rdnrn. 1, 8, 9 - zitiert nach Juris). Streitgegenständlich war dort u.a., inwieweit einer Entschließung des Königlich Bayerischen Landesversicherungsamtes München vom 28.01.1914 Gültigkeit zuzubilligen war. Als Prüfgegenstand kamen dort in Betracht gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 Beitragsüberwachungsverordnung (in der Anzuwendenden Fassung der Erstbekanntmachung vom 28.06.1963 - BGBl. I Nr. 35 S. 446) die Versichertenkarten der Beschäftigten. Zur hier relevanten Regelung in § 45 SGB X dagegen konnte das Bundessozialgericht Nichts entscheiden. Denn das SGB X ist mit erst Wirkung vom 01.01.1981 in Kraft getreten (Gesetz vom 18.08.1980 - BGBl. I S. 1469).

b) Auch die späteren Entscheidungen des Bundessozialgerichts, die die Entscheidung vom 30.11.1978 - 12 RK 6/76 aufgreifen und zitierend übernehmen, beziehen sich auf die Auseinandersetzung mit der Verwirkung einer Beitragsrückforderung. Die hier streitgegenständliche Voraussetzung der Rücknahme eines bestandskräftigen Betriebsprüfungs-Verwaltungsaktes nach § 45 SGB X hingegen ist nicht thematisiert. Das gilt insbesondere für das Urteil vom 14.07.2004 - B 12 KR 1/04 R. Dort finden sich allein Ausführungen zur Frage der Verwirkung (BSG a.a.O. Rn 42 bis 46). Eine Auseinandersetzung mit der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 12.02.1992 - 10 RAr 6/90 (Rdnr. 18 - zitiert nach Juris), bei welchem der 10. Senat die Anwendbarkeit des § 45 im Falle von einer Nachveranlagung durch einen weiteren Beitragsbescheid bestimmt hat, ist auch dort nicht erfolgt. Ebenso wenig stehen die Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur zulässigen Einrede der Verjährung gegen die Geltendmachung von Beitragserstattungsansprüchen der hier vertretenen Rechtsauffassung entgegen (vgl. BSG, Urteil vom 29.07.2003 - B 12 AL 1/02 R Rdnr. 26).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach den in der zweiten Instanz noch streitigen Beitragsnachforderungen für den gegenständlichen Zeitraum, § 52 Abs. 3, § 47 Abs 1 S 1 GKG.

Die Revision wird zugelassen, § 160 SGG, um die Einheitlichkeit der Rechtsanwendung herzustellen.
Rechtskraft
Aus
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