S 10 KR 422/12

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Chemnitz (FSS)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 10 KR 422/12
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 66/14
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. § 238 a SGB V regelt die Beitragsbemessung der freiwillig versicherten Rentner.

2. Danach werden der Beitragsbemessung nacheinander der Zahlbetrag der Rente, der Zahlbetrag der Versorgungsbezüge, das Arbeitseinkommen und die
sonstigen Einnahmen, die die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds bestimmen (§ 240 Abs. 1), zugrunde gelegt.

3. § 238 a SGB V verweist zu den beitragspflichtigen Einnahmen also (lediglich) auf § 240 Abs. 1 SGB V, nicht jedoch (auch) auf § 240 Abs. 4 SGB V.
4. Der Beitragsbemessung der freiwillig versicherten Rentner sind daher nur die in § 238 a SGB V benannten (tatsächlichen) Einnahmen zugrunde zu legen, nicht
jedoch die (fingierten) Einnahmen des § 240 Abs. 4 SGB V.

5. Die Mindestbeitragsbemessungsgrenze des § 240 Abs. 4 SGB V gilt daher für die freiwillig versicherten Rentner nicht.
I. Die Beklagte wird verurteilt, in Abänderung des Bescheides vom 11.05.2009 und des Widerspruchsbescheides vom 16.09.2009 die Beiträge des Klägers zur freiwilligen Krankenversicherung ohne Berücksichtigung der Mindestbeitragsbemessungsgrenze des § 240 Abs. 4 SGB V zu berechnen.

II. Die Beklagte hat dem Kläger dessen notwendig entstandene außergerichtliche Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Geltung der Mindestbeitragsbemessungsgrenze des § 240 Abs. 4 SGB V.

Der am 00.00.1961 geborene Kläger beantragte am 05.05.2009 die freiwillige Versicherung bei der Beklagten. Der Antrag erfolgte wegen Beendigung der Familienversicherung durch Bezug einer Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Laut Bescheid vom 27.04.2009 der Deutschen Rentenversicherung Bund erhielt der Kläger ab 01.06.2009 eine laufende monatliche Zahlung von 381,63 EUR als Rente wegen voller Er-werbsminderung.

Mit streitigem Bescheid vom 11.05.2009 legte die Beklagte die beitragspflichtigen Einnahmen ab 01.06.2009 auf monatlich 840,00 EUR fest.

Dagegen legte der Kläger am 03.07.2009 Widerspruch mit der Begründung ein, seine Rente belaufe sich lediglich auf 381,00 EUR, und nicht auf 840,00 EUR monatlich. Auch sein Zuschuss zur Rente berechne sich lediglich aus dem Betrag von 381,00 EUR.

Mit Schreiben vom 06.07.2009 verwies die Beklagte auf die Mindestbemessungsgrenze des § 240 Abs. 4 Satz 1 SGB V.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.09.2009 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Eine Unterschreitung der Mindestgrenze sei nicht zulässig.

Dagegen hat der Kläger am 19.10.2009 Klage erhoben.

Mit Beschluss vom 24.02.2010 hat das Gericht das Verfahren abgetrennt, soweit Beiträge zur Pflegeversicherung streitig sind.

Die mündliche Verhandlung am 28.10.2010 wurde vertagt, um dem Kläger weiteren Sachvortrag zu ermöglichen.

Mit Schriftsatz vom 31.01.2011 verwies der Bevollmächtigte des Klägers auf die Vorschrift des § 5 Abs. 1 Nr 13 a SGB V.

Mit Beschluss vom 05.07.2011 ordnete das Gericht das Ruhen des Verfahrens an.

Das Verfahren wurden unter dem Az.: S 10 KR 422/12 weitergeführt.

Mit Schreiben vom 22.05.2013 verwies das Gericht darauf, dass § 238 a SGB V lediglich auf § 240 Abs. 1 SGB V verweist.

Mit Schriftsatz vom 29.05.2013 verwies die Beklagte darauf, dass § 238 a SGB V lediglich die Rangfolge der Einnahmearten freiwillig versicherter Rentner regele, nicht jedoch die beitragspflichtigen Einnahmen selbst.

In der mündlichen Verhandlung am 12.09.2013 beantragt der Bevollmächtigte des Klägers:

1. Die Beklagte wird in Abänderung des Bescheides vom 11.05.2009 und des Widerspruchsbescheides vom 16.09.2009 verurteilt, die Beiträge des Klägers zur freiwilligen Krankenversicherung ohne Berücksichtigung der Mindestbeitragsbemessungsgrenze des § 240 Abs. 4 SGB V zu berechnen.

2. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Der Vertreter der Beklagten beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat die Akten der Beklagten beigezogen. Auf diese, die Prozessakte sowie die Niederschriften der mündlichen Verhandlung wird zur Ergänzung des Tatbestandes verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist form- und fristgerecht erhoben und insgesamt zulässig.

Die Klage ist auch begründet. Die Mindestbeitragsbemessungsgrenze des § 240 Abs. 4 Satz 1 SGB V gilt nicht für freiwillig versicherte Rentner.

Die beitragspflichtigen Einnahmen freiwillig Versicherter sind zunächst in § 240 SGB V geregelt.

Die maßgeblichen Vorschriften des § 240 Abs. 1 bis 3, Abs. 4 Satz 1 SGB V lauten wie folgt:

"(1) Für freiwillige Mitglieder wird die Beitragsbemessung einheitlich durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen geregelt. Dabei ist sicherzustellen, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds berücksichtigt. (2) Bei der Bestimmung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sind mindestens die Einnahmen des freiwilligen Mitglieds zu berücksichtigen, die bei einem vergleichbaren versicherungspflichtig Beschäftigten der Beitragsbemessung zugrunde zu legen sind. Abstufungen nach dem Familienstand oder der Zahl der Angehörigen, für die eine Versicherung nach § 10 besteht, sind unzulässig. Der in Absatz 4 Satz 2 genannte Existenzgründungszuschuss und der zur sozialen Sicherung vorgesehene Teil des Gründungszuschusses nach § 57 des Dritten Buches in Höhe von monatlich 300 Euro dürfen nicht berücksichtigt werden. Die §§ 223 und 228 Abs. 2, § 229 Abs. 2 und die §§ 238 a, 247 Abs. 1 und 248 dieses Buches sowie § 23 a des Vierten Buches gelten entsprechend. (3) Für freiwillige Mitglieder, die neben dem Arbeitsentgelt eine Rente der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen, ist der Zahlbetrag der Rente getrennt von den übrigen Einnahmen bis zur Beitragsbemessungsgrenze zu berücksichtigen. Soweit dies insgesamt zu einer über der Beitragsbemessungsgrenze liegenden Beitragsbelastung führen würde, ist statt des entsprechenden Beitrags aus der Rente nur der Zuschuss des Rentenversicherungsträgers einzuzahlen. (4) Als beitragspflichtige Einnahmen gilt für den Kalendertag mindestens der neunzigste Teil der monatlichen Bezugsgröße."

Zur Beitragsbemessung freiwillig versicherter Rentner bestimmt § 238 a SGB V:

"Bei freiwillig versicherten Rentnern werden der Beitragsbemessung nacheinander der Zahlbetrag der Rente, der Zahlbetrag der Versorgungsbezüge, das Arbeitseinkommen und die sonstigen Einnahmen, die die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds bestimmen (§ 240 Abs. 1), bis zur Beitragsbemessungsgrenze zugrunde gelegt."

Überschrieben ist die Vorschrift des § 238 a SGB V mit: "Rangfolge der Einnahmearten freiwillig versicherter Rentner".

Das Gericht ordnet § 238 a SGB V als lex specialis gegenüber § 240 SGB V ein, was die Beitragsbemessung der freiwillig versicherten Rentner betrifft. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Vorschrift des § 238 a SGB V. Der Wortlaut verweist lediglich auf § 240 Abs. 1 SGB V, jedoch nicht auf die übrigen Vorschriften in § 240 SGB V. Schon damit ist die Vorschrift des § 240 Abs. 4 Satz 1 SGB V aus § 238 a SGB V herausgenommen.

Die Mindestbeitragsbemessungsgrenze des § 240 Abs. 4 Satz 1 SGB V kann auch nicht in § 240 Abs. 1 SGB V hineingelesen werden. Gemäß § 240 Abs. 1 Satz 2 SGB V soll die Beitragsbelastung der freiwilligen Mitglieder die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds berücksichtigen. Eine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit kann sich nach Ansicht des Gerichts jedoch nur daran bemessen, welche Einnahmen das freiwillige Mitglied tatsächlich zur Verfügung hat. Fiktive Einnahmen können daher bei der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des § 240 Abs. 1 SGB V nicht berücksichtigt werden.

Im Wortlaut des § 238 a SGB V ist die Reihenfolge der Einnahmearten bestimmt, die der Beitragsbemessung nacheinander zugrunde gelegt werden. Die Reihenfolge beginnt mit dem Zahlbetrag der Rente und endet mit den sonstigen Einnahmen, die die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds im Rahmen des § 240 Abs. 1 SGB V bestimmen. Damit sind Einnahmen, die nicht die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds bestimmen, in diese Rangfolge nicht aufgenommen. Die im Text enthaltene "Beitragsbemessungsgrenze" meint nicht die Mindestbeitragsbemessungsgrenze, sondern die Höchstbeitragsbemessungsgrenze.

Dass dem Gesetzgeber die Unterscheidung zwischen § 240 Abs. 1 SGB V und der Erweiterung der Bemessungsgrundlage in § 240 Abs. 4 Satz 1 SGB V bewusst ist, folgt daraus, dass in § 227 SGB V für die nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V Versicherungspflichtigen auf den gesamten § 240 SGB V verwiesen wird.

Der Klage war daher wie tenoriert stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Rechtskraft
Aus
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