S 15 AL 385/11

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 15 AL 385/11
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 10. August 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. September 2011 wird für die Zeit ab dem 4. August 2011 aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Aufhebung und Erstattung von Arbeitslosengeld nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) für die Zeit vom 22. Juli bis 22. August 2011.

Die 1974 geborene Klägerin meldete sich persönlich bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld ab dem 4. Februar 2011. Hierzu prüfte die Beklagte zunächst den Eintritt einer Sperrzeit nach § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III a.F. und stellte deren Eintritt mit Bescheid vom 31. März 2011 fest. In der Zeit vom 1. Februar bis 25. April 2011 ruhe der Anspruch auf Arbeitslosengeld. Mit Bewilligungsbescheid vom 31. März 2011 berücksichtigte die Beklagte den Eintritt dieser Sperrzeit und gewährte Arbeitslosengeld ab dem 26. April 2011 in Höhe von 25,23 EUR täglich. Gegen den Eintritt der Sperrzeit erhob der damalige Klägervertreter Widerspruch, welchen die Beklagte mit Bescheid vom 26. April 2011 als unbegründet zurückwies. Auf die hiergegen bei dem hiesigen Gericht erhobene Klage unter dem Aktenzeichen S 15 AL 181/11 hob die Beklagte die Sperrzeit auf und gewährte mit Bescheid vom 2. Februar 2012 Arbeitslosengeld ab dem 4. Februar 2011 für die Dauer von 360 Tagen im Umfang von 25,23 EUR bzw. 30,59 EUR täglich.

Am 4. August 2011 teilte die Klägerin der Beklagten telefonisch mit, dass sie aufgrund der Beerdigung ihres Vaters vom 22. Juli bis 2. August 2011 in Marokko gewesen sei. Sie bat um Verständnis, dass sie in dieser Zeit keine Eigenbemühungen habe nachweisen können. Auf den Telefonvermerk auf Blatt 98 der Verwaltungsakte der Beklagten wird Bezug genommen.

Mit Bescheid vom 10. August 2011 hob die Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab dem 22. Juli 2011 auf. Grund hierfür sei die nicht genehmigte Ortsabwesenheit der Klägerin. Auf Blatt 105 der Verwaltungsakte der Beklagten wird Bezug genommen. Mit Bescheid gleichen Datums forderte die Beklagte die bereits gewährten Leistungen in Höhe von 275,31 EUR von der Klägerin erstattet. Auf Blatt 100 der Verwaltungsakte der Beklagten wird Bezug genommen.

Hiergegen erhob die Klägerin unter dem 18. August 2011 Widerspruch und führte aus, dass bei ihr ein Härtefall vorgelegen habe. Am 21. Juli 2011 habe sie abends telefonisch erfahren, dass ihr Vater verstorben sei. In diesem Moment habe sie nicht an die Verpflichtungen gegenüber der Beklagten gedacht. Ihre Geschwister und sie seien sofort am nächsten Tag für zehn Tage nach Marokko geflogen. Auf Blatt 103 der Verwaltungsakte der Beklagten wird Bezug genommen.

Am 23. August 2011 meldete sich die Klägerin bei der Beklagten erneut persönlich arbeitslos und beantragte wiederum die Gewährung von Arbeitslosengeld.

Mit Bescheid vom 24. August 2011 gewährte die Beklagte der Klägerin Arbeitslosengeld ab dem 23. August 2011 für die Dauer von 184 Kalendertagen in Höhe von 30,59 EUR täglich. Auf Blatt 23 der Gerichtsakte wird Bezug genommen.

Mit Bescheid vom 5. September 2011 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Klägerin habe sich ohne vorherige Zustimmung der Beklagten in Marokko aufgehalten. Sie habe den Vermittlungsbemühungen der Beklagten ab dem 22. Juli 2011 nicht mehr zur Verfügung gestanden. Sie sei seither nicht mehr arbeitslos und habe keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Diese Veränderung in den tatsächlichen Verhältnissen habe die Klägerin der Beklagten nicht unverzüglich mitgeteilt. Grobe Fahrlässigkeit sei gegeben.

Hiergegen richtet sich die unter dem 30. September 2011 bei dem hiesigen Gericht erhobene Klage, mit welcher sich die Klägerin weiterhin gegen die Aufhebung und Erstattung der gewährten Leistungen wendet.

Die Klägerin hat ein Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin, Dres. med. M., vom 13. März 2002 vorgelegt, worin ausgeführt wurde, dass P. A. am 21. Juli 2011 in Marokko verstorben sei. Er habe zwar an einer chronischen Erkrankung gelitten, der Zeitpunkt des Todes sei jedoch nicht voraussehbar gewesen.

Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 10. August 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. September 2011 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich im Wesentlichen auf ihre Ausführungen im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren.

Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere auch wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Inhaltes der vorgebrachten Unterlagen, wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 31. Oktober 2013 und der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist im tenorierten Umfang begründet.

Die angefochtenen Bescheide sind teilweise rechtswidrig und verletzen die Klägerin insoweit in ihren Rechten. Die Aufhebung und Erstattung des gewährten Arbeitslosengeldes in der Zeit vom 4. August bis 22. August 2011 erfolgte in rechtswidriger Weise.

Die Aufhebung der Bewilligungsentscheidung für das Arbeitslosengeld richtet sich nach § 330 Abs. 3 SGB III in Verbindung mit § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).

Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll nach Satz 2 der Vorschrift mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit
1. die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2. der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3. nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4. der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Im Übrigen gelten die § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 SGB X entsprechend.

Die angefochtene Entscheidung erweist sich als formell rechtmäßig. Zwar wurde eine Anhörung im Sinn des § 24 Abs.1 SGB X vor Erlass des Bescheides vom 10. August 2011 nicht durchgeführt, allerdings ist dies zumindest mit der Durchführung des Widerspruchsverfahrens geheilt im Sinn des § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X.

Zweck der Anhörung ist es, den Bürger vor Überraschungsentscheidungen zu bewahren und sein Vertrauen in die Verwaltung zu stärken. Sie dient sowohl der Wahrung der Rechte und Belange des Betroffenen, als auch der Vermeidung von Fehlern der Verwaltung bei der Tatsachenermittlung (Diering/Timmle/Waschull, SGB X, 1. Auflage, § 24 Rdnr.1). Dem Beteiligten ist Gelegenheit zur geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Eines ausdrücklichen Hinweises, dass er sich äußern könne, bedarf es nicht. Es ist auch nicht erforderlich, dass die Anhörung tatsächlich stattfindet. Die Anhörung ist kein besonderes Verfahren innerhalb des Verwaltungsverfahrens und wie dies auch kein förmliches Verfahren. Daher kann eine Anhörung auch mündlich erfolgen, und zwar selbst dann, wenn der zu erlassende Verwaltungsakt schriftlich erteilt werden muss (von Wulffen, SGB X, 5. Auflage, § 24 Rdnr.7).

Diesen Anforderungen ist mit der Durchführung des Widerspruchsverfahrens im Ergebnis genüge getan und der formelle Mangel geheilt worden. Die Klägerin hatte hierbei ausreichend Gelegenheit, ihren Standpunkt darzulegen und den maßgebenden Sachverhalt aus ihrer Perspektive zu schildern. Dem Sinn und Zweck einer Anhörung ist somit entsprochen worden.

Die angefochtene Entscheidung ist sodann teilweise rechtswidrig. Bei der ursprünglichen Bewilligungsentscheidung handelt es sich unstreitig um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. In Gestalt der Ortsabwesenheit der Klägerin vom 22. Juli bis 2. August 2011 ist sodann eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten. Die Klägerin ist in der Zeit vom 22. Juli bis 3. August 2011 mangels Verfügbarkeit nicht mehr arbeitslos im Sinn der §§ 118 Abs. 1 Nr. 1, 119 Abs. 1 Nr. 3 SGB III in der Fassung vom 23. Dezember 2003 bzw. 2. März 2009 (a.F.). Die Leistungsgewährung erfolgte ab diesem Zeitpunkt zu Unrecht.

Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit haben Arbeitnehmer nach § 118 Abs. 1 SGB III a.F., die
1. arbeitslos sind,
2. sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und
3. die Anwartschaftszeit erfüllt haben.

Arbeitslos ist ein Arbeitnehmer nach § 119 Abs. 1 SGB III a.F., der
1. nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit),
2. sich bemüht, seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden (Eigenbemühungen) und
3. den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht (Verfügbarkeit).

Den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit steht nach Absatz 5 der Vorschrift zur Verfügung, wer
1. eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarktes ausüben kann und darf,
2. Vorschlägen der Agentur für Arbeit zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann,
3. bereit ist, jede Beschäftigung im Sinne der Nummer 1 anzunehmen und auszuüben und
4. bereit ist, an Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung in das Erwerbsleben teilzunehmen.

Vorschlägen des Arbeitsamtes zur beruflichen Eingliederung kann nach § 1 Abs. 1 Erreichbarkeitsanordnung (EAO) zeit- und ortsnah Folge leisten, wer in der Lage ist, unverzüglich
1. Mitteilungen des Arbeitsamtes persönlich zur Kenntnis zu nehmen,
2. das Arbeitsamt aufzusuchen,
3. mit einem möglichen Arbeitgeber oder Träger einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme in Verbindung zu treten und bei Bedarf persönlich mit diesem zusammenzutreffen und
4. eine vorgeschlagene Arbeit anzunehmen oder an einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme teilzunehmen.

Der Aufenthalt außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs steht dieser Verfügbarkeit nicht entgegen, wenn die Beklagte vorher ihre Zustimmung erteilt hat. Die Zustimmung darf jeweils nur erteilt werden, wenn durch die Zeit der Abwesenheit die berufliche Eingliederung nicht beeinträchtigt wird (§ 3 Abs. 1 EAO).

Vorliegend ist eine schriftliche Zustimmung der Beklagten zu der Ortsabwesenheit der Klägerin nicht ersichtlich und wird auch nicht vorgetragen. Eine Härtefallregelung zur Ersetzung des Zustimmungserfordernisses gibt es nicht. Die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Arbeitslosengeld sind ab dem 22. Juli 2011 nicht mehr gegeben.

Für die Zeit nach der Information der Beklagten über ihre Rückkehr aus Marokko am 4. August 2011 steht der Klägerin jedoch ein Anspruch auf Arbeitslosengeld zu, da ihre Verfügbarkeit im Sinn der §§ 118 Abs. 1 Nr. 1, 119 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 5 SGB III wieder gegeben ist.

Verfügbarkeit ist ein komplexer Rechtsbegriff, der die Beachtung mehrerer Tatsachen (etwa die Fähigkeit zur Ausübung einer versicherungspflichtigen Tätigkeit (objektive Verfügbarkeit und Erreichbarkeit) und die Arbeitsbereitschaft (subjektive Verfügbarkeit)) erforderlich macht. Nach dem Telefonat der Klägerin mit der Beklagten am 4. August 2011 sieht das Gericht keinen Anlass, an der objektiven und subjektiven Verfügbarkeit der Klägerin ab diesem Zeitpunkt zu zweifeln. Mit dem Telefonat bringt die Klägerin zumindest konkludent zum Ausdruck, dass sie den Vermittlungsbemühungen der Beklagten wieder zur Verfügung steht und damit objektiv verfügbar ist. Auch macht sie mit diesem Anruf deutlich, dass sie bereit ist, den entsprechenden Bemühungen der Beklagten Folge zu leisten. Die subjektive Verfügbarkeit ist damit gleichfalls gegeben.

Auch liegen ab diesem Zeitpunkt die weiteren Voraussetzungen für die Gewährung von Arbeitslosengeld vor. Insbesondere ist die Wirkung der persönlichen Arbeitslosmeldung vom 4. Februar 2011 nicht entfallen.

Der Arbeitslose hat sich nach § 122 Abs. 1 SGB III in der Fassung vom 23. April 2004 (a.F.) persönlich bei der zuständigen Agentur für Arbeit arbeitslos zu melden. Eine Meldung ist auch zulässig, wenn die Arbeitslosigkeit noch nicht eingetreten, der Eintritt der Arbeitslosigkeit aber innerhalb der nächsten drei Monate zu erwarten ist. Die Wirkung der Meldung erlischt nach Absatz 2 der Vorschrift
1. bei einer mehr als sechswöchigen Unterbrechung der Arbeitslosigkeit,
2. mit der Aufnahme der Beschäftigung, selbständigen Tätigkeit oder Tätigkeit als mithelfender Familienangehöriger, wenn der Arbeitslose diese der Agentur für Arbeit nicht unverzüglich mitgeteilt hat.

Vorliegend ist ein Tatbestand nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 SGB III a.F. nicht gegeben. Die Arbeitslosigkeit der Klägerin wurde nicht für mehr als sechs Wochen unterbrochen. Die Wirkung der persönlichen Arbeitslosmeldung vom 4. Februar 2011 bleibt somit bestehen.

Auch die übrigen Anspruchsvoraussetzungen sind unstreitig gegeben. Ab dem 4. August 2011 steht der Klägerin wieder ein Anspruch auf Arbeitslosengeld zu.

Betreffend die zu Unrecht erfolgte Leistungsgewährung in der Zeit vom 22. Juli bis 3. August 2011 sind jedoch die Voraussetzungen für eine Aufhebung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X erfüllt. Die Klägerin wusste oder wusste nicht, weil sie die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Bewilligungsbescheid ergebende Anspruch auf Arbeitslosengeld ganz weggefallen ist.

Grobe Fahrlässigkeit im Sinn dieser Vorschrift liegt sodann vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. In diesem Rahmen ist ein subjektiver und kein objektiver Sorgfaltsmaßstab anzulegen (vgl. BSG, Urteil vom 23. Juli 1996, Az. B 7 RAr 14/96). Grobe Fahrlässigkeit ist zu bejahen, wenn der Betroffene schon einfache, nahe liegende Überlegungen nicht angestellt und deshalb nicht beachtet hat, was in diesem Fall jedem einleuchten musste (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21. September 2004, Az. L 9 AL 2836/03). Entscheidend sind stets die besonderen Umstände des Einzelfalls und die individuellen Fähigkeiten des Betroffenen, das heißt seine Urteilsfähigkeit und sein Einsichtsvermögen, im Übrigen auch sein Verhalten (Steinwedel in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, § 45 Rdnr. 39). Unter Berücksichtigung dessen ist vom Arbeitslosen insbesondere auch zu verlangen, dass er vom Inhalt der ihm zu übergebenden Merkblätter Kenntnis nimmt und, abhängig von den Umständen des Einzelfalls, im Zweifelsfall bei der Beklagten nachfragt (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 5. März 2004, Az. L 8 AL 3169/03).

Die Klägerin hat das Merkblatt für Arbeitslose ausweislich des aktenkundigen ursprünglichen Leistungsantrages erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen. Danach ist der Arbeitslose verpflichtet, unaufgefordert und sofort Änderungen mitzuteilen,
die für die Beurteilung seines Leistungsanspruches bedeutsam sein können. Dem ist die Klägerin nicht nachgekommen.

Weitere Ermittlungen hierzu waren seitens des Gerichts wegen fehlender Mitwirkung der Klägerin im gerichtlichen Verfahren nicht geboten. Das Gericht sieht keine erforderliche Möglichkeit, den Sachverhalt von Amts wegen weiter aufzuklären, da die Klägerin keine Bereitschaft zur Mitwirkung bei der Sachverhaltsaufklärung zeigt.

Gemäß § 103 SGG erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Die Anforderungen an die Amtsermittlungspflicht verringern sich dabei, wenn Beteiligte ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachkommen. Weigert sich ein Beteiligter grundlos, dem Gericht nähere Angaben zu machen, obwohl er es könnte und ihm das nicht unzumutbar ist, wird der Amtsermittlungsgrundsatz nicht verletzt, wenn das Gericht keine weiteren Ermittlungen anstellt (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 8. Auflage, § 103, Rdnr. 13 ff. m.w.N.).

Die hier entscheidungserhebliche Frage, ob und ggf. welche Gründe gegen die Aufhebung der Leistungsgewährung durch die Beklagte vorliegen und inwieweit die Klägerin hierbei insbesondere ein zumindest grob fahrlässiges Verhalten zeigte, lässt sich nur mit entsprechenden Ausführungen der Klägerin abschließend beantworten. Gerade diese Angaben vereitelt die Klägerin jedoch durch ihr Verhalten in der mündlichen Verhandlung am 31. Oktober 2013.

Die Klägerin erschien zu dem Termin zur mündlichen Verhandlung am 31. Oktober 2013, zu welchem ihr persönliches Erscheinen angeordnet war, in einem Vollgesichtsschleier. Auf die entsprechende Aufforderung der Vorsitzenden, den Vollgesichtsschleier für die Dauer der mündlichen Verhandlung abzulegen, verweigerte die Klägerin dies. Sie trage den Vollgesichtsschleier aus religiösen Gründen und werde ihn nicht abnehmen. Auf den Hinweis der Vorsitzenden, dass es ihr frei stehe, den Sitzungssaal zu verlassen oder im Zuschauerraum Platz zu nehmen, verließ die Klägerin den Sitzungssaal. Eine Befragung der Klägerin, um einen persönlichen Eindruck von ihr zu erhalten und das Vorliegen einer subjektiven Fahrlässigkeit prüfen zu können, war nicht möglich. Auch bestand keine Veranlassung des Gerichts, die mit dem Vollgesichtsschleier erschienene Klägerin zu befragen. Die Folgen der fehlenden Mitwirkung hat die Klägerin zu tragen.

Nach § 176 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) obliegt die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung dem Vorsitzenden. In diesem Kontext geht die Klägerin des Schutzes aus Art. 4 Grundgesetz (GG) nicht deshalb zwingend verlustig, weil sie sich als Beteiligte eines Rechtsstreites in einem Gerichtssaal befindet. Verträgt sich das der Religionsausübung dienende Verhalten mit einem störungsfreien Ablauf der Sitzung, ist es vom Gericht mit Blick auf Art. 4 GG hinzunehmen (vgl. Kissel/Mayer, GVG, § 178 Rdnr. 14). Für den konkreten Fall des Tragens eines Vollgesichtsschleiers im Gerichtssaal gilt daher, dass eine Ungebühr und damit eine Störung der Sitzung nicht vorliegt, wenn das Tragen des Schleiers lediglich aus religiösen Gründen erfolgt und auszuschließen ist, dass mit ihm zugleich Missachtung gegenüber der Richterbank oder anderen Anwesenden ausgedrückt werden soll (vgl. Kissel/Mayer, a.a.O., § 175 Rdnr. 8) und solange der Beteiligte als Person identifizierbar bleibt (BVerfG, Beschluss vom 27. Juni 2006, Az. 2 BvR 677/05). Gerade diese letzte Voraussetzung ist im Fall der Klägerin jedoch nicht erfüllt. Durch das Tragen des Vollgesichtsschleiers in Verbindung mit dem Tschador (oder anderen dunklen Tuch, welches den Körper verhüllt), ist die Klägerin nicht mehr als Person identifizierbar. Eine Ungebühr im Sinn der Vorschrift wäre somit grundsätzlich gegeben. Maßgebend für das Gericht ist darüber hinaus jedoch, dass es keine Möglichkeit gibt, sich im Rahmen der persönlichen Befragung der Klägerin einen Eindruck von ihrer Person zu verschaffen. Die Beurteilung der Frage, ob grobe Fahrlässigkeit im Sinn der Aufhebungsvorschriften vorliegt, ist zur Überzeugung des Gerichts lediglich dann möglich, wenn bei einer persönlichen Befragung durch das erkennende Gericht zumindest das Gesicht der Klägerin zu erkennen ist. Ob darüber hinaus die Haare oder der verbleibende Körper sichtbar sein müssen, kann dahinstehen, da sich die Klägerin bereits weigert, ihren Gesichtsschleier abzunehmen. Ohne dies kann die streitentscheidende Frage jedoch nicht zugunsten der Klägerin beantwortet werden.

Es ist somit nach Aktenlage weder eine weitere Sachverhaltsaufklärung, noch eine weitere Abweichung von der in dem angefochtenen Bescheid der Beklagten zum Ausdruck gekommenen Beurteilung möglich. Dies muss nach den auch im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Regeln der objektiven Beweislast zu Lasten der die Mitwirkung verweigernden Klägerin gehen. Von einem zumindest grob fahrlässigen Verhalten der Klägerin ist daher auszugehen.

Die Fristen für die Aufhebung der Bewilligungsentscheidung sind offensichtlich gewahrt.

In der Rechtsfolge ist die Aufhebungsentscheidung der Beklagten sodann eine gebundene Entscheidung gemäß § 330 Abs. 3 SGB III. Liegen die in § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X genannten Voraussetzungen für die Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vor, ist dieser mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben.

Der Aufhebungsentscheidung folgend, erweist sich das Erstattungsverlangen der Beklagten nach § 50 Abs. 1 SGB X für die Zeit vom 22. Juli bis 31. Juli 2011 ebenso als rechtmäßig. Die Beklagte hatte lediglich für diesen Zeitraum Arbeitslosengeld tatsächlich ausgezahlt.

Der Klage ist im Ergebnis im tenorierten Umfang stattzugeben. Im Übrigen ist sie abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, für die Zulassung der Berufung, sind nicht ersichtlich (§§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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