S 1 KR 639/08

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
SG Lübeck (SHS)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Lübeck (SHS)
Aktenzeichen
S 1 KR 639/08
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die Heilung der Versäumung der Meldefrist der Arbeitsunfähigkeit nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 Hs 2 gilt nicht nur
für die Erst-, sondern auch für Folgebescheinigungen.
2. Die Meldung der Arbeitsunfähigkeit als Mitwirkungsobliegenheit ist auf dem Versicherten Zumutbare
beschränkt. Sie besteht nicht für Versicherte, die krankheitsbedingt die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen
an die Krankenkasse nicht weitergegeben haben oder ihren Arzt nicht rechtzeitig aufgesucht haben.
3. Gegenüber der grundsätzlichen Unzulässigkeit der rückwirkenden Feststellung der Arbeitsunfähigkeit bei
der Erstfeststellung ist die Rückdatierung bei ihrem Fortbestand nach § 5 Abs. 3 S 1 AU-RiLi für bis zu zwei
Tage erlaubt.
Die Bescheide der Beklagten vom 7. November 2007 und 11. März 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11. September 2008 werden aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger auch über den 4. Januar 2008 hinaus und bis zur Erschöpfung des Anspruchs Krankengeld zu gewähren. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Fortzahlung des Krankengeldes.

Der 1962 geborene und bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Kläger absolvierte eine Ausbildung zum Buchhändler und arbeitete mit Unterbrechungen auch in diesem Bereich. Am 18. September 2007 nahm er eine Tätigkeit bei der in als Leiter der Materialwirtschaft und Einkauf auf. Am 15. Oktober 2007 wurde er im Rahmen der Probezeit zum 29. Oktober 2007 unter sofortiger Freistellung vom Dienst gekündigt. Sein letzter Arbeitstag war der 15. Oktober 2007. Arbeitsentgelt wurde bis zum 31. Oktober 2007 abgerechnet. Vor der Aufnahme dieser Tätigkeit war der Kläger arbeitslos und bezog Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).

Am 19. Oktober 2007 attestierte der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. Arbeitsunfähigkeit bis zum 26. Oktober 2007 (Erstbescheinigung). Am 29. Oktober erstellte Dr. eine Folgebescheinigung der Arbeitsunfähigkeit bis zum 2. November 2007. Bescheinigt wurde jeweils die Diagnose F 43.9 G - Reaktion auf schwere Belastung, nicht näher bezeichnet. Am 2. November 2007 begab sich der Kläger in die Behandlung des Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr ... Aufgrund der geäußerten Gedanken latenter Suizidalität verordnete dieser Arzt die stationäre Einweisung in das Heinrich-Sengelmann-Krankenhaus, Bargfeld-Stegen, wo der Kläger ab 5. November 2007 vollstationär behandelt wurde. Dr. attestierte Arbeitsunfähigkeit vom 5. November 2007 bis 31. Dezember 2007 und gab als Diagnose F 43.2 - Andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung sowie F 60.8 – Abhängige Persönlichkeitsstörung an. Die Behandlung wurde vom Kläger am 28. November 2007 abgebrochen.

Bereits mit Bescheid vom 7. November 2007 hatte die Beklagte den Anspruch auf Krankengeld mit der Begründung verneint, der Kläger habe vor Beginn der Beschäftigung Arbeitslosengeld II erhalten und es sei davon auszugehen, dass kein Anspruch auf Arbeitslosengeld I nach Ende des Beschäftigungsverhältnisses ab 1. November 2007 bestehe, so dass kein Anspruch auf Krankengeld nach Ende des Beschäftigungsverhältnisses gegeben sei. Dagegen hatte der Kläger am 23. November 2007 Widerspruch erhoben und ausgeführt, die sechswöchige Beschäftigungszeit, die Voraussetzung für den Bezug von Krankengeldzeit, habe er erreicht und damit den Anspruch auf Zahlung von Krankengeld erfüllt.

Anlässlich eines persönlichen Gesprächs auf der Geschäftsstelle (Bl. 20 VA) wurde dem Kläger erklärt, dass die Ablehnung des Krankengeldes mit Hinweis auf den vorherigen Hartz IV-Bezug nicht richtig sei.

Mit Bescheid vom 11. März 2008 wurde dem Kläger beschieden, dass sein Anspruch auf Krankengeld nur bis zum 2. November 2007 bestehe und auch die Mitgliedschaft nur bis zu diesem Zeitpunkt andauere. Im Rahmen eines nachgehenden Leistungsanspruchs nach § 19 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) könnte ein Anspruch von längstens einem Monat bestehen, solange keine Erwerbstätigkeit ausgeübt werde und eine vorrangige Versicherung nicht bestehe. Im Rahmen dieses Leistungsanspruchs könnten dem Kläger für die weitere Arbeitsunfähigkeit ab 5. November gegebenenfalls Krankengeld bis längstens 19. November 2007 gewährt werden. Die Arbeitsunfähigkeit ab 5. November 2007 sei jedoch nicht während der Mitgliedschaft aufgetreten.

Auch dagegen erhob der Kläger Widerspruch (18. März 2008). Der Kläger machte geltend, der Bescheid sei für ihn unverständlich.

Mit Bescheid vom 11. September 2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger habe nicht rechtzeitig eine weitere Arbeitsunfähigkeit vom Arzt feststellen lassen. Dieses Versäumnis könne nicht zulasten der Solidargemeinschaft gehen. Einen ausreichenden Grund, warum die Feststellung nicht spätestens am 2. November 2007 habe vorgenommen werden können, habe der Kläger nicht zu benennen vermocht. Vielmehr habe er sich erst am 5. November 2007 beim Arzt bzw. im Krankenhaus vorgestellt. Für die am 5. November 2007 festgestellte Arbeitsunfähigkeit läge ein Anspruch auf Krankengeld lediglich bis zum 19. November 2007 vor. Ein Anspruch für den Zeitraum vom 3. bis zum 4. November sowie über den 19. November 2007 hinaus sei deshalb abzulehnen.

Dagegen richtet sich die am 26. September 2008 bei dem Sozialgericht Lübeck erhobene Klage. Der Kläger macht geltend, er habe nach langer Arbeitslosigkeit eine sehr anspruchsvolle Tätigkeit für seinen neuen Arbeitgeber aufgenommen und sich bereit erklärt, Umstrukturierungsmaßnahmen in nicht unerheblichem Maße im gesamten Betrieb vorzunehmen. Dafür habe er täglich fast 18 Stunden gearbeitet, ohne zu bemerken, dass er seine körperlichen und geistigen Grenzen weit überschritten habe. Als seine Arbeit fast erledigt gewesen sei, habe man ihm innerhalb der Probezeit unter einem Vorwand gekündigt. Die körperliche und mentale Überlastung in Verbindung mit der Art des Rausschmisses hätten einen weitaus größeren Schaden angerichtet als ihm bewusst gewesen sei. Dr. habe ihm zwar das Rezept gegeben, die weiterführende Krankschreibung jedoch versäumt. Nachdem sich die Beklagte auf die zwei Tage (Samstag und Sonntag) bezogen habe, sei er zu Dr. gefahren und habe von ihm gehört, dass es sich ganz klar um eine durchgehende Erkrankung gehandelt habe.

Die Beklagte wendet ein, die Arbeitsunfähigkeit von Dr. wurde erstmals am 29. November 2007 mit Beginn der Arbeitsunfähigkeit am 5. November 2007 ausgestellt. Der Kläger habe auch angegeben, dass er am 2. November 2007 nicht bei dem Arzt gewesen sei, in einer e-Mail desselben Tages jedoch diesen Besuch behauptet. Er habe bis heute keinen Nachweis erbracht, dass Dr. – oder ein anderer Arzt – spätestens am 2. November 2007 eine weitere Arbeitsunfähigkeit festgestellt habe. Auch im weiteren Verlauf zeigten sich Lücken beim Nachweis der Arbeitsunfähigkeit. So habe Dr. am 20. Dezember 2007 weitere Arbeitsunfähigkeit bis 4. Januar 2008 bescheinigt, die darüber hinausgehende Arbeitsunfähigkeit habe jedoch der Kläger erst am 7. Januar 2008 bei der Praxisnachfolgerin von Dr. , Dr. , feststellen lassen. Die nächsten Feststellungslücken fänden sich in der Zeit vom 15. bis 18. Februar 2008 sowie vom 1. bis 2. März 2008. Dies belegten die vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht habe in seinem Urteil vom 4. Juni 2008 (L 5 KR 83/07) die Rechtsauffassung der Beklagten bestätigt. Auch das BSG habe in seinem Urteil vom 26. Juni 2007 ausgeführt, dass das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit nicht ausreiche, um einen Anspruch auf Krankengeld zu erlangen. Es sei die rechtzeitige auch weitere Feststellung von Arbeitsunfähigkeit durch einen Arzt notwendig

Die Kammer hat zur Aufklärung des Sachverhaltes Befund- und Behandlungsberichte des Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. (20. März 2009), der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. (23. März 2009) und des Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. (26. März 2009) eingeholt. In dem zuletzt genannten Bericht hat Dr. bestätigt, dass der Kläger sich erstmalig am 2. November 2007 in seiner Sprechstunde vorgestellt hat. Er habe eine stationäre Einweisung angeordnet. Darüber hinaus hat die Kammer den Entlassungsbericht des Heinrich-Sengelmann-Krankenhauses vom 17. Januar 2008 beigezogen.

Die Beklagte hat nach Übersendung der Berichte eingewandt, aus den Ausführungen von Dr. ergebe sich nicht, dass der Arzt am 2. November 2007 auch eine Arbeitsunfähigkeit des Klägers festgestellt habe. Auf Nachfrage des Gerichtes, ob der Kläger am 2. November 2007 arbeitsunfähig krank gewesen und ob Arbeitsunfähigkeit attestiert worden sei, hat Dr. unter dem 26. Februar 2008 ein ärztliches Attest zur Gerichtsakte gereicht, wonach der Kläger aus psychiatrischer Sicht am 2. November 2007 arbeitsunfähig gewesen sei.

Die Kammer hat zu der Arbeitsunfähigkeit des Klägers Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlich begründeten medizinischen Sachverständigengutachtens des Arztes für Neurologie und Psychiatrie sowie Psychotherapie und Sozialmedizin Dr. (16. August 2010). Der Gutachter hat in dem 45seitigen Gutachten die Diagnosen F 60.1 (Schizoide Persönlichkeitsstörung) sowie F 31.1 (Bipolare affektive Störung, gegenwärtig manische Episode) und F 43.22 (Anpassungsstörung, gemischt mit Angst und Depressionen) gestellt, allerdings eingeräumt, mit diesen Diagnosen werde man der Schwere des den Betroffenen eigenen Störungsbildes nicht gerecht. Er hat weiter ausgeführt, die attestierte fortlaufende Arbeitsunfähigkeit sei berechtigt gewesen und auch die Arbeitsfähigkeit zum 11. Juni 2010 werde mitgetragen, wobei der Kläger allerdings nach wie vor nicht psychisch unauffällig sei. Er habe krankheitsbedingt einer Tätigkeit anhaltend nicht nachgehen können.

Die Beklagte hat gegen das Ergebnis des sozialmedizinischen Gerichtsgutachtens keine Einwendungen erhoben und die über den 2. November 2007 hinausgehende Arbeitsunfähigkeit nicht bestritten. Sie hat jedoch weiterhin entgegnet, es mangele an der Feststellung und den damit verbundenen Nachweisen der Arbeitsunfähigkeit spätestens am letzten Tag, für den Arbeitsunfähigkeit prognostiziert gewesen sei. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 5. Oktober 2010 hat die Beklagte den Anspruch auf Krankengeld bis einschließlich 4. Januar 2008 anerkannt. Der weitergehende Anspruch ist jedoch mit der Begründung abgelehnt worden, für den Zeitraum der – aus der sich der Beklagten – erneuten Arbeitsunfähigkeit ab 7. Januar 2008 bestünden keine Voraussetzungen mehr für einen Krankengeldbezug, da der Kläger seit dem 20. Oktober 2007 Arbeitslosengeld II von der Arbeitsgemeinschaft bezogen habe.

Der Kläger hat dieses Teilanerkenntnis angenommen und weitergehend beantragt,

die Bescheide der Beklagten vom 7. November 2007 und 11. März 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11. September 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, auch über den 4. Januar 2008 hinaus und bis zur Erschöpfung des Anspruchs Krankengeld zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zum Entscheidungszeitpunkt haben die Gerichts- und Verwaltungsakte vorgelegen. Darauf wird wegen den weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, insbesondere ist sie fristgerecht erhoben worden und auch begründet. Zur Unrecht hat die Beklagte den Anspruch auf Krankengeld zunächst über den 2. November 2007 und zuletzt über den 4. Januar 2008 hinaus abgelehnt, denn der Kläger war durchgehend arbeitsunfähig krank und eine zwischenzeitliche Beendigung der Mitgliedschaft ist nicht eingetreten. Die angefochtenen Bescheide vom 7. November 2007 und 11. März 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11. September 2008 verletzen den Kläger in seinen Rechten und waren deshalb aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Krankengeld auch über den 4. Januar 2008 hinaus bis zur Erschöpfung des Anspruchs zu gewähren.

Versicherte haben Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in ein Krankenhaus, in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung (§ 23 Abs. 4, §§ 24, 40 Abs. 2 und § 41) behandelt werden. Der Begriff Arbeitsunfähigkeit ist ein Rechtsbegriff, dessen Voraussetzungen anhand ärztlich erhobener Befunde allein von den Krankenkassen und dem Rechtstreit vor den Gerichten festzustellen sind. Das Attest mit der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit hat daher lediglich die Bedeutung eines medizinischen Gutachtens (Krauskopf, SGB V, § 44 Rn. 18) ... Ein besonderer Beweiswert kommt deshalb der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bzw. dem Auszahlungsschein nicht zu. Im sozialgerichtlichen Verfahren sind diese Beweismittel wie jedes andere, so dass durch sie bescheinigte Inhalte durch andere Beweismittel widerlegt werden können (Bayrisches Landessozialgericht, 25. November 2008, L 5 KR 192/06; BSG, Urteil vom 8. November 2005, B 1 KR 18/04 R = SozR 4-2500 § 44 Nr. 7 Rn. 33). Erst wenn sich die Arbeitsunfähigkeit in dem Gerichtsverfahren nicht feststellen lässt, stellt sich die Frage der materiellen Beweisführungslast, die der Kläger tragen würde.

Arbeitsunfähigkeit liegt vor, wenn der Erkrankte wegen seiner Krankheit nicht oder nur mit der Gefahr, seinen Zustand zu verschlimmern, fähig ist, seiner bisher ausgeübten Erwerbstätigkeit nachzugehen. Dies ist grundsätzlich nach der letzten Beschäftigung unmittelbar vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zu beurteilen.

Der Kläger war unmittelbar vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit als Leiter der Materialwirtschafts und des Einkaufs, d. h. als leitender Angestellter, für die Firma in erwerbstätig. Diese Beschäftigung konnte der Kläger nach den vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen einerseits und dem Ergebnis des sozialmedizinischen Gerichtsgutachtens aufgrund seiner Erkrankung nicht mehr nachgehen. Die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit über den 2. November 2007 bzw. 4. Januar 2008 hinaus wird von der Beklagten auch nicht bestritten. Sie wendet lediglich ein, es mangele an der Feststellung und dem damit verbundenen Nachweis der Arbeitsunfähigkeit spätestens am letzten Tag, für den Arbeitsunfähigkeit prognostiziert gewesen sei. Für den lückenlosen Nachweis der Arbeitsunfähigkeit sei der Kläger allein verantwortlich und bei Verstößen gegen diese Obliegenheit habe er die Rechtsfolgen zu tragen.

Dieser Ablehnung eines Anspruchs auf Krankengeld allein aus Rechtsgründen vermochte die Kammer nicht zu folgen. Zwar bedarf es zur Verwirklichung eines Anspruchs auf Krankengeld des Nachweises, dass der Tatbestand der Arbeitsunfähigkeit vorliegt und dieser Nachweis wird regelmäßig durch die Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen geführt, es ist jedoch nicht vorgeschrieben, auf welche Weise die Arbeitsunfähigkeit zu belegen ist und der Nachweis ist durch jedes geeignete Beweismittel möglich (Hauck/Noftz, SGB V, § 44 Rn. 84).

Der Anspruch auf Krankengeld entsteht von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt (§ 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V). Diese Arbeitsunfähigkeit ab 9. Oktober 2007 ist von dem Arzt für Allgemeinmedizin Dr. zunächst bis zum 26. Oktober und anschließend bis zum 2. November 2007 bescheinigt worden. Am 2. November hat sich der Kläger in psychiatrische Behandlung bei Dr. gegeben. Dieser hat eine vollstationäre Krankenhausbehandlung im Heinrich-Sengelmann-Krankenhaus Bargfeld-Stegen verordnet, die der Kläger am 5. November 2007 (montags) angetreten und bis zur eigenständigen Entlassung am 28. November 2007 absolviert hat. Zwar hat Dr. zunächst Arbeitsunfähigkeit ab 5. November 2007 bescheinigt, obwohl der Kläger bereits am 2. November 2007 sich bei ihm vorgestellt hat, gegenüber dem Gericht hat er jedoch auf Nachfrage am 26. Februar 2008 bescheinigt, dass der Kläger aus psychiatrischer Sicht ab 2. November 2007 arbeitsunfähig ist. Einer Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit für die Dauer der Krankenhausbehandlung ab 5. November 2007 hat es ohnehin nicht bedurft, denn diese folgt bereits aus § 46 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB V, wonach bei einer Krankenhausbehandlung der Anspruch auf Krankengeld von ihrem Beginn an entsteht.

Die Bescheinigung von Dr. hat die Beklagte letztlich auch erwogen im Verhandlungstermin am 5. Oktober 2010 ein Teilanerkenntnis über Krankengeld für den Zeitraum vom 3. November 2007 bis zum 4. Januar 2008 abzugeben. Bis zum 4. Januar 2008 war die Arbeitsunfähigkeit von Dr. und Dr. attestiert worden. Die Folgebescheinigung ist dann von der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. (Praxisnachfolgerin von Dr. ) am 7. Januar 2008 als Folgebescheinigung für den Zeitraum bis zum 11. Januar 2008 attestiert worden. Für den 5. und 6. Januar 2008 ist die Arbeitsunfähigkeit rückwirkend am 7. Januar 2008 festgestellt worden. Die Beklagte sieht darin eine Lücke, die zur Vernichtung des Anspruchs auf weiteres Krankengeld führt. Diese Lücke liegt tatsächlich nicht vor, denn Dr. hat als Folgebescheinigung weitere Arbeitsunfähigkeit bis zum 11. Januar 2008 attestiert und keine Erstbescheinigung für eine am 7. Januar 2008 beginnende neue Arbeitsunfähigkeit ausgestellt. Bei dem 5. und 6. Januar 2008 handelte es sich um ein Wochenende, bestehend aus Samstag und Sonntag und Dr. war die Praxisnachfolgerin von Dr ... Der Kläger hat hierzu ausgeführt, dass die Praxis erst zu diesem Zeitpunkt erstmals wiedereröffnet worden sei. Die Kammer hat keine begründeten Anhaltspunkte dafür zu sehen vermocht, diese Einlassung nicht folgen zu können.

Doch selbst wenn die Praxis bereits in der ersten Kalenderwoche 2008 offen gewesen sein sollte, so führt dies nicht zur Lücke im Nachweis der Arbeitsunfähigkeit. Denn ein Arzt soll zwar für eine vor der ersten Inanspruchnahme liegende Zeit Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich nicht bescheinigen, die rückwirkende Bescheinigung über das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit ist jedoch ausnahmsweise und nach gewissenhafter Prüfung und in der Regel für bis zu zwei Tagen zulässig (Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und die Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung [Arbeitsunfähigkeitsrichtlinien] in der Fassung vom 27. März 2004 [BANz Nr. 61, S. 6501, § 5 Abs. 3 Satz 2]). Gegenüber der grundsätzlichen Unzulässigkeit der rückwirkenden Feststellung der Arbeitsunfähigkeit bei der Erstfeststellung (§ 5 Abs. 3 Satz 1 AU-Richtlinien) ist die Rückdatierung bei der fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit also für bis zu zwei Tagen zulässig.

Kann aber eine Lücke im Nachweis der Arbeitsunfähigkeit nicht festgestellt werden, besteht auch über den 4. Januar 2008 hinaus einen Anspruch auf Krankengeld und die Mitgliedschaft des Klägers hat nicht geendet. Seit dem 7. Januar ist die Arbeitsunfähigkeit von Dr. bis zum 30. April 2008 in mehreren Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nachgewiesen, die Zeiträume 15. bis 18. Februar 2008 und 1. bis 2. März 2008 (Samstag und Sonntag) sind nicht erfasst, allerdings hat Dr. stets eine Folgebescheinigung ausgestellt und damit die durchgehende Arbeitsunfähigkeit bescheinigt. Weshalb sich der Kläger nicht bereits am 14. Februar 2008 oder am 29. Februar 2008 bei der Ärztin vorgestellt hat, kann der Akte nicht entnommen werden. Während es sich bei dem Zeitraum 1. und 2. März wiederum um ein Wochenende handelt und die Arbeitsunfähigkeit für diese Tage am 3. März 2008 rückwirkend festgestellt worden, handelt es sich bei dem Zeitraum vom 15. bis zum 18. Februar 2008 um vier Tage (Donnerstag bis Sonntag). Eine rückwirkende Feststellung der Arbeitsunfähigkeit über mehr als zwei Tage ist jedoch grundsätzlich nach den Arbeitsunfähigkeitsrichtlinien unzulässig. Weder diese Lücke noch die fehlenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für den Zeitraum nach dem 30. April 2008 führen allerdings zu einer Beendigung des Krankengeldanspruchs, denn zum einen kann die Lücke dem Kläger krankheitsbedingt nicht vorgeworfen werden und zum anderen ist seine fortdauernde Arbeitsunfähigkeit durch das sozialmedizinische Gerichtsgutachten nachgewiesen.

Nach dem sehr umfassenden Gutachten des Gerichtssachverständigen (45 Seiten) liegen bei dem Kläger schwerwiegende psychische Gesundheitsstörungen vor, die der Gutachter als schizoide Persönlichkeitsstörung, bipolare affektive Störung und Anpassungsstörung gemischt mit Angst und Depressionen diagnostiziert hat. Er hat ausgeführt, dass diese Erkrankung schon langjährig bei dem Kläger vorliegt, diese jedoch im Rahmen seiner Beschäftigung bei dem letzten Arbeitgeber entgleist ist und er die Realität im Ganzen dort verloren haben muss. Der Sachverständige hat die Krankheit auch anhand der Schriftsätze des Klägers analysiert (S. 37 des Gutachtens) und ausgeführt, die fehlerhaften Satzkonstruktionen und Aneinanderreihungen von Sinngehalten seien Ausdruck einer Denkstörung. Als ebenfalls krankheitsbedingt schätzte der Gutachten den Umstand ein, dass die von der behandelnden Hausärztin Dr. stets ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen offenbar nicht an die Beklagte weitergegeben wurden. Er hat ausgeführt, speziell in der streitigen Zeit ab 2. November 2007 sich in ganz erheblichem Umfang realitätsfremd und auch jedenfalls ein Stück weit abgelöst von den ihn persönlichkeitsgebundenen eigenen Erlebnis- und Verhaltensmuster bewegt habe, so dass man ihm nicht vorwerfen könne , wenn er bei der Übermittlung von Dokumenten nicht zuverlässig gewesen sei. Gleiches muss zur Auffassung der Kammer für die Einhaltung der Termine zur weiteren Attestierung von Arbeitsunfähigkeit gelten. Auch dieses Verhalten ist krankheitsbedingt und nicht vorwerfbar.

Letztlich ist aber die Arbeitsunfähigkeit im Wesentlichen fortlaufend attestiert worden und die Hausärztin hat den Kläger erst zum 11. Juni 2010 wieder arbeitsfähig geschrieben. Auch insoweit hat der Sachverständige jedoch die Auffassung vertreten, der Kläger sei nach wie vor psychisch nicht unauffällig.

Was mit den fortlaufend ausgestellten Bescheinigungen geschehen ist, vermochte die Kammer nicht festzustellen. In der Verwaltungsakte der Beklagten befinden sie sich nicht, wobei diese bereits mit Schriftsatz vom 22. Oktober 2008 zur Gerichtsakte übersandt worden ist. Auch zur Gerichtsakte sind diese Bescheinigungen nicht gereicht worden. Der Kammer haben jedoch die Tatsache, dass die Hausärztin fortlaufend Arbeitsunfähigkeit attestierte und der Gerichtssachverständige eine Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit festgestellt hat, ausgereicht, einen weiteren Anspruch auf Krankengeld bis zur Erschöpfung des Anspruchs festzustellen. Die Kammer hat auch keine Anhaltspunkte darin zu sehen vermocht, dem überzeugenden Gutachten des Gerichtssachverständigen nicht folgen zu können. Dieser Sachverständige ist häufig für die Sozialgerichtsbarkeit tätig und verfügt über besonders umfangreiche Erfahrungen gerade und auch auf dem Gebiet der Beurteilung von Arbeitsunfähigkeit.

Die Beklagte kann nicht damit gehört werden, dass auch sie von einer weiteren Arbeitsunfähigkeit ausgegangen ist und den Kläger auch nicht ab 3. November 2007 als arbeitsfähig erachtet hat, die Ablehnung des Krankengeldanspruchs wegen der Lücken bei den Bescheinigungen der Arbeitsunfähigkeit jedoch rechtlich begründet ist.

Zwar bestimmt § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB 5, dass das Krankengeld ruht, solange die Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse nicht gemeldet wird, dies gilt jedoch nicht, wenn die Meldung innerhalb einer Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit erfolgt. Entsprechend dem Zweck und ihrer Funktion bedarf es der Meldung nicht nur bei der erstmaligen Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, sondern auch das Weiterbestehen (sog. Folgebescheinigungen) bedarf der Meldung (Noftz in Hauck/Noftz, SGB 5, § 49 RdNr. 59). Nach dieser Auslegung gilt auch die Möglichkeit der Heilung der Meldefrist nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 2. Hs SGB 5 nicht nur für die Erst- sondern auch für die Folgebescheinigungen. Die Lücken bei den Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen liegen jedoch durchweg unter einer Woche; die Versäumung der Meldefristen also geheilt.

Bei der Meldung der Arbeitsunfähigkeit handelt es sich rechtsdogmatisch um eine Obliegenheit des Versicherten. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Mitwirkungsobliegenheit des Versicherten auf das ihm Zumutbare beschränkt ist. Hierzu hat jedoch der Gerichtssachverständige ausführlich dargelegt, dass die fehlende Weitergabe der von der Hausärztin ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen krankheitsbedingt nicht erfolgt ist. Der Gutachter hat dieses Fehlverhalten der Persönlichkeitsstörung angelastet, der Unfähigkeit des Klägers, gezielt zu planen und zu handeln. Gleiches gilt für das nicht rechtzeitige Wiederaufsuchen des Arztes. Im Übrigen hat auch das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht darauf hingewiesen, dass bei einer Ablehnung des Krankengeldanspruchs unabhängig von einer etwaig bestehenden Arbeitsunfähigkeit aus Rechtsgründen es für den Versicherten keinen Sinn mehr gibt, weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen einzureichen und ihm deshalb auch nicht entgegengehalten werden kann, dass das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit nicht im Sinne von § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V gemeldet wurde (Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 26. November 2009 – L 5 KR 78/08 Rn 40; vgl. auch BSG, Urteil vom 8. November 2005, B 1 KR 30/04 R).

Teilweise wird auch die Rechtsauffassung vertreten, dass die Vorschrift des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V lediglich die erstmalige Meldung der Arbeitsunfähigkeit betrifft, an die sich der erstmalige Anspruch auf Krankengeld und die zeitliche Begrenzung des § 48 Abs. 1 SGB V anschließen und es dagegen nicht erforderlich sei, zur Vermeidung von Ruhenszeiträumen die fortbestehende Arbeitsunfähigkeit immer wieder neu zu melden, wenn tatsächlich keine Unterbrechung eintritt und dieselbe Krankheit weiterhin die Ursache ist (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. November 1999, L 4 KR 10/98).

Nach allem steht dem Kläger ein Anspruch auf Krankengeld auch über den 4. Januar 2008 hinaus zu und dieser scheitert nicht an der Beendigung der Mitgliedschaft, denn diese hat ununterbrochen weiterbestanden.

Der Anspruch auf Krankengeld ist allerdings begrenzt nach § 48 Abs. 1 Satz 1 wegen derselben Krankheit auf längstens 78 Wochen innerhalb von je drei Jahren, gerechnet vom Tage des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an. Bis zu diesem gesetzlich bestimmten Erlöschen des Anspruchs steht dem Kläger Krankengeld zu. Ebenso wie die Bestimmung des Zeitpunktes obliegt es auch der Beklagten, die Höhe des auszukehrenden Krankengeldes angesichts des seit dem 20. November 2007 von der Arbeitsgemeinschaft gezahlten Arbeitslosengeld II zu bestimmen. Darauf ist der Kläger auch im Termin zur mündlichen Verhandlung angesichts des dort abgegebenen Teilanerkenntnisses hingewiesen worden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Der Vorsitzende der 1. Kammer

Direktor des Sozialgerichts
Rechtskraft
Aus
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