L 7 AS 347/14 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 8 AS 806/14 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 347/14 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zur Aufbewahrung von Kontoauszügen in der Verwaltungsakte
1. Personen, die Leistungen nach dem SGB II beantragen, sind auf Aufforderung verpflichtet, dem Jobcenter Kontoauszüge für die letzten drei Monate vorzulegen.
2. Die Vorlage von Kontoauszügen zur Einsicht ist eine rechtmäßige Erhebung von Daten nach § 67a Abs. 1 Satz 1 SGB X.
3. Das Aufbewahren der Kontoauszüge in der Verwaltungsakte ist eine rechtmäßige Speicherung von Daten nach § 67c SGB X. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Kontoauszüge anrechenbares Einkommen ausweisen.
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 10. April 2014 wird zurückgewiesen.

II. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragsteller begehren die Feststellung, dass sie im Rahmen eines Antrags auf Weiterbewilligung von Arbeitslosengeld II nicht verpflichtet sind, Kontoauszüge vorzulegen oder diese dem Antragsgegner zu überlassen.

Die Antragsteller sind verheiratet und beziehen zusammen mit ihrer im Dezember 1995 geborenen Tochter laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Antragsgegner. Zuletzt wurde ihnen mit Bescheid vom 28.01.2014 Arbeitslosengeld II für die Zeit von 01.02.2014 bis 31.05.2014 bewilligt.

Die Antragsteller erhoben mit Schreiben vom 28.03.2014 zugleich Klage und den streitgegenständlichen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Es sei festzustellen und zu überprüfen, ob es rechtmäßig sei, bei jedem Weiterbewilligungsantrag lückenlose Kontoauszüge der letzten drei Monate verlange. Die Mitwirkungspflicht sei lediglich konstruiert und heble den Datenschutz aus.

Mit Beschluss vom 10.04.2014 lehnte das Sozialgericht den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ab. Eine abstrakte Überprüfung einer Verwaltungspraxis sei kein konkretes streitiges Rechtsverhältnis. Im Übrigen fehle es an einem Anordnungsanspruch, weil die Antragsteller gemäß der Rechtsprechung des BSG im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht nach § 60 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) verpflichtet seien, Kontoauszüge der letzten drei Monate vorzulegen. Ein konkreter Verdacht auf Leistungsmissbrauch müsse nicht vorliegen. Schließlich fehle es auch an einem Anordnungsgrund im Sinne einer Eilbedürftigkeit.

Die Antragsteller haben am 18.04.2017 Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts eingelegt. Es stelle sich die Frage, ob bei einem Weiterbewilligungsantrag die Kontoauszüge zur Einsichtnahme vorgelegt oder in Kopie oder Original abgegeben werden müssen.

Die Antragsteller beantragen sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts München vom 10.04.2014 aufzuheben und vorläufig festzustellen, dass die Antragsteller nicht verpflichtet sind, bei einem Antrag auf Weitergewährung von Arbeitslosengeld II ihre Kontoauszüge zur Einsichtnahme vorzulegen oder diese sogar zum Zweck der Aufbewahrung in der Verwaltungsakte abzugeben.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf die Akte des Antragsgegners, die Akte des Sozialgerichts und die Akte des Beschwerdegerichts verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Sie erweist sich als unbegründet, weil das Sozialgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt hat.

Zugunsten der Antragsteller wird angenommen, dass sie nicht für sich in Anspruch nehmen, losgelöst von ihren Leistungsanträgen eine Verwaltungspraxis des Antragsgegners auf den Prüfstand stellen zu können. Ein derartiges Recht stünde ihnen von vornherein nicht zu.

1. Die Antragsteller begehren im Eilverfahren die gerichtliche Feststellung, dass sie nicht verpflichtet sind, anlässlich der bevorstehenden und den weiteren Bewilligungen ihre Kontoauszüge zur Einsicht vorzulegen, zumindest aber ihre Kontoauszüge nicht in Kopie oder Original zur Verwaltungsakte genommen werden dürfen. Es geht den Antragstellern nicht unmittelbar um die Gewährung von Arbeitslosengeld II, sondern um die Abwehr eines Eingriffs in die informationelle Selbstbestimmung durch schlichtes Verwaltungshandeln.

2. Weil aktuell noch keine Kontoauszüge angefordert wurden, begehren die Antragsteller damit vorbeugenden Rechtsschutz, der ein besonderes Rechtsschutzinteresse voraussetzt (vgl. Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 10. Auflage 2012, § 54 Rn. 42a). Dieses ist gegeben, wenn den Antragstellern weiteres Zuwarten nicht zugemutet werden kann und sie insbesondere nicht auf nachträglichen einstweiligen Rechtsschutz - nach Anforderung der Kontoauszüge - verwiesen werden können. Weil die derzeitige Bewilligung zum 31.05.2014 endet und die einkommenslosen Antragsteller auf fortlaufende existenzsichernde Leistungen angewiesen sind, kann von ihnen nicht gefordert werden, die Vorlage der Kontoauszüge zu verweigern und die Ablehnung von Arbeitslosengeld II zu riskieren. Für die bevorstehende Weiterbewilligung ist das besondere Rechtsschutzinteresse zu bejahen, nicht für spätere Verwaltungsverfahren.

3. Der Eilantrag ist statthaft als Sicherungsanordnung gemäß § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG (vgl. BayLSG, Beschluss vom 24.09.2012, L 7 AS 660/12 B ER). Nach dieser Vorschrift kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert wird. Das zu sichernde Recht ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in Form des Sozialgeheimnisses nach § 35 Abs. 1 Satz 1 SGB I. Nach dieser Vorschrift hat jeder Anspruch darauf, dass die ihn betreffenden Sozialdaten nach § 67 Abs. 1 SGB X von den Leistungsträgern nicht unbefugt erhoben, verarbeitet oder genutzt werden.

4. Die Beschwerde ist zurückzuweisen, weil ein sicherungsfähiges Recht nicht besteht.

a) Die Vorlage von Kontoauszügen zur Einsicht ist eine rechtmäßige Erhebung von Daten nach § 67a Abs. 1 Satz 1 SGB X. Die Kenntnis dieser Daten ist zur Erfüllung der Aufgabe des SGB II-Träger erforderlich. Wie das Sozialgericht zutreffend ausführt, haben Hilfebedürftige, die Arbeitslosengeld II beantragen, im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht nach § 60 SGB I auch bei Weitergewährungsanträgen verdachtsunabhängig Kontoauszüge vorzulegen (BSG, Urteil vom 19.02.2009, B 4 AS 10/08 R). Einschränkungen bestehen lediglich bezüglich Überweisungsvermerken zu Daten nach § 67 Abs. 12 SGB X.

b) Die Aufbewahrung der Kontoauszüge im Original oder in Kopie in der Verwaltungsakte ist eine rechtmäßige Speicherung von Daten nach §§ 67c SGB X.

Das Aufbewahren von schriftlichen Datenträgern in der Verwaltungsakte ist eine Form der Datenspeicherung nach § 67 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 SGB X (vgl. BayLSG, Urteil vom 31.03.2011, L 15 SB 80/06 und BayLSG, Beschluss vom 14.11.2013, L 7 AS 579/13 B ER).

Gemäß § 67c Abs. 1 Satz 1 SGB X ist das Speichern von Sozialdaten zulässig, wenn es zur Erfüllung der in der Zuständigkeit des Leistungsträgers liegenden gesetzlichen Aufgaben nach dem Sozialgesetzbuch erforderlich ist und es für die Zwecke erfolgt, für die die Daten erhoben worden sind. Diese Daten dürfen gemäß § 67c Abs. 2 Nr. 1 SGB X auch für andere Zwecke gespeichert werden, wenn sie für die Erfüllung von Aufgaben nach anderen Vorschriften des Sozialgesetzbuchs erforderlich sind.

Die Aufbewahrung der Kontoauszüge ist zunächst erforderlich, um die Hilfebedürftigkeit des Antragstellers zu überprüfen. Die Kontoauszüge sind sorgfältig auf Einkommen, Vermögen und Bedarf zu prüfen. Eine kurze Einsichtnahme genügt dafür nicht.

Für Kontoauszüge, die Einnahmen enthalten, liegt dies auf der Hand. Das anrechenbare Einkommen festzustellen erfordert komplexe Berechungen. Aber auch Kontoauszüge, die kein anrechenbares Einkommen ausweisen, sind leistungserheblich. Der Bedarf - insbesondere Miethöhe und Betriebskosten der Unterkunft - lässt sich teilweise aus den Kontoauszügen ablesen. Länger dauernde Ausgaben können zu anrechenbarem Vermögen führen. Die Kontoauszüge der letzten Monate können Anlass für eine Direktüberweisung der Unterkunftskosten an den Vermieter nach § 22 Abs. 7 Satz 2 SGB II geben. Aus Kontoauszügen ablesbares unwirtschaftliches Verhalten kann zu einer Sanktion nach § 31 Abs. 2 Nr. 2 SGB II führen. Kontoauszüge sind somit eine wesentliche Entscheidungsgrundlage für die Gewährung von Leistungen nach SGB II und als solche zu der Verwaltungsakte zu nehmen.

Zu den Aufgaben nach dem Sozialgesetzbuch gehören neben der aktuellen Verbescheidung des nächsten Bewilligungsabschnitts auch sich eventuell anschließende Widerspruchs- und Gerichtsverfahren. Hinzu kommt die Korrektur von Bescheiden gemäß §§ 44 ff SGB X; nach § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X kann dabei ein Zeitraum von zehn Jahren betroffen sein. Weitere mögliche Folgeverfahren sind die Geltendmachung von Ersatzansprüchen nach § 34 und § 34a SGB II. Eine Erbenhaftung nach § 35 SGB II erstreckt sich ebenfalls auf zehn Jahre, wobei der Leistungsträger die Rechtmäßigkeit der Leistungsgewährung nachweisen muss (Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, § 35 Rn. 20). Hinzu kommen mögliche Erstattungsverfahren gegenüber anderen Leistungsträgern nach §§ 102 ff SGB X.

Dies macht deutlich, dass sich die Erforderlichkeit der Datenspeicherung keineswegs in der aktuell anstehenden Verwaltungsentscheidung erschöpft. Die Entscheidungsgrundlagen sind auch für mögliche Folgeverfahren aufzubewahren.

Weil nicht im Vorhinein festgelegt werden kann, welche Entscheidungsgrundlagen für wie viele Jahre benötigt werden, treffen Aktenordnungen pauschalisierte Regelungen zur Aufbewahrungsfrist. Diese sind als verwaltungsinterne Richtlinien nicht geeignet, gesetzliche Vorgaben wie die Grenzen des § 67c SGB X zu beseitigen. Der Aktenplan SGB II der Bundesagentur für Arbeit und der gemeinsamen Einrichtungen nach SGB II von 2012 sieht eine regelmäßige Aufbewahrungsdauer von 10 Jahren nach Schließung der Akte bzw. des Vorgangs vor. Vor dem oben aufgezeigten Hintergrund ist das nicht zu beanstanden.

c) Es besteht auch die erforderliche Zweckidentität nach § 67c Abs. 1 Satz 1 SGB X, da die Daten für den Zweck, für den sie erhoben wurden, der Gewährung von Leistungen nach dem SGB II, gespeichert werden. Soweit es um Folgeentscheidungen geht, handelt es sich zumindest um die Erfüllung von Aufgaben nach anderen Vorschriften des Sozialgesetzbuchs nach § 67c Abs. 2 Nr. 1 SGB X.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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