S 10 SF 50/14 E

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
10
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 10 SF 50/14 E
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Bei der Bestimmung der Terminsgebühr aus Nr. 3106 VV RVG a.F. sind auch Wartezeiten zu berücksichtigen, die dadurch entstehen, dass die Sache zu einem späteren als dem terminierten Zeitpunkt verhandelt wird.
1. Die Erinnerung wird zurückgewiesen.

2. Der Erinnerungsführer hat dem Erinnerungsgegner dessen notwendige Kosten für das Erinnerungsverfahren zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die erstattungsfähigen Kosten und Auslagen für das Verfahren S 0 AS 000/00, umstritten ist die Höhe der Terminsgebühr.

Der Erinnerungsführer ist der Beklagte des Ausgangsklageverfahrens S 0 AS 000/00 (im Folgenden Erinnerungsführer). Der Erinnerungsgegner ist der Kläger des Ausgangsklageverfahrens (im Folgenden Erinnerungsgegner), in dem die Beteiligten über die Anrechnung einer Steuererstattung in Höhe von 1.969,10 EUR auf die Leistungen des Erinnerungsgegners nach dem SGB II als einmalige Einnahme gestritten haben.

Die am 18.02.2011 erhobene Klage wurde im Termin zur mündlichen Verhandlung am 28.05.2013 sowohl in der Hauptsache als auch wegen der Kosten durch angenommenes Anerkenntnis erledigt. Dabei dauerte die auf 13 Uhr terminierte Verhandlung ausweislich des Sitzungsprotokolls von 13:14 Uhr bis 13:30 Uhr.

Der Erinnerungsgegner begehrt sodann vom Erinnerungsführer den Ausgleich folgender Kosten:

Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV RVG a.F. 250,- EUR
Terminsgebühr, Nr. 3106 VV RVG a.F. 200,- EUR
Pauschale für Post- und Telekommunikation, Nr. 7002 VV RVG a.F. 20,- EUR
Zwischensumme 470,- EUR
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG a.F. 89,30 EUR
Gesamt 559,30 EUR

Daraufhin zahlte der Erinnerungsführer an den Erinnerungsgegner 440,30 EUR, wobei der Erinnerungsführer folgende Kosten berücksichtigte:

Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV RVG a.F. 250,- EUR
Terminsgebühr, Nr. 3106 VV RVG a.F. 100,- EUR
Pauschale für Post- und Telekommunikation, Nr. 7002 VV RVG a.F. 20,- EUR
Zwischensumme 370,- EUR 19 %
Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG a.F. 70,30 EUR
Gesamt 440,30 EUR

Zur Begründung für die Reduzierung der Terminsgebühr wies der Erinnerungsführer darauf hin, dass der Termin nur 16 Minuten gedauert habe. Die Wartezeit zwischen dem Zeitpunkt, zu dem die mündliche Verhandlung terminiert war, und dem Zeitpunkt als sie tatsächlich begonnen hat – vorliegend 14 Minuten –, könne bei der Festsetzung der Terminsgebühr keine Berücksichtigung finden. Zur Begründung verwies der Erinnerungsführer auf die Rechtsprechung des SG Berlins (Beschl. v. 02.08.2012 – S 180 SF 10908/11 E). Eine 16minütige andauernde mündliche Verhandlung rechtfertige lediglich die Festsetzung einer halben Mittelgebühr. Zur Begründung wurde insoweit auf die Rechtsprechung des LSG NW (Beschl. v. 23.05.2013 – L 19 AS 385/12 B) Bezug genommen.

Der Erinnerungsgegner beantragte sodann die gerichtliche Kostenfestsetzung.

Am 05.03.2014 setzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle – wie vom Erinnerungsgegner beantragt – die erstattungsfähigen Kosten auf 559,30 EUR fest. Die Differenz in Höhe von 119,00 EUR zu der bereits geleisteten Zahlung sei zu erstatten. Zur Begründung führte der Urkundsbeamte aus, dass es sich bei der Terminsgebühr – unter Berücksichtigung einer wortlautbezogenen Auslegung – um eine "Anwesenheitsgebühr" handele, so dass auch die Wartezeit zu berücksichtigen sei. Er bezog sich weiterhin auf die Entscheidung des HessLSG vom 21.12.2011 (L 2 AL 147/11 B).

Dagegen hat der Erinnerungsführer am 27.03.2014 Erinnerung erhoben. Zur Begründung verweist der Erinnerungsgegner auf sein bisheriges Vorbringen.

Der Urkundsbeamte hat der Erinnerung nicht abgeholfen und diese der zentralen Kostenkammer zur Entscheidung vorgelegt.

Der Erinnerungsgegner hält die angegriffene Kostenfestsetzung für rechtmäßig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Akte des Ausgangsverfahrens Bezug genommen.

II.

Die gem. § 197 Abs. 2 SGG statthafte Erinnerung ist zulässig, aber unbegründet.

Die angegriffene Kostenfestsetzung ist nicht zu beanstanden. Der Urkundsbeamte hat die Kosten rechtsfehlerfrei festgesetzt.

Gem. § 3 Abs. 1 RVG entstehen in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das GKG nicht anzuwenden ist, Betragsrahmengebühren. In sonstigen Verfahren werden die Gebühren nach dem Gegenstandswert berechnet, wenn der Auftraggeber nicht zu den in § 183 des SGG genannten Personen gehört. Da der Erinnerungsführer zu dem Kreis der Personen nach § 183 SGG zählt und das GKG somit nicht anwendbar ist, entstehen vorliegend Betragsrahmengebühren.

Die Höhe der Rahmengebühr bestimmt nach § 14 Abs. 1 RVG der Rechtsanwalt im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen (Satz 1); bei Rahmengebühren ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen (Satz 3). Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (Satz 4), wobei ihm nach allgemeiner Meinung auch im Anwendungsbereich des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes ein gewisser Toleranzrahmen zusteht. Unbilligkeit liegt vor, wenn er die Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG unter Beachtung des Beurteilungsspielraums objektiv nicht hinreichend beachtet. Dabei ist für jede Rahmengebühr eine eigene Prüfung der Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG erforderlich. Die unterschiedliche Abgeltung der anwaltlichen Tätigkeit mit unterschiedlichen Gebühren verbietet es, die Bewertung bei einer Rahmengebühr automatisch auf eine andere Rahmengebühr zu übertragen.

Der Erinnerungsgegner hat Anspruch auf eine Terminsgebühr aus Nr. 3106 VV RVG in der hier maßgebenden bis zum 31.07.2013 geltenden Fassung in Höhe der Mittelgebühr (200,- EUR).

Gem. Vorb. 3 Abs. 3 VV RVG entsteht die Terminsgebühr für die Vertretung in einem Verhandlungs-, Erörterungs- oder Beweisaufnahmetermin oder die Wahrnehmung eines von einem gerichtlich bestellten Sachverständigen anberaumten Termins oder der

Mitwirkung an auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechungen auch ohne Beteiligung des Gerichts.

Zwischen den Beteiligten ist nicht strittig, dass eine Terminsgebühr aus Nr. 3106 VV RVG a.F. angefallen ist. Umstritten ist ausschließlich die Höhe, wobei insoweit in Streit steht, ob die Wartezeit zwischen dem Zeitpunkt zu dem die mündliche Verhandlung terminiert war und dem Zeitpunkt als sie tatsächlich begonnen hat, bei der Bestimmung der Terminsgebühr zu berücksichtigen ist.

Bei der Bestimmung der Höhe der Terminsgebühr sind grundsätzlich die Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG zu berücksichtigen, wobei der Termindauer regelmäßig für den Umfang der anwaltlichen Tätigkeit von herausgehobener Bedeutung ist.

Die Kammer geht in Übereinstimmung mit dem Urkundsbeamten davon aus, dass bei der Bestimmung der Terminsgebühr auch Wartezeiten zu berücksichtigen sind (wie hier: HessLSG, Beschl. v. 23.02.2012 – L 2 SO 200/11 B [soweit ersichtlich nicht veröffentlicht]; MAYER, in: Gerold/Schmidt, RVG, 21 Aufl. 2013, § 14 Rn. 15; HARTMANN, KOSTENGESETZE, 44. Aufl. 2014; § 14 RVG Rn. 4). Dies folgt zur Überzeugung der Kammer aus einer am Sinn und Zweck orientierten Auslegung. Zwar gehört die Wartezeit nicht zur mündlichen Verhandlung, sie ist aber durch die Ladung veranlasst und daher am ehesten der Terminsgebühr zuzuordnen.

Soweit unter Rekurs auf die Rechtsprechung des BVerwG (Beschl. v. 11.02.2010 – 9 KSt 3/10, juris) vertreten wird, dass Wartezeiten nicht berücksichtigungsfähig sind, weil die Terminsgebühr mit dem Aufruf der Sache entstehe, soweit der Rechtsanwalt zu diesem Zeitpunkt vertretungsbereit anwesend ist (SächsLSG, Beschl. v. 08.01.2014 – L 8 AS 585/12 B KO, juris Rn. 27; dem folgend DAHM, RV 2014, S. 56 f.) vermag die Kammer sich dem nicht anzuschließen. Zunächst besagt die in Bezug genommene Passage der Entscheidung des BVerwG lediglich, dass die Terminsgebühr mit dem Aufruf der Sache entsteht. Für die Bestimmung der Gebührenhöhe gibt die Entscheidung indessen nichts her, weil in der Fallkonstellation, die der Entscheidung des BVerwG zu Grunde lag, eine Terminsgebühr aus Nr. 3104 VV RVG a.F., mithin einer Wertgebühr und nicht wie vorliegend einer Rahmengebühr in Rede stand. Für die Frage, ob Wartezeiten gebührenrelevant berücksichtigungsfähig sind, enthält die Entscheidung des BVerwG gerade keine Aussage, weil bei der Bestimmung von Wertgebühren die Termindauer keine Rolle spielt.

Die Kammer vermag sich auch nicht der Ansicht anzuschließen, dass etwaige Wartezeiten über das Tage- und Abwesenheitsgeld aus Nr. 7005 VV RVG a.F. abgegolten sind. Die Kammer hält diesen Ansatz schon deshalb für nicht überzeugend, weil im Hinblick auf die Staffelung des Gebührenrahmens aus Nr. 7005 VV RVG a.F. Wartezeiten über drei Stunden gebührenrechtlich nicht relevant werden könnten. Auch der Sinn und Zweck des Tage- und Abwesenheitsgeldes, namentlich die Abdeckung der durch die Geschäftsreise verursachten Mehrkosten beispielsweise in Form eines Mittagessens (N. SCHNEIDER, in: Schneider/Wolf, RVG, 7. Aufl. 2014, VV 7003 – 7006 VV Rn. 33), rechtfertigt nicht die Einbeziehung von Wartezeiten in diesen Gebührenrahmen.

Auch die Berücksichtigung der Wartezeiten im Rahmen der Verfahrensgebühr, wie sie die vom Erinnerungsführer in Bezug genommene Entscheidung des SG Berlins (Beschl. v. 02.05.2012 – S 180 SF 10908/11 E, juris Rn. 15) vornimmt, überzeugt das Gericht nicht. Selbst wenn man diesen Ansatz für Konstellationen wie der vorliegenden, in denen die Wartezeit noch überschaubar ist, anwenden wollte, erscheint dieser Ansatz für Konstellationen, in denen eine deutlich längere Wartezeit angefallen ist (beispielsweise mehrere Stunden) ungeeignet, um eine sachgerechte Lösung zu erreichen. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass Wartezeiten in den Fällen, in denen die Verfahrensgebühr aus anderen Gründen bereits in Höhe der Höchstgebühr festzusetzen ist, unberücksichtigt bleiben würden.

Das Gericht sieht auch keine Grundlage dafür, Wartezeiten erst ab einer bestimmten Zeitdauer zu berücksichtigen (so aber SG Würzburg, Beschl. v. 03.11.2009 – S 2 SF 9/09 E, juris Rn. 21, wonach Wartezeiten bis zu einer Stunde hinzunehmen sind). Zwar ließe sich gut vertreten, dass kurze Wartezeiten (wenige Minuten) vom Bevollmächtigten gebührenirrelevant hinzunehmen wären; indessen vermag die Kammer kein normatives Argument dafür zu sehen, dass Wartezeiten erst ab einer bestimmten Dauer gebührenrelevant berücksichtigungsfähig wären. Für das insoweit veranlassten neuen Abgrenzungskriterium, bis zu welcher Dauer die Wartezeit gebührenrechtlich unbeachtlich bliebe, fehlt jeglicher normativer Anknüpfungspunkt, so dass die Kammer der Auffassung ist, dass die Frage der Berücksichtigung von Wartezeiten nur im Sinne von ja oder nein beantwortet werden kann.

Scheiden aber andere Gebührenrahmen aus und will man die Wartezeiten nicht gänzlich unberücksichtigt lassen, besteht nur die Möglichkeit der Berücksichtigung der Wartezeiten im Rahmen der Bemessung der Terminsgebühr.

Am Maßstab des Vorstehenden kann es im Ergebnis offen bleiben, ob die Terminsgebühr aus Nr. 3106 VV RVG a.F. mit den Gebührenrahmen der Terminsgebühr für das erstinstanzliche strafgerichtliche Verfahren (Nr. 4108 ff. VV RVG a.F.) vergleichbar ist, in denen Wartezeiten berücksichtigt werden (vgl. insoweit SächsLSG, Beschl. v. 08.01.2014 – L 8 AS 585/12 B KO, juris Rn. 28).

Die Berücksichtigung der Wartezeit führt vorliegend zu einer Termindauer von 30 Minuten, für die unter Beachtung der weiteren Kriterien des § 14 RVG – nach denen es sich vorliegend um einen in jeder Hinsicht durchschnittliches Verfahren handelt – die Festsetzung die Mittelgebühr angemessen erscheint.

Die Kammer hat bei ihrer Entscheidung zur Berücksichtigung der Wartezeiten erwogen, die Wartezeiten anders zu bewerten als die Verhandlungszeit. Anlass dafür war die Argumentation, dass der Rechtsanwalt, während er wartet, andere Tätigkeiten ausüben könnte. Auch wenn dies abstrakt betrachtet bei einer Wartezeit von mehr als 15 Minuten durchaus möglich erscheinen mag, sieht die Kammer keinen Anlass für die Annahme, Wartezeiten seien mit einer geringeren Wertigkeit zu berücksichtigen. Zunächst gilt es insoweit zu beachten, dass es der Rechtsanwalt nicht selbst in der Hand hat, wie lange er warten muss. Er muss während der Wartezeit ständig bereit sein, einem Aufruf der Sache zu folgen. Zudem wird er sich in dieser Zeit einem Gespräch mit seinem Mandanten kaum verwehren können, so dass eine strukturierte andere Tätigkeit nur in Ausnahmefällen möglich ist. Diese (durchaus möglichen) Ausnahmefälle rechtfertigen es zur Überzeugung der Kammer aber nicht, generell unter Verweis darauf von einer herabgesetzten Wertigkeit der Wartezeit auszugehen.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer analogen Anwendung von § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.

Vorliegend bedarf es auch einer Kostengrundentscheidung (ständige Rechtsprechung der Kammer; vgl. auch grds. SG Fulda, Beschl. v. 10.02.2010 – 3 SF 22/09 E, juris, Rn. 68 ff.; SG Berlin, Beschl. v. 13.02.2009 – S 164 SF 126/09 E, juris, Rn. 15; SG Cottbus, Beschl. v. 28.10.2009 – S 27 SF 87/09 E, juris, Rn. 38; SG Köln, Beschl. v. 10.02.2011 – S 8 SF 25/10 E, NZS 2011, S. 960; LEITHERER, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 197 Rn. 10 a.E.; a.A. noch 9. Aufl. 2008, § 197 Rn. 10 a.E.).

Für das Erinnerungsverfahren sind gem. § 3 GKG i.V.m. Teil 7 der Anlage 1 des GKG Gerichtskosten nicht vorgesehen.

Diese Entscheidung ist gem. § 197 Abs. 2 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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