L 25 AS 2260/12 B PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
25
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 13 AS 1311/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 25 AS 2260/12 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 31. Juli 2012 geändert und dem Antragsteller gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i. V. m. §§ 114 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO) für das Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes erster Instanz für die Zeit ab dem 3. Juli 2012 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Verfahrensbevollmächtigten bewilligt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist überwiegend begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das sozialgerichtliche Verfahren abgelehnt, in dem der Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 19. April 2012 (bei der Nennung des Jahres 2011 in dem Bescheid dürfte es sich um einen offensichtlichen Schreibfehler handeln) beantragt hat, mit dem der Antragsgegner für den Zeitraum vom 1. Mai bis 31. Juli 2012 das Arbeitslosengeld II des Antragstellers um 100 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs – 374,- Euro monatlich – gemindert hat. Denn die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe lagen hier vor.

Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i. V. m. § 114 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Prozessbeteiligter auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann und die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg verspricht und nicht mutwillig erscheint. Bei der Abwägung, ob einer Klage hinreichende Aussicht auf Erfolg zukommt, gebietet Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) i. V. m. dem in Artikel 20 Abs. 3 GG allgemein niedergelegten Rechtsstaatsgrundsatz und der in Artikel 19 Abs. 4 GG verankerten Rechtsschutzgarantie gegen Akte der öffentlichen Gewalt eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. In der Folge dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht überzogen werden, weil das Prozesskostenhilfeverfahren den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bietet, sondern ihn erst zugänglich macht (ständige Rechtsprechung, vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 6. Mai 2009 – 1 BvR 439/08 – zitiert nach juris -; vom 14. März 2003 – 1 BvR 1998/02 – in NJW 2003, 2976; vom 7. April 2000 – 1 BvR 81/00 – in NJW 2000, 1936). Damit muss der Erfolg des Rechtsschutzbegehrens nicht gewiss sein; hinreichende Aussicht auf Erfolg ist nur dann zu verneinen, wenn diese nur entfernt oder schlechthin ausgeschlossen ist. Die hinreichende Erfolgsaussicht ist daher gegeben, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Klägers zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist. Ist eine Rechtsfrage aufgeworfen, die in der Rechtsprechung noch nicht geklärt, aber klärungsbedürftig ist, muss ebenfalls Prozesskostenhilfe bewilligt werden.

Dass nach Maßgabe der genannten Grundsätze die Rechtsverfolgung zum Entscheidungszeitpunkt des Senats keine Erfolgsaussichten mehr bietet, weil der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts vom 31. Juli 2012 in der Hauptsache keine Beschwerde eingelegt hat, der Beschluss mithin rechtskräftig ist, ist hier unmaßgeblich. Denn auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Senats kommt es vorliegend nicht an. Zwar ist für die geforderte Erfolgsprognose grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts – hier des Senats – abzustellen (vgl. hierzu den Beschluss des Senats vom 28. Juni 2011 - L 25 AS 438/09 B PKH - juris). Dies kann aber dann nicht gelten, wenn die Entscheidung durch das Gericht verzögert wird und sich zwischenzeitlich die Sach- oder Rechtslage zum Nachteil des Antragstellers geändert hat. Abzustellen ist dann auf den Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Antrags, zu dem das Prozesskostenhilfegesuch einschließlich der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst den dazu gehörigen Belegen vollständig bei Gericht eingegangen ist, oder den Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Antrags, zu dem die erforderlichen Entscheidungsgrundlagen vorliegen und das Gericht über das Gesuch bereits hätte entscheiden können. Bewilligungsreife lag mit Eingang des Prozesskostenhilfegesuches einschließlich der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst den dazu gehörigen Belegen am 3. Juli 2012 vor. Entscheidungsreife lag spätestens mit Eingang der Verwaltungsakten des Antragsgegners am 12. Juli 2012 vor. Zu beiden Zeitpunkten hatte der Antrag auf aufschiebende Wirkung hinreichende Erfolgsaussichten, so dass dahinstehen kann, auf welchen Zeitpunkt abzustellen ist.

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts bot der am 29. Juni 2012 beim Sozialgericht eingegangene Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 19. April 2012 mindestens teilweise - hinsichtlich des Zeitraums ab 3. Juli 2012 - hinreichende Aussicht auf Erfolg. Denn es ist mindestens fraglich, ob der Bescheid vom 19. April 2012 dem Antragsteller im Sinne des § 37 Abs. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) bekannt gegeben und damit nach § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB X wirksam geworden ist. Denn der Antragsgegner hat den streitigen Bescheid dem Antragsteller selbst übermittelt, obgleich - was dem Antragsgegner auch bekannt war - dieser durch Beschluss des Amtsgerichts P vom 13. Februar 2009 unter Betreuung seiner Verfahrensbevollmächtigten stand und der Aufgabenkreis auch Behördenangelegenheiten umfasste. Soweit das Sozialgericht auf § 37 Abs. 1 Satz 2 SGB X verweist, wonach die Bekanntgabe einem Bevollmächtigten gegenüber vorgenommen werden kann (aber nicht muss), kann dem § 11 Abs. 3 i. V. m. § 53 ZPO entgegen gehalten werden, wonach dann, wenn in einem Rechtsstreit eine prozessfähige Person durch einen Betreuer oder Pfleger vertreten wird, sie für den Rechtsstreit einer nicht prozessfähigen Person gleich steht. Eine eigentlich geschäftsfähige, aber hinsichtlich bestimmter Angelegenheiten unter Betreuung stehende Person, steht nach einer in der Kommentarliteratur vertretenen Auffassung in einem Verwaltungsverfahren einer nicht geschäftsfähigen Person gleich. Die Handlungsunfähigkeit tritt danach generell für das maßgebende Verfahren ein (vgl. Mutschler in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 11 SGB X, Rn. 8; a. A. wohl Bundesfinanzhof (BFH), Beschluss vom 10. Mai 2007 - VIII B 125/06 – juris; keine Handlungsunfähigkeit). Ist aber ein Beteiligter in diesem Sinne nicht handlungsfähig, so ist der Verwaltungsakt seinem Vertreter bekanntzugeben (Mutschler, a. a. O., § 37, Rn. 9; auch Bundessozialgericht, Urteil vom 13. November 2008 - B 14 AS 2/08 R - juris). Soweit der BFH in dem zitierten Beschluss von Handlungsfähigkeit des Betreuten ausgeht, gelangt er im Übrigen letztlich zu dem gleichen Ergebnis, weil er auch für die einfache Bekanntgabe eines Bescheides § 6 Abs. 1 Satz 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes entsprechend anwendet, wonach, soweit der Aufgabenkreis des Betreuers reicht, Zustellungen an diesen zu richten sind.

Nimmt man also an, dass eine wirksame Bekanntgabe an den Antragsteller in diesem Sinne durch Übersendung des Bescheides vom 19. April 2012 unmittelbar an diesen nicht vorgenommen worden ist, so ist es jedenfalls vertretbar anzunehmen, dass eine wirksame Bekanntgabe an die Betreuerin auch nicht dadurch erfolgt ist, dass diese - bei wechselndem Sachvortrag der Verfahrensbevollmächtigten und Betreuerin des Antragstellers - am 27. April oder 7. Mai 2012 und wohl auch anlässlich einer von ihr beantragten Einsicht in die Akten des Antragsgegners am 22. Mai 2012 tatsächlich Kenntnis von dem Bescheid vom 19. April 2012 genommen hat. Denn für eine Bekanntgabe ist es erforderlich, dass die Behörde dem Adressaten willentlich vom Inhalt des Verwaltungsaktes Kenntnis verschafft. Die Kenntnisnahme durch eine spätere Akteneinsicht im Gerichtsverfahren erfüllt daher beispielsweise nicht die Voraussetzungen der Bekanntgabe des Verwaltungsaktes (vgl. Engelmann in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Auflage 2014, § 37, Rn. 3a). Bezogen auf den vorliegenden Fall erschien es zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Antrages auf Prozesskostenhilfe jedenfalls im für eine Bewilligung ausreichenden Ausmaß vertretbar anzunehmen, dass der Sanktionsbescheid dem Antragsteller nicht wirksam bekannt gegeben worden ist. Dem steht nicht entgegen, dass nach wohl h. M. ein fehlerhaft bekannt gemachter Verwaltungsakt auch mit tatsächlicher Kenntnisnahme des Adressaten wirksam wird (Mutschler, a. a. O., § 37, Rn. 22). Denn die Betreuerin ist gerade nicht Adressatin des Sanktionsbescheides. In diesem Zusammenhang wird schließlich auch vertreten, dass vor allem Gründe der Rechtssicherheit und der Verfahrensklarheit dagegen sprechen, dass der "Erhalt" eines Verwaltungsakts durch eine Person, die in diesem Verwaltungsakt nicht ausdrücklich als Empfänger bezeichnet ist, zur Heilung führen kann (so Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 8. Auflage 2014, § 41, Rn. 234 m. w. N. auch zur Gegenansicht).

Gibt die Behörde einem Beteiligten den Verwaltungsakt nicht oder nicht ordnungsgemäß bekannt, wird er gegenüber diesem Beteiligten nicht existent und damit nicht rechtswirksam (vgl. Engelmann, a. a. O., Rn. 23). Vor diesem Hintergrund hätte die von dem Sozialgericht zutreffend angestellte Interessenabwägung jedenfalls teilweise zugunsten des Antragstellers ausfallen können.

Aus dem Vorstehenden folgt zugleich, dass der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht mutwillig war. Ferner war die Vertretung des Antragstellers durch einen Rechtsanwalt erforderlich und schließlich war und ist der Antragsteller ausweislich seiner Erklärungen zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die Kosten der Verfahrensführung auch nur anteilig aufzubringen.

Im Übrigen, d. h. für die Zeit vor dem 3. Juli 2012, wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Antragsteller hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Verfahrensbevollmächtigten zwar am 29. Juni 2012 zeitgleich mit seinem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gestellt. Seine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ist jedoch erst am 3. Juli 2012 beim Sozialgericht eingegangen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO nicht zu erstatten.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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