L 9 KR 384/12

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 73 KR 1505/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 384/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 KR 100/14 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Zur Zuordnung der Mitarbeiter von Kundentoiletten zu den Tarifverträgen des Gebäudereiniger-Handwerks, insbesondere unter dem Aspekt der „Trinkgeldbewachung“.
2. Stellt der Pächter einer Kundentoilette im Eingangsbereich einen Teller auf, ohne darauf hinzuweisen, dass das von den Kunden hingegebene Trinkgeld den Mitarbeitern nicht zusätzlich zu dem ihnen arbeitsvertraglich geschuldeten Entgelt zufließt, kann darin ein strafbarer Betrug (§ 263 StGB) liegen.
Bemerkung
BSG: NZB abgewiesen
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. August 2012 wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über eine Beitragsnachforderung i.H.v. 118.218,87 EUR, die der beklagte Rentenversicherungsträger für die Jahre 2005 bis 2008 aufgrund eines aus seiner Sicht anzuwendenden allgemeinverbindlichen Tarifvertrages geltend macht.

Die Klägerin ist Inhaberin eines als "Reinigungsservice" bezeichneten Unternehmens (im Folgenden: Reinigungsservice), bei dem die (ehemaligen) Beigeladenen zu 21) bis 43) – die Beigeladenen zu 25) und 36) sind zwischenzeitlich verstorben – beschäftigt waren. Das Geschäftsmodell des Reinigungsservice besteht darin, vertraglich den Betrieb von Kundentoiletten in Einrichtungen mit hoher Kundenfrequenz, wie in Kaufhäusern, Einkaufszentren oder Flughäfen, zu übernehmen. Hierzu schloss er Pacht- oder Dienstleistungsverträge mit den Betreibern dieser Einrichtungen (im Folgenden: Auftraggeber), in denen er sich verpflichtete, die Toilettenräume hygienisch sauber und in einwandfreiem Zustand zu halten, Verbrauchsgegenstände wie Toiletten- und Handtuchpapier sowie Seife – teilweise auf Kosten der Auftraggeber – bereitzuhalten sowie in größeren Abständen eine Grundreinigung der gesamten Anlagen durchzuführen. Einige dieser Verträge sahen Pachtzahlungen des Reinigungsservice an die Auftraggeber, andere Vergütungen der Auftraggeber an den Reinigungsservice, wieder andere eine Unentgeltlichkeit im Verhältnis zwischen Auftraggeber und Reinigungsservice vor. Allen diesen Verträgen gemein sind Regelungen, wonach von den Nutzern der Toiletten (Kunden) keine Entgelte verlangt werden durften; teilweise war der Reinigungsservice jedoch ausdrücklich berechtigt, Behältnisse für Trinkgelder, gegebenenfalls nebst entsprechenden Hinweisschildern, aufzustellen. Das vom Reinigungsservice zu stellende Personal, darunter die Beigeladenen zu 21) bis 43), wurde ausschließlich aus diesen Trinkgeldeinnahmen bezahlt. Zwischen dem Reinigungsservice und seinen Beschäftigten (darunter zahlreichen Altersrentnerinnen) wurden keine als solche bezeichneten Arbeitsverträge geschlossen. Die Klägerin ließ die Beschäftigten vielmehr einen mit "Aushilfen – Personaldaten" überschriebenen Vordruck ausfüllen, dem u.a. die wesentlichen Angaben zur Person sowie zu den wesentlichen Arbeitsbedingungen zu entnehmen sind. Die auszuübende Arbeit wird darin mit unterschiedlichen Formulierungen ("Reinigungskraft", "Beaufsichtigung Kundentoiletten u. Verwaltung d. Trinkgelder", "Betreuung Toiletten/Reinigung", "Reinigung Toiletten", "Betreuung von Kundentoiletten", "Servicekraft – WC Bereich", "Trinkgeldaufsicht", "Reinigung von Kundentoiletten + Trinkgeldaufsicht") beschrieben. Ferner war eine wöchentliche Arbeitszeit ab 6 und bis 25 Stunden bei einem "Einsatz nach Bedarf" vorgesehen. Das vereinbarte Arbeitsentgelt bewegte sich zwischen 93 EUR und 360 EUR monatlich.

Aufgrund einer in der Zeit vom 24. November 2009 bis 25. Februar 2010 durchgeführten Betriebsprüfung für die Jahre 2005 bis 2008 erhob die Beklagte gegenüber der Klägerin mit Bescheid vom 1. März 2010, bestätigt durch den Widerspruchsbescheid vom 30. Juli 2010, eine Beitragsnachforderung in Höhe von 118.218,87 EUR. Zur Begründung führte die Beklagte u.a. aus, bei dem Betrieb der Klägerin handele sich um einen Reinigungsbetrieb, der in den betrieblichen Geltungsbereich der allgemeinverbindlichen Tarifverträge für die gewerblich Beschäftigten in der Gebäudereinigung falle. Die – hauptsächlich geringfügig – Beschäftigten erhielten für ihre Arbeitsleistung einen Stundenlohn von 3,60 EUR. Nach dem allgemeinverbindlichen Lohn-Tarifvertrag für das Gebäudereinigungshandwerk seien für den geprüften Zeitraum jedoch – in Abhängigkeit vom jeweiligen Einsatzort – Mindeststundenlöhne zwischen 6,18 EUR und 8,15 EUR zu zahlen. Aufgrund der Nachberechnungen hinsichtlich des Mindestlohns lägen die Entgelte einiger Beschäftigter über den Geringfügigkeitsgrenzen, so dass bei Überschreiten Versicherungspflicht vorliege.

Im Klageverfahren hat die Klägerin behauptet, ihr Unternehmen erbringe Reinigungsarbeiten nur in geringem Umfang. Zum überwiegenden Teil ihrer Arbeitszeit würden die Mitarbeiter "den Teller bewachen" und quasi als Automaten handeln. An einigen Objekten, etwa dem Taxistand des Flughafens T, dem Z oder dem A, würden die Mitarbeiter "mangels Betrieb" oftmals stundenlang lesen oder fernsehen. Die Grundreinigung von Objekten würde entweder von einer beauftragten Gebäudereinigungsfirma oder dem Angestellten S K (Sohn der Klägerin), ausgeführt. Die Klägerin hat wortgleiche, nicht unterschriebene "Erklärungen an Eides statt" von drei Mitarbeiterinnen ¬– darunter der Beigeladenen zu 22) – eingereicht. Die Beigeladene zu 23) hat vorgebracht, sie habe qualifizierte Reinigungsarbeiten zu verrichten. Die Angestellten seien während der Betriebszeit dazu angehalten, die Toilettenräume in ordentlich reinem Zustand zu halten, Toilettenpapier nachzulegen und sich um andere Verbrauchsmaterialien zu kümmern.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 29. August 2012 die Klage abgewiesen, weil die Beklagte die im Prüfzeitraum tarifvertraglich vorgesehenen Mindestentgelte zutreffend als maßgebliche Bemessungsgrundlage für die Beiträge zur Sozialversicherung zugrunde gelegt habe. Der Betrieb der Klägerin sei dem Geltungsbereich der einschlägigen Tarifverträge zuzuordnen, weil zu den dort ausgeübten Tätigkeiten unstreitig solche der Gebäudereinigung im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 2 und 7 des Lohn-Tarifvertrages (LTV 2003) vom 4. Oktober 2003 bzw. des Rahmen-Tarifvertrages (RTV 2003) gehörten. Dass es sich um einen Reinigungsbetrieb handele, ergebe sich schon aus dem Namen des Betriebes sowie den vertraglich geschuldeten und tatsächlich ausgeübten Leistungen des Betriebs der Klägerin und deren Mitarbeiterinnen. Die Toilettennutzer gäben deswegen Trinkgeld, weil vom Toilettenpersonal mühevolle Reinigungsleistungen erbracht und erwartet würden. Die konkrete Tätigkeit der beschäftigten Arbeitnehmer sei nach § 1 Abs. 3 der Tarifverträge für die Tarifbindung unerheblich. In keinem der genannten Verträge mit den Auftraggebern gebe es für die Klägerin eine Aufgabe, einen Trinkgeldteller zu bewachen. Im Übrigen seien die von der Klägerin im Prüfzeitraum geleisteten Entgelte zwischen 3,60 EUR und 4,50 EUR evident sittenwidrig zu niedrig.

Gegen dieses ihr am 6. September 2012 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin vom 25. September 2012, zu deren Begründung sie vorträgt: Das Urteil des Sozialgerichts sei aufzuheben und der Rechtsstreit sei in der Hauptsache an eine andere Kammer des Sozialgerichts zurückzuverweisen, da durch die Teilnahme einer Praktikantin an der Beratung und Abstimmung der Kammer das Beratungsgeheimnis verletzt worden sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) komme es bei der Prüfung von Mischbetrieben entscheidend darauf an, mit welchen Aufgaben die Arbeitnehmer des Betriebes überwiegend beschäftigt gewesen seien. Weder die Beklagte noch das Sozialgericht hätten sich tatsächlich mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Arbeitnehmer der Klägerin tatsächlich Arbeiten ausgeführt hätten, die den betrieblichen Geltungsbereich des RTV umfassten. Keine der Ziffern nach § 1 Abs. 2 Ziffer 1 bis 7 des maßgeblichen Tarifvertrages sei erfüllt. Nach der Rechtsprechung des BAG handele es sich bei Toilettenanlagen in Kaufhäusern und auf dem Flughafen nicht um "öffentliche" im Sinne des Tarifvertrages, da diese Toilettenanlagen nur einem beschränkten Personenkreis (nämlich den Kunden bzw. den Fluggästen) zur Verfügung stünden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. August 2012 sowie den Bescheid der Beklagten vom 1. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 2010 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die Beigeladenen haben sich nicht zur Sache geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig.

A. Der Senat kann offenlassen, ob das sozialgerichtliche Urteil deshalb an einem Verfahrensmangel leidet, weil an der Beratung der Kammer auch eine studentische Praktikantin teilgenommen hat. Selbst wenn ein Verfahrensmangel vorläge, zwänge dieser den Senat nicht zur Zurückverweisung an das Sozialgericht, weil die Voraussetzungen des § 159 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht vorliegen: Das Sozialgericht hat in der Sache entschieden (vgl. § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Es ist auch weder behauptet noch anderweitig ersichtlich, dass wegen der ¬– insoweit zu unterstellenden – Verletzung des Beratungsgeheimnisses eine erforderliche umfassende und aufwändige Beweisaufnahme unterblieben ist (vgl. § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Andere Zurückverweisungstatbestände existieren nicht. Der Verfahrensmangel wäre auch nicht entscheidungserheblich, weil die materiellrechtliche Entscheidung des Sozialgerichts nicht zu beanstanden ist (Rechtsgedanke des § 170 Abs. 1 Satz 2 SGG).

B. Die gegen die Bescheide der Beklagten vom 1. März 2010 und 30. Juni 2010 gerichtete Anfechtungsklage ist zulässig, aber unbegründet. Diese Bescheide sind nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat die im Bescheid vom 1. März 2010 als "KV", "PV, "RV" und "BA" gekennzeichneten Beiträge zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie zur Bundesagentur für Arbeit und die als "U1" und "U2" gekennzeichneten Umlagebeiträge nach dem Lohnfortzahlungsgesetz für die Differenz zwischen dem tatsächlich gezahlten Lohn und dem für allgemeinverbindlich erklärten Mindestlohn zu tragen.

I. Rechtsgrundlage für die Nachforderung ist § 28p Abs. 1 Satz 5 des Sozialgesetzbuchs/Viertes Buch (SGB IV). Danach erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Prüfung bei den Arbeitgebern Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern; insoweit gelten § 28 h Abs. 2 SGB IV sowie § 93 i.V.m. § 89 Abs. 5 Sozialgesetzbuch/Zehntes Buch (SGB X) nicht. Hierzu prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern gemäß § 28 p SGB IV, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach diesem Gesetzbuch, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen, ordnungsgemäß erfüllen.

Nach § 28e Abs. 1 SGB IV hat der Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbeitrag an die Einzugsstelle – dies ist gemäß § 28h SGB IV die Krankenkasse – zu zahlen. Nach § 28d SGB IV werden die Beiträge in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung für einen kraft Gesetzes versicherten Beschäftigten sowie der Beitrag aus Arbeitsentgelt aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nach dem Recht der Arbeitsförderung als Gesamtsozialversicherungsbeitrag gezahlt.

Bemessungsgrundlage für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag (§ 28d Satz 1 SGB IV) ist das Arbeitsentgelt aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung (§ 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch; § 57 Abs. 1 Sozialgesetz¬buch/Elftes Buch; § 162 Nr. 1 Sozialgesetzbuch/Sechstes Buch; § 342 Sozialgesetzbuch/Drittes Buch). Desgleichen ist das Arbeitsentgelt Bemessungsgrundlage der Umlagebeiträge ("Umlage U2") für die Mittel zur Durchführung des Ausgleichs der Arbeitgeberaufwendungen in Kleinbetrieben nach § 14 Mutterschutzgesetz i.V.m. § 10 Abs. 1 Nr. 1 und 2 Lohnfortzahlungsgesetz. Für die Feststellung der Höhe des Arbeitsentgeltes und damit auch der Beitragshöhe gilt das Entstehungs- und nicht das Zuflussprinzip. Dies ist zwischen den Beteiligten mit Recht nicht umstritten. Maßgeblich ist daher das (tarifvertraglich) geschuldete Arbeitsentgelt.

II. Die Höhe des geschuldeten Arbeitsentgelts ergibt sich hier aus insoweit allgemeinverbindlichen Tarifverträgen für den Bereich der Gebäudereinigung.

1. Für den Zeitraum 1. Januar 2004 bis 29. Februar 2008 ergibt sich das maßgebliche tarifvertragliche Arbeitsentgelt der Beigeladenen zu 21) bis 43) aus dem LTV für die gewerblich Beschäftigten in der Gebäudereinigung vom 4. Oktober 2003 und der Bekanntmachung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit über die Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) eines Tarifvertrages für das Gebäudereinigerhandwerk vom 21. April 2004 (BAnz 2004 Nr. 80, S. 9370).

Nach § 5 Abs. 1 TVG in der bis zum 7. November 2006 geltenden Fassung konnte das (damalige) Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit einen Tarifvertrag nach näheren gesetzlichen Maßgaben für allgemeinverbindlich erklären. Mit der AVE erfassen die Rechtsnormen des Tarifvertrags in seinem Geltungsbereich auch die bisher nicht tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer (§ 5 Abs. 4 TVG). Mit seiner o.g. Bekanntmachung erklärte das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit den LTV mit Wirkung zum 1. April 2004 für allgemeinverbindlich. Der Geltungsbereich dieses LTV betraf nach seinem § 1:

I. Räumlich Das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland.

II. Betrieblich Alle Betriebe, die folgende, der Gebäudereinigung zuzurechnenden Tätigkeiten ausüben:

1. Reinigung, pflegende und schützende Nachbehandlung von Außenbauteilen an Bauwerken aller Art,

2. Reinigung, pflegende und schützende Behandlung von Innenbauteilen an Bauwerken aller Art, Gebäudeeinrichtungen, haustechnischen Anlagen sowie von Raumausstattungen und Verglasungen,

3. Reinigung und Pflege von maschinellen Einrichtungen sowie Beseitigung von Produktionsrückständen,

4. Reinigung und Pflege von Verkehrsmitteln, von Verkehrsanlagen und -einrichtungen sowie von Beleuchtungsanlagen,

5. Reinigung von Verkehrs- und Freiflächen einschließlich der Durchführung des Winterdienstes,

6. Durchführung von Dekontaminationsmaßnahmen,

7. Durchführung von Desinfektions- und Schädlingsbekämpfungsmaßnahmen sowie von Arbeiten der Raumhygiene.

Die Betriebe fallen, soweit von ihnen oder in ihnen Gebäudereinigungsleistungen überwiegend erbracht werden, als Ganzes unter diesen Tarifvertrag.

III. Persönlich Alle Beschäftigten, die eine nach den Vorschriften über die Rentenversicherung der Arbeiter, gemäß dem 6. Buch des Sozialgesetzbuches (SGB VI), versicherungspflichtige Tätigkeit ausüben, einschließlich derjenigen, die gemäß § 8 (SGB IV) eine geringfügige Beschäftigung ausüben, sowie die Auszubildenden.

Nach § 2 LTV galten für die Lohngruppe 1 folgende Stundensätze: ab 01.04.2004 ab 01.01.2005 Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Sachsen 6,18 EUR 6,36 EUR übrige Bundesländer 7,68 EUR 7,87 EUR

Die Beschreibung der Lohngruppe 1 ("Innen- und Unterhaltungsreinigungsarbeiten") findet sich in § 7 Ziff. 3.2 des RTV für die gewerblichen Beschäftigten in der Gebäudereinigung vom 4. Oktober 2003. Die Eingruppierung richtet sich nach der überwiegenden Tätigkeit, maßgeblich ist ausschließlich die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit (§ 7 Ziff. 3.1.1). Dieser Tarifvertrag, dessen Geltungsbereich identisch ist mit dem des LTV, ist allgemeinverbindlich seit dem 1. April 2004 aufgrund der AVE vom 19. März 2004 (BAnz. 2004 Nr. 66 S. 7093; vgl. Maier, NZA 2008, 1170f).

2. Für die ferner streitgegenständliche Zeit ab dem 1. März 2008 ergibt sich das maßgebliche tarifvertragliche Arbeitsentgelt aus der Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen im Gebäudereinigerhandwerk vom 27. Februar 2008 (GebäudeArbbV, BAnz. 2008 Nr. 34, S. 762).

Rechtsgrundlage dieser am 1. März 2008 in Kraft getretenen Verordnung (§ 2) ist nach ihrer Eingangsformel § 1 Abs. 3a Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG; hier in der bis zum 23. April 2009 geltenden Fassung). Nach dessen Satz 1 kann das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, wenn ein Antrag auf AVE eines Tarifvertrages nach § 1 Absatz 1 oder Absatz 3 Satz 1 AEntG gestellt worden ist, unter den dort genannten Voraussetzungen durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates bestimmen, dass die Rechtsnormen dieses Tarifvertrages auf alle unter den Geltungsbereich dieses Tarifvertrages fallenden und nicht tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Anwendung finden. Unter den Geltungsbereich eines Tarifvertrages nach Absatz 1 oder Absatz 3 fallende Arbeitgeber mit Sitz im Inland sind u.a. verpflichtet, ihren Arbeitnehmern mindestens die in der Rechtsverordnung vorgeschriebenen Arbeitsbedingungen zu gewähren (§ 1 Abs. 3a Satz 4, 1. Halbs. AEntG in der o.g. Fassung). § 1 GebäudeArbbV erstreckt diese Rechts¬folge auf die in der Anlage zur Verordnung aufgeführten Rechtsnormen des Tarifvertrages zur Regelung der Mindestlöhne für gewerbliche Arbeitnehmer in der Gebäudereinigung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TVMindestlohn) vom 9. Oktober 2007. Dieser Tarifvertrag, dessen Geltungsbereich nach seinem § 1 mit dem des o.g. RTV übereinstimmt, sah im Hinblick auf die Lohngruppe 1 für Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Sachsen einen Mindestlohn i.H.v. 6,58 EUR und für die übrigen Bundesländer i.H.v. 8,15 EUR vor (§ 2 Ziff. 1). Nach Ziff. 2 dieser Vorschrift umfasst die Lohngruppe 1 folgende Tätigkeiten:

Innen- und Unterhaltsreinigungsarbeiten, insbesondere Reinigung, pflegende und schützende Behandlung von Innenbauteilen an Bauwerken und Verkehrsmitteln aller Art, Gebäudeeinrichtungen, haustechnischen Anlagen und Raumausstattungen;

Reinigung und Pflege von maschinellen Einrichtungen sowie Beseitigung von Produktionsrückständen;

Reinigung von Verkehrs- und Freiflächen einschließlich der Durchführung des Winterdienstes

Die Arbeitnehmer werden aufgrund ihrer überwiegenden Tätigkeit in eine Lohngruppe dieses Tarifvertrages eingruppiert. Für die Eingruppierung ist ausschließlich die ausgeübte Tätigkeit maßgebend (§ 2 Ziff. 3 Sätze 1 und 2 TVMindestlohn).

III. Das Unternehmen der Klägerin fällt in den betrieblichen Geltungsbereich der o.g. Tarifverträge, weil es Reinigungsleistungen nach § 1 Abs. II Ziff. 2 und 7 LTV, § 1 Abs. II Ziff. 2 und 7 RTV und § 1 Ziff. 2 TVMindestlohn (im Folgenden: betrieblicher Geltungsbereich) erbringt.

1. Was den betrieblichen und fachlichen Geltungsbereich von Tarifverträgen angeht, ist grundsätzlich nicht auf wirtschaftliche Gesichtspunkte oder den Verwendungszweck von Arbeitsprodukten abzustellen, sondern allein auf die überwiegend in dem betreffenden Betrieb zu leistende Arbeit (BAG, Urteil vom 17. Februar 1971 – 4 AZR 71/70 –, juris). Anzuknüpfen ist insoweit an die Merkmale, die dem Betrieb sein Gepräge geben, nicht aber seinen wirtschaftlichen Zweck oder die arbeitstechnische Verwendung. Auch die Satzungen der tarifvertragsschließenden Koalitionen können berücksichtigt werden (Treber, in: Schaub, 15. A., S. 2345). Werden die von den Tarifvertragsparteien verwendeten Begriffe nicht im Tarifvertrag selbst definiert, ist davon auszugehen, dass sie den Begriff in dem Sinne gebraucht haben, wie er dem allgemeinen Sprachgebrauch und dem der beteiligten Kreise entspricht, wenn nicht sichere Anhaltspunkte für eine abweichende Auslegung gegeben sind. Auf handelsrechtliche oder gewerberechtliche Kriterien kommt es dabei nicht an (BAG, Urteil vom 25. Januar 2006 – 4 AZR 622/04 –, juris). In den verbleibenden Fällen ist auf den allgemeinen Sprachgebrauch abzustellen, der nach Grammatiken, Lexika und Wörterbüchern, ggf. auch berufskundlichem Schrifttum (BAG, Urteil vom 10. Juni 2009 – 4 AZR 77/08 –, juris) zu erschließen ist.

2. Hieran gemessen stellt der Reinigungsservice einen Betrieb dar, der überwiegend die "Reinigung, pflegende und schützende Behandlung von Innenbauteilen an Bauwerken aller Art, Gebäudeeinrichtungen, haustechnischen Anlagen sowie von Raumausstattungen" (Ziff. 2 der o.g. tarifvertraglichen Regelungen) sowie "Arbeiten der Raumhygiene" (Ziff. 7 der o.g. tarifvertraglichen Regelungen) ausübt. Kundentoiletten, d.h. sanitäre Anlage in Form von Toiletten nebst der dazugehörigen (Vor-)Räume, stellen sowohl Innenbauteile eines Bauwerks als auch Gebäudeeinrichtungen dar. Sie zu reinigen, pflegend zu behandeln und die (Raum-)Hygiene in einem einwandfreien Zustand zu (er-)halten, hat sich die Klägerin in sämtlichen dem Senat vorgelegten Verträgen mit ihren Auftraggebern verpflichtet. Diese Arbeiten stehen daher im Zentrum der betrieblichen Tätigkeit des Reinigungsservice und geben ihm sein Gepräge. Etwas anderes hat die Klägerseite auch zu keinem Zeitpunkt behauptet. Insbesondere fehlt es an jeglichem Vortrag, dass und ggf. welche Arbeiten, die einer anderer Branche als dem Reinigungsgewerbe zuzuordnen wären, im Betrieb der Klägerin erbracht wurden. Dass die Klägerin selbst ihr Unternehmen als der Gebäudereinigungsbranche zugehörig ansieht, hat sie im Übrigen – worauf das Sozialgericht zu Recht hinweist – auch durch die Namenswahl ("Reinigungsservice") zum Ausdruck gebracht.

3. Die gegen die Anwendung der o.g. Tarifverträge gerichteten Einwendungen der Klägerin gehen an der Sache vorbei. Auf die Rechtsprechung des BAG zur Anwendung von Tarifverträgen auf sog. Mischbetriebe, d.h. Betriebe mit mehreren arbeitstechnischen Betriebszwecken, kommt es schon deshalb nicht an, weil der Reinigungsservice kein Mischbetrieb ist. Das desweiteren zitierte Urteil des BAG vom 15. November 2006 (Az.: 10 AZR 769/05, juris) bezieht sich zum einen auf den nur bis zum 31. März 2004 geltenden und somit hier nicht einschlägigen RTV für die gewerblichen Beschäftigten im Gebäudereiniger-Handwerk vom 16. August 2000; es enthält im Übrigen nur die Feststellung, dass Kundentoiletten eines Flughafens keine "öffentlichen Toiletten" i.S.d. Erschwerniszuschläge vorsehenden Regelungen dieses Tarifvertrages sind, betrifft aber – entgegen der klägerischen Darstellung – nicht die Frage, ob dieser Tarifvertrag überhaupt auf die Reinigung von Kundentoiletten anwendbar war.

IV. Die Beklagte hat die Beschäftigten der Klägerin, darunter die Beigeladenen zu 21) bis 43), zutreffend der Lohngruppe 1 zugeordnet, weil sie überwiegend Arbeiten der Innen- und Unterhaltsreinigung i.S.v. § 7 Ziff. 3.2 des RTV bzw. § 2 Ziff. 2 TVMindestlohn verrichteten.

1. Macht ein Tarifvertrag – wie hier – die Eingruppierung von der überwiegend ausgeübten Tätigkeit abhängig, kommt es zunächst darauf an festzustellen, ob der Arbeitnehmer eine einheitlich zu bewertende Gesamttätigkeit, eine überwiegend auszuübende Teiltätigkeit oder mehrere selbständige Teiltätigkeiten zu erbringen hat. Die so ermittelten Bereiche sind tariflich zu bewerten (BAG, Urteil vom 25. August 1993 – 4 AZR 577/92 –, juris, m.w.N.). Dabei ist nicht jeder Arbeitsschritt (hier: einer Arbeitnehmerin in der Gebäudereinigung) tariflich eigenständig zu bewerten. Ob ihre Tätigkeit eine einheitlich zu bewertende Gesamttätigkeit ist oder sie aus mehreren jeweils eine Einheit bildenden Einzeltätigkeiten besteht, die tariflich jeweils gesondert zu bewerten sind und daraus die überwiegende Gesamttätigkeit zu bilden ist, richtet sich nach den gesamten Umständen des Einzelfalles. Für eine zusammenfassende Betrachtung von Tätigkeiten können gesetzliche Bestimmungen, Verwaltungsvorschriften, Geschäftsverteilungspläne, Anschauungen innerhalb einer Behörde oder eine behördliche Übung, aber auch der enge Zusammenhang der dem Angestellten übertragenen Aufgaben herangezogen werden. Bei der Bestimmung der Einzeltätigkeiten hat das Tatsachengericht einen Beurteilungsspielraum (BAG, a.a.O.; Urteil vom 25. September 2013 – 4 AZR 99/12 –, juris, m.w.N.).

2. Hieran gemessen ist die Zuordnung der Beigeladenen zu 21) bis 43) zur Lohngruppe 1 nicht zu beanstanden.

a. Da es nach § 7 Ziff. 3.1.1 RTV 2003 bzw. § 2 Ziff. 3 Sätze 1 und 2 TVMindestlohn nur auf die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit ankommt, sind die sehr unterschiedlichen vertraglichen Bezeichnungen der von den Beschäftigten des Reinigungsservice zu verrichtenden Arbeiten irrelevant. Ungeachtet der divergierenden Formulierungen sind dem Vorbringen der Klägerin darüber hinaus keine Anhaltspunkte zu entnehmen, dass die Tätigkeiten der vom hiesigen Verfahren betroffenen Beschäftigten in entscheidungserheblichem Umfang variieren. Lediglich die jeweils zum Betriebsschluss eingesetzte Mitarbeiterin hatte, anders als die vor ihr im Laufe eines Arbeitstages tätigen, das eingenommene Geld zu zählen und einen Einnahmezettel auszufüllen. Diese Besonderheit betraf jedoch grundsätzlich jede der zum Zeitpunkt des Betriebsendes eingesetzten Beschäftigten; dass sie von einer besonderen Qualifikation oder Vertrauensstellung abhing, ist nicht erkennbar.

Ansonsten ergeben sich aus dem Vortrag der Klägerin folgende Teilaufgaben: regelmäßige Reinigung der Sanitäranlagen, Nachfüllen von Seife und Toilettenpapier, Beaufsichtigung des eingenommenen Geldes oder der von Kunden kurzzeitig anvertrauten Gegenstände, Unterstützung hilfebedürftiger, z.B. behinderter Toilettennutzer. Weitere "Tätigkeiten" wie Lesen, Fernsehen oder "Schwätzchen halten" sind in die Gesamtbetrachtung nicht einzustellen, weil sie offenkundig lediglich der zeitlichen Überbrückung und dem Füllen von Zeiten ohne sonstige Aufgabe dienen; solche typischen Freizeitaktivitäten stellen keine betrieblichen, vertraglich geschuldeten oder arbeitsrechtlich relevanten ausgeübten Tätigkeiten dar, auch wenn sie während der Arbeitszeit ermöglicht werden.

b. Kern dieser Teilaufgaben war offenkundig, die Kundentoiletten zu reinigen, sie dadurch in einem hygienisch einwandfreien Zustand zu halten und Verbrauchsgegenstände wie Toilettenpapier und Seife nachzufüllen bzw. bereit zu halten. Hierzu hatte sich die Klägerin ihren Auftraggebern gegenüber vertraglich verpflichtet, und zur Erfüllung dieser Verpflichtungen, d.h. als Erfüllungsgehilfen i.S.v. § 278 BGB, setzte sie die Beschäftigten ein (dies in einem ähnlichen Fall ebenfalls bejahend: BGH, Beschluss vom 12. September 2012 – 5 StR 363/12 –, juris). Dabei waren die Reinigungsaufgaben nicht gering. Wie sich den eingereichten Verträgen der Klägerin mit Subunternehmern entnehmen lässt, umfasste die lediglich in größeren Abständen durchzuführende Grundreinigung die Fliesenböden einschließlich des untersten Bereichs der Wandfliesen. Die vertraglich mit den Auftraggebern vereinbarte täglich durchzuführende Unterhaltsreinigung umfasste somit nicht nur die Toilettenanlagen an sich (Toilettenschüssel, -brille, ggf. -deckel, Urinale), sondern z.B. auch Waschbecken und Spiegel. In den Verträgen kommen insoweit hohe Anforderungen der Auftraggeber an Sauberkeit, Hygiene und Ordnung zum Ausdruck. Angesichts dessen stellen sich bei wertender Betrachtung die anderen von der Klägerin benannten Teilaufgaben (Beaufsichtigung des eingenommenen Geldes oder der von Kunden kurzzeitig anvertrauten Gegenstände, Unterstützung hilfebedürftiger, z.B. behinderter Toilettennutzer) als untergeordnete, dienende Tätigkeiten dar. So erscheint es z.B. lebensfern anzunehmen, die Beschäftigten hätte die Entfernung von Exkrementen oder das Nachfüllen von Toilettenpapier unterbrechen dürfen, um die Einkaufstaschen einer Kundin oder das eingenommene Geld zu beaufsichtigen.

c. Aufgrund dessen handelte es sich um eine einheitliche Gesamttätigkeit, die in der – z.T. mit den Auftraggebern wörtlich so vereinbarten – Unterhaltsreinigung der Kundentoiletten bestand. Dieser Begriff der Unterhaltsreinigung ist mit dem tarifvertraglichen gemäß Lohngruppe 1 identisch.

Die Tarifvertragsparteien haben davon abgesehen, den Begriff der Unterhaltsreinigung innerhalb des RTV näher zu bestimmen. Es handelt sich auch um keinen in der Rechtsterminologie feststehenden Begriff. Deshalb ist die branchenspezifische Auffassung für die Auslegung des Tätigkeitsmerkmales von Bedeutung (BAG, Urteil vom 30. Januar 2013 – 4 AZR 272/11 –, juris, m.w.N.). Das BAG ist bisher schon davon ausgegangen, dass die "Unterhaltsreinigung begrifflich schlechthin das Reinigen und Pflegen eines Objektes zu dessen Unterhaltung zum Inhalt" hat. Unterhaltsreinigungsarbeiten sind "fortlaufende und kontinuierl. auszuführende Reinigungsarbeiten, die dem Erhalt, dem Schutz und der Pflege von Gegenständen dienen, wobei hierunter nicht nur Gebäude zu verstehen sind" (BAG, a.a.O., m.w.N.). Der Begriff der Gebäudereinigung erfasst u.a. die Ausstattung von Räumen als Gegenstand einer Unterhaltsreinigung (BAG, a.a.O., m.w.N.). Nach § 1 Abs. II Ziff. 2 RTV sind der Gebäudereinigung die "Reinigung, pflegende und schützende Behandlung von Innenbauteilen an Bauwerken aller Art, Gebäudeeinrichtungen, haustechnischen Anlagen sowie von Raumausstattungen und Verglasungen" zuzurechnen. Die erläuternden Beschreibungen zur Lohngruppe 1 in § 2 Ziff. 2 TVMindestlohn bestätigen dies.

d. Dass die Reinigung von Sanitärbereichen zum Kernbereich der Gebäudereinigung zählt, ergibt sich im Übrigen aus den rechtlichen Vorgaben für diesen Beruf. Das "Behandeln von Sanitärbereichen" ist nach dem von der Kultusministerkonferenz vom 25. März 1999 beschlossenen Rahmenlehrplan für den Ausbildungsberuf Gebäudereiniger/Gebäudereinigerin eines von insgesamt 11 Lernfeldern und umfasst 100 von insgesamt 840 Unterrichtsstunden. Der Prüfungsbereich "Hygiene, Sanitär und Gesundheit" fließt zu rd. einem Drittel in die Gesellenprüfung ein (§ 8 der Verordnung über die Berufsausbildung zum Gebäudereiniger/zur Gebäudereinigerin). Damit übereinstimmend geht die Beigeladene zu 1) in ihren Informationen zum Beruf "Gebäudereiniger/in" davon aus, dass zu den Aufgaben von Gebäudereiniger/innen nicht nur die Reinigung und Pflege sanitärer Einrichtung zählt, sondern darüber hinaus auch der "Hygiene- und Sanitärservice" (http://berufenet.arbeitsagentur.de/berufe/berufId.do? pgnt act=goToAnyPage& pgnt pn=0& pgnt id=resultShort&status=T01).

e. Auf Zeiten der sog. Trinkgeldbewachung kommt es somit nicht an. Dieser Begriff ist ohnehin irreführend. Denn zum einen handelt es sich bei dem von den Toilettennutzern hingegeben Geld nicht um Trinkgeld im rechtlichen Sinn (hierzu sogleich unter g. aa.). Zum anderen diente der Aufenthalt der Beschäftigten in unmittelbarer Nähe des sog. Trinkgeldtellers nicht dessen Bewachung. Die Klägerseite hat zu keiner Zeit behauptet, es habe die Gefahr bestanden, das von den Kunden hingegebene Geld werde entwendet. Es ist aus Sicht des Senats auch nicht ernsthaft zu befürchten, dass an einem stark frequentierten Ort wie dem Eingangsbereich der Kundentoilette z.B. eines Einkaufszentrums Münzgeld von eher geringem Wert gestohlen wird, zumal wenn der Teller in regelmäßigen Abständen bis auf wenige Münzen von den Beschäftigten der Klägerin geleert wird. Das Neben-dem-Teller-Sitzen verfolgt offensichtlich einen anderen Zweck: Durch die Anwesenheit der Beschäftigten entsteht ein Sozialkontakt, der seinerseits eine Verknüpfung zwischen der gereinigten, hygienischen Toilette und dem hierfür als verantwortlich angesehenen Personal herstellt. Hieraus wiederum resultiert ein gewisser sozialer Druck auf die Toilettennutzer, sich erkenntlich zu zeigen. Der Aufenthalt der Beschäftigten der Klägerin in unmittelbarer Nähe des Trinkgeldtellers wirkt daher typischerweise als Aufforderung an die Kunden, sich der sozialen Erwartung entsprechend zu verhalten. Weil die Schaffung eines solchen sozialen Drucks in anderen Branchen, in denen die Zuwendung eines Trinkgelds stark verbreitet ist (z.B. in der Gastronomie, im Hotelgewerbe oder bei Taxifahrten), unüblich ist, erscheint die vom Sozialgericht vorgenommenen Qualifizierung des sog. Trinkgeldbewachens als moderne Bettelei als naheliegend.

f. Aber auch dann, wenn die Zeiten der Trinkgeldbewachung einbezogen würden, rechtfertigte dies kein anderes Ergebnis. Insbesondere wären diese Zeiten nicht nur als (ggf. geringer zu vergütende) Arbeitsbereitschaft zu werten. Arbeitsbereitschaft wird in Zeiten wacher Aufmerksamkeit im Zustand der Entspannung geleistet und unterscheidet sich darin von der sog. Vollarbeit, die von den Beschäftigten ständige Aufmerksamkeit und Arbeitsbelastung verlangt (BAG, Urteile vom 17. Juli 2008 – 6 AZR 505/07 –, und 28. Januar 2004 – 5 AZR 530/02 –; BGH, Beschluss vom 12. September 2012 – 5 StR 363/12 –; jeweils juris). Von den Beschäftigten der Klägerin war ständige Aufmerksamkeit gefordert, um entstandene Verschmutzungen zügig zu entfernen. Legt man den klägerischen Vortrag zugrunde, war sie aber auch im Hinblick auf den Trinkgeldteller notwendig: Die klägerseitig insoweit behauptete Bewachungsaufgabe kann gerade nicht in einem – auf bloße Arbeitsbereitschaft hinweisenden – Zustand der Entspannung erfüllt werden.

g. Unabhängig hiervon dürften die Zeiten, die die Beschäftigten der Klägerin mit der "Bewachung" des Trinkgeldes verbrachten, auch aus einem weiteren Grund nicht in die erforderliche Gesamtbetrachtung einzubeziehen sein. Denn es spricht viel dafür, dass das Verhalten der Klägerin in Zusammenhang mit dem Trinkgeldteller einen Betrug i.S.v. § 263 Strafgesetzbuch darstellt (hierzu unter aa.). Dies schließt es aus, die damit zusammenhängenden Tätigkeiten bei der Prüfung, ob ein gesetzlich angeordneter Mindestlohn zu zahlen ist, zugunsten der Klägerin zu berücksichtigen (hierzu unter bb.).

aa. Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, dass er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft (§ 263 Abs. 1 StGB). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt.

(1) Die Klägerin hat den Toilettennutzern durch das von ihr veranlasste Aufstellen eines Trinkgeldtellers, ggf. ergänzt durch eine entsprechende Bitte um Trinkgeld auf einem in ihrem Auftrag aufgestellten Hinweisschild, eine falsche Tatsache vorgespiegelt und sie dadurch getäuscht. Die vorgespiegelte Tatsache besteht im Verwendungszweck des Trinkgeldes.

(a) Trinkgeld ist ein Geldbetrag, den ein Dritter ohne rechtliche Verpflichtung dem Arbeitnehmer zusätzlich zu einer dem Arbeitgeber geschuldeten Leistung zahlt (§ 107 Abs. 3 Satz 2 Gewerbeordnung - GewO ¬-). Diese (arbeitsrechtliche) Legaldefinition deckt sich nicht nur mit dem allgemeinen Sprachgebrauch, sondern auch mit dem steuerrechtlichen Begriff des Trinkgeldes. Nach § 3 Nr. 51 Einkommenssteuergesetz (EStG) sind steuerfrei Trinkgelder, die anlässlich einer Arbeitsleistung dem Arbeitnehmer von Dritten freiwillig und ohne dass ein Rechtsanspruch auf sie besteht, zusätzlich zu dem Betrag gegeben werden, der für diese Arbeitsleistung zu zahlen ist.

(b) Diesem Verwendungszweck dient das von der Klägerin vereinnahmte "Trinkgeld" nicht. Die von den Nutzern der Kundentoiletten hingegebenen Beträge fließen den Arbeitnehmern der Klägerin nämlich nicht zusätzlich zu ihrem vertraglich vereinbarten Arbeitsentgelt zu. Vielmehr wird dieses einzig und allein aus dem "Trinkgeld" finanziert.

Es besteht kein Erfahrungssatz und auch keine allgemeine Übung dahin, dass bei einer für den Nutzer erkennbar kostenlos erbrachten Leistung – wie hier der Toilettennutzung – freiwillig hingegebene Geldbeträge stets dem Arbeitgeber zufließen, der hinter dem erkennbar vor Ort agierenden Personal steht. Bei sozialtypischer Betrachtung ist gerade das Gegenteil der Fall, wie die o.g. Vorschriften der GewO und des EStG belegen. Ebenso wenig ist die Hingabe von Geldbeträgen speziell an Reinigungskräfte bei kostenloser Inanspruchnahme öffentlich zugänglicher Toilettenanlagen stets mit der Erwartung verbunden, das Geld diene (nur) dem Unterhalt der Anlage. In diesem Fall wäre gerade die Erhebung eines bestimmten Nutzungsentgelts typisch. Schon gar nicht kann ein genereller Wille der Leistenden angenommen werden, das an Toilettenanlagen freiwillig hingegebene Geld solle für die Bezahlung zusätzlichen Personals verwendet werden, welches im Wesentlichen nur für das Einsammeln des Geldes vorgehalten wird, woran der Besucher naturgemäß kein Interesse haben kann (ArbG Gelsenkirchen, Teilurteil vom 21. Ja¬nu¬ar 2014 – 1 Ca 1603/13 –, juris). Angesichts dessen liegt im Aufstellen eines Sammeltellers – zumal wenn die Beschäftigten der Klägerin in dessen unmittelbarer Nähe sitzen – die Aufforderung an die Toilettennutzer, ein Trinkgeld zugunsten des Reinigungspersonals zu hinterlassen. Damit aber täuscht die Klägerin die Toilettennutzer über den Verwendungszweck des von ihnen hingegebenen Geldes.

(2) Durch diese Täuschungshandlung wird bei den Kunden ein Irrtum erweckt. Dieser besteht darin, dass sie davon ausgehen, das "Trinkgeld" komme den Arbeitnehmern zusätzlich zu dem ihnen arbeitsvertraglich geschuldeten Entgelt zu. In diesem Zusammenhang ist unerheblich, aus welchem Grund – Anerkennung/Dank für eine saubere Toilette, Ansporn hierfür, Entschädigung für eine unangenehme, sozial wenig anerkannte Tätigkeit – die Toilettennutzer ein "Trinkgeld" zurücklassen.

(3) Aufgrund dieses Irrtums verfügen die Nutzer der Kundentoiletten über ihr Vermögen, indem sie Geld in den bereit gestellten Teller legen. Unerheblich ist, ob sie den gleichen Betrag – in Form eines vertragliche Bindungen erzeugenden Nutzungsentgelts – auch überlassen hätten, wenn sie den wahren Sachverhalt (Finanzierung des Arbeitsentgelts allein aus dem "Trinkgeld") gekannt hätten.

Zwar fehlt es an der erforderlichen Kausalität zwischen Irrtum und Verfügung, wenn der Getäuschte dieselbe Verfügung auch ohne den Irrtum vorgenommen hätte, dieser also für die Verfügung nicht zumindest mitbestimmend war. Dies ist z.B. der Fall, wen ein Patient vortäuscht, gesetzlich krankenversichert zu sein, jedoch in jedem Fall ins Krankenhaus aufgenommen worden wäre. Demgegenüber ist eine Kausalität unproblematisch zu bejahen, wenn – wie hier – alleiniges Motiv der Verfügung die Täuschung war, jedoch hypothetisch denkbar wäre, dass der Verfügende auch bei Kenntnis der wahren Sachlage, aber dann aus anderen Motiven die gleiche Verfügung getroffen hätte, im hiesigen Fall die Nutzer der Kundentoilette denselben Betrag also auch hingegeben hätten, wenn er als Entgelt für die Toilettennutzung gefordert worden wäre. Es reicht daher aus, dass – wie im vorliegenden Fall – das durch Täuschung geschaffene Motiv für den Verfügenden mitbestimmend war (Schönke/Schröder - Perron, Strafgesetzbuch, 29. A., § 263 Rd. 77 m.w.N.).

(4) In Höhe des hingegeben Betrages ist den Kunden ein Vermögensschaden entstanden. Ein solcher liegt vor, wenn das Gesamtvermögen nach der Verfügung geringer ist als zuvor (Perron, a.a.O., Rd. 99, m.w.N.). Ist sich der Verfügende indes der Vermögensminderung bewusst, muss, weil eine bewusste Selbstschädigung keine Betrugsstrafbarkeit auslöst, bei der einseitigen Hingabe von Vermögenswerten die Verfehlung eines sozial anerkannten Zwecks hinzutreten (sog. Bettel- oder Spendenbetrug, vgl. Perron, a.a.O., Rd. 101ff). Der von den Toilettennutzern mit einem Trinkgeld verfolgte Zweck, das Vermögen der Arbeitnehmer zusätzlich zu der ihnen zustehenden Vergütung zu bereichern, wird im Falle der Klägerin nicht erreicht, weil das "Trinkgeld" ausschließlich dazu dient, deren Finanzbedarf zur Bezahlung der Arbeitsentgelte und ggf. Anschaffung der Verbrauchsmaterialien zu befriedigen. Das "Trinkgeld" stellt im Ergebnis ein verkapptes Entgelt für die Toilettennutzung dar und hat Lohncharakter (vgl. BGH, Beschluss vom 12. September 2012 – 5 StR 363/12 -, juris).

(5) Die Klägerin dürfte mit Vorsatz bezüglich allen vier o. g. Tatbestandsmerkmalen gehandelt haben, insbesondere auch im Hinblick auf die o.g. Zweckverfehlung. Dieser Eindruck drängt sich dem Senat nach den ihm aus den Akten bekannten Tatsachen auf. Denn die Klägerin hätte, wie sie im Widerspruchsverfahren hervorgehoben hat, feste Entgelte für einen Toilettengang von den Kunden nicht erhalten. Damit hat sie unumwunden eingeräumt, dass nur das Aufstellen eines Tellers, verbunden ggf. mit einem Hinweis, jedenfalls mit der o.g. Fehlvorstellung der Kunden über den Zweck des hinterlassenen Geldes, ihr überhaupt Einnahmen verschafft.

Bei ihr dürfte schließlich auch die Absicht bestanden haben, sich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen. Ohne die o.g. Verfügungen der Kunden wäre ihr Vermögen geringer. Auf diese Vermögensmehrung hatte sie keinen Anspruch, weil sie ein Entgelt für die Toilettennutzung nach den vertraglichen Vereinbarungen mit ihren Auftraggebern gerade nicht verlangen durfte. Der beabsichtigte Vermögensvorteil war somit rechtswidrig.

bb. Soweit sich die Klägerin durch das Aufstellen von Trinkgeldtellern im streitgegenständlichen Zeitraum strafbar machte, dürfte sie daraus nicht anderweitige rechtliche Vorteile ziehen. Zwar fehlt es an ausdrücklichen Regelungen, welchen Einfluss strafbares Verhalten auf die Anwendbarkeit von Mindestlöhnen hat oder haben kann. Der Grundsatz der Einheitlichkeit der Rechtsordnung fordert jedenfalls, dass ein Arbeitgeber, der sich – wie die Klägerin – durch die Art seines Geschäftsmodells strafbar verhalten dürfte, hierdurch keine Vorteile in anderen Rechtsbereichen erlangen darf. Dies wäre jedoch der Fall, wenn die von den Beschäftigten der Klägerin mit dem Bewachen der "Trinkgeld"-Teller verbrachte Zeit zu deren Gunsten nicht auf die tarifvertraglich maßgeblichen Arbeitszeitanteile angerechnet werden dürfte und die Klägerin deshalb nicht die Entgelte nach dem TVMindestlohn zahlen müsste.

V. Fehler in der Berechnung der Beitragsnachforderung sind weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich.

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1 und 2 sowie 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreites.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht ersichtlich sind.
Rechtskraft
Aus
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