L 1 KR 361/12

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 81 KR 1280/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 361/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Krankenkassen handeln wettbewerbswidrig, wenn sie um Versicherte konkurrieren, indem sie diesen Rabatte und Vorteile bei dem Bezug von Leistungen in Aussicht stellen, die außerhalb des gesetzlichen Leistungsspektrums der GKV stehen.
Die Berufungen der Beklagten und des Klägers zu 1) gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. August 2012 werden zurückgewiesen. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu sechs Siebteln und der Kläger zu 1) zu einem Siebtel zu tragen, mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die diese selbst zu tragen haben. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Rechtmäßigkeit von Werbemaßnahmen.

Die Beklagte warb im Jahr 2011 in ihrem Internetportal mit Vorteilspartnern, die ihre Produkte und Dienstleistungen den "Kunden" der Beklagten mit Rabatten oder zu Vorteilskonditionen anboten. Das betraf die Leistungen einer Gärtnerei, reduzierte Führungen durch die Bavaria-Filmstadt, die Leistungen eines Reiseveranstalters, einer Finanzberatung, einer Sparkasse, einer Textilreinigung, die Angebote eines Schrotthändlers, einer Metzgerei, eines Malereibetriebs, eines Heizungs-Sanitärbetriebs, eines Anbieters von Telekommunikationsleistungen, eines Gerüstbauers, eines Fotogeschäfts, einer Fahrschule, eines Elektrogeschäfts, eines Computerdienstes und eines Bosch-Services.

Der Kläger zu 1) mahnte die Beklagte mit Schreiben vom 9. Mai 2011 ab und wies darauf hin, dass eine Werbung ohne Gesundheitsbezug zu Lasten der Mitbewerber gehe und wettbewerbswidrig sei. Er forderte die Beklagte zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf. Das lehnte die Beklagte durch Schreiben vom 23. Mai 2011 ab. Sie halte Hinweise auf Vorteilsangebote nicht für wettbewerbswidrig. Allerdings sei sie bereit, ihre Angebotspalette sukzessive zu bereinigen.

Mit der am 9. Juni 2011 bei dem Sozialgericht Berlin eingegangenen Klage hat der Kläger zu 1) begehrt, dass der Beklagten unter Androhung eines Ordnungsgeldes die Fortsetzung der Werbemaßnahmen untersagt werde. Mit Schreiben vom 12. Juli 2012 hat der Kläger zu 1) dem Sozialgericht eine aktualisierte Fassung des Internetauftritts der Beklagten vorgelegt, wonach diese nunmehr mit Vorteilen für ihre "Kunden" warb bei einem Händler von Lastenfahrrädern, einem Händler von Bettwaren, einem Baby- und Kinderhaus, einem Betten- und Einrichtungshaus, der bergbahn, der Sommerrodelbahn, einem Ergohaus für Planen und Einrichten von Büro und Labor, einem "Trendstore" für Bekleidung, einem Möbelhaus, einem Lederwarengeschäft, einem weiteren "Trend-Store", einem Anbieter von Bürotechnik, einer Fahrschule, einem Frisör, einem "büro forum – planen und einrichten", dem "Bench Store Rosenheim", einem Anbieter von "Windeln und mehr", dem "S Port Five Board + Streetwearshop", einem Geschäft für Sport und Jeans, einem Auto-Center und einer Textilreinigung.

In der mündlichen Verhandlung vom 10. August 2012 sind die Klägerinnen zu 2) bis 7) dem Rechtsstreit beigetreten, womit sich die Beklagte einverstanden erklärt hat.

Das Sozialgericht hat durch Urteil vom 10. August 2012 die Klage des Klägers zu 1) als unzulässig abgewiesen und im Übrigen die Beklagte unter Androhung eines Ordnungsgeldes in Höhe von 250.000,- EUR je Zuwiderhandlung verurteilt zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr damit zu werben, dass Versicherte der Beklagten bei Dritten Rabatte oder Sonderkonditionen für Produkte und Dienstleistungen erhalten, soweit es sich nicht um Produkte und Dienstleistungen handelt, die einen Gesundheitsbezug aufweisen.

Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, dass der Kläger zu 1) als Verband nicht in eigenen Rechten verletzt sei, da er mit der Beklagten nicht im Wettbewerb stehe. Es seien auch keine Vertragsgestaltungsinteressen entsprechend § 212 Abs. 5 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – SGB V - berührt. Eine Verbandsklage zur Wahrung fremder Interessen sei im vorliegenden Fall unzulässig, da sie nicht ausdrücklich durch Gesetz zugelassen sei. Auch als gewillkürter Prozessstandschafter dürfe der Kläger zu 1) nicht auftreten, da er kein eigenes Rechtsschutzinteresse habe.

Die Klage der Klägerin zu 2) sei dagegen zulässig. Das Sozialgericht sei auch örtlich zuständig, da die Klägerin zu 2) ihren Sitz in Berlin habe. Über die Klagen der Klägerinnen zu 3) bis 7) habe das Sozialgericht dagegen unter Verkennung seiner örtlichen Unzuständigkeit entschieden. Die Möglichkeit eines aufsichtsbehördlichen Verfahrens stehe dem Rechtsschutzbedürfnis der Kläger zu 2) bis 7) nicht entgegen, da die Aufsicht nicht effektiver als ein Gerichtsverfahren sei.

Der Unterlassungsanspruch der Klägerinnen zu 2) bis 7) ergebe sich aus der Pflicht der Krankenkassen zur sachbezogenen Aufklärung, Beratung und Information ihrer Versicherten und dem Gebot zur Zusammenarbeit der Versicherungsträger, Krankenkassen und ihrer Verbände. Mit diesen Handlungspflichten korrespondiere die Verpflichtung, Tätigkeiten zu unterlassen, welche dem vorgegebenen Handlungsziel zuwiderliefen. Eine Werbung, welche die Pflicht zur sachbezogenen Information und zur Rücksichtnahme auf die Belange der anderen Krankenversicherungsträger nicht beachte, führe daher zu einem Unterlassungsanspruch des beeinträchtigen Trägers (Hinweis auf BSG, Urt. v. 31. März 1998 – B 1 KR 9/95 B). Dagegen ergebe sich kein Unterlassungsanspruch aus dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). Das UWG finde auf Krankenkassen keine Anwendung, da sich die Krankenkassen nicht wie Private im Wettbewerb befänden (Hinweis u.a. auf BSG, Urt. v. 24. September 2008 – B 12 KR 10/07 R). Die Beklagte handle durch die fortlaufende Werbung mit Rabatten und Sonderkonditionen wettbewerbswidrig. Betroffen sei der Wettbewerb der Krankenkassen um Mitglieder. Die Grenzen des Wettbewerbs der Krankenkassen ergäben sich aus deren gesetzlichem Auftrag und den dazu erlassenen Vorschriften des SGB. Zwar liege kein Verstoß gegen die "Gemeinsamen Wettbewerbsgrundsätze der Aufsichtsbehörden der gesetzlichen Krankenkassen" oder die – entsprechend – anwendbaren – Wertmaßstäbe der §§ 1, 3 UWG vor. Denn weder werde die Entscheidungsfreiheit der potenziellen Kassenmitglieder beeinflusst noch unrichtige, irreführende oder diskriminierende Äußerungen über die Klägerinnen zu 2) bis 7) getätigt oder sonst in unzulässiger Weise auf einen Kassenwechsel hingewirkt. Die Wettbewerbswidrigkeit ergebe sich aber daraus, dass die Beklagte sich eines Mittels bediene, das außerhalb ihrer gesetzlich zugewiesenen Aufgaben liege. Sie dürfe ihre Mittel nur zur Erfüllung ihrer Aufgaben verwenden. Die gesetzliche Krankenversicherung habe aber allein die Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, zu verbessern oder wiederherzustellen. Eine Mitgliederwerbung mit Rabatten und Sonderkonditionen ohne Gesundheitsbezug diene nicht der Erfüllung der Aufgaben einer gesetzlichen Krankenversicherung. Es würden zudem Mittel zweckwidrig eingesetzt, weil solche Werbemaßnahmen nicht kostenfrei seien. Die Beklagte verschaffe sich so im Wettbewerb einen nicht zulässigen Vorteil. Das gelte ungeachtet der Fortentwicklung des Wettbewerbs der Krankenkassen untereinander in der gesetzlichen Krankenversicherung. Das Merkmal "Gesundheitsbezug" sei auch hinreichend bestimmbar, um eine Abgrenzung zu ermöglichen. Ein Unterlassungsanspruch bestehe, weil die Werbung der Beklagten nicht nur wettbewerbswidrig sondern auch geeignet sei, die Interessen ihrer Mitbewerber maßgeblich zu beeinträchtigen. Die gewährten Vorteile seien geldwerter Art und würden einen erheblichen Umfang aufweisen. Es bestehe zumindest die Möglichkeit, dass sich die Vorteile zu einem Betrag oberhalb eines Monatsbeitrags summierten und dadurch die Wechselentscheidung eines Versicherten erheblich beeinflussten. Die Bemessung des Ordnungsgeldes orientiere sich daran, dass die Werbung im Internetportal der Beklagten zentral gesteuert werden könne.

Gegen das ihr am 16. August 2012 zugestellte Urteil, in dem das Sozialgericht die Berufung ausdrücklich zugelassen hat, richtet sich die Berufung der Beklagten, die am 10. September 2012 bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingegangen ist. Mit Recht habe das Sozialgericht die Klage des Klägers zu 1) als unzulässig abgewiesen. Bezüglich der Kläger zu 3) bis 7) habe das Sozialgericht aber seine örtliche Unzuständigkeit verkannt. Es hätte den Rechtsstreit insoweit von Amts wegen verweisen müssen. Auch unter dem Gesichtspunkt einer notwendigen Streitgenossenschaft könne sich die örtliche Zuständigkeit des Sozialgerichts Berlin nicht ergeben.

Bezüglich der Klägerin zu 2) habe das Sozialgericht verkannt, dass die von ihm benannten Vorschriften keine Aussagen über das Wettbewerbsverhalten treffen würden, weswegen ein Rückgriff auf das UWG notwendig sei. Rechtsfehlerhaft sei die Annahme des Sozialgerichts, dass Wettbewerbsmaßnahmen der Krankenkassen stets einen Gesundheitsbezug aufweisen müssten. Diese Annahme würde auch die Verwendung klassischer Werbemittel unzulässig machen, etwa den Einsatz bedruckter Kugelschreiber. Die Krankenkassen hätten selbstverständlich Aufgaben auch ohne Gesundheitsbezug, beispielsweise die Überleitung von Schadensersatzansprüchen. Spätestens seit Herstellung der Insolvenzfähigkeit sei der Wettbewerb um Versicherte eine weitere eigene Aufgabe der Krankenkassen. Im Übrigen sei der ausgeurteilte Unterlassungsanspruch zu unbestimmt. Das Sozialgericht habe auf den unbestimmten Rechtsbegriff "Gesundheitsbezug" abgestellt, so dass für sie – die Beklagte – nicht feststellbar sei, welche konkreten Handlungen sie denn nun zu unterlassen habe. Bestimmte Freizeitaktivitäten wie der Besuch einer Sommerrodelbahn hätten durchaus einen Gesundheitsbezug. Auch sei der Sachverhalt nicht vollständig ermittelt worden. Das Sozialgericht habe die Kooperationspartner lediglich beispielshaft aufgezählt und nicht festgestellt, bei welcher Werbung der Gesundheitsbezug fehle. Zudem seien die bereits zum April 2011 erfolgten Änderungen der Kooperationsangebote nicht berücksichtigt worden. Das Sozialgericht habe auch verkannt, das für Werbemaßnahmen im Internetportal keine zusätzlichen Kosten anfallen würden. Die Kontaktaufnahme sowie das Erstellen und Verwalten von Angeboten in der Internetpräsenz werde von den Außendienstmitarbeitern im Rahmen der Kundentätigkeit und Kundenpflege ohne zusätzliche Arbeitsstunden und Kosten erledigt. Schon nach den allgemeinen Wettbewerbsgrundsätzen der Aufsichtsbehörden des Bundes und der Länder sei den Krankenkassen etwa die Mittelverwendung für Preisausschreiben erlaubt, ohne dass es auf einen Gesundheitsbezug ankomme. Für die beanstandeten Kooperationsvereinbarungen dürfe gleichermaßen nur darauf abgestellt werden, ob sie dem Aufgabenzweck der gesetzlichen Krankenversicherung entgegenstehen, was bei keinem der Angebote der Fall sei.

Nach richtiger Ansicht ergäben sich die Grenzen des Wettbewerbs allein aus dem UWG. Dazu habe das Sozialgericht aber zutreffend festgestellt, dass ein Verstoß gegen das UWG gerade nicht vorliege. Die Maßgeblichkeit des UWG werde dadurch bestätigt, dass der Gesetzgeber durch die Änderung des § 4 Abs. 3 SGB V ausdrücklich die entsprechende Anwendung des § 12 UWG angeordnet habe. Zudem habe der EuGH mittlerweile durch seine Entscheidung vom 3. Oktober 2013 – C-59/12 klargestellt, dass das UWG entgegen der bisherigen Rechtsprechung auf die gesetzlichen Krankenkassen anzuwenden sei. Der EuGH habe gerade nicht offen gelassen, ob die Normen des UWG auf gesetzliche Krankenkassen Anwendung fänden, sondern ausdrücklich entschieden, dass eine Krankenkasse in den persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 2005/29/EG falle. Der deutsche Gesetzgeber habe die Richtlinie durch eine Änderung des UWG umgesetzt. Falls das UWG nicht gelten sollte, würde die Lauterkeitsrichtlinie unmittelbar gelten, was in der Sache hier zu demselben Ergebnis führen würde.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. August 2012 abzuändern und die Klage abzuweisen sowie die Anschlussberufung des Klägers zu 1) zurückzuweisen.

Der Kläger zu 1), dem das Urteil des Sozialgerichts am 21. August 2012 zugestellt worden ist, hat am 10. Oktober 2012 bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Anschlussberufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. August 2012 eingelegt. Durch die Fassung von § 2 Abs. 1 seiner Satzung durch die Mitgliederversammlung vom 9. Juli 2003 sei gerade beabsichtigt gewesen, ihm eine Klagebefugnis bezüglich der Geltendmachung von wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsansprüchen im eigenen Namen einzuräumen. Es sei eine gewillkürte Prozessstandschaft gewollt gewesen, aus der sich auch sein eigenes Rechtsschutzinteresse ableiten lasse. Der Kläger zu1) verweist dazu auf ein Urteil des LSG Essen (v. 5. Juni 2002 – L 16 KR 57/01).

Der Kläger zu 1) beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. August 2012 hinsichtlich der Ziffer 1) des Tenors aufzuheben und im Übrigen die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Klägerinnen zu 2) bis 7) beantragen,

die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. August 2012 zurückzuweisen.

Die Kläger zu 2) bis 7) schließen sich dem Antrag des Klägers zu 1) an. Sie halten die Anschlussberufung für zulässig, weil die Berufung der Beklagten sich auch gegen den Kläger zu 1) richte. Im Übrigen sei das Urteil des Sozialgerichts zutreffend. Die von Krankenkassen ausgehende Werbung dürfe nicht darauf ausgerichtet sein, die Belange anderer Krankenkassen zu beeinträchtigen. Sie sei nur zulässig, soweit sie sachlich informativ auf eigene Leistungen verweise. Die Beklagte überschreite die Grenzen des Wettbewerbs. Zulässig seien etwa Rabatte für die Leistungen eines Fitnessstudios, nicht aber, wie von der Beklagten an ihre Versicherten in Aussicht gestellt, für Autohäuser, Sparkassen, Textilreinigungen und Fotogeschäfte. Die Angebote seien auch nicht deswegen kostenfrei, weil die entstehenden Kosten nicht genau erfasst würden. Auch die Bedenken der Beklagten hinsichtlich der Bestimmtheit des ausgeurteilten Unterlassungsanspruchs könnten nicht nachvollzogen werden. Der EuGH habe nicht ausdrücklich entschieden, dass für die Regelung des Verhaltens der gesetzlichen Krankenkassen im Wettbewerb die Normen des UWG zugrunde zu legen seien. Darauf komme es aber auch nicht an, weil die Beklagte gegen die Regelungen der Sozialgesetzbücher verstoßen habe.

Die Beigeladene zu 2) weist darauf hin, dass sie mit Rundschreiben vom 31. Juli 2009 eigeninitiativ die bundesunmittelbaren Krankenkassen aufgefordert habe, die Bewerbung und Gewährung von Rabatten Dritter für gesetzlich Krankenversicherte einzustellen. Die Aufsichtsbehörden der Länder hätten auf ihrer Tagung vom 4. bis 6. November 2009 dann beschlossen, dass die Bewerbung von Rabatten Dritter nicht zu beanstanden sei, wenn sie die Versicherten bei einer gesunden Lebensführung unterstützten oder den Zugang zu gesundheitlich sinnvollen Produkten erleichterten. Bei einer späteren Tagung hätten sich die Aufsichtsbehörden der Sozialversicherungsträger dann verständigt, bei den Krankenkassen auf eine Einstellung der Gewährung von Rabatten ohne Gesundheitsbezug hinzuwirken. Der Wettbewerb zwischen den gesetzlichen Krankenkassen solle ein Leistungswettbewerb durch Satzungs- und Vertragsleistungen sein. Aus dem von der Beklagten in Bezug genommenen Urteil des EuGH v. 3. Oktober 2013 ergebe sich nichts anderes. Diese Entscheidung ändere nichts daran, dass für das Verhalten der Krankenkassen im Wettbewerb neben den Regelungen des UWG auch die des SGB V maßgebend seien.

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die schon kraft ausdrücklicher Zulassung durch das Sozialgericht zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Mit Recht hat das Sozialgericht die Beklagte verpflichtet, das Werben mit Rabatten oder Sonderkonditionen für Leistungen oder Produkte Dritter zu unterlassen, soweit sie keinen Gesundheitsbezug aufweisen.

Die sachliche Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit ergibt sich aus § 51 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -. Es liegt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in einer Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung vor. Ob eine Streitigkeit, in welcher einer Krankenkasse ein Verstoß gegen die Lauterkeit des Wettbewerbs vorgeworfen wird, dem öffentlichen Recht zugehörig ist, bestimmt sich nach der Rechtsnatur der streitentscheidenden Vorschriften (BSG v. 28. September 2010 – B 1 SF 1/10 R; BGH v. 9. November 2006 I ZB 28/06; Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 11. Aufl. § 51 Rn 23). Eine Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit läge nahe, wenn der angebliche Verstoß einer Krankenkasse aus wettbewerbsrechtlichen Normen hergeleitet wird, die von jedem Teilnehmer am geschäftlichen Verkehr zu beachten sind. Dagegen liegt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vor, wenn ein Verstoß gegen die besonderen gerade die Krankenkassen nach dem SGB V treffenden Verpflichtungen geltend gemacht wird. Vorliegend sind Ansprüche von Krankenkassen untereinander auf Unterlassung unzulässiger Werbemaßnahmen streitig. Diesen Anspruch hat der Gesetzgeber durch das 8. GWB-ÄndG vom 26. Juni 2013 (BGBl. I, 1738) durch Einführung des neuen § 4 Abs. 3 Satz 2 SGB V mit Wirkung vom 30. Juni 2013 ausdrücklich im SGB V geregelt und damit seine öffentlich-rechtliche Natur klargestellt. Da durch die Neufassung der Vorschrift nur eine bereits bestehende Rechtslage (vgl. dazu BSG v. 2. Februar 1984 – 8 RK 41/82 – juris Rn 20; BGH v. 9. November 2006 – I ZB 28/06 – juris Rn 11) kodifiziert werden sollte (BT-Drucks 17/9852 S. 36), kommt es auch nicht darauf an, dass die Neufassung des § 4 Abs. 3 SGB V erst im Verlaufe des anhängigen Berufungsverfahrens in Kraft getreten ist.

Die örtliche Zuständigkeit des Sozialgerichts für die von den Klägern zu 3) – 7) erhobenen Klagen ist im Berufungsverfahren nach § 98 SGG iVm § 17a Abs. 5 Gerichtsverfassungsgesetz - GVG - nicht mehr zu prüfen. Etwas anderes würde nur gelten, wenn das Sozialgericht trotz ausdrücklicher Rüge nicht vorab über seine Zuständigkeit durch Beschluss entschieden hätte (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig, SGG, 11. Aufl. § 98 Rn 7). Dies ist aber ausweislich der Verfahrensakten nicht der Fall. Die Beklagte hat die örtliche Zuständigkeit des Sozialgerichts hinsichtlich der Kläger zu 3) bis 7) erstmals im Berufungsverfahren gerügt.

Der Anspruch der Klägerinnen zu 2) bis 7) auf das Unterlassen von Werbung ohne Gesundheitsbezug ergibt sich § 4 Abs. 3 Satz 2 SGB V. Danach können Krankenkassen die Unterlassung unzulässiger Werbemaßnahmen von anderen Krankenkassen verlangen. Diese durch das 8. GWB-ÄndG vom 26. Juni 2013 (BGBl. I, 1738) mit Wirkung vom 30. Juni 2013 in das SGB V eingefügte Vorschrift kodifiziert den bereits richterrechtlich aus den §§ 13 -15 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - SGB I -, § 86 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - SGB X - und der Verpflichtung der Leistungsträger zur sachlichen Information und zur Rücksichtnahme auf die Belange anderer Krankenversicherungsträger abgeleiteten Unterlassungsanspruch einer Krankenkasse gegen unzulässige Werbemaßnahmen einer anderen Krankenkasse (BT-Drucks 17/9852 S. 36). Für die inhaltliche Geltung der in der Vorschrift zu findenden Regelung kommt es danach nicht auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Vorschrift an, der hier nach dem Eingang der Berufung liegt.

Das Werben um neue Mitglieder gehört zwar zu den gesetzlichen Aufgaben der Krankenkassen (BSG, Urt. v. 2. Februar 1984 – 8 RK 41/82 – juris Rn 26; BGH, Urt. v. 30. April 2014 - I ZR 170/10 – juris Rn 26). Es führt aber zu einem Wettbewerb der Krankenkassen untereinander, da nur diese als Träger der gesetzlichen Krankenversicherung in Betracht kommt. Aus der Verpflichtung zur Zusammenarbeit, der gemeinsamen Verantwortung für die Durchführung der Krankenversicherung und auch aus der Stellung als öffentlich-rechtliche Körperschaften folgt ein die Krankenkassen treffendes Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme, das in Bezug auf die Mitgliederwerbung dahingehend zu konkretisieren ist, dass um neue Mitglieder nur sachbezogen geworben werden darf (BSG, Urt. v. 2. Februar 1984 – 8 RK 41/82 – juris Rn 27; BSG Urt. v. 31. März 1998 – B 1 KR 9/95 R - juris Rn 12). Die Krankenkassen sind daher gegenseitig verpflichtet, sich bei der Mitgliederwerbung auf solche Leistungen oder Umstände zu beschränken, die sich innerhalb des ihnen gesetzlich überantworteten Aufgabenspektrums bewegen. Eine Werbung ist ohne Bezug zu den gesetzlichen Aufgaben der Krankenkassen und damit unsachlich, wenn und soweit sie nicht die Leistungen zum Gegenstand hat, für die die gesetzliche Krankenversicherung eingerichtet worden ist. In solchen Fällen haben die die anderen Krankenkassen das Recht, Unterlassung von der Krankenkasse zu verlangen, welche die Grenzen des Erlaubten überschritten hat.

Entgegen der Ansicht der Beklagten ergeben sich die Grenzen der zulässigen Werbung von Krankenkassen nicht aus dem UWG. Daran hat auch die Entscheidung des EuGH vom 3. Oktober 2013 – C-59/12 nichts geändert. Das UWG regelt nicht ausdrücklich die Frage, ob und inwieweit der Wettbewerb der gesetzlichen Krankenkassen untereinander in seinen Anwendungsbereich gehört. § 3 Abs. 1 UWG verbietet allgemein unlautere geschäftliche Handlungen, wenn sie geeignet sind, die Interessen von Mitbewerbern oder sonstigen Marktteilnehmers spürbar zu beeinträchtigen, § 8 Abs. 1 UWG iVm § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG räumt den Mitbewerbern für den Fall einer Zuwiderhandlung einen Unterlassungsanspruch ein. Die Begriffe "geschäftliche Handlung", "Marktteilnehmer" und "Mitbewerber" werden in § 1 Abs. 1 Nr. 1 – 3 UWG näher definiert. Mitbewerber ist danach jeder Unternehmer, der in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis steht, geschäftliche Handlung jedes Verhalten, dass mit der Förderung des Absatzes oder des Bezug von Waren und Dienstleistungen oder dem Abschluss entsprechender Verträge zusammenhängt. Aus den oben bereits erwähnten besonderen Bindungen, insbesondere der Tatsache, dass sie als Organe der mittelbaren Staatsverwaltung der gesundheitlichen Daseinsvorsorge als gemeinsamer öffentlicher Aufgabe verpflichtet sind, ergibt sich, dass die Krankenkassen sich untereinander nicht wie private Unternehmer im geschäftlichen Wettbewerb gegenüberstehen. Entsprechend hat die Rechtsprechung bisher die Anwendbarkeit des UWG auf die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen untereinander überwiegend abgelehnt (BSG Urt. v. 31. März 1998 – B 1 KR 9/95 R – juris Rn 11, LSG Stuttgart v. 2. November 2009 – L 11 KR 3727/09 ER-B – juris Rn 57, a.A: nur SG Frankfurt v. 9. Februar 2006 – S 21 KR 103/06 ER – juris Rn 29). Dieser Auffassung hat sich auch der Gesetzgeber angeschlossen, der durch die Änderung des § 4 Abs. 3 SGB V das UWG nur hinsichtlich der Vorschrift des § 12 Abs. 1 – 3 (Anspruchsdurchsetzung) für entsprechend anwendbar erklärt hat und im Übrigen ausdrücklich bekräftigt hat, dass auf das wettbewerbliche Verhalten der Krankenkassen untereinander die Vorschriften des UWG nicht anzuwenden seien, sondern die von der Rechtsprechung entwickelten Maßstäbe gelten würden (BT-Drucks 17/9852 S. 36). An der Maßgeblichkeit des Sozialrechts ändert nichts, wenn zur Konkretisierung seiner Anforderungen die Vorschriften des UWG herangezogen worden sind, um die Voraussetzungen eines lauteren Wettbewerbs der Krankenkassen zu konkretisieren (BSG, Urt. v. 2. Februar 1984 – 8 RK 41/82 – juris Rn 27). Das UWG gibt insoweit einen Mindeststandard für das lautere Handeln im Wettbewerb vor, der aber durch die besonderen öffentlich-rechtlichen Bindungen der Krankenkassen überlagert werden kann.

Soweit in der Rechtsprechung das wettbewerbliche Verhalten der Krankenkassen ausschließlich nach dem UWG beurteilt worden ist, betraf das (jedenfalls im Wesentlichen) nur Fälle, in denen das Verhalten der Krankenkassen gegenüber ihren Versicherten in Frage stand (vgl. etwa BGH, Urt. v. 30. April 2014 - I ZR 170/10). Diese Fälle sind nicht mit dem vorliegenden Fall vergleichbar, der eine Streitigkeit zwischen Krankenkassen untereinander zum Gegenstand hat. Im Übrigen würden dem UWG unterfallende wettbewerbsrechtliche Streitigkeiten zwischen den Krankenkassen und ihren Versicherten auch außerhalb der sachlichen Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit liegen (BGH v. 9. November 2006 - I ZB 28/06 – juris Rn 14).

Die danach hier maßgebliche innerstaatliche Rechtslage verstößt nicht gegen Vorschriften des europäischen Rechts. Zwar hat der EuGH entschieden, dass Krankenkassen Unternehmen (Gewerbetreibende) im Sinne der Richtlinie sind (EuGH, Urt. v. 3. Oktober 2013 – C-59/12 – Rn 38). Die Bedeutung dieser Entscheidung geht aber naturgemäß nicht weiter als der Geltungsbereich der Richtlinie selbst. Nach Art 1, 3 Abs. 1 der Richtlinie 2005/19/EG regelt die Richtlinie indessen nur das wettbewerbliche Verhalten des Unternehmers gegenüber den Verbrauchern. Sie betrifft dagegen nicht die Ansprüche der Unternehmer untereinander auf Unterlassung unlauterer Praktiken. Entsprechend hat die Entscheidung des EuGH nur klargestellt, dass Krankenkassen insoweit als Unternehmer im Sinne der Richtlinie anzusehen, wie die Beurteilung ihres wettbewerblichen Verhaltens gegenüber ihren Versicherten in Frage steht. Sie betrifft dagegen nicht die Frage, wie und nach welchen Maßstäben das Verhalten der Krankenkassen untereinander zu bewerten ist. Der staatliche Gesetzgeber, der mit dem UWG zwar die Richtlinie umsetzen will, darf also die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen untereinander gleichwohl von dem Anwendungsbereich des UWG ausnehmen und abweichenden sozialrechtlichen Regeln unterwerfen, ohne damit gegen die Bestimmungen der Richtlinie zu verstoßen oder ihre Umsetzung in Frage zu stellen (Forst, ZESAR 2014, S. 165/166). Genau dies hat der Gesetzgeber aber durch die Neuformulierung des § 4 Abs. 3 Satz 2 SGB V mit der gebotenen Deutlichkeit getan.

Das Gebot der sachbezogenen Werbung hat die Beklagte verletzt, indem sie mit Rabatten geworben hat, die Dritte für die Mitglieder der Beklagten gewähren, ohne dass die rabattierten Leistungen einen eindeutigen Bezug zu den Aufgaben der Beklagten gehabt hätten. Dabei kommt es für die Rechtswidrigkeit dieser Werbung nicht darauf an, ob für die Akquise der Kooperationsangebote besondere Haushaltsmittel aufgewandt wurden. Entscheidend ist, dass die Beklagte über die Kooperationsangebote mit Leistungen wirbt, die keinen sachlichen Zusammenhang mit ihrem vom Gesetz vorgegebenen Aufgabenbereich haben. Insoweit liegt eine Erweiterung ihres Angebotsspektrums vor, die vom Gesetz nicht gedeckt ist.

Aus dem Verstoß gegen die für die Werbung maßgebenden Grenzen ergibt sich zugunsten der anderen Krankenkassen ein auf die Zukunft gerichteter Unterlassungsanspruch. Das ergibt sich mittlerweile aus § 4 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 SGB V. Der vom Sozialgericht tenorierte Unterlassungsanspruch ist auch nicht zu unbestimmt. Die Formulierung eines auf konkrete Angebote bezogenen Unterlassungsanspruchs war untunlich, weil die von der Beklagten an die Versicherten gerichteten Rabattangebote bereits im Verlauf des sozialgerichtlichen Verfahrens gewechselt haben. Die Frage, ob es sich bei dem Gegenstand der Werbung um ein Produkt oder eine Dienstleistung mit Gesundheitsbezug handelt, ist einer an den Aufgaben der gesetzlichen Krankenversicherung orientierten Auslegung zugänglich. Aus dieser ergibt sich etwa, dass auch der Besuch einer Sommerrodelbahn nicht zu den gesundheitsbezogenen Dienstleistungen im Sinne des sozialgerichtlichen Urteils gehört, weil kein Anhaltspunkt im Leistungsrecht des SGB V ersichtlich ist, unter dem eine gesetzliche Krankenversicherung eine solche Leistung erbringen oder sich auch nur an ihr beteiligen könnte.

Nach alledem konnte die Berufung der Beklagten keinen Erfolg haben.

Keinen Erfolg hat auch die Berufung des Klägers zu 1). Sie ist wegen Fristversäumnis unzulässig. Nach § 151 SGG ist die Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Landessozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Diese Frist hat der Kläger zu 1) versäumt. Seine Berufung ist auch nicht als Anschlussberufung gemäß § 202 SGG iVm § 524 Zivilprozessordnung – ZPO - zulässig. Zwar ist nach § 202 SGG iVm § 524 Abs. 2 Satz 1 ZPO eine Anschlussberufung auch noch statthaft, wenn die Berufungsfrist bereits verstrichen ist. Der Kläger zu 1) war aber nicht Berufungsbeklagter der von der Beklagten eingelegten Berufung, was indessen nach § 202 SGG iVm § 524 Abs. 1 ZPO Voraussetzung einer zulässigen Anschlussberufung wäre. Dass die Beklagte gegen ihn keine Berufung einlegen wollte, ergab sich von Anfang an bereits daraus, dass die Beklagte durch das gegen den Kläger zu 1) ergangene Urteil des Sozialgerichts nicht beschwert gewesen ist. Sie hat den Kläger zu 1) auch nie als Berufungsbeklagten angegeben. Sie hat im Gegenteil das Urteil des Sozialgerichts in ihrem Schriftsatz vom 17. Oktober 2012 ausdrücklich als zutreffend bezeichnet, soweit es gegen den Kläger zu 1) ergangen ist. Selbst wenn darin nur die nachträgliche Rücknahme einer bereits eingelegten Berufung gesehen werden könnte, hätte die Anschlussberufung des Klägers zu 1) dadurch gemäß § 202 SGG iVm § 524 Abs. 4 ZPO ihre Wirkung verloren.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 197a SGG iVm § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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