S 6 KN 603/13

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 6 KN 603/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Berücksichtigung von Anrechnungszeiten.

Die am 00.00.0000 geborene Klägerin hatte in der Zeit vom 00.00 bis 00.00.0000 Arbeitslosengeld und in der Zeit vom 00.00.0000 bis 00.00.0000 Krankengeld sowie in der Zeit vom 00.00.0000 bis 00.00.0000 erneut Arbeitslosengeld bezogen.

Mit Bescheid vom 00.00.0000 bewilligte ihr die Beklagte eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nach Aufgabe der knappschaftlichen Beschäftigung unter Zugrundelegung eines Versicherungsfalles vom 00.00.0000. Im Versicherungsverlauf jenes Bescheides war eine Zurechnungszeit vom 00.00.0000 bis 00.00.0000 (bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres der Klägerin) enthalten. Mit Bescheid vom 00.00.0000 bewilligte die Beklagte ihr eine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung unter Zugrundelegung eines Versicherungsfalles vom 00.00.0000. Im Versicherungsverlauf jenes Bescheides waren lediglich der 00.00.0000 und ferner die Zeit vom 00.00.0000 bis 00.00.0000 als Zurechnungszeit enthalten. Die Zeiten vom 00.00. bis 00.00.0000 sowie vom 00.00. bis 00.00.0000 und vom 00.00.0000 bis 00.00.0000 waren als Pflichtbeitragszeiten wegen Sozialleistungsbezugs enthalten. Die Klägerin legte am 00.00.0000 Widerspruch ein und begehrte die Anerkennung auch der Zeit vom 00.00.0000 bis 00.00.0000 als Zurechnungs- bzw. Anrechnungszeit. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 00.00.0000 zurück. Zur Begründung führte sie aus, eine Anerkennung als Zurechnungszeit scheide aus, da bei einer Nachfolgerente (hier: der gewährten Rente wegen voller Erwerbsminderung) die Übernahme der in der bisherigen Rente enthaltenen Zurechnungszeit entfalle. Auch eine Berücksichtigung als Anrechnungszeit scheide aus.

Hiergegen richtet sich die am 00.00.0000 erhobene Klage.

Die Klägerin ist der Ansicht, die Belegung mit einer Anrechnungszeit neben einer parallelen Beitragszeit sei nur dann ausgeschlossen, wenn der gleiche Lebenssachverhalt sowohl zu einer Pflichtversicherung wie auch zu einer Anerkennung als Anrechnungszeit führe (wie etwa bei Anrechnungszeiten wegen Sozialleistungsbezugs). Dies indessen sei bei einer Anrechnungszeit wegen einer Zurechnungszeit nicht der Fall.

Die Klägerin beantragt zuletzt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 00.00.0000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 00.00.0000 zu verpflichten, die Zeit vom 00.00.0000 bis 00.00.0000 zusätzlich als Anrechnungszeit anzuerkennen und ihre Rente neu zu berechnen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hält an ihrer bisherigen Auffassung fest.

Das Gericht hat eine fiktive und unverbindliche Vergleichsberechnung der Rente der Klägerin durch die Beklagte veranlasst. Danach würde sich die Erwerbsminderungsrente der Klägerin bei Anerkennung der begehrten Zeiten (auch) als Anrechnungszeiten nicht erhöhen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig. Es mangelt nicht etwa deshalb an einem Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin, weil sich durch die begehrte Berücksichtigung von Zeiträumen mit Anrechnungszeiten, die bereits mit Beitragszeiten belegt sind, ihre Rente nicht erhöht. Denn es ist angesichts der Komplexität des materiellen Rentenberechnungsrechts nicht auszuschließen, dass sich die Berücksichtigung jener Zeiten auch als Anrechnungszeiten in der Zukunft noch rentensteigernd auswirken wird.

Die Klage ist jedoch nicht begründet. Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Sie hat keinen Anspruch auf Anerkennung der Zeit vom 00.00.0000 bis 00.00.0000 als Anrechnungszeit.

Grundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch ist die Vorschrift des § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 Sozialgesetzbuch Sechste Buch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI). Danach sind Anrechnungszeiten Zeiten, in denen Versicherte eine Rente bezogen haben, soweit diese Zeiten auch als Zurechnungszeit in der Rente berücksichtigt waren, und die vor Beginn dieser Rente liegende Zurechnungszeit.

Zwar sind die Voraussetzungen jener Vorschrift in der Person der Klägerin erfüllt. Denn sie hat in der streitgegenständlichen Zeit eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nach Aufgabe der knappschaftliche versicherten Beschäftigung bezogen und diese Zeit war auch als Zurechnungszeit in der Rente der Klägerin berücksichtigt. Allerdings ist die Anerkennung als Anrechnungszeit gleichwohl ausgeschlossen, weil die Voraussetzungen des § 58 Abs. 1 Satz 3 SGB VI vorliegen. Nach dieser Vorschrift sind Zeiten, in denen Versicherte nach Vollendung des 25. Lebensjahres wegen des Bezugs von Sozialleistungen versicherungspflichtig waren, nicht Anrechnungszeiten. Die Klägerin erfüllt diese Voraussetzungen, weil sie vom 00.00. bis 00.00.0000 Arbeitslosengeld, vom 00.00.0000 bis 00.00.0000 Krankengeld sowie in der Zeit vom 00.00.0000 bis 00.00.0000 erneut Arbeitslosengeld und damit nach Vollendung ihres 25. Lebensjahres Sozialleistungen bezogen hat und deswegen in der Gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig war, § 3 Satz 1 Nr. 3 SGB VI.

Entgegen der Auffassung der Klägerin findet die Vorschrift des § 58 Abs. 1 Satz 3 SGB VI im vorliegenden Fall Anwendung, obwohl unterschiedliche Sachverhalte zur Anerkennung von Beitragszeiten (Versicherungspflicht wegen des Bezugs von Sozialleistungen) und Anrechnungszeit (Zurechnungszeit) führen. Für die Anwendung von § 58 Abs. 1 Satz 3 SGB VI spricht bereits der Wortlaut der Vorschrift, der nicht zwischen den einzelnen Anrechnungszeitentatbeständen des § 58 Abs. 1 Satz 1 SGB VI differenziert. Neben der grammatikalischen Auslegung spricht auch die historische Interpretation dafür, § 58 Abs. 1 Satz 3 SGB VI auf alle Anrechnungszeittatbestände und ohne Rücksicht darauf anzuwenden, ob ein Lebenssachverhalt oder unterschiedliche Lebenssachverhalte zur Anerkennung von Beitrags- und Anrechnungszeiten führen. Denn nach der Begründung zur Neuregelung ist die Anerkennung als Anrechnungszeit pauschal ausgeschlossen (siehe die Begründung im Entwurf eines Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1992 – RRG 1992), BT-Drs. 11/4124, Seite 141 ("Die Zeiten des Bezugs von Lohnersatzleistungen, vor allem Zeiten der Krankheit und Arbeitslosigkeit, für die bereits bisher Beiträge gezahlt werden, sollen künftig nicht Anrechnungszeiten sein, sondern wie andere Beitragszeiten behandelt werden") und Seite 167 ["Zeiten, in denen Versicherte wegen des Bezugs von Sozialleistungen (Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld, Übergangsgeld, Unterhaltsgeld, Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe) versicherungspflichtig waren, sind – von einer Übergangsphase bis 1997 abgesehen – vollwertige Beitragszeiten und nicht Anrechnungszeiten"]). Überdies stützen auch systematische Gesichtspunkte die von der Kammer zu Grunde gelegte Auffassung. Bereits die Binnensystematik des § 58 SGB VI spricht hierfür, weil sich die Ausschlussvorschrift in Satz 3 des ersten Absatzes befindet. Wollte man die von der Klägerin vertretene Auffassung zu Grunde legen, hätte es nahe gelegen, die Vorschrift im Rahmen der einzelnen Anrechnungszeittatbestände zu verorten, deren Anerkennung bei gleichzeitiger Versicherungspflicht aus Sozialleistungsbezug ausgeschlossen sein soll. Überdies streitet auch die Ausnahmevorschrift des § 252 Abs. 2 SGB VI für die hier vertretene Auffassung. Sie normiert für Zeiten vor 1997 pauschal Ausnahmen vom Grundsatz, dass Beitragszeiten wegen Sozialleistungsbezugs nicht gleichzeitig Anrechnungszeiten sein können. Bei Zugrundelegung der von der Klägerin vertretenen Interpretation hätte hier eine Differenzierung nahe gelegen, da nach dieser Ansicht Zurechnungszeiten, in denen zugleich Sozialleistungen bezogen worden sind, ohnehin als Anrechnungszeiten anzuerkennen sind. Schließlich sprechen auch Sinn und Zweck der Vorschrift des § 58 Abs. 1 SGB VI gegen die von der Klägerin vertretene Auffassung. Anrechnungszeiten nämlich sollen dem Ausgleich fehlender Pflichtbeiträge dienen (dazu allgemein etwa BSG, Urteil vom 19.04.2011 – B 13 R 79/09 R = juris, Rdnr. 35). Dieser Gedanke aber gilt gleichermaßen für sämtliche Anrechnungszeiten, so dass bei paralleler Belegung als Pflichtbeitragszeit eine Kompensation nicht erforderlich ist, unabhängig davon, auf welchen Tatbestand die Anrechnungszeit zurückzuführen wäre.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved