L 1 KR 330/13

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 3 KR 143/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 330/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 13/15 R
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
BSG: Revision - Urteil (-)
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 26. September 2013 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Die Kosten des gesamten Rechtsstreits trägt die Klägerin. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt weitere Kosten einer Krankenhausbehandlung. Im Streit ist insbesondere, ob zwei stationäre Krankenhausbehandlungen im Wege der Fallzusammenführung mit nur einer Fallpauschale abzurechnen sind.

Die Klägerin ist Trägerin eines nach § 108 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zugelassenes Krankenhauses. Am 4. Januar 2009 wurde die 1934 geborene Versicherte der Beklagten notfallmäßig in der Klinik für Chirurgie dieses Krankenhauses wegen einer pathologischen Fraktur des Oberschenkelknochens aufgenommen und noch am selben Tag operativ versorgt. Die histologische Untersuchung des intraoperativen Gewebes bestätigte eine Knochenmetastase eines mäßig differenzierten Karzinoms. Am 13. Januar 2009 erfolgte eine Verlegung der Versicherten in die Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe desselben Krankenhauses. Dort wurde ein Mammakarzinom der linken Brustdrüse diagnostiziert. Bekannt war bereits ein Zustand nach operativer Entfernung der kontralateralen Brustdrüse bei Mammakarzinom rechts. Zur weiteren postoperativen Mobilisierung wurde die Klägerin am 3. Februar 2009 in das St. krankenhaus B, Klinik für Innere Medizin (Geriatrie) verlegt. Die Rückverlegung erfolgte am 17. Februar 2009. Am 18. Februar 2009 erfolgte die diagnostische Teilentfernung und am 24. Februar 2009 die komplikationslose Entfernung der linken Brustdrüse sowie der Lymphknoten. Der postoperative Verlauf gestaltete sich komplikationslos. Die Entlassung erfolgte am 7. März 2009.

Die Klägerin rechnete für den Aufenthalt die DRG I08E (andere Eingriffe am Hüftgelenk und Femur mit Mehrfacheingriff, komplexer Prozedur oder Diagnose oder äußerst schweren CC oder mit Osteotomie oder Muskel/Gelenkplastik) mit einer Verweildauer von 48 Behandlungstagen einen Gesamtbetrag in Höhe von 11.489,43 EUR ab. Dieser Betrag wurde zunächst vollständig von der Beklagten bezahlt. Nach Einschaltung des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg e. V. (MDK) teilte dieser am 25. Januar 2010 mit, dass für die Zeit vom 22. Januar 2009 bis zum 3. Februar 2009 eine vollstationäre Behandlung medizinisch nicht begründet gewesen sei. Es sei nicht plausibel, warum die Diagnostik des Karzinoms so lange gedauert habe. Am 12. März 2010 verrechnete die Beklagte einen Differenzbetrag in Höhe von 2.563,38 EUR mit einer weiteren unstreitigen Forderung der Klägerin.

Die Klägerin erhob am 5. Mai 2011 Klage. Sie führte aus, dass die Überschreitung der oberen Grenzverweildauer auf die parallele Behandlung von zwei Krankheitsbildern und der Zusammenführung beider Fälle nach Wiederaufnahme nach § 2 der Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2009 (FPV 2009) zurückzuführen sei. Die Diagnostik habe auch nicht zügiger erfolgen können.

Das Sozialgericht hat über die vollstationäre Behandlungsdürftigkeit der Versicherten Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens. Zum Sachverständigen hat das Gericht den Arzt und Vorsitzenden der D AG, M E, ernannt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 5. März 2013 und in seinem Folgegutachten vom 25. Juni 2013 im Wesentlichen ausgeführt, dass eine Behandlungsbedürftigkeit der Versicherten lediglich in der Zeit vom 4. Januar 2009 bis zum 22. Januar 2009 sowie vom 17. Februar 2009 bis zum 7. März 2009 bestanden habe. Der Behandlungsfall solle wegen der "potentiell mögliche(n) Entlassung" am 22. Januar 2009 über zwei DRG vergütet werden. Die stationäre Behandlung der Versicherten vom 4. Januar 2009 bis zum 22. Januar 2009 müsse durch die DRG I08E und vom 17. Februar 2009 bis zum 7. März 2009 durch die DRG J23Z abgerechnet werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Gutachten und auf das Folgegutachten verwiesen.

Die Klägerin stornierte daraufhin ihre Rechnung vom 10. März 2009 und stellte der Beklagten mit Rechnungen vom 16. April 2013 für die Behandlung der Versicherten vom 4. Januar 2009 bis zum 22. Januar 2009 unter Zugrundelegung der DRG I08E 5.218,66 EUR und für die Behandlung der Versicherten vom 17. Februar 2009 bis zum 7. März 2009 unter Zugrundelegung der DRG J23Z 5.030,36 EUR, also insgesamt 10.249,02 EUR, in Rechnung.

Das Sozialgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 26. September 2013 antragsgemäß verurteilt, den insoweit noch offenen Betrag in Höhe von 1.322,97 EUR (10.249,02 EUR - 8.926,05 EUR (Betrag nach Aufrechnung)) nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. April 2013 zu zahlen. Im Übrigen hat die Klägerin ihre Klage zurückgenommen. Zur Begründung hat das Sozialgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass die Klägerin für die Behandlung der Versicherten der Beklagten einen Anspruch auf Abrechnung des Behandlungsfalls mit den Fallpauschalen zweier DRG habe. Das Gericht stütze sich insoweit auf das Gerichtsgutachten. Die Behandlungen seien auch nicht nach dem Fallpauschalensystem zusammenzuführen, weil im chirurgischen Konzil die Entlassung, nicht aber die Verlegung für möglich gehalten worden sei. Zwar lasse sich nicht eindeutig klären, wieso die Versicherte nicht am 22. Januar 2009 entlassen, sondern erst am 3. Februar 2009 in die Geriatrie verlegt worden sei. Es befinde sich aber in den ärztlichen Anordnungen der Eintrag, dass ein Gespräch mit der Patientin zwecks einer orthopädischen Reha und eine Rücksprache mit der interdisziplinären Tumorkonferenz erfolgen sollen. Die Versicherte hätte daher in die ambulante Reha oder Kurzzeitpflege entlassen werden können.

Gegen das ihr am 18. Oktober 2013 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten vom 12. November 2013. Sie trägt vor, dass die Tatbestandsvoraussetzungen einer Fallzusammenführung nach § 3 Abs. 3 FPV 2009 erfüllt seien. Im vorliegenden Fall sei eine Fallzusammenführung ursprünglich erfolgt und dies auch zu Recht, so dass die Verweildauer um die nicht medizinisch notwendigen Tage der "Krankenhausbehandlung" zu kürzen seien. Es sei nicht verständlich, bei der Frage der Fallzusammenführung und damit der Anwendung der entsprechenden FPV einen hypothetischen Verlauf der Behandlung zugrunde zu legen, wenn tatsächlich sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen der Fallzusammenführung erfüllt seien.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 26. September 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor, dass das Sozialgericht zutreffend zu dem Ergebnis gekommen sei, dass der erste Aufenthalt der Versicherten vom 4. Januar 2009 bis zum 22. Januar 2009 mit der DRG I08E und der Aufenthalt der Versicherten vom 17. Februar 2009 bis zum 7. März 2009 mit der DRG J23Z abzurechnen gewesen seien. Das Sozialgericht sei zu Recht "von einem entsprechend der gesetzlichen Regelungen korrigierten Lebenssachverhalt" ausgegangen. Abzustellen sei insoweit auf eine "potentiell mögliche Entlassung der Versicherten am 22. Januar 2009." Die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen seien nachvollziehbar und zutreffend. Eine tatsächlich medizinisch nicht erforderliche Krankenhausbehandlung, die nicht vergütet werde, dürfe bei der Fallzusammenführung nicht berücksichtigt werden. Die Voraussetzungen einer Fallzusammenführung nach § 3 Abs. 3 FPV 2009 lägen deshalb nicht vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet. Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, weitere 1.322,97 EUR nebst Zinsen an die Klägerin zu zahlen.

Die zutreffend als allgemeine Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) erhobene Klage ist nicht begründet. Dem von der Klägerin geltend gemachten Zahlungsanspruch steht die Aufrechnung der Beklagten mit einem späteren unstreitigen Vergütungsanspruch entgegen. Der Beklagten stand in Höhe der Klageforderung ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch zu, denn in dieser Höhe hat sie die stationäre Behandlung der Versicherten ohne Rechtsgrund vergütet. Die Klägerin hatte insoweit keinen weiteren Entgeltanspruch.

Rechtsgrundlage des geltend gemachten Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V, § 17b Abs. 1 Satz 10 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) und § 7 Abs. 1 S. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) in Verbindung mit der hier maßgeblichen FPV 2009. Eine Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse entsteht unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme einer Leistung durch die Versicherten. Nach § 7 Abs. 1 S. 1 KHEntgG werden die allgemeinen Krankenhausleistungen gegenüber dem Patienten oder ihren Kostenträgern mit verschiedenen, in den Nummern 1 – 8 abschließend aufgezählten Entgelten abgerechnet. Vorliegend geht es um die Abrechnung von Fallpauschalen nach dem auf Bundesebene vereinbarten Entgeltkatalog (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 9 KHEntgG), der FPV 2009. Im Streit ist hier allein die Frage der Fallzusammenführung nach § 3 Abs. 3 FPV 2009.

Dessen Voraussetzungen liegen hier vor. Die Klägerin durfte deshalb nur einen Behandlungsfall mit einer Gesamtvergütung von 8.926,05 EUR abrechnen, die die Beklagte auch gezahlt hat. Die Verweildauer der Versicherten bei der Klägerin war um die nicht medizinisch notwendigen Tage der Krankenhausbehandlung zu kürzen.

Wird ein Patient oder eine Patientin aus einem Krankenhaus in ein anderes Krankenhaus verlegt und von diesen innerhalb von 30 Kalendertagen ab dem Entlassungsdatum eines ersten Krankenhausaufenthalts in dieses Krankenhaus zurückverlegt (Rückverlegung), hat das wiederaufnehmende Krankenhaus nach § 3 Abs. 3 FPV 2009 die Falldaten des ersten Krankenhausaufenthalts und aller weiteren, innerhalb dieser Frist in dieses Krankenhaus aufgenommenen Fälle zusammenzufassen und eine Neueinstufung nach den Vorgaben des § 2 Abs. 4 Satz 1 – 6 in eine Fallpauschale durchzuführen sowie Abs. 2 Satz 1 anzuwenden. Ein solcher Sachverhalt liegt hier vor. Die Versicherte der Beklagten wurde am 3. Februar 2009 aus dem Klinikum der Klägerin in ein anderes Krankenhaus, einer Fachklinik für Geriatrie, verlegt und am 17. Februar 2009, also innerhalb von 30 Kalendertagen ab dem Entlassungsdatum des ersten Krankenhausaufenthalts, in das Klinikum der Klägerin, also das selbe Krankenhaus, zurückverlegt.

Dabei ist die Verweildauer der Versicherten der Beklagten in dem Klinikum der Klägerin um die Tage zu kürzen, in denen keine medizinische Behandlungsbedürftigkeit bestand. Das Krankenhaus hat bei der Vergütung von Krankenhausbehandlungen durch Fallpauschalen einen Vergütungsanspruch gegen eine Krankenkasse nur für eine "erforderliche" Krankenhausbehandlung. Die Vergütung stellt die Gegenleistung für die Erfüllung der Pflicht zugelassener Krankenhäuser dar, die Krankenhausbehandlung (§ 39 SGB V) der Versicherten im Rahmen des jeweiligen Versorgungsvertrages (§ 109 SGB V) zu leisten. Die Leistung des Krankenhauses dient der Erfüllung des Sachleistungsanspruchs des Versicherten (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V) gegen die Krankenkasse. Die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse entsteht dabei unabhängig von einer Kostenzusage – unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und im Sinne von § 39 Abs. 1 S. 2 SGB V erforderlich ist (Urteil des BSG vom 28. November 2013 – B 3 KR 33/12 R –, zitiert nach juris). Im vorliegenden Fall ist zwischen den Beteiligten nicht mehr im Streit, dass die Versicherte der Beklagten im Zeitraum vom 22. Januar 2009 bis zum 3. Februar 2009 nicht krankenhausbehandlungsbedürftig war.

Soweit die Klägerin nunmehr der Vergütung der Krankenhausbehandlung der Versicherten der Beklagten dem erstinstanzlichen Sachverständigengutachten folgend eine "potentiell mögliche Entlassung" der Versicherten am 22. Januar 2009, nach ihrem Sprachgebrauch einen "den gesetzlichen Regelungen korrigierten Lebenssachverhalt", zugrunde legen will, kommt dies nicht in Betracht.

Bei verständiger und sinngemäßer Auslegung des Vorbringens der Klägerin kann es ihr nicht um die Beurteilung eines erdachten Sachverhaltes durch das Gericht gehen. Aufgabe des Richters ist es, geschehene, nicht erdachte Sachverhalte rechtlich zu beurteilen (Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Auflage 1991, S. 304). Im Kern begehrt die Klägerin vielmehr eine einschränkende Auslegung des § 3 Abs. 3 S. 1 FPV 2009, weil aus ihrer, nunmehr geläuterten Sicht, die Versicherte am 22. Januar 2009 hätte entlassen werden müssen.

§ 3 Abs. 3 S. 1 FPV 2009 ist einer Auslegung nicht zugänglich. Vergütungsregelungen sind grundsätzlich streng nach ihrem Wortlaut auszulegen, um Fehlinterpretationen und Missverständnisse zu vermeiden. Nur so sind sie für die routinemäßige Anwendung im Massengeschäft der Abrechnung der zahlreichen Behandlungsfälle handhabbar. Das auf DRG basierte Vergütungssystem ist vom Gesetzgeber als jährlich weiter zu entwickelndes (§ 17b Abs. 2 S. 1 KHG) und damit als "lernendes" System angelegt. Bei zutage tretenden Unrichtigkeiten, Unbilligkeiten oder Fehlsteuerungen sind daher in erster Linie die Vertragsparteien berufen, diese Mängel mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen (Urteil des BSG vom 28. November 2013 – B 3 KR 33/12 R –, zitiert nach juris). Die Regelung des § 3 FPV 2009 ist, wie die Regelung des § 2 Abs. 2 S. 1 FPV 2009, so angelegt, dass über die Fallzusammenführung anhand von DRG-Nummern und konkreten Fristen entschieden wird. Nur so können die Entscheidungen im Massengeschäft der Abrechnung durch die EDV getroffen werden. Beurteilungsspielräume der Betroffenen und somit Streit zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern sollen auf diese Weise vermieden werden. Dieses Ziel würde konterkariert, wenn jeweils im Einzelfall geprüft werden müsste, ob es sich bei einer innerhalb der 30-Tage-Frist liegenden Rückverlegung tatsächlich um eine Rückverlegung im eigentlichen Sinne handelt (BSG; a. a. O.), weil geprüft werden müsste, ob tatsächlich die medizinische Notwendigkeit einer Verlegung der Versicherten in ein anderes Krankenhaus bestand oder ob die Versicherte hätte entlassen werden können. Tatsächlich ist die Versicherte der Beklagten am 22. Januar 2009 in ein anderes Krankenhaus verlegt worden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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