L 5 KR 1/15 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 4 KR 313/14 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 1/15 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Für die Durchsetzung eines Anspruchs auf implantologische Neuversorgung im Zahnbereich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes fehlt es regelmäßig an der einen Anordnungsgrund begründenden Eilbedürftigkeit. Bezüglich aktuell vorhandener Schmerzen und Entzündungen hat der Versicherte einen Anspruch auf allgemein oder zahnmedizinische Behandlung.
I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 12. Dezember 2014 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.



Gründe:


I.

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens um eine implantologische Neuversorgung im Unterkiefer des Antragstellers.
Der 1943 geborene Antragsteller beantragte mit Schreiben vom 30.09.2011 unter Vorlage eines Heil- und Kostenplans von Herrn Dr.med. Dr. med. dent. F. vom 12.07.2011 und diverser ärztlicher Unterlagen die Versorgung mit einem Implantat im Unterkiefer, regio 42.
Im Verwaltungsverfahren veranlasste die Antragsgegnerin eine Begutachtung durch Herrn Dr. M. D ... Dieser lehnte in seiner Stellungnahme vom 17.11.2011 den eingereichten Behandlungsplan mit der Begründung ab, dass einem herausnehmbaren Zahnersatz der Vorzug zu geben sei. Die Neuinsertion eines Implantates sei nicht notwendig, da die übrigen sechs Implantate ausreichen würden einen festsitzenden, besser herausnehmbaren Zahnersatz zu gestalten. Einen Antrag auf Oberbegutachtung stellte Herr Dr. med. Dr. med. dent. F. nicht.
Mit Bescheid vom 24.11.2011 lehnte die Antragsgegnerin unter Bezugnahme auf die gutachterliche Stellungnahme von Herrn Dr. D. die Versorgung mit einem Implantat im Unterkiefer, regio 42, ab. Zugleich bestätigte sie dem Antragsteller jedoch, dass eine Ausnahmeindikation nach § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V vorliege.
Hiergegen legte der Antragsteller Widerspruch ein.
Im Widerspruchsverfahren lehnte der Antragsteller eine erneute Begutachtung ab. Mit Widerspruchsbescheid vom 22.11.2012 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch zurück. Eine Kostenbeteiligung an den implantologischen Leistungen sei nicht möglich, da eine zahnmedizinische Ausnahmeindikation dafür nicht vorliege.
Hiergegen hat der Antragsteller Klage zum Sozialgericht Landshut erhoben, die unter dem Az. S 4 KR 450/12 - anhängig ist. Im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage vom 11.07.2014 - Az.: S 4 KR 450/12 - habe die Beteiligten vereinbart, dass die Antragsgegnerin - nach Übermittlung weiterer medizinischer Unterlagen durch den Antragsteller - bei der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Bayern eine erneute Begutachtung veranlassen werde. Da der Antragsteller dem behandelnden Arzt Dr. med. Dr. med. dent. F. hierfür keine Schweigepflichtentbindung erteilt hatte, hat dieser das Einverständnis zu einer neuen Begutachtung verweigert. Diesbezüglich hat Dr. F. im Rahmen der Zeugeneinvernahme vor dem Sozialgericht am 10.12.2014 erklärt, dass die Verweigerung des Einverständnisses im Klageverfahren auf den Willen des Antragstellers zurückgehe.
Mit Schriftsatz vom 03.11.2014 hat der Antragsteller Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zum Sozialgericht Landshut gestellt. Gleichzeitig hat der Antragsteller eine Stellungnahme von Dr. med. Dr. med. dent. F. vom 05.08.2014, ein Rezept des Arztes H. A. vom 15.09.2014 und einen Bericht des Universitätsklinikums E. vom 15.10.2014 dem Gericht übermittelt. Diese Dokumente würden belegen, dass in Folge des jahrelangen Verfahrens eine derart starke Entzündung im Unterkiefer eingetreten sei, dass zwei weitere Implantate im Frontbereich durch chronische Periimplantitis irreparabel geschädigt seien. Ohne sofortige Behandlung bestehe durch den eintretenden Knochenabbau und Entzündungsausbreitung die Gefahr des Verlustes auch der übrigen Implantate und ggf. Destruktion des rekonstruierten Kieferaufbaus.
Das Sozialgericht hat den Antrag auf einstweilige Anordnung mit Beschluss vom 12.12.2014 abgelehnt. Das Sozialgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen darauf gestützt, dass der Antrag auf Feststellung einer Ausnahmeindikation unzulässig sei, da ein Elementenfeststellungsantrag grundsätzlich nicht möglich sei. Der Antrag auf Verpflichtung der Antragsgegnerin den Antragsteller mit zwei weiteren Implantaten im Unterkiefer, regio 39 bis 42, zu versorgen, sei bereits mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig. Der Antragsteller habe sich mit seinem Antrag, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihn mit zwei weiteren Implantaten im Unterkiefer, regio 39 bis 42, zu versorgen, unmittelbar an das Sozialgericht gewandt, ohne dies zuvor bei der Antragsgegnerin zu beantragen. Der Antrag auf Verpflichtung der Antragsgegnerin, den Antragsteller mit einem Implantat im Unterkiefer, regio 42, zu versorgen, sei mangels Anordnungsgrund unbegründet. Das Sozialgericht sehe zwar durchaus die Bedeutung der Angelegenheit für den Antragsteller. Der Antrag auf Verpflichtung der Antragsgegnerin, den Antragsteller mit einem Implantat im Unterkiefer, regio 42, zu versorgen, sei jedoch nicht eilbedürftig. Aus den Ausführungen des Antragstellers, den Stellungnahmen von Dr. med. Dr. med. dent. F. vom 05.08.2014 und dem Universitätsklinikum E. vom 15.10.2014 sowie der Zeugenaussage von Dr. med. Dr. med. dent. F. vom 10.12.2014 ergebe sich übereinstimmend, dass der Heil- und Kostenplan vom 12.07.2011 zu der Versorgung des Antragstellers mit einem Implantat im Unterkiefer, regio 42, mittlerweile medizinisch überholt sei. Es seien zwei weitere Implantate im Unterkiefer entzündlich verändert, die entfernt werden müssten. Für den gesamten Unterkiefer müsse eine völlig neue Versorgung mit Zahnersatz erfolgen, da der bisher vorhandene Zahnersatz nicht mehr verwendbar sei. Somit sei die Entscheidung über den Antrag auf Verpflichtung der Antragsgegnerin, den Antragsteller mit einem Implantat im Unterkiefer, regio 42, zu versorgen nicht eilbedürftig.
Hiergegen hat der Ast Beschwerde eingelegt. Der Antragsteller weist darauf hin, dass im vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren in erster Linie streitig sei, ob nach einer "Verfahrenslaufzeit" von über drei Jahren und der dadurch eingetretenen Entzündung im Unterkiefer sowie dem einhergehenden Knochenabbau, die Antragsgegnerin verpflichtet werden könne, die Kosten für die Implantatversorgung zu übernehmen (Versorgung mit drei Implantaten). Gerade die starken Entzündungsdauerschmerzen würden im Rahmen eines übergesetzlichen Notstands den einstweiligen Rechtsschutz rechtfertigen. Der Beschluss des Sozialgerichts Landshut beruhe auf einer Falschdarstellung des Sachverhalts und einer Ausklammerung aller maßgebenden rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse. Die Gesamtbehandlung des Unterkiefers sei von Anfang an Gegenstand des Verwaltungsverfahrens gewesen. Bereits der Antrag bei der Antragsgegnerin habe alle zur Sanierung und prothetischen Versorgung des Kiefers implantologischen Maßnahmen und Heilmittel für den Geltungsbereich der Ausnahmeindikation von regio 37 bis 44 umfasst. Ferner sei die Verweigerung des Einverständnisses zu einem "Nachgutachten" begründet.

Die Antragsteller beantragt zunächst sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 12.12.2014 aufzuheben und festzustellen, dass die Voraussetzungen der - aufgrund des MKG-Gutachtens des Herrn Dr. M. - festgestellten Ausnahmeindikation unverändert vorliegen sowie die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Antragsteller mit zwei weiteren Implantaten im Unterkiefer, regio 39 bis 42, zu versorgen und die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Antragsteller mit einem Implantat im Unterkiefer, regio 42, zu versorgen.

Mit Schriftsatz vom 15.01.2015 hat der Antragsteller erklärt, dass nicht die drei vom Sozialgericht zu Grunde gelegten Anträge Streitgegenstand seien, sondern "ganz allgemein, dass die Antragsgegnerin verpflichtet werden soll, die Kostenübernahme für implantologische und kieferorthopädische Leistungen zu erklären".

Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.

Ergänzend wird verwiesen auf die Akten beider Rechtszüge, die Akte des Klageverfahrens S 4 KR 450/12, die Protokolle der Erörterungstermine vom 11.07.2014 - Az.: S 4 KR 450/12, vom 10.12.2014 - S 4 KR 313/14 ER sowie die Akte der Antragsgegnerin.

II.

Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg.
Die form- und fristgerecht (§ 173 Satz 1 SGG) eingelegte und auch ansonsten statthafte Beschwerde (§ 172 Abs 3 Nr 1 SGG) ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Das SG hat die Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz zu Recht abgelehnt.
Der Senat verweist zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst auf die ausführliche und zutreffende Begründung im dem angefochtenen Beschluss (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).

Ergänzend und im Hinblick auf die Beschwerde des Antragstellers weist der Senat noch auf Folgendes hin:

I. Bezüglich den im Erörterungstermin vom 10.12.2014 vor dem Sozialgericht gestellten Anträgen des Antragstellers:
1. Der Antrag auf Feststellung, dass die Voraussetzungen einer Ausnahmeindikation nach § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V vorliegen, ist ein Antrag auf Elementenfeststellung, der im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG ein nur in Ausnahmefällen zulässig ist.
Im sozialgerichtlichen Verfahren kann ebenso wie in sonstigen Verfahrensordnungen Gegenstand einer einstweiligen Anordnung in der Regel nur ein Anspruch sein, der im Wege der Zwangsvollstreckung durchgesetzt werden kann. Mithin muss es sich um Zahlungs-, Leistungs-, Handlungs- oder Unterlassungsansprüche handeln, die vollstreckt werden können. Unabhängig davon hat das Sozialgericht auch zutreffend darauf hingewiesen, dass ein derartiger Antrag - im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens - als sogenannte Elementfeststellungsklage bereits unzulässig ist (vgl. Keller in Meyer- Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 55 Rn. 9). Dies gilt ebenso für ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Da der Feststellungsantrag auch Vorfrage der ebenfalls streitgegenständlichen Leistungsanträge ist, fehlt für diesen Antrag auch das Rechtsschutzbedürfnis.
2. Die Anträge auf Verpflichtung der Antragsgegnerin den Antragsteller mit zwei weiteren Implantaten im Unterkiefer, regio 39 bis 42 bzw. mit einem Implantat im Unterkiefer regio 42 zu versorgen, haben auch deshalb keine Aussicht auf Erfolg, weil mit ihnen eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache eintreten würde.
Entsprechend dem Wesen der einstweiligen Anordnung darf das Gericht nur vorläufige Regelungen treffen; es darf dem Antragsteller nicht schon in vollem Umfang das gewähren, was er sonst nur im Hauptsacheverfahren erreichen könnte. Vorliegend würden mit der Versorgung mit den begehrten Implantaten vollendete Tatsachen geschaffen, die kaum mehr rückgängig gemacht werden könnten. Nach einer grundrechtsorientierten Auslegung ist eine Vorwegnahme zwar möglich. Hierfür wäre jedoch notwendig, dass ein Abwarten des Ausgangs des Hauptsacheverfahrens unzumutbare und nicht mehr zu beseitigende Nachteile nach sich ziehen würde; denn die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG verlangt grundsätzlich nur die Möglichkeit eines Eilverfahrens, wenn ohne sie dem Betroffenen eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung seiner Rechte droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann (vgl. hierzu Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, Rn. 31).
Vorliegend liegen die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise zulässige Vorwegnahme der Hauptsache nicht vor. Gerade unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich nach den Ausführungen des Antragstellers, den Stellungnahmen des Herrn Dr. med. Dr. med. dent. F. vom 05.08.2014 und dem Universitätsklinikum E. vom 15.10.2014 sowie der Zeugenaussage des Dr. F. vom 10.12.2014 der Heil- und Kostenplan vom 12.07.2011 überholt hat und eine völlig neue Versorgung im Unterkiefer mit Zahnersatz notwendig sei, verbietet sich vorliegend - auch unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Antragstellers - eine Vorwegnahme der Hautsache. Andernfalls würde die Antragsgegnerin zu einer Leistung verpflichtet, die möglicherweise nicht mehr der aktuellen medizinischen Notwendigkeit entspricht und nur schwer korrigierbar wäre.

II. Antragsänderung im Beschwerdeverfahren nach § 99 SGG
Selbst wenn man unter Berücksichtigung des Schriftsatzes des Antragstellers vom 15.01.2015 sein Rechtsschutzbegehren - entgegen den protokollierten Anträgen des Sozialgerichts - nach § 133, 157 BGB dahingehend auslegt, dass nun im Wege einer Antragsänderung nach § 99 SGG "die Gesamtbehandlung des Unterkiefers" beantragt wird, fehlt für diesen unbestimmten und damit bereits unzulässigen "Generalantrag" auch ein Anordnungsgrund.
Für die Durchsetzung eines Anspruchs auf implantologische Neuversorgung im Zahnbereich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes fehlt es nach der Rechtsprechung regelmäßig an der einen Anordnungsgrund begründenden Eilbedürftigkeit (vgl. nur LSG NRW, Beschluss v. 3.11.2008 - L 16 B 71/08 KR ER). Dies gilt vorliegend auch im Hinblick auf die vom Antragsteller geltend gemachten Schmerzen und Entzündungen. Bezüglich dieser kann sich der Antragsteller jederzeit in allgemein- oder zahnmedizinische Behandlung begeben.
Über ein Bestehen des Anspruchs des Antragstellers kann abschließend nur im Hauptsacheverfahren - ggf. unter Einholung eines Sachverständigengutachtens - entschieden werden.
Aus diesen Gründen ist die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts, mit dem der Eilantrag für dieses Verfahren abgelehnt wurde, zurückzuweisen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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