S 8 KR 1061/12

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 8 KR 1061/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 174/14
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Frage der Mitgliedschaft des Klägers bei der Beklagten aufgrund einer Versicherungspflicht gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V (sog. Bürger- oder Auffangversicherung).

Der 1962 geborene Kläger war seit April 2002 freiwillig krankenversichertes Mitglied der Beklagten beim Überschreiten der Jahresentgeltgrenze. Am 31.3.2010 kündigte er die Krankenversicherung zum 31.5.2010 zwecks Wechsels zu einem privaten Krankenversi-cherungsunternehmen. Seit 1.6.2010 war er bei der H Krankenversicherung AG krankenversichert. Mit Schreiben vom 20.4.2012 hat die H Krankenversicherung AG den Versicherungsvertrag wegen arglistiger Täuschung angefochten und hilfsweise den Rücktritt erklärt. Im Aufnahmeantrag seien vorhandene Vorerkrankungen nicht angegeben worden (u.a. ein Schlafapnoe-Syndrom).

Im Juli 2012 wandte sich der Kläger mit einem Antrag bzw. einer Anzeige an die Beklagte zur Versicherung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V und fügte verschiedene Unterlagen zum zwischenzeitlichen Geschehensablauf (z.B. Kündigung, Anfechtungsschreiben) bei.
Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 7.8.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbeschei-des vom 6.11.2012 fest, dass keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenver-sicherung bestehe. Der Kläger sei auch bei Anfechtung des privatrechtlichen Versiche-rungsvertrages faktisch zuletzt in der privaten Krankenversicherung versichert gewesen und diesem Bereich zuzuordnen. Sie verwies auf Entscheidungen des Landessozialge-richts Nordrhein-Westfalen und des Sächsischen Landessozialgerichts.

Der Kläger hat gegen diese Bescheide Klage erhoben, mit der er die Feststellung der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung und der Mitgliedschaft bei der Beklagten geltend macht. Die Anfechtung eines Versicherungsvertrages führe rückwirkend zu dessen Nichtigkeit. Dies führe in der Rechtsfolge dazu, dass er nicht privat krankenversichert gewesen sei. Im vorliegenden Fall sei vor allem zu berücksichtigen, dass der Anfechtungsgrund ohne sein Wissen vom Versicherungsmakler gesetzt worden sei. Dieser habe ohne sein Wissen gegenüber der H Krankenversicherung AG falsche Angaben gemacht. Auf die diesbezüglichen Darlegungen des Klägers wird Bezug genommen.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Bescheides vom 7.8.2012 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 6.11.2012 festzustellen, dass der Kläger seit dem 1.6.2010 gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V pflichtversichertes Mitglied der Be-klagten ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Bescheide aus den dort ausgeführten Gründen für rechtmäßig.

Zur weiteren Sachdarstellung wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze und Unterlagen der Beteiligten sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig.

Es besteht keine Versicherungspflicht gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V).
Der Kläger war bisher nicht ohne Krankenversicherung, § 5 Abs. 1 Nr. 13 b) SGB V.
Er war auch nicht zuletzt gesetzlich krankenversichert, § 5 Abs. 1 Nr. 13 a) SGB V.
Der Kläger ist dem System der privaten Krankenversicherung zuzuordnen, da zuletzt ein privates Krankenversicherungsverhältnis bestanden hat. Dem steht nicht entgegen, dass die H Krankenversicherung AG den Versicherungsvertrag angefochten hat und eine wirksame Anfechtung nach § 142 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) den Ver-trag rückwirkend von Anfang an beseitigt und dieser als nichtig gilt. Insoweit schließt sich das Gericht der zurzeit herrschenden Meinung in der Rechtsprechung an, da diese gute und gewichtige Gründe für diese rechtliche Grundentscheidung hat. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt das Gericht auf die diesbezüglichen Ausführungen im Be-schluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 3.9.2012 – L 5 KR 258/12 ER – Bezug (juris.de, Rn. 12, 13):

"Geht man von einer wirksamen Anfechtung aus, ist der Versicherungsvertrag aus dem Jahr 2009 zwar zivilrechtlich als von Anfang an nichtig anzusehen (§ 142 Abs. 1 BGB). Diese gesetzliche Fiktion führt jedoch nicht dazu, dass die Antragstellerin im sozialversicherungsrechtlichen Sinne als zu keinem Zeitpunkt privat krankenversichert anzusehen ist. Denn die Beurteilung des krankenversi-cherungsrechtlichen Status kann und darf nicht von dem Eintritt eines ungewis-sen späteren Ereignisses - wie z.B. einer Anfechtung - abhängen. Bis zur An-fechtungserklärung ist somit von einem zwar anfechtbaren, gleichwohl jedoch wirksamen Versicherungsvertrag zwischen der Antragstellerin und der D AG auszugehen (vgl. SG Dresden, Beschluss v. 14.06.2012 - S 18 KR 156/12 ER).

Die wirksam erklärte Anfechtung wegen Drohung oder arglistiger Täuschung be-rechtigt das anfechtende Versicherungsunternehmen lediglich, einen erneuten Antrag des (ehemaligen) Versicherungsnehmers auf Abschluss eines Versiche-rungsvertrages im Basistarif abzulehnen (vgl. § 12 Abs. 1b Satz 4 Versiche-rungsaufsichtsgesetz (VAG), § 193 Abs. 5 Satz 4 Nr. 1 VVG). Daraus ergibt sich zum einen, dass der Kontrahierungszwang in der PKV im Hinblick auf den Basis-tarif gemäß § 193 Abs. 5 Satz 1 VVG als solcher unberührt bleibt und Vertrags-verletzungen aus früheren Versicherungsverhältnissen andere Versicherungsun-ternehmen nicht zur Ablehnung eines Vertragsschlusses berechtigen (vgl. auch Voit in: Prölls/Martin, VVG, 28. Aufl. 2010, § 193 VVG, Rdn. 30). Zum anderen hat der Gesetzgeber mit der Regelung des auch bei einer schweren Vertragsver-letzung nach wie vor grundsätzlich bestehenden Kontrahierungszwangs zum Ausdruck gebracht, dass es bei der einmal getroffenen Zuordnung zur PKV in den Fällen verbleiben soll, in denen bereits eine Versicherung in der PKV be-standen hat und aus den in § 193 Abs. 5 Satz 4 Nr. 1 und 2 VVG genannten Gründen beendet wurde. Ginge man demgegenüber davon aus, dass bei der Anfechtung eines privaten Krankenversicherungsvertrages wegen Drohung oder Täuschung der Versicherungsnehmer nachträglich als unversichert gälte und vor diesem Hintergrund Versicherungspflicht in der GKV einträte, wären die Vorga-ben der §§ 12 Abs. 1b Satz 4 VAG, 193 Abs. 5 Satz 4 VVG letztlich ohne An-wendungsbereich und liefen ins Leere (so auch SG Dresden, Beschluss v. 14.06.2012, a.a.O.; Sächsisches LSG, Beschluss v. 14.06.2012 - L 1 KR 71/12 B ER). Angesichts dessen muss sich die Antragstellerin weiterhin an Un-ternehmen der PKV halten, wobei die Wahl nicht auf die C a.G. beschränkt ist (zur Höhe der vom SGB II-Träger zu übernehmenden Prämien vgl. BSGE 107, 217 = SozR 4 - 4200 § 26 Nr. 1)."

Entsprechende Entscheidungen hat das Thüringer Landessozialgericht (Beschluss vom 30.7.2012 - L 6 KR 462/12 B ER -), das Sozialgericht Schwerin (Beschluss vom 8.8.2011 – S 8 KR 115/11 ER-, rechtskräftig), das Sozialgericht Dresden (Beschluss vom 12.3.2012 - S 18 KR 156/12 ER - diesen bestätigend das Sächsische Landessozialgericht - Be-schluss vom 14.6.2012 - L 1 KR 71/12 ER -) getroffen. Das Sozialgericht Dresden hat sei-ne vorläufige Entscheidung im Hauptsacheverfahren mit Gerichtsbescheid vom 27.2.2013 – S 18 KR 144/12 - wiederholt (rechtskräftig), ebenso das Sozialgericht Schwerin (Gerichtsbescheid – S 8 KR 253/11 -, anhängige Berufung: LSG Mecklenburg-Vorpommern - L 6 KR 65/13 -).
Eine andere Auffassung hat allein das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg mit dem Argument der Einheit der Rechtsordnung für ein faktisch nicht vollzogenes privates Versicherungsverhältnis vertreten (Beschluss in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren vom 10.4.2013 – L 1 KR 1/13 B ER -; es ist kein Hauptsacheverfahren bekannt). Dieser Entscheidung und Begründung ist das erkennende Gericht nicht gefolgt, da nach seiner Auffassung die Begründungen der anderen Gerichte, die für diese grundsätzliche Entscheidung losgelöst vom Einzelfall zu werten sind, überzeugender sind und sich die Entscheidung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg auch auf den Regel-Ausnahmecharakter der Vorschrift des § 5 Abs. 5 a) SGB V ("unmittelbar vor dem Bezug von Arbeitslosengeld II privat krankenversichert war") bezieht, eine Vorschrift, die vorliegend nicht einschlägig ist. Ein Hauptsacheverfah-ren ist nicht anhängig geworden.

Auch der vom Kläger geltend gemachte und ausführlich dargelegte Umstand, dass er selber nicht arglistig getäuscht habe, sondern einer Täuschung des Versicherungsmaklers zum Opfer gefallen sei, konnte zu keiner anderen Entscheidung führen. Denn die gesetzliche Regelung verlangt eine grundsätzliche abstrakte Abgrenzung, wer dem System der gesetzlichen oder der privaten Krankenversicherung zuzuordnen ist. Für die Berücksichtigung eines etwaigen Verschuldens oder Nichtverschuldens ist kein Raum.
Darüber hinaus wäre eine Schuldlosigkeit des Klägers ggf. im Rahmen der Frage zu be-rücksichtigen, ob eine arglistige Täuschung als Anfechtungsgrund vorgelegen hat und die Anfechtung berechtigt war.
(Hierzu hat der Bundesgerichtshof entschieden:
1. Eine arglistige Täuschung des Versicherers allein durch den Makler, der nicht Dritter i. S. v. § 123 Abs. 2 S. 1 BGB ist, ist dem VN nach § 166 Abs. 1 BGB zuzurechnen.
2. Will der Versicherer den ihm nach § 123 BGB obliegenden Nachweis führen, der VN habe bei Anbahnung des Versicherungsvertrags arglistig falsche Angaben gemacht, so trifft, wenn objektiv falsche Angaben vorliegen, den VN eine sekundäre Darlegungslast.
3. Falsche Angaben in einem Versicherungsantrag allein genügen nicht, um den Schluss auf eine arglistige Täuschung zu rechtfertigen. Die Annahme von Arglist setzt in subjektiver Hinsicht vielmehr zusätzlich voraus, dass der VN erkennt und billigt, dass der Versicherer seinen Antrag bei Kenntnis des wahren Sachverhalts gar nicht oder nur zu anderen Konditionen annehmen werde."
- Leitsätze des Beschlusses vom 12.3.2008 – IV ZR 330/06 -, juris.de -)

So musste es dahingestellt bleiben, dass die persönliche Schilderung des Klägers und seiner Ehefrau im Erörterungstermin glaubhaft wirkten, auch wenn eine mit dem offen-sichtlich starken Wunsch einer Kostenreduzierung verbundene Blauäugigkeit und Kritiklosigkeit sicher gegeben gewesen ist.
Rechtskraft
Aus
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