L 7 AS 16/15 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 AS 1259/14 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 16/15 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Eine Nachzahlung einer laufenden Sozialleistung (hier Witwenrente für etwa ein Jahr) ist eine laufende Einnahme nach § 11 Abs. 2 SGB II. Sie ist, wenn sie den Leistungsanspruch nach SGB II für einen Monat übersteigt, gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3, Abs. 3 SGB II auf sechs Monate gleichmäßig zu verteilen.
I. Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 17. Dezember 2014 abgeändert und die vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners für den Monat Februar 2015 aufgehoben sowie für den Monat März 2015 auf 402,- Euro herabgesetzt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

II. Der Beschwerdeführer hat der Antragstellerin zwei Drittel der notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Instanzen des Eilverfahrens zu erstatten.

III. Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Herr Rechtsanwalt B. beigeordnet.

Gründe:

I.

Streitig ist, in welcher Höhe der Antragstellerin Arbeitslosengeld II zusteht nachdem der Antragstellerin im September 2014 eine Nachzahlung von Witwenrente zugeflossen war.

Die 1951 geborene alleinstehende Antragstellerin beantragte am 14.08.2014 beim Antragsgegner Arbeitslosengeld II. Der Antragstellerin wurde im September 2014 eine Witwenrente in Höhe von monatlich 454,12 EUR bewilligt. Am 17.09.2014 erhielt sie eine Nachzahlung der Witwenrente in Höhe von 4.931,46 EUR überwiesen.

Nach dem Vortrag der Antragstellerin habe sie für die Wohnung, die sie bislang zusammen mit einer Gaststätte gepachtet habe, im Monat Juli 2014 einen mündlichen Mietvertrag mit einer Kaltmiete von 450,- EUR, Nebenkosten von 120,- EUR und Heizkosten von 80,- EUR (zusammen 650,- EUR) abgeschlossen.

Mit Bescheid vom 08.10.2014 entschied der Antragsgegner über Leistungen für die Zeit von August 2014 bis Januar 2015. Für den Monat August 2014 wurde Arbeitslosengeld II in Höhe von 818,05 EUR. Unterkunftskosten könnten nur in angemessener Höhe von insgesamt 427,05 EUR (davon 80,- EUR Heizkosten) anerkannt werden. Die Nachzahlung der Witwenrente werde von September 2014 bis einschließlich Februar 2015 auf den Leistungsanspruch angerechnet, so dass sich bis Januar 2015 kein Leistungsanspruch ergebe. Der dagegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 05.11.2014 zurückgewiesen. Dagegen wurde am 05.12.2014 Klage erhoben.

Ebenfalls am 05.12.2014 stellte die Antragstellerin einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Die Rentennachzahlung dürften nur im Zuflussmonat angerechnet werden. Außerdem sei die Nachzahlung bereits im September fast vollständig verbraucht worden für Schuldentilgung. Die Schulden seien aufgrund der fehlenden Rentenzahlung im Jahr zuvor entstanden, insbesondere Mietschulden. Nachweise und Belege über den Verbrauch der Rentennachzahlung wurden angekündigt, jedoch nicht vorgelegt.

Mit Beschluss vom 17.12.2014 verpflichtete das Sozialgericht Augsburg den Antragsgegner, der Antragstellerin von 01.12.2014 bis 31.03.2015 vorläufig Arbeitslosengeld II in Höhe von monatlich 504,93 EUR zu gewähren. Bei der Rentennachzahlung handle es sich um laufende Einnahmen im Sinn von § 11 Abs. 2 SGB II. Diese Nachzahlung sei lediglich im Zuflussmonat zu berücksichtigen. Außerdem könnten als Einkommen lediglich bereite Mittel angerechnet werden. Die Antragstellerin habe vorgetragen, dass sie die Nachzahlung bereits verbraucht habe und dies durch Vorlage der Kontoauszüge glaubhaft gemacht. Da ungeklärt sei, wann der Mietvertrag unterzeichnet worden sei, sei vorläufig von dem ungekürzten Bedarf für die Kosten der Unterkunft und Heizung auszugehen. Ein Umzug nach § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II liege nicht vor. Da im einstweiligen Rechtsschutz geringere Leistungen als in der Hauptsache zugesprochen werden könnten, erscheine es angemessen, lediglich einen Bedarf für die Unterkunft in Höhe von 538,05 EUR in die Berechnung einzustellen. Abzüglich der laufenden Witwenrente errechne sich ein Anspruch in Höhe von 504,93 EUR monatlich.

Der Antragsgegner hat am 07.01.2015 Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts eingelegt. Die Nachzahlung der Witwenrente sei wie eine Einkommensteuererstattung zu behandeln und auf sechs Monate aufzuteilen. Außerdem sei der zwischenzeitliche Verbrauch der Nachzahlung nicht nachgewiesen oder glaubhaft gemacht worden. Die Antragstellerin sei bei ihrer Vorsprache auf die Angemessenheitsgrenze der Miete (347,05 EUR Bruttokaltmiete aufgrund eines aufwändigen schlüssigen Konzepts) hingewiesen worden und könne nicht anschließend einen Mietvertrag unterzeichnen, der diese Grenze deutlich überschreite.

Die Antragstellerin hat auf die Beschwerde erwidert, dass die Nachzahlung nur im Monat September 2014 als Einkommen angerechnet werden könne. Der gesonderte Mietvertrag für die Wohnung sei im Juli 2014 mündlich vereinbart worden und später lediglich schriftlich fixiert worden. Außerdem sei der Leistungsbezug durch die Rentennachzahlung unterbrochen worden; im September 2014 habe keine Hilfebedürftigkeit bestanden. Deshalb sei die Schonfrist von sechs Monaten nicht anwendbar. Auf Anforderung des Gerichts hat die Antragstellerin Kontoauszüge für die Zeit von 30.07.2014 bis 12.01.2015 übermittelt. Daraus ergibt sich eine Einmalzahlung der Rentenversicherung in Höhe von 5.385,63 EUR im September, eine Barabhebung von 1.045,- EUR am nächsten Tag und eine weitere Barabhebung von 4.250,- EUR am 24.09.2014. Am 16.01.2015 wies der Kontostand ein Guthaben von 1.177,- EUR aus. Eine Zahlung der laufenden Miete ist den Kontoauszügen nicht zu entnehmen. Darüber hinaus beantragte die Antragstellerin Prozesskostenhilfe.

Ein Folgeantrag auf Leistungen ab 01.02.2015 wurde nicht gestellt. Jedoch enthält der Ausführungsbescheid zum Beschluss des Sozialgerichts vom 07.01.2015 den Hinweis, dass zum 31.03.2015 ein Folgeantrag zu stellen sei.

Der Beschwerdeführer beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts München vom 17.12.2014 aufzuheben und den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abzulehnen.

Die Antragstellerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Beschwerde ist zu einem Teil auch begründet. Das Beschwerdegericht sieht insbesondere keinen Grund, der Antragstellerin für den Monat Februar 2015 vorläufig Leistungen zuzusprechen.

Wie das Sozialgericht zutreffend darlegt, begehrt die Antragstellerin den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG, der sowohl einen Anordnungsgrund (regelmäßig Eilbedürftigkeit) als auch einen Anordnungsanspruch (materieller Leistungsanspruch) voraussetzt. Beides muss glaubhaft sein.

Wie das Sozialgericht geht das Beschwerdegericht davon aus, dass die Nachzahlung der Witwenrente eine laufende Einnahme im Sinn von § 11 Abs. 2 Satz 1 SGB II ist. Diese Einordnung entspricht dem Urteil des BSG vom 21.12.2009, B 14 AS 46/08 R, Rn. 14. Im dortigen Fall erfolgte eine Nachzahlung von Arbeitslosenhilfe für die Monate November und Dezember 2004 im Januar 2005, die ausschließlich im Januar 2005 angerechnet wurde. Ob die Nachzahlung wegen § 2 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Alg II-V in der bis 30.09.2005 gültigen Fassung auch für einen späteren Zeitraum hätte angerechnet werden müssen (wohl schon wegen Zufluss in unterschiedlicher Höhe), hatte das BSG nicht zu entscheiden.

Nach Auffassung des Beschwerdegerichts ist die Nachzahlung der Witwenrente gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3, § 11 Abs. 3 S. 1 und 3 SGB II auf sechs Monate aufzuteilen. Obwohl die Nachzahlung der Witwenrente als laufende Einnahme zu betrachten ist, handelt es sich nicht um eine Einnahme, die der Antragstellerin in monatlichen Zeitabständen zufließt. Die Nachzahlung ist der Klägerin nur ein einziges Mal zugeflossen. Es geht um die Einstufung dieser Nachzahlung, nicht um die Beurteilung der regelmäßigen Rentenzahlungen.

Selbst wenn man die Nachzahlung der Rente zusammen mit den laufenden Rentenzahlungen betrachten würde und einen monatlichen Zufluss bejahen würde, wäre § 2 Abs. 3 Alg II-V anwendbar mit entsprechender Aufteilung der Nachzahlung. Diese Vorschrift gilt neben § 11 SGB II. Nach Satz 1 dieser Vorschrift ist bei laufenden Einnahmen, von denen zu erwarten ist, dass sie im Bewilligungszeitraum in unterschiedlicher Höhe zufließen, ein monatliches Durchschnittseinkommen zu Grunde zu legen. Die Nachzahlung und die laufenden Rentenzahlungen sind von unterschiedlicher Höhe und sie erfolgten im Bewilligungszeitraum. Dann ist gemäß § 2 Abs. 3 Satz 2 Alg II-V ein Durchschnittseinkommen zu berücksichtigen. Dies führt hier zum selben Ergebnis, der bedarfsdeckenden Anrechnung von Einkommen bis Februar 2015, wie die Anwendung von § 11 Abs. 3 SGB II.

Die Nachzahlung der Witwenrente ist von September 2014 bis Ende Februar 2015 als Einkommen anzurechnen. Zu einer Verschiebung um einen Monat nach § 11 Abs. 3 Satz 2 SGB II kommt es nicht, weil für September 2014 noch keine Leistungen ohne Berücksichtigung der Rentennachzahlung erbracht wurden.

Der Verbrauch der Rentennachzahlung ist nicht glaubhaft. Die Antragstellerin hat lediglich Kontoauszüge vorgelegt, die Barabhebungen in beträchtlicher Höhe belegen. Eine Verwendung für Schulden ist nicht erkennbar. Es ist schon nicht nachvollziehbar, dass Schulden entstanden sind. Die Antragstellerin hat erst im August 2014 Arbeitslosengeld II beantragt, obschon die Rente erst im September 2014 bewilligt wurde. Obwohl der Beschwerdeführer den Verbrauch der 5.385,- EUR bestritten hat, hat die Antragstellerin hierzu keine Nachweise vorgelegt. Im erstinstanzlichen Eilverfahren wurden Verbrauchsnachweise entgegen der Ankündigung nicht vorgelegt. Eine vorläufige Leistungsgewährung für Februar 2015 scheidet im Übrigen auch aus, weil kein Anordnungsgrund erkennbar ist. Die Antragstellerin verfügte am 16.01.2015 über eine Guthaben von 1.177,- EUR. Hinzu wird im Februar eine Überweisung der laufenden Witwenrente von 454,12 EUR kommen.

Die Antragstellerin wurde laut Beschwerdeführer anlässlich ihrer Antragstellung im August - i.Ü. auch im Bescheid vom 08.10.2014 - auf die Mietobergrenzen hingewiesen. Dann endet die Schonfrist im Februar 2015. Eine Unterbrechung des Leistungsbezugs kann eine Deckelung nach § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II bei Umzug am gleichen Ort beseitigen (BSG, Urteil vom 09.04.2014, B 14 AS 23/13 R, Rn. 18), nicht die Kenntnis von der Mietobergrenze und die Kostensenkungsobliegenheit bei dauerhaft nicht existenzsicherndem Einkommen. Nach dem Urteil des BSG vom 17.12.2009, B 4 AS 19/09 R, Rn. 17, schadet diese Kenntnis sogar bei Anmietung einer zu teuren Wohnung vor dem Leistungsbezug. Der Antragstellerin ist also anzuraten, sich schnellstens um eine günstigere Wohnung zu bemühen.

Der Bescheid vom 08.10.2014trifft eine Regelung für den Zeitraum von August 2014 bis Januar 2015. Ein Folgeantrag wurde noch nicht gestellt. Wegen des Hinweises im Ausführungsbescheid, dass erst ab 31.03.2015 ein Folgeantrag nötig sei, kann dies der Antragstellerin im Eilverfahren nicht angelastet werden.

Für März 2015 geht das Beschwerdegericht von einem Regelbedarf von 399,- EUR und einem Unterkunftsbedarf von 427,05 EUR aus. Davon ist die um 30,- EUR bereinigte Rente mit einem Betrag von 424,12 EUR als Einkommen abzuziehen. Es verbleiben rund 402,- EUR an Leistungsanspruch.

Das Gericht ist nicht in der Lage, im Eilverfahren zu überprüfen, ob das im Auftrag des Antragsgegners erstellte Konzept zu den Unterkunftskosten schlüssig ist. Vom Ansatz der Tabellenwerte des § 12 WoGG plus 10 % (hier 358,- EUR bei Mietstufe IV plus 35,80 EUR) zuzüglich der Heizkosten von 80,- EUR, zusammen 473,80 EUR sieht das Beschwerdegericht ab. Im Eilverfahren ist auch bei existenzsichernden Leistungen ein Abschlag von der vollen Leistung möglich (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05, Rn. 26).

Obwohl der Verbrauch der Rentennachzahlung nicht glaubhaft ist, sieht das Beschwerdegericht davon ab, auch die vorläufige Leistungsgewährung in den Monaten Dezember

2014 und Januar 2015 aufzuheben. Ob die Rentennachzahlung tatsächlich verbraucht wurde, wird im Hauptsacheverfahren zu klären sein.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. Die Antragstellerin hat erstinstanzlich Leistungen für einen nicht genannten Zeitraum unter Berücksichtigung der tatsächlichen Miete begehrt. Im Beschwerdeverfahren hat sie lediglich die Zurückweisung der Beschwerde beantragt. Für Februar 2015 hat sie nunmehr keine Leistungen erhalten, die Unterkunftskosten wurden gekürzt. Eine Kostenquote von zwei Drittel jeweils für beide Instanzen erscheint angemessen.

Der Antragstellerin ist Prozesskostenhilfe gemäß § 73a SGG i.V.m. § 114 ff Zivilprozessordnung (ZPO) ohne Ratenzahlung zu gewähren. Sie verfügt nicht über ausreichendes Einkommen oder einzusetzendes Vermögen nach § 115 ZPO. Die hinreichende Aussicht auf Erfolg ist gemäß § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht zu prüfen, weil der Gegner das Rechtsmittel eingelegt hat. Wegen der Schwierigkeiten der Rechtsfragen und der Bedeutung der Angelegenheit war antragsgemäß Rechtsanwalt B. nach § 121 Abs. 2 ZPO beizuordnen.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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