L 1 KR 246/12

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 76 KR 448/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 246/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Das sichere Wissen, nach einer Rückkehr in das Inland Behandlungsleistungen in Anspruch nehmen zu müssen, reicht für die Anwendung des § 52a SGB V nicht aus.
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. April 2012 sowie der Bescheid der Beklagten vom 13. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Februar 2011 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass kein Leistungsausschluss nach § 52a SGB V seit dem 29. Juni 2010 wegen der Erkrankungen Infektion und entzündliche Reaktion durch eine Gelenkendoprothese, Diabetes mellitus und Gicht eingetreten ist. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Kläger Leistungsansprüche gegen die Beklagte hat.

Der im Dezember 1935 geborene Kläger legte bis 1990 im Inland Pflichtbeitragszeiten zur Rentenversicherung wegen abhängiger Beschäftigung zurück. Während dieser Zeit war er bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. 1990 verzog er nach Thailand, wo er keine Krankenversicherung hatte. Seit dem 1. Januar 2001 erhielt er von der damaligen Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Regelaltersrente nach Thailand in Höhe von zunächst 1.428,23 DM.

Im Jahr 2005 erlitt der Kläger in Thailand eine Schenkelhalsfraktur. Daraufhin wurde ihm dort eine Totalendoprothese eingesetzt. Der Eingriff führte zu Komplikationen. Seitdem litt der Kläger wegen der Gelenkendoprothese an einer chronischen Fistel mit Ausfluss von Eiter sowie an Infektionen und entzündlichen Reaktionen.

Am 29. Juni 2010 kehrte der Kläger nach Berlin zurück. Er hatte sich vorher mit Schreiben vom 18. Juni 2010 an das Erzbischöfliche Ordinariat B mit der Bitte um Unterstützung gewandt und dabei angegeben, dass er wegen eines Oberschenkelhalsbruchs gehbehindert sei. Am 30. Juni 2010 stellte er sich zur Versorgung in der Charité vor, wo er am 1. Juli 2010 aufgefordert wurde, bei der Beklagten wegen des Bestehens einer Pflichtversicherung vorzusprechen. Seit dem 2. Juli 2010 war der Kläger in dem Pro Seniore Krankenheim Mstraße aufgenommen und meldete sich mit dortigem Wohnsitz am 14. Juli 2010 behördlich an. Er beantragte bei der Beigeladenen Leistungen der Sozialhilfe, die sie ihm mit Bescheid vom 24. September 2010 ab dem 2. Juli 2010 gewährte.

Mit Begrüßungsschreiben vom 4. August 2010 wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass er ab dem 14. Juli 2010 ihr Mitglied sei. Mit Bescheid vom 6. August 2010 setzte sie Beiträge zur Krankenversicherung in Höhe von 126,95 EUR fest, welche sie auf der Grundlage der tatsächlich bezogenen Rente in Höhe von 800,29 EUR und einem Auffüllbetrag bis zu dem Mindesteinkommen für freiwillig Versicherte errechnete. Die Beiträge aus der Rente wurden vom Rentenversicherungsträger einbehalten und abgeführt, der auf den Auffüllbetrag entfallenden Beitragsanteil jeweils von dem Beigeladenen an die Beklagte überwiesen.

Vom 30. Juli 2010 bis zum 15. Oktober 2010 wurde der Kläger wegen seines Hüftgelenks im S G Krankenhaus behandelt. Die Beklagte sandte ihm ein Anhörungsschreiben vom 24. August 2010, mit dem sie darauf hinwies, dass nach § 52a SGB V kein Anspruch auf Leistungen bestehe, die missbräuchlich in Anspruch genommen würden. Ein Missbrauch liege insbesondere vor, wenn Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland lediglich begründet wurde, um Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch zu nehmen. Durch Bescheid vom 13. September 2010 sprach die Beklagte einen Leistungsausschluss für die bei dem Kläger zum Zeitpunkt seiner Einreise nach Deutschland bestehenden Erkrankungen aus. Das betraf die Erkrankungen Infektion und entzündliche Reaktion durch eine Gelenkendoprothese, Diabetes Mellitus und Gicht. Der Kläger erhob Widerspruch, mit dem er insbesondere geltend machte, dass das Anhörungsscheiben ihn wegen seines Krankenhausaufenthaltes nicht erreicht habe.

Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 9. Februar 2011 zurück. Die Inanspruchnahme der gesetzlichen Krankenversicherung sei missbräuchlich, wenn die Anspruchsverschaffung mit dem Wertgefüge des Sozialsystems nicht in Einklang zu bringen sei. Zwar habe der Kläger das Recht, jederzeit von außen nach Deutschland zurückzukehren und seinen Wohnort frei zu wählen. Dies führe jedoch nicht zwangsläufig zu Leistungsansprüchen gegen die gesetzliche Krankenversicherung: Aus dem Pro Seniore Krankenheim sei bestätigt worden, dass Grund der Rückkehr des Klägers nach Deutschland vor allem die dauernde Entzündung und die hierdurch hochgradige einschränkende Gehfähigkeit war. Nachdem der Kläger sich in Thailand nicht mehr habe medizinisch versorgen können und auch offensichtlich nicht versichert gewesen sei, sei die Rückkehr nach Deutschland erfolgt, um medizinische Leistungen in Anspruch zu nehmen. Daraus ergebe sich der Missbrauch. Die erste Behandlung sei bereits am 30. Juni 2010 / 1. Juli 2010 erfolgt. Die Absicht der Inanspruchnahme ergebe sich bereits aus dem Umstand der Behandlungsbedürftigkeit. Der Kläger habe die Rückkehr nach Deutschland ganz konkret an Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung geknüpft. Er habe nach eigenen Angaben keine Kontakte (Bekannte oder Verwandte) in Deutschland gehabt. Daraus folge zwingend der Leistungsausschluss. Ein Ermessen stehe der Beklagten bei der Anwendung der Vorschrift nicht zu.

Mit der am 22. Februar 2001 bei dem Sozialgericht Berlin eingegangenen Klage begehrt der Kläger die Aufhebung des Bescheides vom 13. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Februar 2011 und die Feststellung, dass kein Leistungsausschluss eingetreten ist.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 24. April 2012 abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide seien rechtmäßig. Ausreichend für eine Anhörung sei, dass der Kläger im Widerspruchsverfahren ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt und diese Möglichkeit auch wahrgenommen habe. Die Voraussetzungen für einen Leistungsausschluss nach § 52a SGB V lägen vor. Nach der genannten Vorschrift bestehe kein Anspruch auf Leistungen, wenn sich Personen in den Geltungsbereich des SGB V begeben, um in einer Versicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V oder aufgrund dieser Versicherung in einer Versicherung nach § 10 SGB V missbräuchlich Leistungen in Anspruch zu nehmen. Das Nähere sei durch Satzung der Krankenkasse zu regeln. Der Kläger habe sich in den Geltungsbereich des SGB V begeben, um missbräuchlich Leistungen von der Beklagten in Anspruch zu nehmen. Er sei gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V seit dem 29. Juni 2010 pflichtversichert, weil er keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall hatte und zuletzt gesetzlich versichert war. Vor seiner Ausreise nach Thailand sei der Kläger bei der Beklagten gesetzlich versichert gewesen. Die Versicherungspflicht sei auch nicht ausgeschlossen, weil er Empfänger laufender Leistungen nach dem SGB XII sei. Zwar seien durch Bescheid vom 21. September 2010 rückwirkend ab dem 2. Juli 2010 Leistungen nach dem 7. Kapitel SGB XII bewilligt worden. Zu diesem Zeitpunkt sei der Kläger bereits nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V gesetzlich versichert gewesen. Denn die Mitgliedschaft beginne mit dem ersten Tag ohne anderweitigen Anspruch auf Absicherung gegen Krankheit im Inland. Der Kläger sei bereits am 29. Juni 2010 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und habe hier seinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Zu diesem Zeitpunkt habe er noch keinen anderweitigen Anspruch gehabt. Daran ändere nichts, dass ihm rückwirkend ab dem 2. Juli 2010 Leistungen nach dem 7. Kapitels des SGB XII bewilligt wurden, womit grundsätzlich eine Versorgung im Krankheitsfall nach § 264 SGB V einhergehe. Soweit gesetzlich bestimmt sei, dass die Mitgliedschaft der in § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V genannten Personen mit Begründung eines anderweitigen Anspruches auf Absicherung im Krankheitsfall ende, gelte das nicht für Mitglieder, die Empfänger von Leistungen nach dem 3., 4., 6. und 7. Kapitel des SGB XII seien.

Die Kammer sei nach den in der mündlichen Verhandlung abgegebenen Erklärungen davon überzeugt, dass der Kläger sich in den Geltungsbereich des SGB V begeben habe, um Leistungen missbräuchlich in Anspruch zu nehmen. Die Gesetzesbegründung stelle darauf ab, dass die Vorschrift die Fälle erfasse, in denen Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland lediglich begründet werde, um Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch nehmen zu können (Hinweis auf BT-Drucks 16/3100, S. 108). Das missbräuchliche Handeln bestehe gerade in dem Versuch, durch den Inlandsaufenthalt Versicherungsschutz zu erlangen und daraus Leistungen zu beziehen. Würden weitere Motive für den Inlandsaufenthalt hinzutreten, sei problematisch, ob § 52a SGB V angewandt werden könne. Das Wort "missbräuchlich" beinhalte keine zusätzlichen Anforderungen sondern verdeutliche nur die in dem Finalsatz enthaltene Struktur. Die Kammer sei davon überzeugt, dass die Behandlung unter Leistungsinanspruchnahme der Beklagten das einzige Motiv des Klägers für seine Rückkehr nach Deutschland gewesen sei. Der Kläger habe selbst angegeben, wegen seiner Verletzung zurückgekehrt zu sein. Er habe nämlich in der mündlichen Verhandlung gesagt, dass er ohne Krankheit wahrscheinlich in Thailand geblieben wäre. Dafür spreche auch die E-Mail der Mitarbeiter des Krankenheimes Pro Seniore, wonach sich der Kläger deswegen für die Rückkehr nach Deutschland entschieden habe, weil er wegen der andauernden Entzündung und der dadurch verursachten hochgradigen Einschränkung seiner Gehfähigkeit nicht mehr alleine zurechtkomme. Ebenso deute die Gesprächsnotiz mit dem Mitarbeiter der Beigeladenen vom 27. Juli 2011, wonach er angegeben habe, dringend behandlungsbedürftig zu sein, da er ansonsten sein Bein zu verlieren drohe, eindeutig darauf hin, dass er allein zum Zwecke der Behandlung seiner Hüfte nach Deutschland zurückgekehrt sei. Der Kläger sei aufgrund seiner finanziellen Verhältnisse nicht in der Lage gewesen, seine Erkrankung anders als durch eine Inanspruchnahme der Beklagten behandeln zu lassen. Andere Motive, die den Kläger zur Rückkehr nach Deutschland bewegt haben könnten, seien nicht erkennbar. Es treffe nicht zu, dass er in Thailand keine Bindungen mehr gehabt habe. Nach seinen eigenen Angaben habe er sich in Thailand im Laufe der dort verbrachten Jahre fest verwurzelt und sich sehr wohl gefühlt. Obwohl seine Lebensgefährtin bereits 1998 verstorben sei, habe er nach seinen Schilderungen dort noch zwei gute Freunde gehabt. Zudem habe er sich sogar in Thai verständigen können und seien die Lebenshaltungskosten in Thailand wesentlich geringer gewesen als in Deutschland. Ein Leben, wie er es in Thailand geführt habe, hätte er sich Deutschland nicht leisten können. Er sei auch nur einmal nach Deutschland zurückgekehrt, nämlich im Jahr 1999, um ein neues Visum zu beantragen. Soweit der Kläger angegeben habe, dass eine Cousine von ihm in Leipzig lebe, habe das nach Überzeugung der Kammer seinen Entschluss zur Rückkehr nicht beeinflusst. Dagegen spreche nämlich, dass er sie bisher trotz seiner Rückkehr vor bald zwei Jahren nicht besucht habe. Auch gegenüber dem Erzbistum B habe er per Fax unmittelbar vor seinem Abflug mitgeteilt, dass er Hilfe benötige, weil er allein stehend sei, keine Eltern oder Verwandte oder sonstige Kontakte in Deutschland habe. Soweit der Kläger angebe, dass er sein kulturelles Interesse hier ausleben könne und es für ihn in Deutschland bequemer sei, ändere das nichts an der Einschätzung der Kammer, dass er mit dem Ziel einer Behandlung seiner Hüfte nach Deutschland zurückgekommen sei. Die Kammer gehe insoweit davon aus, dass der Kläger die weiteren Vorzüge erst für sich entdeckt habe, nachdem er wieder in Deutschland lebte. An seiner Absicht ändere schließlich nichts, dass der Kläger nicht mehr vorhabe, wieder nach Thailand zurückzukehren. Denn die völlige Aufgabe des ausländischen Wohn- oder Aufenthaltsortes stehe der Missbrauchsabsicht nicht entgegen.

Gegen das ihm am 23. Mai 2012 zugestellte Urteil richtet sich die am 19. Juni 2012 bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingegangene Berufung des Klägers. Das Sozialgericht habe lediglich festgestellt, dass er - der Kläger - sich auch in den Geltungsbereich des SGB V begeben habe, um Leistungen missbräuchlich in Anspruch zu nehmen. Das widerlege, dass die Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen der ausschließliche Grund für die Rückkehr gewesen sei. Missachtet habe das Sozialgericht auch, dass bei Heimkehr von deutschen Staatsangehörigen kein Missbrauch angenommen werden könne, weil diese über ein verfassungsrechtlich verbürgtes Recht auf Rückkehr verfügten. Zudem habe das Sozialgericht versäumt, die Akten des Betreuungsverfahrens des Amtsgerichts C heranzuziehen und die dortigen Angaben über ihn - den Kläger - unter Berücksichtigung eines fachärztlichen Gutachtens zu bewerten, das von Frau Elena Stein am 13. November 2010 erstellt und in dem das Vorliegen eines leichten hirnorganischen Psychosyndroms auf dem Boden einer kombinierten Persönlichkeitsakzentuierung diagnostiziert worden sei. Er - der Kläger - sei nicht geschäftsfähig. Die dauerhafte Entzündung sei in Thailand nicht heilbar gewesen, weswegen die Rückkehr in die Heimat durch eine Hilfsorganisation ermöglicht worden sei. Zudem sei nicht geprüft worden, ob er - der Kläger - überhaupt in Thailand hätte bleiben können. Er sei nur im Besitz eines Touristenvisums gewesen, habe also keinen gesicherten rechtlichen Aufenthaltsstatus auf unbestimmte Zeit gehabt. Er sei im Jahr 2010 nach Deutschland zurückgekehrt, weil er großes Heimweh bekommen habe. Er habe einen Freund und eine Cousine in Leipzig, zu denen er bis heute regelmäßig die Kontakte pflegen würde. Ihm sei es ein großes Bedürfnis gewesen, wieder in seiner Muttersprache zu kommunizieren. Er habe gewusst, dass er nicht ganz gesund war und es ihm psychisch nicht gut ginge und sei sich sicher gewesen, dass es ihm zuhause besser gehen werde, weil seine Wurzeln doch in Deutschland lägen. Diese Umstände hätten dann schließlich überwogen und auch zu der Entscheidung geführt, seine sozialen Kontakte in Thailand hinter sich zu lassen. Über mögliche Behandlungen und den Lebensunterhalt habe er - der Kläger – in dieser emotionalen Situation nicht nachgedacht. Er habe schlicht nach Hause gewollt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. April 2012 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Februar 2011 aufzuheben und festzustellen, dass ein Leistungsausschluss nach § 52a SGB V seit dem 29. Juni 2010 wegen der Erkrankungen Infektion und entzündliche Reaktion durch eine Gelenkendoprothese, Diabetes mellitus und Gicht nicht besteht.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die im Verwaltungsvorgang betreffende Akte der Beklagten verwiesen, wie vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat Erfolg. Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 13. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Februar 2011 abgewiesen. Die Beklagte war nicht berechtigt, den Ausschluss des Klägers von einer Behandlung wegen der Diagnosen Infektion und entzündliche Reaktion durch eine Gelenkendoprothese, Diabetes Mellitus und Gicht auszusprechen.

Die angefochtenen Bescheide finden keine Rechtsgrundlage in § 52a SGB V. Nach dieser Vorschrift besteht nur dann kein Anspruch auf Leistungen, wenn sich Personen in den Geltungsbereich des SGB V begeben, um in einer Versicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V oder in einer von einer solchen Versicherung abgeleiteten Familienversicherung missbräuchlich Leistungen in Anspruch zu nehmen. Die Satzung der Beklagten enthält zu dieser Bestimmung keine näheren Vorgaben.

Die gesetzlichen Voraussetzungen eines Anspruchsausschluss sind nicht gegeben. Der Kläger war zwar nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V bei der Beklagten versichert. Denn er hatte keinen anderweitigen Anspruch auf Krankenversicherung und war zuletzt während seines Aufenthaltes in Deutschland gesetzlich krankenversichert. Der Aufenthalt in Thailand zählt insoweit schon deswegen nicht als erheblicher Wechsel des Versicherungsstatus, weil der Kläger dort nicht krankenversichert war. Auf die zwischen dem vorherigen Versicherung und dem Wiedereintritt verstrichene Zeit kommt es nicht an (Just in Becker/Kingreen, SGB V, 4. Aufl., § 5 Rn 66). Die Mitgliedschaft des Klägers bei der Beklagten begann nach § 186 Abs. 11 SGB V mit der Einreise des Klägers in das Inland am 29. Juni 2000. Die nachfolgende Bewilligung von Sozialhilfe durch Bescheid vom 21. September 2010 rückwirkend ab dem 2. Juli 2000 setzte nach dem Beginn der Versicherungspflicht ein und führte deswegen nicht nach § 190 Abs. 13 SGB V zu einer Beendigung der Mitgliedschaft bei der Beklagten.

Die Voraussetzungen des § 52a SGB V sind weiter insoweit erfüllt, als die Versicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V dadurch entstanden ist, dass der Kläger sich aus dem Ausland kommend in den Geltungsbereich des SGB V begeben hat. Allein die Tatsache, dass Anspruch auf Krankenbehandlung auf der Grundlage einer gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V im Anschluss an einen Auslandaufenthalt entstehenden Versicherungspflicht besteht, kann aber nicht ausreichen, um einen Anspruchsausschluss nach § 52a SGB V zu begründen. Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist dafür zusätzlich erforderlich, dass sich der Versicherte in den Geltungsbereich des SGB V begeben hat, um missbräuchlich Leistungen aus der Versicherung in Anspruch zu nehmen.

Nach der Vorstellung des historischen Gesetzgebers (BT-Drucks 16/3100 S. 108) soll durch § 52a SGB V die Solidargemeinschaft der Versicherten vor einer missbräuchlichen Inanspruchnahme von Leistungen durch Personen im Rahmen der neu eingeführten Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V geschützt werden. Erfasst werden sollen Fälle, in denen der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthalt in Deutschland lediglich begründet wird, um Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch nehmen zu können. In diesen Fällen sei es nicht gerechtfertigt, z.B. aufwändige hochtechnisierte Operationen wie Organtransplantation zu Lasten der Versichertengemeinschaft zu erbringen. Nicht von dem Leistungsausschluss betroffen sollen dagegen die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände erforderlichen ärztlichen und zahnärztlichen Behandlungsleistungen sein. Die Kommentar-Literatur versteht die Vorschrift verbreitet dahin gehend, dass eine missbräuchliche Absicht stets vorliege, wenn alleiniger Zweck der Wohnsitznahme in Deutschland die Inanspruchnahme von Leistungen der Krankenversicherung gewesen sei (KassKomm-Höfler, § 52a SGB V Rn 6; Krauskopf, § 52a SGb V Rn 8/9; Reyels in jurisPK SGB V, 2. Aufl., § 52a Rn 10). Weitere Bedeutung soll dem Tatbestandsmerkmal der Missbräuchlichkeit dabei nicht zukommen (Sonnhoff in Hauck/Noftz, SGB V § 52a Rn 9). Nach anderen Stimmen soll die Vorschrift ohne praktischen Anwendungsbereich sein (Lang in Becker/Kingreen, SGB V, 4. Aufl., § 52a Rn 4; Padé in Eichenhofer/Wenner, SGB V § 52 Rn 33). Darüber hinaus wird vertreten, dass bei einer Rückkehr von deutschen Staatsangehörigen aus dem Ausland das Vorliegen von Missbrauch stets zu verneinen sei, weil deutsche Staatsangehörige von Verfassung wegen das Recht zur Rückkehr in ihr Heimatland hätten (Linke, NZS 2008, S. 346 mit Fußnote 28).

Nach der Rechtsauffassung des Senats bezieht sich das Tatbestandsmerkmal der Missbräuchlichkeit schon sprachlich-grammatikalisch auf die Inanspruchnahme von Leistungen. Demnach kommt es nicht darauf an, ob der Versicherte sich mit Recht oder sonstigen guten Gründen in das Inland begeben hat, sondern ob die Inanspruchnahme von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung sachlich hinreichend gerechtfertigt erscheint. Der Gesetzesbegründung (a.a.O.) ist zu entnehmen, dass Maßstab für das Vorliegen eines Missbrauches die Abwehr von Belastungen der Solidargemeinschaft der Versicherten ist. Allerdings kann nicht jede Leistungspflicht als abzuwehrende Belastung angesehen werden, da es im Gegenteil gerade Aufgabe der Solidargemeinschaft gesetzliche Krankenversicherung ist, ihre Angehörigen bei Eintritt des Versicherungsfalles durch die Gewährung von Leistungen zu unterstützen. Auch nach der Gesetzesbegründung wird durch § 52a SGB V nicht jegliche Leistung der Krankenversicherung ausgeschlossen. Die Einstandspflicht für akute Erkrankungen und Schmerzustände wird vielmehr ausdrücklich bestätigt. Die dahinterstehende Erwägung ist offensichtlich, dass akute Erkrankungen und Schmerzzustände immer auftreten können, so dass für das Einstehenmüssen der Solidargemeinschaft in diesen Fällen ausreicht, dass sich ein Erkrankter zufällig gerade in dem räumlichen Geltungsbereich des SGB V befindet. Werden aber über eine Akutbehandlung hinausgehende Leistungen in Anspruch genommen, erscheint die Inanspruchnahme der gesetzlichen Krankenversicherung sachlich nur angemessen, wenn bereits über den zufälligen Aufenthalt im Inland hinausgehende Beziehungen zu der Versichertengemeinschaft aufgebaut worden sind oder zumindest in Zukunft noch aufgebaut werden. Die Inanspruchnahme von über eine Akutbehandlung hinausgehenden Versicherungsleistungen erscheint so nur dann missbräuchlich, wenn dafür nicht als Gegenleistung auch entsprechende Versicherungsbeiträge über einen längeren Zeitraum entrichtet werden. Eine solche Konstellation wäre etwa gegeben, wenn ein Patient sich erstmals anlässlich einer aufwändigen Krankenbehandlung im Inland aufhält und dieses nach Abschluss der Behandlung wieder verlässt. Solche Fälle haben dem Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung bei Einführung der Vorschrift auch vor Augen gestanden.

Vorliegend nimmt der Kläger aber nicht nur die Leistungen der Solidargemeinschaft gesetzliche Krankenversicherung in Anspruch. Er hat bereits in der Vergangenheit, bevor er nach Thailand ausgereist ist, langjährig Beiträge zur deutschen Sozialversicherung entrichtet und tut dies nach seiner Rückkehr nach Deutschland weiter. Gemäß §§ 227, 240 Abs. 3 SGB V muss er wie ein freiwillig Versicherter Beiträge aus seiner Rente entrichten. Es ist nicht absehbar, dass diese Beitragspflicht jemals wieder infolge einer Ausreise des Klägers aus Deutschland zum Erliegen kommen wird. Der Kläger ist damit (wieder) langfristig Teil der Versichertengemeinschaft geworden. Nach Auffassung des Senats liegt aus diesem Grund schon objektiv keine missbräuchliche Inanspruchnahme der Beklagten vor. Auf die Frage, welche subjektiven Anforderungen an das Vorliegen einer solchen Absicht zu stellen wären, kommt es dann nicht an. Ohne das Vorliegen eines objektiven Missbrauchstatbestands kann es keine missbräuchliche Inanspruchnahme geben. Allein die unzutreffende Vorstellung eines Versicherten, die Solidargemeinschaft der Versicherten über Gebühr auszunutzen, berechtigt eine Krankenkasse auch nach der Rückkehr des Versicherten aus dem Ausland nicht dazu, ihm Leistungen zu versagen.

Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass ein auf die Inanspruchnahme von Leistungen auf der Grundlage einer Versicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V gerichteter Vorsatz dem Kläger schon deswegen nicht nachgewiesen werden kann, weil dieser Vorsatz auch das Wissen umfassen müsste, nach § 5 Abs.1 Nr. 13 SGB V (wieder) Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung zu sein (Padé in Eichenhofer/Wenner, SGB V § 52 Rn 13). Selbst unter dem Gesichtspunkt einer Parallelwertung in der Laiensphäre kann dem Kläger ein solches Wissen nicht unterstellt werden. Der Kläger hatte sich vor seiner Rückkehr nach Deutschland nicht an die Beklagte, sondern an die Kirche gewandt. Nach Aktenlage wurde er erst in der C darauf aufmerksam gemacht, dass seine Mitgliedschaft bei der Beklagten bestehen kann. Er selbst hatte also keine Kenntnis davon, dass er nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V versicherungspflichtig wurde. Dadurch wird widerlegt, dass er nach Deutschland zurückkehrte, um auf der Grundlage dieses Versicherungspflichttatbestandes Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch zu nehmen. Gegen die Annahme, dass er allein deswegen nach Deutschland zurückgekehrt ist, um Behandlungsleistungen in Anspruch zu nehmen, spricht weiter, dass der Kläger schon in Thailand behandelt worden ist. Bereits vor dem Sozialgericht hat er angegeben, dass er nicht wegen der besseren medizinischen Versorgung nach Deutschland zurückgekommen ist, sondern weil er davon ausging, dass seine Wunde im deutschen Klima besser heilen würde.

Angesichts der langjährigen Verbundenheit mit den deutschen Lebensverhältnisses kann zudem nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger in Kenntnis der bei ihm bestehenden gesundheitlichen und altersbedingten Einschränkungen zurückkehrte, weil ihm für seinen Lebensabend eine Anpassung an die ihm von Kindheit an bekannten deutschen Verhältnisse schlicht weniger aufwendig erschien.

Nach alledem waren auf die Berufung des Klägers hin das Urteil des Sozialgerichts sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufzuheben.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved