S 15 KR 368/14

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 15 KR 368/14
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Frage der Versorgung eines Jugendlichen mit einem Sesseldreirad.
Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Versorgung mit einem Sesseldreirad.

Der 1997 geborene Kläger leidet unter einer infantilen Cerebralparese mit eingeschränkter Mobilität und einem epileptischen Leiden. Er ist mit einem Rollstuhl, einem Rollator, einem Therapiedreirad und einem Speedy-Handbike versorgt.

Unter dem 14. Mai 2014 verordnete der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. C. dem Kläger ein Therapiefahrrad Modell X. mit elektrischer Unterstützung in patientengerechter Ausfertigung bei der Diagnose Hydrocephalus occulus, spastische Parese, wachstumsbedingte Neuversorgung. Das Sanitätshaus D. übersandte daraufhin der Beklagten einen Kostenvoranschlag für ein Therapiedreirad X. 2 mit Elektromotor zu einem Gesamtpreis von 6.284,64 EUR.

Die Beklagte beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Erstellung eines Gutachtens. Unter dem 5. Juni 2014 führte der Arzt für Orthopädie, Rheumatologie, Physikalische und Rehabilitative Medizin Dr. E. für den MDK aus, dass Fahrräder als Therapieräder nur für Kinder bei bestimmten medizinischen Indikationen als Leistungsgegenstand der gesetzlichen Krankenversicherung infrage kämen und dass Fahrräder mit Elektromotor zu den Freizeitgegenständen und Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens zählten, die nicht der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung unterlägen. Für den Behinderungsausgleich sei der Versicherte mit dem bewilligten Gehtrainer und Rollstuhl ausreichend versorgt. Für die Sicherung der ärztlichen Behandlung und Vermeidung einer Verschlimmerung sei das Produkt nicht erforderlich. Es sei nicht nach § 12 SGB V notwendig, sondern übersteige das Maß des Notwendigen.

Daraufhin lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 18. Juni 2014 die Kostenübernahme für die Versorgung des Klägers mit einem Liegefahrrad mit Elektrounterstützung ab. Zur Begründung führte sie aus, Liegefahrräder und Fahrräder mit Elektrounterstützung zählten zu den Freizeit- und Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens und fielen nicht in den Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung, wobei es sich bei dem beantragten Rad nicht um ein Therapierad im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung handele und der Kläger mit Gehtrainer, Rollstuhl und Speedy-Bike der Kläger gut versorgt sei, um auch seinen Außenaktivitäten entsprechend nachgehen zu können.

Hiergegen legte der Kläger unter dem 28. Juni 2014 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, bei dem beantragten Fahrrad handele es sich nicht um ein Liegefahrrad, sondern um ein Dreirad, das unter der Hilfsmittelnummer 22.51.02.0048 zu finden sei. Der Kläger entwickele bzw. verbessere durch Radfahren erheblich seinen Gleichgewichtssinn, was ihm wiederum auch beim Training mit dem Rollator zugute komme. Der Rollstuhl sowie das angepasste Speedy-Handbike und das Therapiedreirad seien zu klein geworden. Der Kläger habe sich bewusst für das sogenannte Sesseldreirad entschieden, weil er sich anderweitig wund sitze. Das beantragte Rad besitze einen tieferen Einstieg und eine deutlich niedrigere Kippgefahr. Zudem nehme der Kläger beim Treten eine rückenschonende Haltung ein. Ein elektrischer Antrieb sei unentbehrlich geworden. Der Kläger schaffe es immer weniger, die hügelige Landschaft zu bewältigen. Den einen oder anderen Freund im Dorf könne er ohne Hilfe der Eltern jetzt schon nicht mehr besuchen. Das alte Rad sei nicht aus Leichtmetall, sondern aus Stahl, wobei die Muskulatur des Klägers nicht proportional zum Körpergewicht wachse.

Die Beklagte holte daraufhin erneut ein sozialmedizinisches Gutachten des MDK ein. In seinem Gutachten vom 18. Juli 2014 führte der Arzt für Chirurgie/Unfallchirurgie Dr. F. für den MDK aus, bei dem begehrten Produkt der Firma G. handele es sich Sesseldreirad mit Freilaufnabe, 8-Gang-Schaltung, einer möglichen Elektrounterstützung sowie der Möglichkeit von behindertengerechter Zurüstung. Im vorliegenden Fall werde es mit einem zusätzlichen Elektromotor ausgestattet. Weiterhin könne nicht die Notwendigkeit einer Versorgung nachvollzogen werden. Nach dem Hilfsmittelverzeichnis kämen mehrspurige Fahrräder im Sinne von Therapierädern nur für Kinder bei bestimmten medizinischen Voraussetzungen als Leistungsgegenstand in Betracht. Bei dem Kläger bestehe eine medizinische Indikation. Eine Hilfsmittelversorgung mit Therapiedreirädern komme gemäß dem Hilfsmittelverzeichnis für Jugendliche ab einem gewissen Alter allerdings nicht mehr in Betracht. Hier diene dieses Produkt der Fortbewegung, ohne dass sie die hohen therapeutischen Anforderungen wie bei einem Kind erfüllten. Das begehrte Sesseldreirad X. 2 sei im Hilfsmittelverzeichnis unter der angegebenen Produktgruppe gelistet. Es handele sich jedoch zweifelsfrei auch um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, da es für jedermann erhältlich angeboten werde. Eine wachstumsbedingte Neuversorgung komme nicht mehr in Betracht, da der Kläger eine gewisse Altersgrenze, die bei Therapierädern bis zum 15. Lebensjahr reiche, nicht mehr erfülle. Die Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung sei auch nicht einzig durch ein Therapiedreirad möglich, wie das in der Entscheidung des Bundessozialgerichts aus dem Jahre 2010 der Fall gewesen sei. Vorliegend sei ausreichend und zweckmäßig die Ausführung der vertragsärztlichen Heilmittelbehandlung. Nach der Rechtsprechung des BSG seien von der Krankenkasse nur die notwendigen behinderungsgerechten Umbauten zu übernehmen. Mit Schreiben vom 23. Juli 2014 übersandte die Beklagte dem Kläger das Gutachten des MDK und teilte gleichzeitig mit, dass die Mehrkosten für eine behindertengerechte Zurüstung übernommen werden würden.

Mit Schriftsatz vom 25. August 2014 begründete der Kläger seinen Widerspruch weiter und berief sich auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 7. Oktober 2010 (B 3 KR 5/10 R), wo die Notwendigkeit des Therapiedreirades auch bei Erwachsenen bestätigt werde. Ausgeführt werde in diesem Zusammenhang insbesondere, dass das Therapiedreirad zur Sicherung der Krankenbehandlung diene und ebenso wirksame aber kostengünstigere Alternativen nach den Feststellungen des Landessozialgerichts nicht zur Verfügung stünden. Das Therapiedreirad stelle ein im Rahmen der Krankenbehandlung erforderliches Hilfsmittel zur Mobilisation des Widerspruchsführers dar und trage im Wesentlichen dazu bei, dass die körperliche Leistungsfähigkeit verbessert, die Restfunktion mobilisiert und die Ausdauer und Belastungsfähigkeit erhöht würden. Die Situation sei bei dem Kläger in gleicher Art und Weise zu beurteilen.

Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 1. Oktober 2014 zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass serienmäßig hergestellte Liegedreiräder, die auch von Gesunden benutzt würden, als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens anzusehen seien und nur das angebotene behindertengerechte Zubehör im Einzelfall in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung falle, nämlich dann, wenn es dazu diene, das konventionelle Sesseldreirad X. 2 so umzurüsten und anzupassen, dass es von einem behinderten Menschen sicher und möglichst ohne fremde Hilfe beim Auf- und Absitzen benutzt werden könne und wenn die Benutzung in erster Linie dazu diene, dem Betroffenen den Nahbereich der Wohnung zu erschließen und nicht das Radfahren selbst zu ermöglichen. Eine wachstumsbedingte Neuversorgung komme nicht in Betracht, da der Kläger die Altersgrenze für die Bewilligung von Therapierädern (ca. 15 Jahre) nicht mehr erfülle. Die Fortführung der vertragsärztlich verordneten Heilmittelbehandlung sei ausreichend und zweckmäßig. Eine Unterstützung der Fortbewegung für längere Wegstrecken sowie eine schnellere Fortbewegung zählten nicht zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung. Der Kläger sei mit Rollstuhl, Rollator und Orthesen ausreichend und zweckmäßig versorgt. Zudem könne nicht festgestellt werden, dass für das beantragte Dreirad eine besondere behindertengerechte Ausstattung oder Zurüstung erforderlich sei. Insofern könne ein handelsübliches Dreirad erworben werden, bei dem es sich damit um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handele, der von der Leistungspflicht der Beklagten ausgeschlossen sei.

Der Kläger hat am 14. Oktober 2014 Klage bei Sozialgericht Gießen erhoben.

Der Kläger trägt vor, dass das begehrte Sesseldreirad X. 2 mit Elektromotor kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens und nicht mit Liegefahrrädern vergleichbar sei. Das Sesseldreirad sei dringend erforderlich, um den drohenden Verlust der Mobilität des Klägers zu verhindern. Es biete dem Kläger die Möglichkeit, sich ohne fremde Hilfe fortzubewegen und gleichzeitig die Beinmuskulatur zu benutzen und deren Restleistungsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Der Kläger sei auf das beantragte Sesseldreirad dringend angewiesen, da er nur so ohne fremde Hilfe Freunde im Ort besuchen könne. Im Fall der Versagung wäre für den Kläger ein weitgehender Verlust der bis dahin erworbenen Autonomie und ein sozialer Rückzug zu befürchten. Der Erwerb eines PKW-Führerscheins komme für den Kläger aus medizinischen Gründen nicht in Betracht. Die Erhaltung der Mobilität und die damit verbundene Teilnahme am sozialen Leben sei ein Grundbedürfnis des Klägers, das von der Beklagten sicherzustellen sei. Außerdem werde durch die Nutzung des beantragten Sesseldreirades auch die Koordinationsfähigkeit des Klägers verbessert. Die Stärkung der Muskulatur führe zudem zu einer besseren Durchblutung und zu einer Minderung der Spastiken. Ohne die Nutzung des beantragten Gerätes sei ferner zu befürchten, dass der Kläger auch in Zukunft nicht mehr mit einem Rollator laufen können werde. Durch die entspannte Sitzhaltung auf dem Rad könne er seine Muskulatur stärken, ohne, wie beim Gehen am Rollator, sein gesamtes Körpergewicht zu spüren. Die Gefahr des Eintritts weiterer Spastiken werde so vermindert. Schließlich stärke das beantragte Gerät die Beinmuskulatur des Klägers und gewähre einen weiterhin aufrechten Gang. Bei Wegfall dieses Muskeltrainings sei eine Verschlechterung des Gangbildes zu befürchten.

Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Bescheides vom 18.06.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.10.2014 die Beklagte zu verurteilen, ihn mit dem beantragten Sesseldreirad X. 2 mit Elektromotor zu versorgen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bezieht sich auf ihre Ausführungen im Widerspruchsverfahren.

Entscheidungsgründe:

1. Die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1, Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) statthafte und auch im Übrigen zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Versorgung mit dem begehrten Sesseldreirad X. 2. Ein solcher Anspruch besteht weder nach krankenversicherungsrechtlichen noch nach sozialhilferechtlichen Maßstäben.

a) Der Kläger hat keinen krankenversicherungsrechtlichen Anspruch auf die Versorgung mit dem Sesseldreirad.

Nach § 33 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Dabei besteht ein Anspruch auf Versorgung im Hinblick auf die Erforderlichkeit im Einzelfall nur, soweit das begehrte Hilfsmittel geeignet, ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist und das Maß des Notwendigen nicht überschreitet; darüber hinausgehende Leistungen darf die Krankenkasse nach § 12 Abs. 1 SGB V nicht bewilligen. Hingegen ist weder die vertragsärztliche Verordnung (§ 73 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB V) des begehrten Hilfsmittels noch seine Listung im Hilfsmittelverzeichnis (§ 139 SGB V) verbindlich für die Leistungspflicht der Krankenkasse (BSG, Urteil vom 18.05.2011 - B 3 KR 12/10 R -, juris, Rn. 8).

Das Sesseldreirad ist nicht erforderlich im Sinne des § 33 SGB V und zudem als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens von der Leistungspflicht der Beklagten ausgeschlossen.

(1) Das begehrte Sesseldreirad ist nicht erforderlich, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen.

(a) Das begehrte Sesseldreirad ist nicht erforderlich, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern (§ 33 Abs. 1 Satz 1, 1. Variante SGB V).

Grundsätzlich fallen Maßnahmen oder Hilfen zur Bewegungsförderung nur ausnahmsweise in die Leistungszuständigkeit der Krankenkassen. Jedenfalls zur Krankenbehandlung im Sinne von §§ 27 Abs. 1, 28 Abs. 1 SGB V gehören in der Regel nur Maßnahmen mit Behandlungs- und Therapiecharakter, die einen eindeutigen Krankheitsbezug aufweisen (BSGE 85, 132, 138). Bloß allgemeine Maßnahmen der Erhaltung und Förderung der Gesundheit genügen diesen Anforderungen demgegenüber nicht, selbst wenn sie von qualifizierten Fachkräften unter ärztlicher Betreuung und Überwachung durchgeführt werden (BSG, Urteil vom 22.04.2009 - B 3 KR 5/08 R -, juris). Demgemäß fällt Sport, anders als Krankengymnastik oder physikalische Therapie, der in allgemeiner Weise den körperlichen oder psychischen Zustand positiv beeinflussen soll und bei dem der medizinische Zweck nicht überwiegt, nicht unter den krankenversicherungsrechtlichen Behandlungsbegriff (BSG, Urteil vom 22.04.2009 B 3 KR 5/08 R -, juris). Unabhängig von der Art der Behinderung weisen behinderte oder chronisch kranke Menschen eine ausgeprägte körperliche Inaktivität mit einer Vielzahl negativer Folgen auf, die mit dem Behindertensport angegangen werden soll; dementsprechend dient ärztlich verordneter Behindertensport in Gruppen nach der Rechtsprechung des BSG nicht unmittelbar der Therapie einer Krankheit, sondern soll wesentlich dazu beitragen, die körperliche Leistungsfähigkeit zu verbessern, Restfunktionen zu mobilisieren, die Ausdauer und Belastungsfähigkeit zu erhöhen und den Betroffenen bei der psychischen Bewältigung ihrer Krankheit und Behinderung sowie den Folgewirkungen zu helfen (BSG, Urteil vom 07.10.2010 - B 3 KR 5/10 R -, juris, Rn. 20). Bewegliche sächliche Mittel zur Förderung oder Ermöglichung der Mobilisation können in besonders gelagerten Fällen Hilfsmittel zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung im Sinne von § 33 Abs. 1 Satz 1, 1. Variante SGB V sein. Der Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung dient ein bewegliches sächliches Mittel, soweit es spezifisch im Rahmen der ärztlich verantworteten Krankenbehandlung eingesetzt wird, um zu ihrem Erfolg beizutragen (BSG, Urteil vom 07.10.2010 - B 3 KR 5/10 R -, juris, Rn. 21). Keinen ausreichend engen Bezug zu einer konkreten Krankenbehandlung weisen demgemäß diejenigen gesundheitsförderlichen Maßnahmen auf, die nur allgemein auf die Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit, die Mobilisierung von Restfunktionen des behinderten Menschen, die Erhöhung der Ausdauer und Belastungsfähigkeit sowie die Hilfe bei der Krankheitsbewältigung zielen; andernfalls bedürfte es nicht der besonderen Leistungstatbestände des SGB V; ein weitergehender spezifischer Bezug zur ärztlich verordneten Krankenbehandlung im Sinne von § 27 Abs. 1 SGB V kommt daher nur solchen Maßnahmen zur körperlichen Mobilisation zu, die in einem engen Zusammenhang zu einer andauernden, auf einem ärztlichen Therapieplan beruhenden Behandlung durch ärztliche und ärztlich begleitete Leistungserbringer stehen und für die gezielte Versorgung im Sinne der Behandlungsziele des § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V als erforderlich anzusehen sind; davon ist bei einer Hilfe zur körperlichen Betätigung, wie hier mit dem Sesseldreirad, nur dann auszugehen, wenn der Versicherte aufgrund der Schwere der Erkrankung dauerhaft Anspruch auf Maßnahmen der physikalischen Therapie hat, die durch das beanspruchte Hilfsmittel unterstützte eigene körperliche Betätigung diese Therapie entweder wesentlich fördert oder die Behandlungsfrequenz infolge der eigenen Betätigung geringer ausfallen kann und sich deshalb die Versorgung mit dem Hilfsmittel im Rahmen der Wahlmöglichkeit des Versicherten als wirtschaftlich darstellt (vgl. BSG, Urteil vom 07.10.2010 - B 3 KR 5/10 R -, juris, Rn. 21).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Der Einsatz des Sesseldreirades ist nicht Teil eines ärztlich verordneten komplexen therapeutischen krankheitsbezogenen Vorgehens, in dem das Hilfsmittel neben weiteren therapeutischen Maßnahmen, wie insbesondere einer regelmäßigen Krankengymnastik, zum Zwecke der Mobilisation und Verbesserung des Gangbildes, zur Minderung von Spastiken sowie zur Förderung des ansonsten gefährdeten Erhaltes der Gehfähigkeit eingesetzt wird und dies von den behandelnden Ärzten bei der Planung von Intensität und Häufigkeit der Krankengymnastik als weiteres Therapieelement berücksichtigt wird (vgl. BSG, Urteil vom 07.10.2010 - B 3 KR 5/10 R -, juris, Rn. 22).

(b) Das begehrte Sesseldreirad ist auch nicht erforderlich, um eine Behinderung auszugleichen (§ 33 Abs. 1 Satz 1, 3. Variante SGB V).

Während der sogenannte unmittelbare Behinderungsausgleich einen möglichst weitgehenden Ausgleich des Funktionsdefizits gebietet, geht es im Rahmen des sogenannten mittelbaren Behinderungsausgleichs, der die direkten und indirekten Folgen der Behinderung ausgleichen will, nicht um einen Ausgleich im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten eines nicht behinderten Menschen, da Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung allein die medizinische Rehabilitation ist (vgl. § 1 SGB V, § 6 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 5 Nr. 1 und 3 SGB Sozialgesetzbuch (SGB) Neuntes Buch (IX) – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – (SGB IX)), also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolges, um ein selbständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltages meistern zu können. Ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist daher von der gesetzlichen Krankenversicherung nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft, wozu das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnehmen, Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbständige Wohnen sowie die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums gehört (BSG, st. Rspr., z. B. Urteil vom 18.05.2011 - B 3 KR 12/10 R -, juris, Rn. 12 bis 13).

Nach Maßgabe dieser Grundsätze handelt es sich im vorliegenden Fall um den mittelbaren Behinderungsausgleich, weil durch das begehrte Hilfsmittel nicht das Gehen selbst ermöglicht wird, sondern lediglich die Folgen einer Funktionsbeeinträchtigung der Beine ausgeglichen werden sollen (vgl. BSG, Urteil vom 18.05.2011 - B 3 KR 12/10 R -, juris, Rn. 14). Das hier betroffene Grundbedürfnis auf Erschließung eines körperlichen Freiraums umfasst die Bewegungsmöglichkeit in der eigenen Wohnung und dem umliegenden Nahbereich, wobei Anknüpfungspunkt für die Reichweite des Nahbereichs der Wohnung der Bewegungsradius ist, den ein Nichtbehinderter üblicherweise zu Fuß zurücklegt, was dem Umkreis entspricht, der mit einem vom behinderten Menschen selbst betriebenen Aktivrollstuhl erreicht werden kann (BSG, Urteil vom 18.05.2011 B 3 KR 12/10 R -, juris, Rn. 15).

Das begehrte Sesseldreirad ist nicht erforderlich, um den Nahbereich in diesem Sinne zu erschließen, denn der Kläger ist mit seiner bisherigen Versorgung in der Lage, sich innerhalb der Wohnung und in dem beschriebenen Umkreis außerhalb der Wohnung zu bewegen. Daran ändert auch die hügelige Umgebung nichts, in der das Wohnhaus des Klägers liegt. Denn für die Bestimmung des Nahbereichs gilt ein abstrakter, von den Besonderheiten des jeweiligen Wohnortes unabhängiger Maßstab (BSG, Urteil vom 18.05.2011 - B 3 KR 12/10 R -, juris, Rn. 16). Ebenfalls unbeachtlich ist der Vorteil der begehrten Versorgung mit dem Sesseldreirad, der dazu führt, dass der Kläger lange Fahrradausflüge mit seinen Eltern durchführen kann. Denn der von der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewährleistende Basisausgleich umfasst nicht die Fähigkeit, weitere Wegstrecken, vergleichbar einem Radfahrer, Jogger oder Wanderer, zu bewältigen (BSG, Urteil vom 18.05.2011 - B 3 KR 12/10 R -, juris, Rn. 17). Die begehrte Versorgung mit dem Sesseldreirad eröffnet dem behinderten Menschen grundsätzlich ein dem Radfahren vergleichbare und somit über den nach den dargelegten Grundsätzen bestimmten Nahbereich hinausgehende Mobilität. Das Sesseldreirad ermöglicht auch keine besondere qualitative Verbesserung der Erschließung des Nahbereichs (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 18.05.2011 - B 3 KR 12/10 R -, juris, Rn. 22).

Es liegt auch keine Konstellation vor, in der andere Grundbedürfnisse, die eine über den Nahbereich hinausgehende Mobilität erfordern, anerkannt sind. Bei Kindern und Jugendlichen ist dies zur Integration in den Kreis Gleichaltriger sowie zur Erreichung von Ärzten und Therapeuten bei Bestehen einer besonderen gesundheitlichen Situation und zur Ermöglichung des Schulbesuches der Fall (vgl. BSG, Urteil vom 3.11.2011 - B 3 KR 4/11 R -, juris, Rn. 17).

Die Ermöglichung des Schulbesuches des Klägers ist nicht von der Versorgung mit dem Sesseldreirad abhängig. Dies hat die Mutter des Klägers im Rahmen der mündlichen Verhandlung ausdrücklich bestätigt.

Auch die Erreichbarkeit von Ärzten und Therapeuten hängt nicht von der Bewilligung des begehrten Sesseldreirads ab.

Schließlich ist eine Versorgung mit dem Sesseldreirad auch nicht zur Integration des Klägers in die Gruppe Gleichaltriger nötig. Zur Integration in den Kreis gleichaltriger Jugendlicher wäre das Sesseldreirad X. 2 nicht geeignet. Denn der Kläger ist aufgrund seines epileptischen Leidens auf die Anwesenheit einer Betreuungsperson angewiesen. Auch dies hat seine Mutter im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgetragen. Die notwendige Anwesenheit einer erwachsenen Begleitperson wird von Jugendlichen bei ihren Aktivitäten, mit denen sie gerade Selbständigkeit und Unabhängigkeit von Erwachsenen beweisen wollen, aber üblicherweise nicht akzeptiert, sodass ein entsprechendes Hilfsmittel nicht zur Integration erforderlich sein kann (BSG, Urteil vom 12.08.2009 - B 3 KR 11/08 R -, juris, Rn. 21).

Zudem hat der Kläger durch den Besuch der Behindertenschule relativ gute Möglichkeiten der sozialen Integration und Kommunikation, so dass die Durchführung von gemeinsamen Fahrradausflügen für die soziale Integration des Klägers von untergeordneter Bedeutung ist (vgl. BSG, Urteil vom 21.11.2002 - B 3 KR 8/02 R -, juris). Aufenthalte im Nahbereich sind mit dem Rollstuhl und gemeinsames Familienleben bei Ausfahrten mit dem Auto das ganze Jahr möglich, womit der erforderliche Basisausgleich ausreichend gewährleistet ist (vgl. BSG, Urteil vom 12.08.2009 - B 3 KR 11/08 R -, juris, Rn. 23).

(2) Einem Versorgungsanspruch des Klägers steht es zudem entgegen, dass es sich bei dem begehrten Sesseldreirad um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handelt.

Die Einordnung als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens hängt davon ab, ob ein Gegenstand bereits seiner Konzeption nach den Zwecken des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V dienen soll oder - falls dies nicht so ist - den Bedürfnissen erkrankter oder behinderter Menschen jedenfalls besonders entgegenkommt und von körperlich nicht beeinträchtigten Menschen praktisch nicht benutzt wird (BSG, Urteil vom 7.10.2010 - B 3 KR 5/10 R - juris, Rn. 25). Danach gehören etwa serienmäßig hergestellte Liegedreiräder, die auch von gesunden Menschen genutzt werden, zu den allgemeinen Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens, während individuell angefertigte Konstruktionen, die von gesunden Menschen üblicherweise nicht benutzt werden, keine allgemeinen Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens sind (BSG, Urteil vom 7.10.2010 - B 3 KR 5/10 R -, juris, Rn. 25).

Das Sesseldreirad X. 2 ist keine Sonderanfertigung, sondern ein serienmäßig hergestelltes Sesseldreirad. Die von der Beklagten vorgelegte Produktbeschreibung lässt nicht erkennen, dass das Sesseldreirad speziell für die Bedürfnisse behinderter Menschen konzipiert ist. Es wird dort vielmehr unter dem Stichwort Einsatzbereich als "Straßenfahrrad" bezeichnet. Nach der Beschreibung auf der Homepage des Herstellers G. belaste die spezielle Radfahrhaltung des X. Dreirades den Rücken, die Schulter und die Handgelenke weniger, nahezu jeder radele mit diesem Rad einfach los, ohne sich vorher daran gewöhnen zu müssen. Das Rad sei u. a. geeignet für Erwachsene, die Gleichgewichtsprobleme hätten und die komfortabel Radfahren wollten. Auch aus dieser Beschreibung ergibt sich, dass das X. Dreirad nicht speziell für die Bedürfnisse behinderter Menschen konzipiert ist, sondern in der Grundausstattung zum Gebrauch durch nichtbehinderte Menschen bestimmt ist und daher einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens bildet (in diesem Sinne LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.3.2004 - L 4 KR 39/03 -, juris, Rn. 90) ...

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass das begehrte Sesseldreirad im Hilfsmittelverzeichnis aufgeführt ist. Ebenso wenig wie das Hilfsmittelverzeichnis eine abschließende, die Leistungspflicht der Krankenkasse im Sinne einer Positivliste beschränkende Regelung ist (BSG, Urteil vom 24.05.2006 B 3 KR 16/05 R, juris, Rn. 18), kann eine Aufführung des Dreirades in dem Hilfsmittelverzeichnis einen Anspruch unabhängig von den Voraussetzungen des § 33 SGB V begründen und auch nicht fingieren, dass das begehrte Dreirad kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens in diesem Sinne wäre.

Nicht streitgegenständlich ist die Versorgung mit einer behindertengerechten Zusatzausstattung. Eine solche hatte die Beklagte bereits im Vorverfahren zugesagt.

b) Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die begehrte Versorgung nach sozialhilferechtlichen Maßstäben.

Da die Beklagte als angegangener Leistungsträger den Leistungsantrag nicht innerhalb von zwei Wochen nach Eingang an einen aus ihrer Sicht zuständigen anderen Rehabilitationsträger weitergeleitet hat, war sie nach § 14 SGB IX gehalten, das Begehren nicht nur auf ihre originäre krankenversicherungsrechtliche Zuständigkeit hin, sondern auch unter allen sonstigen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen und bei Erfüllung der einschlägigen Tatbestandsvoraussetzungen zu erfüllen. Ein danach allein in Betracht kommender Anspruch nach sozialhilferechtlichen Maßstäben besteht allerdings ebenfalls nicht.

Nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (SGB XII) erhalten Personen, die durch eine Behinderung wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange Aussicht besteht, dass deren Aufgabe erfüllt werden kann. Nach § 53 Abs. 3 Satz 1 SGB XII ist es besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe, die Folgen einer Behinderung zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern (§ 53 Abs. 3 Satz 2 SGB XII).

Das Sesseldreirad ist indes nicht erforderlich, um den Kläger in die Gesellschaft einzugliedern und eine Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern. Voraussetzung dafür ist, dass der Behinderte nicht oder nicht in ausreichendem Maß an der Gesellschaft teilhat (vgl. BSG, Urteil vom 2.2.2012 - 8 SO 9/10 R -, juris, Rn. 27; Luthe, in: jurisPK-SGB IX, § 55 Rn. 17, Stand: 1.5.2015). Die Teilhabeleistungen müssen erforderlich und geeignet sein (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 4.12.2013 - L 4 P 28/08 -, juris, Rn. 50). Zudem muss sich das Bedürfnis, das mit der Eingliederungshilfe befriedigt werden soll, regelmäßig und nicht nur vereinzelt stellen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.9.2012 - L 2 SO 1378/11 -, juris). Ziel der steuerfinanzierten sozialen Fürsorgeleistungen ist der Schutz vor sozialer Ausgrenzung aus wirtschaftlichen Gründen (Bayerisches LSG, Urteil vom 26.2.2010 - L 8 SO 55/09 -, juris, Rn. 27; Luthe, in: jurisPK-SGB IX, § 58 Rn. 13, Stand: 1.5.2015).

Für einen Mangel an Begegnung und Umgang mit anderen (nichtbehinderten) Menschen liegen keine Anhaltspunkte vor (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 23.1.2013 - L 4 KR 7/10 -, juris, Rn. 53). Es droht nicht die Gefahr, dass der Kläger ohne das Sesseldreirad sozial ausgegrenzt wäre. Ohnehin kann sich der Kläger nur in Begleitung eines Betreuers mit dem begehrten Sesseldreirad fortbewegen.

c) Auch aus dem verfassungsrechtlichen Verbot der Benachteiligung behinderter Menschen in Artikel 3 Abs. 3 Satz 2 Grundgesetz ergeben sich keine weitergehenden Leistungsansprüche bei der Hilfsmittelversorgung. Zwar ist das Verbot einer Benachteiligung zugleich mit einem Auftrag an den Staat verbunden, auf die gleichberechtigte Teilnahme behinderter Menschen hinzuwirken. Diesem Auftrag zur Umsetzung und Konkretisierung hat der Gesetzgeber mit dem SGB IX Rechnung getragen, ohne dass damit der Auftrag als erledigt anzusehen wäre. Der fortbestehende Auftrag zur Ausgestaltung des Sozialstaatsgebots begründet aber keine konkreten Leistungsansprüche (BSG, Urteil vom 12.08.2009 - B 3 KR 11/08 R -, juris, Rn. 27).

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Rechtskraft
Aus
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