S 127 AS 32141/12

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
127
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 127 AS 32141/12
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
Empfänger von Leistungen zur Grundsicherung des Lebensunterhaltes haben keinen Anspruch auf ein Darlehen für die Kosten einer künstlichen Befruchtung.
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Kläger begehren die darlehensweise Übernahme der Kosten für eine künstliche Befruchtung durch den Beklagten.

Die in den Jahren 1984 und 1978 geborenen, seit 2012 verheirateten Kläger, beziehen vom Beklagten seit 2010 laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Mit Schreiben ihrer Krankenkasse, der B. GEK, vom 07. September 2012 erhielten sie eine Zusage zur Übernahme von 50% der Kosten für maximal drei Versuche einer künstlichen Befruchtung. Die Gesamtkosten pro Zyklusfall wurden für die Klägerin zu 2) auf 4.051,72 EUR und für den Kläger zu 1) auf 78,17 EUR geschätzt.

Mit Schreiben vom 13. September 2012 beantragten die Kläger beim Beklagten die Gewährung eines Darlehens zur Deckung des verbleibenden Eigenanteils an den Kosten einer künstlichen Befruchtung als unabweisbaren Bedarf nach § 24 Abs. 1 SGB II.

Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 17. September 2012 wies der Beklagte den Antrag zurück. Er führt aus, die Zahlung des Regelbedarfes erfolge pauschaliert, so dass eine gesonderte Übernahme des beantragten Bedarfes nicht möglich sei.

Hiergegen erhoben die Kläger mit Schreiben vom 19. September 2012 Widerspruch. Zur Begründung tragen sie vor, es entspreche weder der Wertung des Gesetzgebers noch dem Grundgesetz, die Frage, wie Leistungsempfänger den 50%igen Eigenanteil an den Kosten einer künstlichen Befruchtung aufbringen können, dahingehend zu beantworten, dass diese Personengruppe, wenn sie die Kosten nicht tragen könne, eben keine Kinder bekommen könne. Der Gesetzgeber habe vielmehr mit § 24 SGB II eine Möglichkeit geschaffen, derartige Problemlagen zu berücksichtigen. Da die genannte Personengruppe in der freien Wirtschaft keine Darlehenszusage erhalten würde, sei es sachgerecht, die hier erforderliche Sachleistung durch Kostenerstattung an die B. – GEK als Darlehen zu gewähren.

Mit Widerspruchsbescheid vom 30. November 2012 wies der Beklagten den Widerspruch als unbegründet zurück. Er begründete die Ablehnung damit, dass die Antragsteller seit längerer Zeit Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes bezogen haben und eine Ansparung möglich gewesen sei, so dass kein unabweisbarer Bedarf vorliege.

Am 12. Dezember 2012 haben die Kläger beim erkennenden Gericht Klage erhoben. Zur Begründung tragen sie ergänzend zu ihren Ausführungen im Widerspruchsverfahren vor, die Unabweisbarkeit des Bedarfs resultiere aus der gesetzgeberischen Entscheidung im SGB V, unabhängig von den Einkommensverhältnissen und ohne Ausnahmetatbestand nur 50% der Kosten für eine künstliche Befruchtung für erstattungsfähig zu erklären. Im Lichte auch von Art. 6 GG sei der Kinderwunsch sozialleistungsbeziehender Paare vom Sozialleistungsträger zu erfüllen. Nur mit einem Darlehen nach § 24 Abs. 1 SGB II erhielten Leistungsbezieher die gleichen Teilhaberechte an der Gesellschaft wie Nichtleistungsbezieher. Außerdem hätten die Kläger selbst zur Minimierung des Bedarfs beigetragen, in dem sie zur Krankenkasse BK. gewechselt sind, die 75 % der Kosten für eine Kinderwunschbehandlung übernehmen.

Die Kläger beantragen,

den Beklagten zu verurteilen, den Klägern unter Aufhebung des Bescheides vom 17. September 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. November 2012 ein Darlehen in Höhe von 2.210,98 EUR für die Durchführung einer künstlichen Befruchtung zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist auf den Vorgang und seinen Widerspruchsbescheid.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann über die Klage ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden werden, weil die Kammer der Auffassung ist, dass die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten hatten Gelegenheit, zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid Stellung zu nehmen.

Die Klage ist zulässig aber unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 17. September 2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. November 2012 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten. Die Kläger haben keinen Anspruch auf ein Darlehen über 2.210,98 EUR.

Die Voraussetzungen für einen Anspruch nach § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB II liegen hier nicht vor. Denn bei den begehrten Kosten für eine künstliche Befruchtung handelt es sich zur Überzeugung der Kammer nicht um einen vom Regelbedarf umfassten Bedarf.

Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB II erbringt die Agentur für Arbeit bei entsprechendem Nachweis ein Darlehen, wenn im Einzelfall ein vom Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf nicht gedeckt werden kann.

Kosten für eine künstliche Befruchtung sind schon nicht vom Regelbedarf umfasst, denn dieser umfasst nach § 20 SGB II insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie sowie persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens. Zu den persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens gehört zwar auch in vertretbarem Umfang eine Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft. Hiervon sind die Kosten für eine künstliche Befruchtung aber nicht umfasst. Denn es sind nicht, wie die Kläger meinen, gleiche Teilhaberechte an der Gesellschaft wie für Nichtleistungsbezieher zu schaffen, sondern diese Teilhaberechte sind an einen "vertretbaren Umfang" geknüpft. Die Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung gehören in Anbetracht der Kosten für eine Behandlung von über 4.000 EUR pro Zyklus (und einem Eigenanteil von über 1.000 EUR bis 2.000 EUR) nicht mehr zu einem vertretbaren Umfang.

Darüber hinaus besteht keine Unabweisbarkeit des geltend gemachten Bedarfs. Unabweisbar kann im Sinne des Grundsicherungsrechts wegen der Subsidiarität dieses Leistungssystems ein medizinischer Bedarf grundsätzlich nur dann sein, wenn nicht die gesetzliche Krankenversicherung oder Dritte zur Bedarfsdeckung verpflichtet sind. Werden Aufwendungen für eine medizinisch notwendige Behandlung aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen, kann grundsätzlich ein Anspruch auf eine Mehrbedarfsleistung entstehen (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 12. Dezember 2013 – B 4 AS 6/13 – Rn. 22, recherchiert unter www.bundessozialgericht.de). Vorliegend handelt es sich aber schon nicht um eine medizinisch notwendige Behandlung im Sinne von § 27 SGB V. Die Kostentragung der Krankenkasse zu 50 % ist daher gesondert in § 27 a Abs. 3 Satz 3 SGB V geregelt. Die gegen diese beschränkte Kostenübernahme der Krankenkassen gerichtete Verfassungsbeschwerde wurde mit Beschluss vom 27. Februar 2009 nicht zur Entscheidung angenommen – vgl. Beschluss des BVerfG vom 27. Februar 2009 – 1 BvR 2982/07 – recherchiert unter www.beck-online.de. Nach dieser Entscheidung liegt eine Verletzung des Rechts auf Familiengründung und eines Rechts auf Nachkommenschaft unter Berufung auf Art. 6 Abs. 1, 2 Abs. 1 und 1 Abs. 1 GG bei nur begrenzter Kostenübernahme nicht vor. Das Bundesverfassungsgericht habe bereits dargelegt, dass aus der staatlichen Pflicht zum Schutz von Ehe und Familie keine verfassungsrechtliche Verpflichtung des Gesetzgebers entnommen werden könne, die Entstehung einer Familie durch medizinische Maßnahmen der künstlichen Befruchtung mit dem Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung zu fördern. Nichts anderes kann für den Träger der Grundsicherungsleistungen gelten.

Unabweisbar ist ein Bedarf außerdem immer nur dann, wenn es sich um einen unaufschiebbaren Bedarf handelt, der erheblich ist, also nicht durch Mittelumschichtungen finanziert werden kann (vgl. von Böttcher/Münder in LPK-SGB II, 5. Auflage, § 24 Rn. 9). Der geltend gemachte Bedarf war und ist nicht unaufschiebbar. Die anteiligen Kosten für eine künstliche Befruchtung durch die Krankenkassen werden, wenn sie übernommen werden, bis zum 40. Lebensjahr für weibliche Versicherte übernommen (Umkehrschluss § 27 a Abs. 3 Satz 1 SGB V). Bei erstmaliger Antragstellung beim Beklagten hatten die Kläger damit mehr als sechs Jahre, heute noch mehr als drei Jahre, um die begehrten Leistungen anzusparen. Wenn das Darlehen – wie beantragt – vom Beklagten gewährt worden wäre, wären die Darlehensansprüche nach § 42a Abs. 2 Satz 1 SGB II ab dem Monat der auf die Auszahlung folgt, durch monatliche Aufrechnung in Höhe von 10 Prozent der maßgebenden Regelleistung getilgt worden. Hätten die Kläger diesen Betrag monatlich zurückgelegt, wäre der mit der Klage geltend gemachte Betrag längst angespart und die Fortführung der Klage entbehrlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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