S 15 KR 339/15 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 15 KR 339/15 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 292/15 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zur verspäteten Feststellung der Arbeitsunfähigkeit bei einem auf die Bewilligung um Krankengeld gerichteten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt die Bewilligung von Krankengeld im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.

Die 1968 geborene Antragstellerin bezog Arbeitslosengeld I und ab 28. Juli 2014 von der Antragsgegnerin Krankengeld. Am 30. April 2015 stellte der C. die fortdauernde Arbeitsunfähigkeit der Antragstellerin bis zum 31. Mai 2015 fest, woraufhin die Antragsgegnerin erneut Krankengeld zahlte. Am 1. Juni 2015 stellte der C. die Arbeitsunfähigkeit bis zum 30. Juni 2015 fest. Mit Schreiben vom 12. Juni 2015 lehnte die Antragsgegnerin eine Bewilligung von Krankengeld ab dem 1. Juni 2015 ab, weil zunächst nur bis zum 31. Mai 2015 die Arbeitsunfähigkeit nachgewiesen worden sei und aufgrund der ärztlichen Bestätigung vom 1. Juni 2015 ein Krankengeldanspruch erst ab dem 2. Juni 2015 entstehe. An diesem Tag sei die Antragstellerin aber nicht mehr mit Anspruch auf Krankengeld versichert gewesen.

Hiergegen legte die Antragstellerin am 24. Juni 2015 Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, es sei ihr am 29. Mai 2015 zeitlich nicht möglich gewesen, den Auszahlungsschein bei ihrem Hausarzt abzugeben und ausfüllen zu lassen, da die Hausarztpraxis freitags nur morgens geöffnet habe. An diesem Freitag habe sie zuerst zu ihrer eigenen Therapie und anschließend aufgrund der Krebserkrankung ihres Bruders zu einem Arztgespräch ins Krankenhaus gemusst. Ihr Bruder sei am 10. Juni 2015 verstorben.

Am 15. Juli 2015 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Gießen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt.

Zur Begründung wiederholt sie ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren. Ergänzend trägt sie vor, sie sei rückwirkend einschließlich des hier streitigen Freitages krankgeschrieben worden. Die Arbeitsunfähigkeit sei damit durchgehend festgestellt worden. Es könne nicht richtig sein, dass ein Krankengeldanspruch verloren gehe, nur weil es versäumt werde, sich für einen einzigen Tag krankschreiben zu lassen. Der Lebensunterhalt der Antragstellerin werde zur Zeit lediglich von dem Einkommen des Ehemannes (2.400 EUR netto) sichergestellt.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
die Antragsgegnerin vorläufig bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin über den 31. Mai 2015 hinaus Krankengeld in gesetzliche Höhe zu bewilligen.

Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.

Sie nimmt im Wesentlichen Bezug auf ihre Ausführungen im Widerspruchsverfahren.

Das Gericht hat einen Befundbericht bei dem C. eingeholt. In seinem Bericht vom 13. August 2015 hat er auf die Frage, ob die Antragstellerin im Zeitraum 29. Mai bis 31. Mai 2015 an einer auf Dauer angelegten Störung der Geistestätigkeit litt, die es ihr unmöglich machte, ihre Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen, ausgeführt, bei der Antragstellerin habe in diesem Zeitraum keine Geisteskrankheit im Sinne der ICD-Klassifikation oder des psychiatrischen Manuals vorgelegen. Es habe allerdings eine seelische und komplex-psychosomatische sowie in ihren Auswirkungen auch körperliche Ausnahmesituation vorgelegen, die auf die Alltagsfähigkeiten eine negative Beeinflussung wahrscheinlich mache. Genauso dürften Konzentrationsfähigkeit, Aufmerksamkeitsspanne und Merkfähigkeit reduziert gewesen sein. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit seien die höheren instrumentellen Fähigkeiten der Alltagsbewältigung verschlechtert bzw. eingeschränkt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Akte der Antragsgegnerin Bezug genommen, die der Entscheidung zugrunde gelegen haben.

II.

1. Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.

Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen nicht vor.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist damit, dass der Antragsteller einen materiell-rechtlichen Leistungsanspruch in der Hauptsache hat (Anordnungsanspruch) und es ihm nicht zuzumuten ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (Anordnungsgrund). Die tatsächlichen Voraussetzungen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung ZPO ). Ist bei existenzsichernden Leistungen, die von Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip erfasst werden, eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, ist die Eilentscheidung anhand einer Folgenabwägung zu treffen (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05, juris, Rn. 25).

a) Es liegt bereits kein Anordnungsanspruch vor.

Die Antragstellerin hat keine Tatsachen glaubhaft gemacht, die einen Krankengeldanspruch ab dem 1. Juni 2015 begründen könnten. Denn dazu sie hätte spätestens am 31. Mai 2015 ihre fortdauernde Arbeitsunfähigkeit ärztlich feststellen lassen müssen. Am 1. Juni 2015 war sie hingegen nicht mehr mit einem Krankengeldanspruch versichert.

Nach § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Gemäß § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V entsteht der Krankengeldanspruch von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt. Die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit am 1. Juni 2015 kann mithin nur einen Krankengeldanspruch ab dem 2. Juni 2015 begründen.

Die Antragstellerin bedurfte ab dem 1. Juni 2015 der Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes durch den Bezug von Krankengeld. Denn die Mitgliedschaft bleibt nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V nur erhalten, solange der Anspruch auf Krankengeld besteht. § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V verweist damit wieder auf die Vorschriften über den Krankengeldanspruch, die ihrerseits voraussetzen, dass ein Versicherungsverhältnis mit dem Anspruch auf Krankengeld vorliegt. Um diesen Anforderungen zu genügen, ist es erforderlich, dass der Versicherte spätestens am letzten Tag des Versicherungsverhältnisses mit Krankengeldanspruch – hier der durch den Krankengeldanspruch bis 31. Mai 2015 aufrechterhaltenen Mitgliedschaft – alle Voraussetzungen erfüllt, um spätestens mit Ablauf dieses Tages einen (fortdauernden) Krankengeldanspruch entstehen zu lassen (vgl. BSG, Urteil vom 16.12.2014 - B 1 KR 37/14 R -, juris, Rn. 12). Die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit hat mithin nicht nur für die Entstehung, sondern auch für das Fortbestehen und die Beendigung des Krankengeldanspruches Bedeutung (BSG, Urteil vom 16.12.2014 - B 1 KR 37/14 R -, juris, Rn. 13). Die Arbeitsunfähigkeit der Antragstellerin wurde jedoch erst am 1. Juni 2015 festgestellt, sodass der Krankengeldanspruch erst am 2. Juni 2015 wieder entstehen konnte. Ab dem 1. Juni 2015 war sie jedoch nicht mehr mit Krankengeldanspruch versichert.

Die Antragstellerin hat nicht alles in ihrer Macht stehende getan, um eine ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit zu erhalten. Sie hätte sich insbesondere bemühen müssen, am Freitagnachmittag bei einem anderen Arzt die Arbeitsunfähigkeit feststellen zu lassen (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 16.12.2014 - B 1 KR 19/14 R -, juris, Rn. 18). Eine Hinweispflicht der Krankenkasse auf die Obliegenheit einer rechtzeitig vor Ablauf des bereits festgestellten Arbeitsunfähigkeitszeitraumes festzustellenden weiteren Arbeitsunfähigkeit besteht nicht (BSG, Urteil vom 16.12.2014 - B 1 KR 19/14 R -, juris, Rn. 17). Mithin liegt der Grund für die verspätete Feststellung allein im Risikobereich der Antragstellerin.

Auch wenn die Leistungsvoraussetzungen im Übrigen zweifelsfrei gegeben sind, ist die Gewährung von Krankengeld prinzipiell ausgeschlossen, wenn der Versicherte die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit nicht rechtzeitig vor Fristablauf ärztlich feststellen lässt (BSG, Urteil vom 16.12.2014 - B 1 Kr 37/14 R -, juris, Rn. 19).

Etwas anderes gilt nur, wenn der Antragsteller aufgrund Geschäfts- oder Handlungsunfähigkeit an einer rechtzeitigen Wiedervorstellung gehindert war, wofür er die objektive Beweislast trägt (BSG, Urteil vom 16.12.2014 - B 1 KR 37/14 R -, juris, Rn. 24). Eine solche Situation ist allerdings zumindest nicht hinreichend wahrscheinlich. Aus dem Vortrag der Antragstellerin ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine Handlungs- oder Geschäftsunfähigkeit. Eine solche kann auch nicht aus dem Befundbericht vom 13. August 2015 hergeleitet werden. Darin wird kein Zustand einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit beschrieben, die es unmöglich machen würde, Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen leiten zu lassen. Störungen in der Willensstärke, der Konzentrationsfähigkeit oder ähnliche Umstände reichen nicht aus, um eine Geschäftsunfähigkeit zu begründen.

Es ist schließlich weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die Antragstellerin einen nachgehenden Anspruch auf Krankengeld nach § 19 Abs. 2 SGB V haben könnte. Ein solcher nachgehender Anspruch setzt voraus, dass kein anderweitiger Krankenversicherungsschutz besteht, insbesondere einer solcher nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 oder § 10 SGB V (BSG, Urteil vom 16.12.2014 - B 1 KR 37/14 R -, juris, Rn. 31), die vorliegend beide in Betracht kommen, aber jeweils keinen Krankengeldanspruch begründen können (§ 44 Abs. 2 Nr. 2 SGB V).

b) Es besteht auch kein Anordnungsgrund.

Für den Zeitraum vom 1. Juni bis zum 14. Juli 2015 folgt dies bereits daraus, dass im Wege der einstweiligen Anordnung prinzipiell nur Leistungen ab Eingang des Antrages bei Gericht zugesprochen werden können, weil eine einstweilige Anordnung nur zur Abwehr einer gegenwärtigen Notlage ergehen kann (vgl. LSG Darmstadt, Beschluss vom 22.06.2011 - L 7 AS 700/12 B -, juris).

Auch im Übrigen hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht, dass ein Abwarten des Hauptsacheverfahrens unzumutbar und der Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Abwehr einer gegenwärtigen existenziellen Notlage nötig wäre. Insbesondere hat sie die Anfrage des Gerichts nach Sparvermögen der Antragstellerin, das einstweilen zur Sicherstellung des Lebensunterhaltes eingesetzt werden könnte, nicht beantwortet. Ob daneben der Umstand, dass der Ehemann einen monatlichen Nettolohn von 2.400 EUR verdient, einem Anordnungsgrund bereits entgegensteht, kann offen bleiben.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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