S 105 R 6718/14

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
105
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 105 R 6718/14
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid der Beklagten, mit dem diese die Gewährung einer Witwenrente für die Vergangenheit aufhebt und die Rückzahlung der geleisteten Rente verlangt.

Sie ist die Witwe des am 1920 geborenen und am 1993 verstorbenen L. Auf ihren entsprechenden Antrag bewilligte ihr die Beklagte mit Bescheid vom 3. Juni 1993 große Witwenrente ab dem 1. April 1993. Auf Seite 3 findet sich unter der Überschrift Mitteilungspflichten unter anderem ein Hinweis mit dem Wortlaut: "Die Rente fällt mit Ablauf des Monats der Wiederheirat weg. Daher besteht die gesetzliche Verpflichtung, uns eine Wiederheirat unverzüglich mitzuteilen."

Mit Bescheid vom 30. April 1996 wurde die große Witwenrente neue berechnet. Auf Seite 3 findet sich unter der Überschrift Mitteilungspflichten unter anderem ein Hinweis mit dem Wortlaut: "Die Rente fällt mit Ablauf des Monats der Wiederheirat weg. Daher besteht die gesetzliche Verpflichtung, uns eine Wiederheirat unverzüglich mitzuteilen."

Am Dezember 1998 heiratete die Klägerin Herrn. Die Eheschließung fand im Rathaus von im County of Santa Barbara im Staat Kalifornien der USA statt. Über die Heirat wurde eine Urkunde aufgenommen, die mit "Our marriage ceremony" überschrieben ist. Sie endet mit den Worten "BY VIRTUE OF THE AUTHORITY VESTED IN ME ALS COMMISSIONER OF MARRIAGES, I PRONOUNCE THAT YOU ARE HUSBAND AND WIFE”. Unterschrieben wurde die Urkunde mit dem Namen Jerilyn McGraw und der Bezeichnung "Commissioner of Civil Marriage, County of Santa Barbara, State of California". Ferner erhielt die Klägerin eine Urkunde mit der Bezeichnung "Marriage Certificate", die von derselben Person unterschrieben wurde.

Die Klägerin teilte der Beklagten die Eheschließung nicht mit. Durch die schriftliche Anzeige einer E vom 3. Dezember 2012 erlangte die Beklagte davon Kenntnis und nahm daraufhin Ermittlungen auf, in deren Verlauf die Klägerin die Urkunde mit der Überschrift "Our marriage ceremony" einreichte und vortrug, sie habe angenommen, dass diese Ehe nur in den USA wirksam sei.

Mit Bescheid vom 19. August 2013 hob die Beklagte den Rentenbescheid vom 3. Juni 1993 in der Fassung des Bescheides vom 30. Juni 1996 mit Wirkung ab dem 1. Oktober 2013 auf. Hiergegen ist ein Rechtsbehelf nicht eingelegt worden.

Mit Schreiben 19. August 2013 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass der Anspruch auf Witwenrente ab dem 1. Januar 1999 entfallen sei. Sie – die Beklagte – beabsichtige, den Bescheid vom 3. Juni 1993 in der Fassung des Bescheides vom 30. April 1996 mit Wirkung ab dem 1. Januar 1999 nach § 48 SGB X aufzuheben und die im Zeitraum vom 1. Januar 1999 bis zum 30. September 2013 aufgelaufene Überzahlung in Höhe von 148.692,71 EUR gemäß § 50 SGB X zurückzufordern. Sie wies darauf hin, dass die Klägerin trotz der in den Bescheiden vom 3. Juni 1993 und 30. April 1996 erteilten Hinweise die Wiederheirat nicht mitgeteilt habe. Die Beklagte wies ferner darauf hin, dass es für die Entscheidung über die Aufhebung erheblich sein könnte ob dadurch unbillige Härten entstehen, insbesondere wenn Sozialleistungen von anderen Stellen wegen der Rentenzahlung nicht in Anspruch genommen worden sind und nachträglich nicht mehr erlangt werden könnten. Der Klägerin wurde Gelegenheit gegeben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.

Mit Schriftsatz vom 15. September 2013 nahm die Klägerin Stellung und teilte mit, dass die Erschließung erforderlich gewesen sein, um ein Grundstück erwerben zu können. Sie habe angenommen, dass in den USA geschlossene Ehen nur bei Anwesenheit von zwei Zeugen wirksam seien. Weiter sei die Klägerin darüber unterrichtet worden, dass solche Ehen in Deutschland gesondert anerkannt werden müssten. Sie verfüge über zwei Altersrenten in Höhe von 218,68 EUR und 96,12 EUR, ferner über ein Sparguthaben in Höhe von ca. 89.000 EUR sowie eine Eigentumswohnung.

Mit Bescheid vom 13. November 2013 hob die Beklagte den Rentenbescheid vom 3. Juni 1993 in der Fassung des Bescheides vom 30. Juni 1996 ab dem 1. Januar 1999 unter Berufung auf § 48 SGB X auf und setzte einen Rückzahlungsbetrag in Höhe von 148.692,71 EUR fest. Zur Begründung führte sie aus, dass die Klägerin am Dezember 1998 im US Staat Kalifornien wirksam geheiratet habe, wodurch die Voraussetzungen für die Gewährung einer Witwenrente ab dem 1. Januar 1999 entfallen seien. Die Ehe sei in Deutschland beachtlich, denn eine förmliche Anerkennung durch eine deutsche Behörde sei nicht erforderlich. Das ergebe sich aus den Vorschriften des internationalen Privatrechts. Die Klägerin könne sich auch nicht auf Vertrauensschutz berufen, denn sie sei ihren Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen. Auch im Ermessenswege sei von der Rückforderung nicht abzusehen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Bescheid Bezug genommen.

Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin mit Schriftsatz vom 3. Dezember 2013 Widerspruch, den sie im Wesentlichen damit begründete, dass ihr keine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei. Die Klägerin sei im Zeitpunkt der Heirat davon ausgegangen, dass die Ehe schon nach dem Recht des Staates Kalifornien nicht wirksam sei. Unter diesen Umständen habe sie keinen Anlass gehabt, die Beklagte davon zu unterrichten. Der angefochtene Bescheid lasse auch eine hinreichende Ausübung des Ermessens vermissen.

Mit Beschluss des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg, Abteilung für Familiensachen, vom 27. Mai 2014 (Az. , rechtskräftig seit dem 29. Juli 2014) wurde die Ehe der Klägerin mit Herrn H geschieden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 9. Dezember 2014 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Sie führte zur Begründung aus, dass sie berechtigt gewesen sei, die Bescheide über die Gewährung von Witwenrente für die Zeit vom 1. Januar 1999 bis zum 30. September 2013 aufzuheben und die Überzahlung in Höhe von 148.692,71 EUR zurückzufordern. Die Voraussetzung von § 48 SGB X lägen vor. Insbesondere habe die Klägerin grob fahrlässig ihre Mitwirkungspflichten verletzt. Über die Pflicht, eine Wiederheirat mitzuteilen sei sie sowohl in dem Bescheid von 1993 als auch in demjenigen von 1996 hinreichend informiert worden. Angesichts dieser Hinweise hätte es nahe gelegen, der Beklagten die Wiederheirat mitzuteilen. Die Klägerin hätte sich Gewissheit darüber verschaffen müssen, ob die im Staat Kalifornien geschlossene Ehe Auswirkungen auf die Witwenrente hat. Die Beklagte sei im Interesse der Versichertengemeinschaft verpflichtet, zu Unrecht gezahlte Leistungen zurückzufordern. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Widerspruchsbescheid Bezug genommen.

Am 22. Dezember 2014 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht erhoben, mit der sie ihr Begehren verfolgt. Sie trägt im Wesentlichen vor, dass die Beklagte das Vorliegen eines atypischen Falles verkannt habe. Dieser sei gegeben, wenn der Betroffene infolge des Wegfalls derjenigen Leistungen, deren Bewilligung rückwirkend aufgehoben wurde, im Nachhinein hilfebedürftig würde.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 13. November 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Dezember 2014 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen

Sie verteidigt die angefochtenen Bescheide und führt ergänzend aus, dass ihr insbesondere kein Ermessensfehler unterlaufen sei.

Die Klägerin ist im Termin zur mündlichen Verhandlung angehört worden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Niederschrift Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Kammer haben die Gerichtsakten und die die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidung geworden sind.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist als reine Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) statthaft und auch im Übrigen zulässig.

Die Klage ist jedoch unbegründet, wenn der Bescheid vom 13. November 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Dezember 2014 ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Rechtsgrundlage der angegriffenen Aufhebungsentscheidung ist § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 4 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X), dessen formale Voraussetzungen hier vorliegen. Die Klägerin ist mit Schreiben vom 19. August 2013 zu der beabsichtigten Aufhebung der Bewilligung von großer Witwenrente für den Zeitraum 1. Januar 1999 bis zum 30. September 2013 in Höhe von 148.692,71 EUR gemäß § 24 Abs. 1 SGB X angehört worden.

Die Aufhebungsentscheidung ist auch hinreichend bestimmt im Sinne von § 33 Abs. 1 SGB X. Die Bestimmtheitsanforderungen sind gewahrt, wenn die mit dem Verwaltungsakt getroffene Regelung, die verfügte Rechtsfolge, vollständig, klar und unzweideutig erkennbar ist (BSG vom 20. März 2013 - B 5 R 16/12 R - NZS 2013, 718 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind erfüllt, weil aus dem Bescheid ohne Weiteres erkennbar ist, für welchen Zeitraum und in welcher Höhe die Beklagte die Gewährung der Witwenrente aufhebt und welchen Erstattungsbetrag sie insgesamt verlangt.

Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 4 SGB X soll ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung vom Zeitpunkt des Eintritts einer wesentlichen Änderung der rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnisse, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, aufgehoben werden, wenn der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist bzw. wenn der Betroffene wusste oder grob fahrlässig nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch ganz oder teilweise zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.

Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen vor.

Der Bescheid der Beklagten über die Gewährung von großer Witwenrente vom 3. Juni 1993 in der Gestalt des Bescheides vom 30. April 1996 ist zunächst rechtmäßig gewesen. Er ist jedoch infolge einer wesentlichen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse materiell rechtswidrig geworden und hätte in dieser Form nicht mehr ergehen dürfen. Zum 1. Januar 1999 ist der Anspruch auf Gewährung von Witwenrente entfallen. Das ergibt sich aus § 46 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 100 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI). Danach besteht ein Anspruch auf Witwenrente nur, soweit die Witwe nicht wieder heiratet. Der Anspruch fällt mit dem Beginn des Monats nach der Wiederheirat weg. So liegt es hier, denn die Klägerin hat am Dezember 1998 Herrn H geheiratet, so dass ihr auch auf Witwenrente mit Ablauf des Monats Dezember 1998 entfallen ist.

Diese in , County of Santa Barbara, Staat Kalifornien, USA, geschlossene Ehe ist zur Überzeugung der Kammer auch in der Bundesrepublik Deutschland wirksam. Nach Art. 11 Abs. 1 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) in der vom 1. Oktober 1994 bis zum 16. Dezember 2009 geltenden Fassung ist ein Rechtsgeschäft formgültig, wenn es die Formerfordernisse des Rechts, das auf das seinen Gegenstand bildende Rechtsverhältnis anzuwenden ist, oder des Rechts des Staates erfüllt, in dem es vorgenommen wird. Es ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Voraussetzungen für die Eheschließung Kalifornien nicht erfüllt waren.

Aus der vorgelegten Heiratsurkunde ergibt sich nicht nur die Schließung der Ehe, sondern auch die Aussage der Standesbeamtin, dass sie die Klägerin und ihren Ehemann kraft des ihr verliehenen Amtes zu Mann und Frau erklärt hat. Der Umstand, dass lediglich ein Zeuge anwesend war, begründet keine Zweifel an der Wirksamkeit der Ehe. Nach § 422 lit. b) des Familiengesetzes von Kalifornien bescheinigt der Eheschließungsbeamte auf dem vorgeschriebenen Formblatt Name und Anschrift eines oder mehrerer Trauzeugen. Diese Vorschrift bedeutet im Umkehrschluss, dass jedenfalls ein Trauzeuge für die Gültigkeit einer Ehe hinreichend ist. Das Erfordernis von zwei Trauzeugen ergibt sich aus dem Gesetz gerade nicht. Im Übrigen kann dem Familiengesetz nicht entnommen werden, dass für die Wirksamkeit der Eheschließung die Eintragung in das dortige Register erforderlich ist. Schließlich deutet der Umstand, dass das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg (Abteilung für Familiensachen) die fragliche Ehe mit Beschluss vom 27. Mai 2014 geschieden hat, darauf hin, dass es sich um eine wirksame Ehe gehandelt hat, denn anderenfalls hätte sie nicht geschieden werden müssen. Zusammenfassend hat die Kammer also keinerlei Zweifel an der Wirksamkeit der von der Klägerin und Herrn H am Dezember 1998 geschlossenen Ehe.

Auf schützenswertes Vertrauen in den Bestand des Rentenbescheides kann die Klägerin sich nicht berufen, weil der Tatbestand von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 4 SGB X vorliegt

Die vorgenannte wesentliche Änderung der Verhältnisse hat die Klägerin der Beklagten unter schuldhafter Verletzung ihrer Mitteilungspflicht verschwiegen (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X). Eine entsprechende gesetzliche Mitwirkungspflicht besteht gemäß § 60 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I), der der versicherten Person die unverzügliche Mitteilung von Änderungen in den Verhältnissen abverlangt, die für die Leistung erheblich oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind. Dieser Pflicht zur Mitteilung der Wiederheirat ist die Klägerin nicht nachgekommen.

Die Verletzung der gesetzlichen Mitwirkungsverpflichtung ist nach Überzeugung der Kammer auch als mindestens grob fahrlässig zu bewerten.

Grob fahrlässig handelt nach der Legaldefinition in § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X, wer die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt. Dies ist dann der Fall, wenn der Betroffene bereits einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und das nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (vgl. BSG vom 8. Februar 2001, B 11 AL 21/00 R juris, Rn. 23). Bei der Beurteilung der groben Fahrlässigkeit ist nicht von einem objektiven, sondern von einem subjektiven Fahrlässigkeitsmaßstab auszugehen, wobei sich das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit sowie dem Einsichtsvermögen des Beteiligten richtet (vgl. BSG vom 20. September 1977, 8/12 RKg 8/76, juris Rn. 25). Die so umschriebene Sorgfaltspflichtverletzung muss sich sowohl auf das Bestehen der Mitteilungspflicht beziehen als auch auf das sie auslösende Ereignis (vgl. Steinwedel, in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 48 SGB X Rn. 43).

Der Klägerin war die Pflicht, die Wiederheirat anzuzeigen, bekannt. Jedenfalls hätte sie ihr bekannt gewesen sein müssen. Die Beklagte hat sie nämlich in den Bescheiden vom 3. Juni 1993 und 30. April 1996 darauf hingewiesen. Die Hinweises lauteten wie folgt: "Die Rente fällt mit Ablauf des Monats der Wiederheirat weg. Daher besteht die gesetzliche Verpflichtung, uns eine Wiederheirat unverzüglich mitzuteilen." Die in beiden Bescheiden identischen Hinweise sind in einfacher Sprache gehalten, so dass sie für jeden, der des Lesens kundig ist, verständlich sind. Insbesondere ist der Begriff der Heiratet und damit auch der Wiederheirat allgemein verständlich. Entgegen der Einschätzung der Klägerin sind die Hinweise in den Bescheiden auch nicht an versteckter Stelle angebracht worden. Zutreffend ist allerdings, dass die Bescheide unter der Überschrift Mitteilungspflichten eine Vielzahl von Hinweisen auf unterschiedliche Mitwirkungspflichten enthalten. Der Text ist jedoch durch Absätze hinreichend gegliedert, so dass die Hinweise auf die Wiederheirat aufzufinden und nicht zu überlesen sind. Auch grafisch sind die Hinweise nicht zu beanstanden. Sie sind in einer vergleichsweise großen Schriftart mit ausreichend Zeilenabstand gedruckt. Sie sind also nicht als sprichwörtliche Bleiwüste anzusehen, die schon dadurch vom vollständigen Lesen abhalten. Im Übrigen umfassen die Hinweise insgesamt nur eineinhalb Seiten. Eine derartige Lektüre ist jedem Empfänger eines Rentenbescheides nicht nur möglich, sondern auch zumutbar. Sollte die Klägerin die Hinweise nicht gelesen haben, so läge bereits darin eine besonders schwere Verletzung ihrer Sorgfaltspflicht. Soweit die Klägerin geltend macht, sie habe die am Dezember 1998 geschlossene Ehe für in Deutschland nicht wirksam gehalten, so vermag sie dies nicht zu entlasten. Selbst wenn dies zutreffend gewesen sein sollte, durfte dieser Umstand sie nicht davon abhalten, die Eheschließung der Beklagten anzuzeigen. Insbesondere hätte sie sich nicht auf ihre eigene rechtliche Wertung verlassen dürfen. Sie gibt ja selbst an, dass sie nicht über Rechtskenntnisse verfüg. Anders wäre es zu beurteilen gewesen, wenn die Klägerin hinsichtlich der Mitteilungspflicht durch einen Rechtsanwalt falsch beraten worden wäre. Eine derartige Beratung hat sie aber selbst nicht vorgetragen. Dass eine erneute Heirat mit dem Bezug einer Witwenrente nicht zu vereinbaren ist, ist nach Auffassung der Kammer so elementar, dass er jedem Laien verständlich ist. Nach ihren subjektiven Verhältnissen wäre die Klägerin nach Überzeugung der Kammer ohne weiteres in der Lage gewesen, ihrer Mitteilungspflicht nachzukommen. Die am Tag der mündlichen Verhandlung bereits 84 Jahre alte Klägerin war nicht nur äußerlich sehr gepflegt, was auf ein großes Interesse auf Teilnahme am Leben hindeutet, sondern auch wach und geistig rege. Sie dürfte nach dem Eindruck der Kammer zu den rüstigsten Menschen ihrer Altersgruppe gehören. Da Geisteskräfte im allgemeinen mit zunehmendem Alter nachlassen, ist der jetzige Eindruck, den die Klägerin hinterlassen hat, den Schluss darauf zu, dass sie im Jahre 1998 erst recht geistig hinreichend rege gewesen ist. Auch der sonstige Werdegang der Klägerin deutet nicht darauf hin, dass es ihr an Kritik- und Urteilsfähigkeit gefehlt hat. Zwar hat die Klägerin kein Studium absolviert und war auch überwiegend nicht berufstätig, doch entschied sie sich um 1998 und damit im Alter von weit mehr als 60 Jahren, in ein anderes Land, nämlich die USA, zu ziehen und dort auch eine Immobilie zu erwerben. Insbesondere ein solcher Schritt, den nur wenige Menschen gehen, deutet auf Mut und Selbstvertrauen hin, was mit einem Zustand, der einen Menschen daran hindert, seine sozialrechtlichen Mitteilungspflichten nicht zu erfüllen, nicht zu vereinbaren ist. Soweit die Klägerin den Eindruck zu erwecken sucht, sie sei eine eher unbedarfte Hausfrau gewesen, macht sie sich "kleiner" als sie tatsächlich ist. Zusammenfassend hat die Kammer keinerlei Zweifel daran, dass es der Klägerin subjektiv möglich gewesen ist, die Beklagte von der Wiederheirat in Kenntnis zu setzen.

Die Verletzung der Mitteilungspflicht ist vorliegend auch ursächlich für die Überzahlung der Beitragszuschüsse geworden. Die Kammer ist davon überzeugt, dass es zur Weitergewährung der Witwenrente über den 1. Januar 1999 nicht gekommen wäre, wenn die Klägerin der Beklagten die Wiederheirat pflichtgemäß mitgeteilt hätte bzw. dass die Beklagte die Gewährung dieser Leistungen eingestellt hätte, sobald die Mitteilung später erfolgt wäre. Dafür spricht nicht zuletzt das unmittelbare Tätigwerden der Beklagten nach tatsächlicher Kenntniserlangung von der Wiederheirat.

Neben den Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X liegen auch die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X vor. Der Klägerin ist hier zur Überzeugung der Kammer jedenfalls grob fahrlässig unbekannt geblieben, dass eine Wiederheirat einem weiteren Bezug von Witwenrente entgegensteht. Um dies zu wissen, muss man kein Jurist sein. Es leuchtet jedem Menschen ein, dass man nach einer erneuten Heirat gerade nicht mehr verwitwet ist.

Soweit die Aufhebungsentscheidung auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 4 SGB X gestützt werden kann, stehen dieser Entscheidung auch die weiteren Voraussetzungen des § 48 SGB X nicht entgegen. Namentlich sind ebenso die Jahresfrist nach § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X i.V.m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X gewahrt wie die absoluten Verfallsfristen nach § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X i.V.m. § 45 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1, Satz 4 SGB X.

Die Jahresfrist ist schon deshalb eingehalten, weil zwischen der Anzeige der Frau E, die am 5. Dezember 2012 bei der Beklagten eingegangen ist, und der Bekanntgabe des angefochtenen Bescheides vom 13. November 2013, der der Klägerin am 15. November 2013 zugegangen ist, weniger als ein Jahr liegt.

Gemäß Abs. 4 Satz 1 gilt u.a. § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 SGB X entsprechend. Nach § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Abs. 2 bis zum Ablauf von 10 Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden, wenn (1.) die Voraussetzungen des Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 gegeben sind oder (2.) der Verwaltungsakt mit einem zulässigen Vorbehalt des Widerrufs erlassen wurde. Nach Abs. 3 Satz 4 kann in den Fällen des Abs. 3 ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde.

Der Bescheid vom 3. Juni 1993 in der Fassung des Bescheides vom 30. April 1996 konnte auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren nach der Änderung der Verhältnisse (vgl. zur Frist: BSG vom 1. Juli 2010 - B 13 R 77/09 R, juris, Rn. 46 m.w.N.) durch die Wiederverheiratung am Dezember 1998 aufgehoben werden, weil Geldleistung bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens im Sinne des § 45 Abs. 3 Satz 4 SGB X gezahlt wurde. Die klagte zahlte die Witwenrente bis einschließlich September 2013 aus. Selbst wenn man für den Beginn des Verwaltungsverfahrens auf das Anhörungsschreiben vom 18. August 2013 abstellt, liegen die Voraussetzungen vor.

Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit - wie im vorliegenden Falle – insbesondere die Voraussetzungen der Nrn. 2 und 4 dieses Satzes vorliegen. § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X statuiert damit ein Regel-Ausnahme-Verhältnis. Der Regelfall ist die Aufhebung ab Eintritt der Änderung der Verhältnisse, während die Aufhebung (nur) für die Zukunft lediglich in einer besonderen Ausnahmesituation in Betracht kommen soll und nur in diesem Fall nach pflichtgemäßem Ermessen zu prüfen ist, ob von der Rücknahme für die Vergangenheit ganz oder teilweise abzusehen ist. Deshalb ist in den Fällen des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X neben den Tatbestandsvoraussetzungen auch zu prüfen, ob ein solchermaßen atypischer Fall vorliegt, der in Bezug auf die Sondersituation eine Ermessensentscheidung gebietet; das Vorliegen eines atypischen Falls ist durch die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit voll überprüfbar (zum Ganzen Schütze, in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 48 Rn. 20 m.w.N.).

Ein solchermaßen atypischer Fall liegt nach Überzeugung der Kammer nicht vor. Atypische Lagen sind vielmehr grundsätzlich anzuerkennen, wenn die Umstände des Einzelfalls im Hinblick auf die mit der rückwirkenden Aufhebung verbundenen Nachteile von den Normalfällen der Tatbestände des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 4 SGB X so signifikant abweichen, dass der Leistungsempfänger in besondere Bedrängnis gerät (BSG vom 6. November 1985 - 10 RKg 3/84 - BSGE 59, 111 = SozR 1300 § 48 Nr. 19). In diesem Sinne vermögen die Einkommens- und Vermögenslosigkeit des Betroffenen nicht ohne Weiteres einen atypischen Falle zu begründen. Auch liegt grundsätzlich kein Ausnahmefall vor, wenn zu bereits bestehenden Schulden weitere Schulden hinzutreten. Anderes kann nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts jedoch in solchen Situationen gelten, in denen ohne die zurückgeforderte Leistung ein Sozialhilfeanspruch hätte bestehen können und nachträglich nicht mehr geltend gemacht werden kann (BSG vom 23. März 1995 13 RJ 39/94 SozR 3-1300 § 48 Nr. 37).

Daran gemessen geht die Kammer nicht vom Vorliegen eines atypischen Falls aus. Für die Beurteilung der Atypik ist nicht entscheidend, ob die Klägerin im Zeitpunkt der Aufhebungsentscheidung sozialhilfebedürftig gewesen oder es sogar erst später geworden ist. Hintergrund der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist die Überlegung, dass derjenige, der ihm nicht zustehende Sozialleistungen erhalten hat, bei Nichtbezug dieser Leistungen aber Anspruch auf Sozialhilfe gehabt hätte, deshalb atypisch hart getroffen wird, weil er die Sozialhilfeansprüche, die ihm bei rechtzeitiger Klärung zugestanden hätten, für die Vergangenheit, d. h. für den Aufhebungszeitraum, nicht mehr geltend machen kann. Deshalb ist der für die Feststellung der Sozialhilfebedürftigkeit maßgebliche Zeitraum derjenige, in dem die Sozialleistungen – hier die Witwenrente - erbracht worden sind.

Die Kammer konnte nicht feststellen, ob die Klägerin im Zeitraum vom 1. Januar 1999 bis zum 30. September 2013 sozialhilfebedürftig gewesen wäre. Auf die Frage der Kammer in der Verhandlung äußerte sie, dass sie eine fiktive Bedarfsberechnung nicht vorliegen könne. Auf den Richterbrief vom 17. August 2015, indem sie darauf hingewiesen worden war, dass es darauf ankommt, ob sie in den fraglichen Zeitraum ohne die Witwenrente hilfebedürftig gewesen wäre, hat die Klägerin nicht geantwortet. Die Klägerin hat lediglich auf das Anhörungsschreiben der Beklagten vom 19. August 2013 mitgeteilt, dass wir über eine Rente in Höhe von 218,68 EUR und eine weitere in Höhe von 96,12 EUR pro Monat verfüge. Ferner verfügt sie über ein Sparguthaben in Höhe von 88.756 EUR und eine Eigentumswohnung mit einer Wohnfläche von 64 m². Bei diesen Vermögensverhältnissen war sie jedenfalls im Monat September 2013 hilfebedürftig, weil schon ihr Vermögen das Schonvermögen gemäß § 90 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) überschritt. Zu der Entwicklung ihrer Vermögensverhältnisse seit dem 1. Januar 1999 hat die im Anhörungsverfahren anwaltlich vertretene Klägerin keine Angaben gemacht, obwohl ihr in dem Anhörungsschreiben vom 19. August 2013 die richtigen Fragen gestellt worden sind.

Für den maßgeblichen Zeitraum kann die Kammer nach Ausschöpfung der ihr zur Verfügung stehenden Beweismittel Sozialhilfebedürftigkeit nicht feststellen. Deshalb kommt es hier auf die in der wissenschaftlichen Literatur (vgl. nur Schütze, in: von Wulffen/Schütze, a.a.O., § 48 Rn. 21) konstatierte Uneinheitlichkeit der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu den Auswirkungen von Sozialhilfebedürftigkeit für die Frage der Annahme eines atypischen Falls noch nicht an.

Andere Gründe für die Annahme eines atypischen Falls sind für den Aufhebungszeitraum ebenfalls nicht ersichtlich. Namentlich liegt kein Fall mitwirkenden Fehlverhaltens auf Seiten des Versicherungsträgers vor. Die Kammer vermag eigenes Fehlverhalten der Beklagten nicht zu erkennen. Vielmehr hat die Beklagte die Klägerin hinreichend auf mögliche Folgen einer Wiederheirat hingewiesen.

Soweit die Beklagte im Widerspruchsbescheid Ermessen ausgeübt hat, ist dies zur Überzeugung der Kammer nicht zu beanstanden. Insbesondere hat sie die wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse der Klägerin zutreffend erfasst und im öffentlichen Interesse zutreffend den Vorrang eingeräumt.

Soweit die Aufhebungsentscheidung rechtmäßig ist, kann die Rückforderungsentscheidung auf § 50 Abs. 1 SGB X gestützt werden. Hinsichtlich der Höhe des Rückzahlungsbetrages nimmt die Kammer auf die dem angefochtenen Bescheid beigefügte Berechnung Bezug, die in sich schlüssig ist und von der Klägerin nicht angegriffen wurde.

Danach war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG und berücksichtigt die Erfolglosigkeit der Rechtsverfolgung.
Rechtskraft
Aus
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