L 9 AS 1505/13

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Nordhausen (FST)
Aktenzeichen
S 31 AS 1448/12
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 9 AS 1505/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Ein Widerspruchsbescheid, mit dem ein Widerspruch trotz vorher erfolgter voller Abhilfe als unzulässig, weil erledigt, verworfen wird und eine Kostenerstattung versagt wird, ist rechtswidrig.
2. Einer gerichtlichen Verurteilung der Behörde zur inhaltlichen Entscheidung über den Widerspruch bedarf es in einem solchen Fall nicht; eine Kostenentscheidung ist ggf. mit der Verpflichtungsklage zu erwirken (vgl. BSG, Urteil vom 17. Oktober 2006 - B 5 RJ 66/04 R -).
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 27. Mai 2013 insoweit aufgehoben, wie der Beklagte verurteilt worden ist, inhaltlich über den Widerspruch vom 20. Januar 2012 gegen den Änderungsbescheid vom 20. Dezember zu entscheiden. Insoweit wird die Klage abgewiesen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Der Beklagte trägt sämtliche außergerichtlichen Kosten des Klägers. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Zurückweisung eines Widerspruchs als unzulässig.

Der Kläger bezieht vom Beklagten Leistungen zur Grundsicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Im streitigen Zeitraum lebte er mit seinem erwachsenen Sohn in einem Eigenheim. Dieser hatte zuletzt im November 2010 auf Grundsi-cherungsleistungen verzichtet.

Auf den Fortzahlungsantrag vom 9. Juni 2011 bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 20. Juni 2011 für den Zeitraum Juli bis Dezember 2011 monatliche Leistungen in Höhe von 223,74 EUR, wobei über die Unterkunftskosten vorläufig entschieden werde. Der Kläger wurde aufgefordert, aktuelle Unterkunftsbelege vorzulegen. Nach Vorlage dieser Unterlagen und eines Einstellungsbescheides zur Kindergeldzahlung für den Sohn des Klägers erließ der Beklagte am 5. August 2011 einen Änderungsbescheid und gewährte nunmehr für den gesamten Zeitraum vorläufig 399,96 EUR monatlich.

Da der Kläger am 15. August 2011 eine Arbeit aufnahm, änderte der Beklagte die Bewilligung für November und Dezember 2011 nach Vorlage der Lohnnachweise und der Stromrechnung für den Heizstrom. Er gewährte für diese Monate jeweils vorläufig 461,96 EUR.

Nachdem der Kläger weitere Unterlagen vorgelegt hatte, bewilligte der Beklagte mit Ände-rungsbescheid vom 20. Dezember 2011 vorläufig für August 2011 236,01 EUR, für September 2011 105,16 EUR und für Oktober 2011 461,96 EUR. Die vorläufige Bewilligung wurde erneut mit den Unterkunftskosten begründet. Im Bescheid wies der Beklagte zugleich auf eine Überzahlung für die Monate August und September in Höhe von insgesamt 458,95 EUR hin und kündigte eine Verrechnung mit Nachzahlungsansprüchen für Oktober und November an.

Dagegen legte der Kläger am 20. Januar 2012 Widerspruch für die Festsetzungen in der Zeit vom 1. August bis 31. Oktober 2011 ein. Er vertrat die Ansicht, dass ihm ein Mehrbedarf für die Warmwasserversorgung in Höhe von 8,44 EUR monatlich zustehe und darüber hinaus die Heizkosten, insbesondere für September 2011, nicht richtig berechnet worden seien. In dem gleichen Schreiben stellte er einen Antrag auf Überprüfung der Bescheide für die Zeit vom 1. Januar 2011 bis 31. Juli 2011 in Höhe von monatlich 8,44 EUR (Mehrbedarf für Warmwasserver-sorgung). Dem Überprüfungsantrag wurde mit Bescheid vom 14. März 2012 in voller Höhe entsprochen.

Mit drei weiteren Bescheiden vom 14. März 2012 bewilligte der Beklagte Leistungen für Juli 2011 in Höhe von 499,82 EUR, für den Zeitraum von August bis Oktober 2011 (im August in Höhe von 335,87 EUR, im September in Höhe von 205,02 EUR und im Oktober in Höhe von 499,82 EUR) und für November und Dezember 2011 in Höhe von jeweils 499,82 EUR. Die Leistungsbewilligung erfolgte in den Bescheiden vom 14. März 2012 endgültig. In der endgültigen Festsetzung hat der Beklagte dem Begehren des Klägers entsprochen und Korrekturen bei den Kosten der Unterkunft vorgenommen und den Mehrbedarf gewährt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15. März 2012 verwarf der Beklagte den Widerspruch vom 20. Januar 2012 als unzulässig. Durch die endgültige Festsetzung hätten sich die vorläufigen Bescheide anderweitig erledigt, sodass der Widerspruch nunmehr mangels wirksamen Ver-waltungsaktes unzulässig sei. Der Widerspruch sei auch mangels Rechtschutzbedürfnisses unzulässig, da der Kläger den Erfolg auf einfacherer Art und Weise hätte erreichen können, wenn er die endgültige Festsetzung beantragt hätte. Die Kosten des Widerspruchsverfahrens seien nicht zu erstatten.

Das Sozialgericht Nordhausen hat der auf Aufhebung des Widerspruchsbescheides und Ver-pflichtung des Beklagten zur inhaltlichen Entscheidung über den Widerspruch gerichteten Klage mit Urteil vom 27. Mai 2013 stattgegeben. Dem Widerspruch hätte nicht das Rechts-schutzbedürfnis gefehlt, da eine vorläufige Bewilligung sowohl hinsichtlich der Tatsache der Vorläufigkeit als auch wegen der vorläufig bewilligten Höhe angreifbar sei. Darüber hinaus sei der Widerspruch auch nicht unzulässig geworden, vielmehr sei die endgültige Festsetzung nach § 86 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden. Die Vorschrift des § 86 SGG schließe ebenso wie § 96 SGG auch die Verwaltungsakte ein, welche den Ursprungsverwaltungsakt ersetzen. Das Verhalten des Beklagten erscheine im Hinblick darauf, dass der Beklagte bei den endgültigen Festsetzungen den Beanstandungen aus dem Widerspruch im Wesentlichen stattgegeben hat, als rechtsmissbräuchlich, da es offenbar allein dem Ziel diene, eine Kostentragung durch den Beklagten zu verhindern.

Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung. Er vertritt die Ansicht, dass die end-gültigen Festsetzungen nicht Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden sein. § 86 SGG sehe diese Rechtsfolge nur dann vor, wenn während des Vorverfahrens der Verwaltungsakt abgeändert werde, nicht aber, wenn dieser vollständig ersetzt wird.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgericht Nordhausen vom 27. Mai 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er beruft sich auf die Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils.

Die Beteiligten haben Ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte den vorliegenden Rechtsstreit nach § 123 Abs. 2 SGG ohne mündliche Ver-handlung entscheiden, weil sich beide Beteiligte mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben.

Die vom Sozialgericht zugelassene Berufung ist zulässig, aber nur teilweise begründet.

Soweit das Sozialgericht im angegriffenen Urteil den Widerspruchsbescheid vom 15. März 2012 aufgehoben hat, findet das seine Rechtfertigung darin, dass die Feststellungen des Beklagten zur Unzulässigkeit des Widerspruchs fehlerhaft waren.

Raum für eine derartige Feststellung ist nur dann, wenn über einen Widerspruch inhaltlich noch zu entscheiden ist. Das ist dann nicht (mehr) der Fall, wenn dem im Widerspruch zum Ausdruck kommenden Begehren des Klägers in der Folge vollumfänglich entsprochen wird. Denn in diesem Fall liegt eine Abhilfeentscheidung im Sinne von § 85 Abs. 1 SGG vor, so dass kein Raum mehr für einen Widerspruchsbescheid ist (vgl. § 85 Abs. 2 SGG: "Wird dem Widerspruch nicht abgeholfen, so erlässt den Widerspruchsbescheid "). So verhält es sich hier, wie auch die Klageschrift belegt, wenn es dort (S. 5) heißt, dem Widerspruch sei in vollem Umfang unstreitig stattgegeben worden. Dem entspricht im Übrigen, dass der Kläger gegen die Änderungsbescheide vom 14. März 2012 keine weiteren Einwände vorgebracht hat, so dass das Widerspruchsverfahren damit erledigt und lediglich eine Entscheidung über die Verfahrenskosten zu treffen war.

Der davon abweichende Widerspruchsbescheid mit der Feststellung der Unzulässigkeit des Widerspruchs war daher aufzuheben, was das Sozialgericht im angegriffenen Urteil zutreffend ausgesprochen hat, ohne dass es auf die (von ihm vorgenommene) Auslegung des § 86 SGG ankam, für die ansonsten viel spricht.

Soweit das Sozialgericht den Beklagten zu einer inhaltlichen Entscheidung über den Widerspruch verpflichtet hat, hat die Berufung Erfolg, so dass das Urteil insoweit aufzuheben und die Klage abzuweisen war. Denn entsprechend den obigen Ausführungen lag eine Entscheidung in der Sache bereits mit den Änderungsbescheiden vom 14. März 2012 vor und der Widerspruch war erledigt. Unschädlich dafür ist, dass der Beklagte keine ausdrücklichen "Abhilfebescheide" erlassen hat. Denn es kommt nicht auf die Bezeichnung der Bescheide an, sondern auf deren Beurteilung dem Inhalt nach, und danach war der Widerspruch hier vollumfänglich erledigt. Das ist auch nicht etwa im Hinblick auf die fehlende Kostenentscheidung anders zu beurteilen. Denn die Kostenentscheidung ist nicht Teil der Sachentscheidung, sondern zusätzlich zu treffen. Ist sie unterlassen worden, macht dies die Sachentscheidung nicht rechtswidrig und damit anfechtbar; vielmehr ist die unterbliebene Kostenentscheidung mit der Verpflichtungsklage zu erwirken (vgl. BSG, Urteil vom 17. Oktober 2006 - B 5 RJ 66/04 R -).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und umfasst auch die Vorverfahrenskosten. Bei der trotz Teilerfolg der Berufung ausgesprochenen Kostenpflicht des Beklagten hat der Senat berücksichtigt, dass die Klage bei einer sachdienlichen Antragstellung entsprechend den vorstehenden Ausführungen in vollem Umfang erfolgreich gewesen wäre.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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