S 10 AS 3521/14

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Leipzig (FSS)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
10
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 10 AS 3521/14
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Mietobergrenzen im Landkreis Nordsachsen genügen nicht den höstrichterlichen Anforderungen an ein schlüssiges Konzept.
I. Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 25.04.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.08.2014 verpflichtet, dem Kläger im Bewilligungszeitraum vom 01.06.2014 bis 30.11.2014 Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung seiner tatsächlichen Aufwendungen für seine Wohnung zu gewähren. II. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen. III. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die vollständige Berücksichtigung der Aufwendungen für seine Wohnung im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitssuchende.

Der 1956 geborene Kläger bezieht laufend und auch schon länger Arbeitslosengeld II von dem Beklagten. Für seine 1980 bezogene, 56 qm große Wohnung in einem Ortsteil von B ... hatte der Kläger 2011 271,91 EUR + 15 EUR für Rolläden und insgesamt 65,00 EUR Betriebskostenvorauszahlung zu leisten. Aus Verpachtung erzielt der Kläger Einnahmen in Höhe von monatlich 76,25 EUR.

Der Beklagte berücksichtigte zunächst lediglich 268,40 EUR Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Mit Bescheid vom 12.04.2012 stellte der Beklagte auf einen Überprüfungsantrag hin die tatsächlichen Kosten in die Berechnung ein.

Nach der Betriebskostenabrechnung 2011 vom 30.10.2012 hatte der Kläger insgesamt 70,00 EUR Betriebskostenvorauszahlung, damit 356,91 EUR warm für seine Wohnung zu zahlen.

Die Betriebskostenabrechnung vom 24.06.2013 endete mit einem Guthaben von 88,07 EUR. Nun war noch eine Betriebskostenvorauszahlung von insgesamt 60,00 EUR zu leisten.

Mit Schreiben vom 05.11.2013 wies der Beklagte den Kläger darauf hin, dass die Kosten der Unterkunft unangemessen seien. Für den Wohnort des Klägers sei lediglich eine Bruttokaltmiete von 256,50 EUR angemessen. Ab 01.06.2014 würden nur noch diese angemessenen Kosten berücksichtigt.

Mit Bescheid vom 24.04.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger dementsprechend auch nur noch 692,79 EUR, darunter 311,91 EUR Bedarfe für Unterkunft und Heizung monatlich für die Zeit vom 01.06.2014 bis 30.11.2014. Gegen den Bescheid erhob der Kläger am 09.05.2014 Widerspruch. Das Konzept zur Ermittlung der angemessenen Bedarfe der Unterkunft sei nicht schlüssig.

Die Betriebskostenabrechnung vom 20.05.2014 endete mit einem Guthaben von 46,91 EUR. Es war nun eine Betriebskostenvorauszahlung von insgesamt 65,00 EUR zu zahlen. Das Guthaben ging am 25.07.2014 auf dem Konto des Klägers ein.

Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 08.08.2014 zurück. Die Angemessenheitsgrenze sei zutreffend. Es seien auch Wohnungen verfügbar.

Mit Änderungsbescheid vom 25.08.2014 bewilligte der Beklagte für September noch 680,88 EUR, darunter 300,00 EUR Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Das Betriebskostenguthaben mindere die tatsächliche Miete, so dass sich ein tatsächlich anzurechnendes Guthaben von 11,91 EUR ergebe. Das Einverständnis des Klägers vorausgesetzt, werde das Guthaben im September verrechnet.

Der Kläger hat am 15.09.2014 Klage erhoben.

Mit Bescheiden vom 21.11.2014, die in den vorgelegten Aktenteilen nicht enthalten sind, soll der Beklagte dem Kläger für August, Oktober und November jeweils Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 346,91 EUR gewährt haben.

Der Kläger trägt vor, dass die Ermittlung der angemessenen Bedarfe der Unterkunft auf einer veralteten Datengrundlage beruhe. In der Zwischenzeit sei in erheblichem Umfang Wohnraum abgerissen worden. Angemessener Wohnraum stehe in B ... und Umgebung tatsächlich nicht zur Verfügung.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 25.04.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.08.2014 zu verpflichten dem Kläger im Bewilligungszeitraum vom 01.06.2014 bis 30.11.2014 Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung seiner tatsächlichen Aufwendungen für seine Wohnung zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte trägt vor, dass der gesamte Landkreis als örtlicher Vergleichsraum zu betrachten sei. Von jedem Ort des Landkreises aus sei das nächstgelegene Mittelzentrum in maximal 71 Minuten zu erreichen. Die erhobenen Daten seien repräsentativ, da mehr als 10 % des fraglichen Wohnungsbestandes erfasst seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vorliegenden Prozessakten und die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Bescheid vom 25.04.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.08.2014 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 25.08.2014 und 21.11.2014 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 54 Sozialgerichtsgesetz. Der Kläger hat Anspruch auf Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung der tatsächlichen und angemessenen Bedarfe der Unterkunft und Heizung.

Der Kläger hatte im streitgegenständlichen Zeitraum gemäß §§ 7 – 9 Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (SGB II) Anspruch auf Arbeitslosengeld II mit den Bedarfen der Unterkunft und Heizung. Er war im streitigen Zeitraum 55 Jahre alt, erwerbsfähig, mangels bedarfsdeckenden Einkommens oder Vermögens hilfebedürftig und hatte seinen ständigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.

Gemäß § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II umfassen die Leistungen den Regelbedarf, Mehrbedarfe und den Bedarfe der Unterkunft und Heizung.

Der Regelbedarf des Klägers bestand in Höhe von 391,00 EUR.

Der Kläger hat weiterhin Anspruch auf Berücksichtigung der angemessenen Bedarfe der Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1, 3 SGB II. Gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II werden die Bedarfe der Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate.

Die Aufwendungen für die Unterkunft des Klägers waren angemessen.

Ein schlüssiges Konzept des Beklagten zur Ermittlung der angemessenen Kosten der Unterkunft liegt nicht vor.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der sich die Kammer anschließt, gilt für die Angemessenheitsprüfung Folgendes:

Nach der in einem ersten Schritt vorzunehmenden Bestimmung der abstrakt angemessenen Wohnungsgrößen und des Wohnungsstandards wird in einem zweiten Schritt festgelegt, auf welche konkreten räumlichen Gegebenheiten als räumlichen Vergleichsmaßstab für die weiteren Prüfungsschritte abzustellen ist. Anschließend wäre zu ermitteln, wie viel für eine nach Größe und Standard abstrakt als angemessen eingestufte Wohnung auf dem für den Hilfebedürftigen maßgeblichen Wohnungsmarkt aufzuwenden ist. Das BSG vertritt dabei die sogenannte Produkttheorie, wonach nicht beide Faktoren (Wohnungsgröße, Wohnungsstandard - ausgedrückt durch Quadratmeterpreis) je für sich betrachtet "angemessen" sein müssen, solange jedenfalls das Produkt aus Wohnfläche (Quadratmeterzahl) und Standard (Mietpreis je Quadratmeter) eine insgesamt angemessene Wohnungsmiete (Referenzmiete) ergibt (BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 – B 4 AS 30/08 R – juris, Rn. 13).

Entscheidend ist dabei, dass den Feststellungen des Grundsicherungsträgers zur angemessenen Referenzmiete ein Konzept zu Grunde liegt, das schlüssig und damit überprüfbar und hinreichend nachvollziehbar ist. Schlüssig ist das Konzept nach ständiger Rechtsprechung (s. BSG, Urteil vom 22. September 2009 – B 4 AS 18/09 R –, SozR 4-4200 § 22 Nr 30, BSGE 104, 192-199, Rn. 19), wenn es mindestens die folgenden Voraussetzungen erfüllt:

- Die Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten und muss über den gesamten Vergleichsraum erfolgen (keine Ghettobildung), - es bedarf einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der Beobachtung, z.B. welche Art von Wohnungen - Differenzierung nach Standard der Wohnungen, Brutto- und Nettomiete (Vergleichbarkeit), Differenzierung nach Wohnungsgröße - Angaben über den Beobachtungszeitraum, - Festlegung der Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen, z.B. Mietspiegel), - Repräsentativität des Umfangs der eingezogenen Daten, - Validität der Datenerhebung, - Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze der Datenauswertung und - Angaben über die gezogenen Schlüsse (z.B. Spannoberwert oder Kappungsgrenze). (BSG, Urteil vom 22. September 2009 – B 4 AS 18/09 R –, juris, Rn. 19).

Diese Anforderungen erfüllt das Konzept des Beklagten bezüglich des Wohnungsmarktyps III nicht.

Die abstrakt angemessene Wohnungsgröße bestimmt sich vorliegend nach Ziff. I Satz 1 Ziffer 2 der Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und Verbraucherschutz zur Regelung von Wohnflächenhöchstgrenzen zu § 18 SächsAGSGB (VwV Wohnflächenhöchstgrenzen; s. Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 19. Dezember 2013 – L 7 AS 637/12 –, Rn. 89, juris) und beträgt für einen 1-Personenhaushalt 45 qm.

Angemessen sind die Aufwendungen für eine Unterkunft nur dann, wenn diese nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genügt und keinen gehobenen Wohnstandard aufweist (BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 – B 4 AS 30/08 R –, juris, Rn. 14).

Um die Referenzmiete zu bestimmen, ist die Miete am Wohnort des Leistungsberechtigten als Vergleichsmaßstab heranzuziehen. Dazu ist in einem weiteren Schritt der räumliche Vergleichsraum zu ermitteln. Die Datenerhebung zur Ermittlung der Referenzmiete muss ausschließlich in dem genau eingegrenzten und über den gesamten Vergleichsraum erfolgen (BSG, Urteil vom 22. September 2009 – B 4 AS 18/09 R –, juris).

Zur Festlegung des Vergleichsraums zur Ermittlung einer angemessenen Referenzmiete ist in erster Linie der Wohnort des Hilfebedürftigen maßgebend. Ein Umzug in einen anderen Wohnort, der mit einer Aufgabe des sozialen Umfeldes verbunden wäre, kann von dem Leistungsempfänger im Regelfall nicht verlangt werden (BSG, Urteil vom 07. November 2006 – B 7b AS 10/06 R juris, Rn. 26). Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich der räumliche Vergleichsmaßstab strikt am kommunalverfassungsrechtlichen Begriff der "Gemeinde" nach dem jeweiligen landesrechtlichen Kommunalrecht orientieren muss. Bei der Bildung des räumlichen Vergleichsmaßstabs kann es – insbesondere im ländlichen Raum – geboten sein, größere Gebiete als Vergleichsgebiete zusammenzufassen (BSG, Urteil vom 07. November 2006 – B 7b AS 18/06 R -, juris, Rn. 21). Am Wohnort oder im weiteren Wohnumfeld des Hilfebedürftigen sind mithin ausreichend große Räume der Wohnbebauung zu definieren, die auf Grund ihrer räumlichen Nähe zueinander, ihrer Infrastruktur und insbesondere ihrer verkehrstechnischen Verbundenheit einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich bilden (BSG, Urteil vom 16. Juni 2015 – B 4 AS 44/14 R –, juris, Rn. 16)

Der Verwaltungsvorschrift des Beklagten selbst ist nicht unmittelbar zu entnehmen, von welchem örtlichen Vergleichsraum ausgegangen werden soll. Es heißt dort: " Die Wohnungsmarkttypen treffen keine Aussagen über den homogenen Wohn- und Lebensbereich. Dieser kann nur im Rahmen einer Einzelfallprüfung definiert werden und, je nach dem bisherigen Wohnstandort des Leistungsberechtigten, ggf. mehrere Wohnungsmarkttypen berühren. Bei der Überprüfung der Angemessenheit muss in diesem Fall der jeweils geltende örtliche Richtwert als Prüfgrenze angewandt werden. S. 6: "Es ist zu berücksichtigen, dass der Wohnungsmarkttyp nicht dem "homogenen Lebens- und Wohnbereich" entspricht, sondern eine abstrakte teilräumliche Differenzierung abbildet. Sollten die tatsächlichen Wohnkosten über den für die Gemeinde ermittelten Richtwerten liegen, also unangemessen sein, so ist im Einzelfall zu prüfen, ob der Lebensbereich der Bedarfsgemeinschaft von benachbarten - ggf. teureren - Gemeinden geprägt ist. Auch wird kein Leistungsberechtigter bei einer unangemessenen Miete bei einer Wohnungssuche auf den seiner Gemeinde zugehörigen Wohnungsmarkt beschränkt. Im Zuge einer Einzelfallbetrachtung wird üblicherweise geprüft, ob ein ausreichendes unter dem Richtwert liegendes Wohnungsangebot im homogenen Lebens- und Wohnbereich zur Verfügung steht."

Auf Nachfrage des Gerichts hat der Beklagte nunmehr unter Vorlage einer weiteren Stellungnahme des beauftragten Unternehmens mitgeteilt, dass der gesamte Landkreis den Vergleichsraum bilde.

Der Landkreis geht indes über einen "ausreichend großen Raum der Wohnbebauung, der auf Grund seiner räumlichen Nähe zueinander, seiner Infrastruktur und insbesondere seiner verkehrstechnischen Verbundenheit einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich bildet", weit hinaus.

Der Landkreis Nordsachsen umfasst über 2000 Quadratkilometer. Er ist damit doppelt so groß wie Berlin. Eine "räumliche Nähe zueinander" liegt hier ersichtlich nicht vor. Sie wird auch nicht durch eine besonders gute infrastrukturelle Erschließung hergestellt. Nach den Ausführungen in der Stellungnahme vom 23.11.2015 soll von jedem Ort im Landkreis aus innerhalb von maximal 71 Minuten das nächste Mittelzentrum erreicht werden. Demnach bestehen doch innerhalb und auch außerhalb des Landkreisgebietes verschiedene Zentren, die jeweils ein Vergleichsgebiet prägen könnten. Für die infrastrukturelle Verbundenheit innerhalb des Landkreises besagt das nichts. Verbindungszeiten von maximal 71 Minuten reiner Fahrzeit sprechen deutlich gegen eine verkehrstechnische Erschließung, die es nahelegen könnte, trotz weiter Entfernungen noch "einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich" anzunehmen. Die Verbindungsfrequenz und Wartezeiten sind nicht einmal erwähnt. Das Vorhandensein von Kraftfahrzeugen, die es wenigstens ermöglichen könnten, die großen Entfernungen in etwas geringerer Zeit zu bewältigen, kann bei Leistungsberechtigten nicht vorausgesetzt werden.

Der Landkreis Nordsachsen ist auch kein insgesamt betrachtet homogenes Gebiet. Auf der Website des Landkreises wird die Lage wie folgt beschrieben: "Zum Landkreis gehören Teile des Naturparks Dübener Heide ebenso wie die Dahlener Heide, der Wermsdorfer Wald und die Auenlandschaften an Elbe und Mulde. Diese beiden großen Flüsse durchqueren weite Teile des Landkreises und geben ihm neben den aus ehemaligen Braunkohletagebauen entstandenen Seen sowie dem bereits im Jahre 1483/84 künstlich als Fischgewässer angelegten Großen Teich bei Torgau ein eigenes Gepräge. Auf einer Fläche von rund 2.020 km² leben ca. 197000 Einwohner in 11 Städten und 19 Gemeinden. Der Sitz der Landkreisverwaltung befindet sich in Torgau im Schloss Hartenfels. In O ..., Eilenburg und B ... befinden sich weitere Verwaltungsstandorte des Landkreises Nordsachsen. Mit rund 25.000 Einwohnern ist die Große Kreisstadt B ... die bevölkerungsreichste Kommune. Von der Gesamtfläche werden rund zwei Drittel landwirtschaftlich genutzt. Das Lehr- und Versuchsgut Köllitsch ist hier ebenso beheimatet wie das über 300 Jahre alte Sächsische Landesgestüt Graditz. Die Wirtschaft verfügt über einen breiten Branchenmix. Es dominieren neben der Flachglas- und Glasseidenindustrie, die Keramikproduktion, die Metallurgie, der Maschinen- und Anlagenbau, die Papierindustrie, die Holzverarbeitung sowie der Bereich Logistik. Das Handwerk, das Dienstleistungsgewerbe, die Ernährungsgüterindustrie, die Gesundheitswirtschaft und der Tourismus sind weitere bedeutende Wirtschaftszweige. Die Post-Tochter DHL, der Flughafen Leipzig/H., die Messe Leipzig sowie das Güterverkehrszentrum, Amazon, BMW und Porsche befinden sich im Landkreis bzw. in unmittelbarer Umgebung und strahlen auf die gesamte Region aus."(http://www.landkreis-nordsachsen.de/r-lage.html).

Der "Speckgürtel" rund um Leipzig mit der gesondert erfassten Stadt Taucha und die dünnbesiedelten, landwirtschaftlich geprägten Gebiete wie Dahlener und Dübener Heide haben neben ihrer Kreiszugehörigkeiten nichts gemein. Schließlich widerspricht auch die Bildung verschiedener Vergleichsräume der Annahme, dass der Landkreis insgesamt ein tauglicher örtlicher Vergleichsraum sein könnte. Die Bildung verschiedener Cluster wäre gänzlich sinnlos, wenn " ein insgesamt betrachtet homogener Lebens- und Wohnbereich" vorläge. Wesentliche Unterschiede in den verschiedenen Teilen des Landkreises hat der Beklagte ja eben bei der Ermittlung der Cluster herausgestellt. Kriterien, die auf die Mietpreisbildung wenigstens Einfluss haben können, sind in den verschiedenen Teilen des Landkreises so unterschiedlich, dass nicht mehr von vergleichbaren Verhältnissen gesprochen werden kann. Nach den Ergebnissen der Datenerhebung soll das Mietniveau wenigstens in Teilbereichen deutlich unterschiedlich sein.

Wenn der Landkreis zutreffend als örtlicher Vergleichsraum bestimmt wäre, würde die Auswertung nicht den Anforderungen genügen. Die Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten und muss über den gesamten Vergleichsraum erfolgen (keine Ghettobildung). Erhoben worden sind im vorliegenden Fall zwar Daten über den gesamten Landkreis, ausgewertet werden die Daten indes nicht über den gesamten Vergleichsraum, sondern über verschiedene Cluster, für die ein vergleichbares Mietniveau erwartet wird. Die Daten sind aber nicht nur über den gesamten Vergleichsraum zu erheben, sondern auch auszuwerten. Andernfalls würden bessere Wohnlagen systematisch aus der Erfassung eliminiert. Innerhalb eines Vergleichsraums kann es auch nur eine zutreffende Angemessenheitsgrenze geben. Wenn die Mietmärkte so unterschiedlich wären, dass sie sinnvoll nur getrennt bewertet werden könnten, können sie wiederum nicht in einem Vergleichsraum liegen. Dann fehlt es an einem homogenen Wohnbereich. Darüber hinaus führt die Differenzierung innerhalb des Vergleichsraums zu dem paradoxen Ergebnis, dass durch einen zur Kostensenkung abverlangten Umzug höhere Kosten entstehen, wenn der Leistungsberechtigte aus seiner im günstigeren Bereich unangemessenen Wohnung in eine teurere Wohnung im höherpreisigen Cluster zieht.

Der örtliche Vergleichsraum kann auch nicht erst bei der konkreten Angemessenheitsprüfung im Einzelfall bestimmt werden. In Einzelfällen, bei besonderen persönlichen Belangen, muss geprüft werden, ob innerhalb des Vergleichsraums im Sinne eines homogenen Lebens- und Wohnbereichs noch engere Grenzen zu ziehen sind. Die Festlegung des Vergleichsraums im Sinne eines homogenen Lebens- und Wohnbereichs ist bereits auf der abstrakt-generellen Ebene vorzunehmen, sonst entspricht es nicht den grundsätzlichen Anforderungen eines Konzepts (SG Dresden, Urteil vom 26. Juni 2015 – S 14 AS 8400/12 –, Rn. 68, juris)

Ohne die Festlegung des Vergleichsraumes kann nicht beurteilt werden, ob es im streitigen Zeitraum an einer hinreichenden Datengrundlage fehlt und hierauf aufbauend, warum hierdurch wiederum die Entwicklung eines schlüssigen Konzepts für die hier denkbaren Vergleichsräume ausscheidet. Auch wenn davon auszugehen ist, dass jedenfalls die Wohnortgemeinde des Klägers Teil des Vergleichsraums ist, muss zunächst der Beklagte anhand der allgemeinen rechtlichen Vorgaben für die Festlegung des Vergleichsraums (vgl hierzu BSGE 102, 263 = SozR 4-4200 § 22 Nr 19 (München), RdNr 20 ff; BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 42 (Berlin), RdNr 24) bestimmen, ob hier weitere Gemeinden in die Festlegung des Vergleichsraums einzubeziehen sind.

Unverhältnismäßig aufwendige Ermittlungen für die Bildung von Vergleichsräumen müssen nicht durch das Gericht durchgeführt werden (vgl. BSG, Urteil vom 22.03.2012, B 14 AS 16/11 R, juris). Es ist Sache der Grundsicherungsträger, für ihren Zuständigkeitsbereich ein schlüssiges Konzept zu ermitteln. Dazu gehört auch, die Vergleichsraumbildung anhand der rechtlichen Vorgaben vorzunehmen. Werden diese rechtlichen Vorgaben ausdrücklich nicht beachtet und dementsprechend keine Untersuchungen und Überlegungen zur homogenen Wohn- und Lebenssituation in dem zu beurteilenden Gebiet angestellt und erschließt sich dies auch nicht, oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand aus allgemein zugänglichen Quellen, so ist dies nicht vollständig von Seiten des Gerichts neu zu ermitteln (SG Dresden, Urteil vom 26. Juni 2015 – S 14 AS 8400/12 –, Rn. 72, juris).

Die Datenerhebung und Auswertung würde im Übrigen auch sonst nicht den Anforderungen an ein schlüssiges Konzept genügen.

Die Erhebung der Daten bei Großvermietern und Abfrage von 5000 Mietverhältnissen bei kleineren Vermietern betrachtet nur Teile des dortigen Mietmarktes. Der Beklagte hat nicht sichergestellt, ob der Wohnungsbestand der Großvermieter für die Verhältnisse auf dem dortigen Markt repräsentativ ist, oder von dem üblichen Standard abweicht.

Zur Feststellung der Beschaffenheit des örtlichen Mietwohnungsmarktes muss der Grundsicherungsträger nicht zwingend auf einen qualifizierten oder einfachen Mietspiegel im Sinne der §§ 558c und 558d BGB zurückgreifen. Die vom Grundsicherungsträger gewählte Datengrundlage muss lediglich auf einem schlüssigen Konzept beruhen, das eine hinreichende Gewähr dafür bietet, dass die aktuellen Verhältnisse des örtlichen Mietwohnungsmarktes abgebildet werden. Das kann unter anderem dann der Fall sein, wenn die Datenbasis auf mindestens 10 % des regional in Betracht zu ziehenden Mietwohnungsbestandes beruht. Ferner müssen die Faktoren, die das Produkt "Mietpreis" bestimmen (Standard, gegebenenfalls auch ausgedrückt in Jahr des ersten Bezuges bzw. der letzten Renovierung plus Wohnungsgröße und Ausstattung) in die Auswertung eingeflossen sein. Erfüllt das Datenmaterial diese Voraussetzungen, so sind auch "Mietdatenbanken", die im Übrigen die Voraussetzungen der §§ 558c bzw. 558d BGB nicht erfüllen, geeignet, als Maßstab für die Beurteilung der "Angemessenheit" iS des § 22 Abs 1 SGB II herangezogen zu werden (BSG, Urteil vom 18. Juni 2008 – B 14/7b AS 44/06 R –, Rn. 16, juris). Eben daran fehlt es hier. Der Beklagte hat keine Feststellungen zum Standard der von der Datenerhebung erfassten Wohnungen getroffen. Das wäre hier aber, trotz des großen Umfangs, schon deshalb erforderlich gewesen, weil es sich nicht um eine zufällig gewonnene Datenprobe handelte. Der Wohnungsbestand der Großvermieter dürfte nach der Gebäude- und Wohnungszählung zum Mikrozensus 2011 (GWZ) kaum repräsentativ für den gesamten Wohnungsmarkt sein. Nach der GWZ befinden sich im Landkreis Nordsachsen 27101 Wohnungen im Eigentum von Genossenschaften, kommunalen und privaten Unternehmen. Der Anteil am Mietwohnungsbestand von 49324 Wohnungen beträgt danach knapp 55 %, in den erhobenen Mieten aber mindestens 78 %. Auf den Wohnort des Klägers B ... bezogen ist folgendes festzustellen:

Es existierten 12314 bewohnte (und damit sicher auch bewohnbare) Wohnungen. Davon waren 4132 Eigentümer- und 8182 Mietwohnungen. 39 % der Wohnungen standen im Eigentum von juristischen Personen.

Von den 4500 Wohnungen der Wohnungsgenossenschaften und des kommunalen Unternehmens stammen 4200, d.h. 93,3 % aus den Baujahren zwischen 1949 und 1990. Der Anteil der Gebäude aus den Jahren 1949 bis 1990 beträgt nach der GWZ aber nur 31,5 %. Der Anteil der Wohnungen aus den Jahren1949 bis 1990 beträgt 48 %.

Der Bestand der Großvermieter ist also durch Nachkriegsbauten aus der DDR-Zeit geprägt, die wohl kaum einem mittleren oder gar gehobenen Wohnungsstandard zugerechnet werden können. Wenn in den erhobenen Daten überproportional viele Wohnungen unteren Standards enthalten sind, wird im Zweifel der Spannenoberwert als Angemessenheitsgrenze zu bestimmen sein. Ein schlüssiges Konzept kann sowohl auf Wohnungen aus dem Gesamtwohnungsbestand (einfacher, mittlerer, gehobener Standard) als auch auf Wohnungen nur einfachen Standards abstellen. Legt der Grundsicherungsträger seiner Datenerhebung nur die Wohnungen so genannten einfachen Standards zu Grunde, ist als Angemessenheitsgrenze der Spannenoberwert, das heißt, der obere Wert der ermittelten Mietpreisspanne zu Grunde zu legen (BSG, Urteil vom 22. September 2009 – B 4 AS 18/09 R - juris, Rn. 21)

Schließlich ist auch nicht klar, anhand welchen Maßstabes die Bedarfsdeckung durch Angebote geprüft wurde; die Produkttheorie ist auch bei der Auswertung der Angebotsmieten anzuwenden. Auch hier wären die Kosten pro qm mitzuteilen. Der Leistungsträger darf nicht regelmäßig auf deutlich kleinere Wohnungen verweisen. Insoweit genügt es nicht, mitzuteilen welcher Anteil der Wohnungen in einem bestimmten Größenbereich unter der Angemessenheitsgrenze liegt.

Da das Gericht sich nicht in der Lage sieht, eine Angemessenheitsgrenze zu bestimmen, sind die tatsächlichen Aufwendungen bis zur Höhe der durch einen Zuschlag maßvoll erhöhten Tabellenwerte i.S. von § 12 Wohngeldgesetz (WoGG) zu übernehmen (s. BSG, Urteil vom 22. September 2009 – B 4 AS 18/09 R –, juris).

Gemäß § 12 WoGG in der ab 01.01.2011 gültigen Fassung sind die monatlichen Höchstbeträge für Miete und Belastung vorbehaltlich des § 11 Abs. 3 WoGG nach der Anzahl der zu berücksichtigenden Haushaltsmitglieder und nach der Mietenstufe zu berücksichtigen. Die Stadt B ... war der Mietstufe III zuzuordnen. Für einen Ein-Personenhaushalt beläuft sich der monatliche Höchstbetrag für die Mietstufe III auf 330,00 EUR. Nach angemessener Erhöhung um 10 % gilt eine Bruttokaltmiete von 363,00 EUR noch als angemessen.

Die Aufwendungen für die Wohnung des Klägers liegen mit insgesamt 351,91 EUR monatlich deutlich unter diesem Wert.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Kammer hat die Berufung wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 144 Abs. 2 Ziffer 1 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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