L 5 KR 65/15

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Trier (RPF)
Aktenzeichen
S 5 KR 149/14
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 5 KR 65/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 4.3.2015 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte dem Kläger Krankengeld für die Zeit vom 4.9.2014 bis zum 25.11.2014 zu zahlen hat.
2. Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Umstritten ist ein Anspruch des Klägers auf Krankengeld für die Zeit ab dem 4.9.2014 bis zum 25.11.2014.
Der 1965 geborene Kläger, bei der Beklagten krankenversichert, war beruflich als LKW-Fahrer tätig. Er war ab dem 14.4.2014 arbeitsunfähig erkrankt. Sein Beschäftigungsverhältnis endete am 31.5.2014. Die Beklagte gewährte ihm für die Zeit ab dem 1.6.2014 Krankengeld. Mit Schreiben vom 14.7.2014 teilte sie dem Kläger mit:
" Da Ihr Beschäftigungsverhältnis zum 31.5.2014 geendet hat, wird Ihre Mitgliedschaft in der Kranken- und Pflegeversicherung aufgrund des Krankengeldbezugs aufrechterhalten.
Für das Weiterbestehen Ihrer Mitgliedschaft ist es unerlässlich, dass Ihre Arbeitsunfähigkeit durchgehend attestiert und nachgewiesen wird. Eine Nachweislücke würde zum Verlust des Krankenversicherungsschutzes bzw. der Notwendigkeit einer Weiterversicherung ohne Krankengeldanspruch nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V führen.
Der Gesetzgeber sieht vor, dass Ihr Arzt spätestens am letzten Tag der aktuellen Arbeitsunfähigkeit deren weitere Dauer bescheinigt. Sollte die Arbeitsunfähigkeit erst später ärztlich festgestellt werden, entfällt Ihre Mitgliedschaft und damit auch Ihr Krankengeldanspruch.
Wenn auf dem Auszahlschein im Feld "voraussichtlich bis" ein konkretes Datum angegeben ist, ist ein Nachweis der lückenlosen Arbeitsunfähigkeit möglich und Ihr Versicherungsschutz besteht unverändert mit allen Vorteilen für Sie fort. Bitte achten Sie daher beim Ausfüllen durch Ihren Arzt darauf, damit eine reibungslose Krankengeldzahlung möglich ist."
Der behandelnde Arzt Dr. L attestierte dem Kläger zuletzt in seinem Auszahl-schein für Krankengeld vom 8.8.2014 Arbeitsunfähigkeit bis voraussichtlich 3.9.2014. In der Zeit vom 19.8.2014 bis 20.8.2014 befand sich der Kläger wegen eines von dem Orthopäden Dr. H durchgeführten operativen Eingriffs am rechten Ellenbogen in stationärer Behandlung im Krankenhaus M. In einem weiteren Auszahlschein vom 4.9.2014 bescheinigte Dr. L fortbestehende Arbeitsunfähigkeit, wobei er als voraussichtliches Ende der Arbeitsunfähigkeit "Ende September 26.9.2014?" angab.
Mit Bescheid vom 9.9.2014 lehnte die Beklagte die Gewährung von Krankengeld für die Zeit ab dem 4.9.2014 ab. Zur Begründung führte sie aus, der Krankengeldanspruch sei entfallen, weil das Fortbestehen weiterer Arbeitsunfähigkeit nicht spätestens am letzten Tag der vorherigen Feststellung von Arbeitsunfähigkeit, dem 3.9.2014, erneut festgestellt worden sei. Zur Begründung seines hiergegen eingelegten Widerspruchs machte der Kläger geltend, er habe Dr. L am 3.9.2014 aufgesucht. Der Kläger legte eine an diesem Tag ausgestellte Heilmittelverordnung vom 3.9.2014 vor. Der Facharzt für Orthopädie Dr. H bescheinigte dem Kläger am 17.9.2014 durchgehend Arbeitsunfähigkeit seit dem operativen Eingriff. Behandelnde Ärzte des Klägers bescheinigten diesem am 26.9.2014 weitere Arbeitsunfähigkeit bis zum 7.10.2014, am 7.10.2014 bis zum 31.10.2014, am 29.10.14 bis zum 14.11.2014 und am 14.11.2014 bis zum 2.12.2014. Unter dem 13.10.2014 bestätigte Dr. L , dass der Kläger am 3.9.2014 in seiner Praxis zur Behandlung gewesen sei. Durch Widerspruchsbescheid vom 12.11.2014 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.
Am 3.12.2014 hat der Kläger Klage erhoben und vorgetragen: Am 3.9.2014 sei ihm in der Firma Orthopädie K GmbH der Gips am rechten Arm abgenommen und eine Ellenbogenschiene angepasst worden. An diesem Tag habe Dr. L weitere Arbeitsunfähigkeit über den 3.9.2014 hinaus festgestellt. In der Praxis von Dr. L habe am Vormittag des 3.9.2014 (Mittwoch) wegen dessen ab dem folgenden Wochenende bevorstehenden Urlaubs Hochbetrieb geherrscht. Dr. L habe ihm noch die Verschreibung für sechs Krankengymnastikbehandlungen ausgehändigt und im Übrigen erklärt, man werde im Laufe des Tages die übrigen Papiere fertigmachen; er solle die Unterlagen am 4.9.2014 zwischen 10 und 11 Uhr in der Praxis abholen. Der Kläger hat ein Attest von Dr. L vorgelegt, wonach dieser am 3.9.2014 in seiner Behandlung gewesen sei, außerdem ein Attest des Dr. L vom 25.11.2014, wonach er in der Zeit vom 3.9.2014 bis zum 25.11.2014 kontinuierlich arbeitsunfähig krank gewesen sei.
Durch Urteil vom 4.3.2015 hat das Sozialgericht (SG) Trier die Beklagte verurteilt, dem Kläger über den 3.9.2014 hinaus Krankengeld nach den gesetzlichen Vorschriften zu gewähren, und zur Begründung ausgeführt: Der Kläger habe über den 3.9.2014 hinaus Anspruch auf Krankengeld. Zwar entspreche die im angefochtenen Bescheid mitgeteilte Rechtsauffassung der Beklagten der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts – BSG – (Hinweis auf BSG 16.12.2014 B 1 KR 31/14 R). Im vorliegenden Fall bestehe jedoch insoweit eine Besonderheit, als zwar der Auszahlschein vom 4.9.2014 stamme, der Kläger aber bereits am Tag zuvor und damit rechtzeitig seine Arbeitsunfähigkeit ärztlicherseits habe feststellen lassen. Unschädlich sei, dass der Kläger den Auszahlschein erst am 4.9.2014 bei Dr. L abgeholt habe. Wenn der Arzt aus organisatorischen Gründen die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit erst mit dem Datum des Folgetages unterschreibe, könne dies nicht zu Lasten des Versicherten gehen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die am 31.3.2015 eingelegte Berufung der Beklagten, die vorträgt: Der Vortrag des Klägers zum Ablauf am 3.9.2014 und 4.9.2014 sei widersprüchlich und decke sich nicht mit dem Inhalt der Verwaltungsakte. Dass Dr. L bereits am 3.9.2014 Arbeitsunfähigkeit festgestellt habe, habe der Kläger im Verwaltungsverfahren selbst nicht behauptet. Sie habe dem Kläger nur bis einschließlich 3.9.2014 Krankengeld gezahlt, wie aus ihrer Datendatei hervorgehe. In der Zeit vom 4.9.2014 bis zum 25.11.2014 sei der Kläger über seine Ehefrau familienversichert gewesen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des SG Trier vom 4.3.2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Beklagte zur Zahlung von Krankengeld für die Zeit vom 4.9.2014 bis zum 25.11.2014 verurteilt wird.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und hat bei seiner Anhörung durch den Senat angegeben: Seine Tochter habe ihn am 3.9.2014 zu Dr. L gefahren. Er habe dort erklärt, er wolle seinen Auszahlschein für Krankengeld ausfüllen lassen und sein Rezept für Krankengymnastik abholen. Man habe ihm in der Praxis gesagt, er solle seine Papiere dalassen und könne sie am nächsten Tag abholen. Er habe sich am 3.9.2014 vormittags zwischen 10.00 Uhr und 11.00 Uhr in der Praxis aufgehalten. Am folgenden Tag habe er die Verordnung in der Praxis abgeholt.
Der Senat hat eine Auskunft von Dr. L vom April 2015 eingeholt, der ausgeführt hat: Er habe den Kläger zwar erst am 4.9.2014 untersucht; aufgrund der gegebenen Zusammenhänge (Ellenbogenoperation am 19.8.2014, nach welcher bekanntermaßen für mehrere Wochen Arbeitsunfähigkeit bestehe) sei für ihn aber auch in den Tagen zuvor klar gewesen, dass der Kläger weiter arbeitsunfähig sein werde.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten so-wie die Prozessakte verwiesen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die nach §§ 143 f, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG – zulässige Berufung ist mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Beklagte verurteilt wird, dem Kläger Krankengeld für die Zeit vom 4.9.2014 bis zum 25.11.2014 zu zahlen.
Der Kläger hat für den streitbefangenen Zeitraum Anspruch auf Krankengeld nach § 44 SGB V. Wie zwischen den Beteiligten zu Recht nicht umstritten ist, war der Kläger im Zeitraum vom 4.9.2014 bis zum 25.11.2014 arbeitsunfähig krank. Der Anspruch auf Krankengeld scheitert auch nicht an der fehlenden rechtzeitigen erneuten Feststellung von Arbeitsunfähigkeit spätestens am 3.9.2014.
Der Krankengeldanspruch entsteht nach § 46 Abs. 1 Nr. 2 SGB V in der hier maßgeblichen, bis zum 22.7.2015 geltenden Fassung grundsätzlich erst von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt. Nach Wortlaut, Zweck und Entstehungsgeschichte der Vorschrift ist die vorherige ärztliche Feststellung von Arbeitsunfähigkeit eine zwingende Voraussetzung des Leistungsanspruchs (BSG – ständige Rechtsprechung –, z.B. BSG 16.12.2014 B 1 KR 37/14 R, juris Rn 9). Auch bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit setzt der weitere Anspruch auf Krankengeld grundsätzlich die vorherige erneute ärztliche Feststellung von Arbeitsunfähigkeit vor dem Ablauf des Zeitraums der letzten ärztlichen Feststellung von Arbeitsunfähigkeit voraus (BSG 16.12.2014 aaO Rn 12).
Vom Erfordernis der vorherigen ärztlichen Feststellung des Fortbestehens von Arbeitsunfähigkeit lässt die Rechtsprechung jedoch Ausnahmen zu. Dies gilt bei Handlungs- oder Geschäftsunfähigkeit des Versicherten (BSG 5.5.2009 – B 1 KR 20/08 R, juris Rn 21) sowie bei fehlerhafter Information des Versicherten durch die Krankenkasse (BSG 16.12.2014 – B 1 KR 19/14 R, juris Rn 17). Die vorliegende Fallgestaltung ist durch außergewöhnliche Umstände gekennzeichnet, deretwegen ebenfalls eine Ausnahme vom Erfordernis der erneuten Feststellung spätestens am letzten Tag der zuvor ärztlich bestätigten Arbeitsunfähigkeit zu machen ist. Der Kläger, dem zuvor Arbeitsunfähigkeit bis zum 3.9.2014 bescheinigt worden war, hat sich rechtzeitig am 3.9.2014 zur Feststellung weiterer Arbeitsunfähigkeit zu Dr. L begeben, der ihn aber an diesem Tag, obwohl er dort um eine weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gebeten hatte, wegen überfüllter Praxis nicht untersucht und erst für den folgenden Tag erneut einbestellt hat, um dann Arbeitsunfähigkeit festzustellen. Bei der gegebenen Sachlage hat der Kläger alles ihm Zumutbare getan, um die rechtzeitige Feststellung der weiteren Arbeitsunfähigkeit sicherzustellen. Er war zu einer persönlichen Untersuchung am 3.9.2014 bereit, die allein aus praxisinternen Gründen (Überfüllung der Praxis) nicht durchgeführt wurde. Der Kläger konnte den Arzt nicht zwingen, ihm am 3.9.2014 die begehrte Bescheinigung auszustellen. Bei einer Differenzierung nach Verantwortungsbereichen kann es keinen Unterschied machen, ob der Vertragsarzt eine medizinisch fehlerhafte Feststellung trifft, was der Krankenkasse zuzurechnen ist (BSG 8.11.2005 – B 1 KR 30/04, juris Rn 24 f), oder ob von dem Arzt die Feststellung vereitelt wird, da auch ein solches Verhalten unmittelbar mit der Feststellung weiterer Arbeitsunfähigkeit verknüpft ist (Sonnhoff in jurisPK-SGB V, § 46 Rn 49). Der Versicherte hat sich in einem solchen Fall keinen fehlerhaften Rechtsrat von seinem Arzt geholt, was der Krankenkasse nicht zuzurechnen wäre (vgl. BSG 10.5.2012 – B 1 KR 19/11 R, juris Rn 27), sondern es lediglich hingenommen, dass der Arzt an diesem Tag keine Feststellung weiterer Arbeitsunfähigkeit vorgenommen hat. Der Versicherte hat in einem solchen Fall keine realistische Handlungsalternative. Wenn es bei einer medizinisch fehlerhaften Feststellung dem Versicherten nicht zumutbar ist, solange weitere Ärzte aufzusuchen, bis die gewünschte Bescheinigung erteilt wird (vgl. BSG 8.11.2005 aaO, juris Rn 24), muss dies auch für den Fall gelten, dass eine Feststellung durch den behandelnden Arzt vereitelt wird, obwohl der Versicherte seinerseits alles getan hat, um die rechtzeitige Feststellung zu ermöglichen (ebenso Sonnhoff aaO). Dies gilt jedenfalls bei einem Sachverhalt wie im vorliegenden Fall, in dem der behandelnde Arzt den Kläger für den folgenden Tag einbestellt hat. Unabhängig davon war es für den Kläger am 3.9.2014 ohnehin schwierig, noch einen anderen Arzt zu finden, der an diesem Tag weitere Arbeitsunfähigkeit hätte feststellen können, weil der 3.9.2014 ein Mittwoch war, an dem erfahrungsgemäß viele Praxen nachmittags geschlossen sind. Da die Arbeitsunfähigkeit des Klägers im Zeitraum ab dem 4.9.2014 bis zum 25.11.2014 rechtzeitig ärztlich festgestellt wurde, war die Beklagte bei dieser Sachlage zur Gewährung von Krankengeld für diesen Zeitraum zu verurteilen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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