L 7 AL 99/14

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 15 AL 226/12
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AL 99/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Es ist ermessensfehlerhaft, wenn die Bundesagentur für Arbeit die Gewährung eines Gründungszuschusses (auch) unter Verweis auf die eigene Leistungsfähigkeit des Antragstellers ablehnt.
I. Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 5. August 2014 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat dem Kläger auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Leistungen zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB Ill).

Der 1972 geborene Kläger meldete sich am 7. Februar 2012 bei der Beklagten persönlich arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld mit Wirkung zum 1. März 2012.

Davor war der Kläger in der Zeit vom 1. Dezember 2008 bis 30. September 2010 bei der C. IT- und Business Consulting und in der Folgezeit vom 1. Oktober 2010 bis 29. Februar 2012 bei der D. GmbH, jeweils als IT-Consultant, mit einem beitragspflichtigen Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von zuletzt 5.500,- Euro im Monat beschäftigt, wobei das Arbeitsverhältnis durch den Arbeitgeber aus betriebsbedingten Gründen gekündigt wurde.

Mit Bescheid vom 2. März 2012 bewilligte die Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld ab dem 1. März 2012 für die Dauer von 360 Kalendertagen in Höhe von 56,73 Euro täglich.

Bereits am 6. Februar 2012 hatte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung eines Gründungszuschusses zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit beantragt. Auf dem formularmäßigen Antrag vom 2. März 2012, bei der Beklagten eingegangen am 5. März 2012, teilte er der Beklagten mit, dass er am 2. März 2012 eine selbständige, hauptberufliche Tätigkeit als Unternehmensberater in A-Stadt aufgenommen habe. Die Anmeldung der freiberuflichen Tätigkeit beim Finanzamt sei am 2. März 2012 erfolgt. Dem Antrag beigefügt war die Stellungnahme der fachkundigen Stelle zur Tragfähigkeit der Existenzgründung nach § 57 Abs. 2 Nr. 3 SGB III durch die E. e.V. vom 1. März 2012 sowie der Businessplan von März 2012. Darin führte der Kläger aus, dass er für die Gründung des Unternehmens im ersten Schritt 3.000 Euro aus privaten Mitteln auf einem separaten Konto bereitstelle. Notfalls könne er familiäre Rücklagen abrufen, die ihm ermöglichten, auftrags- und projektlose Zeiten im Rahmen der Gründung von bis zu sechs Monaten Dauer in der laufenden Lebensführung zu bestehen. Die Aufnahme von Fremdkapital sei nicht vorgesehen. Ausweislich des vorgelegten Liquiditätsplans 2012 ging der Kläger von monatlichen Privatentnahmen für die Lebenshaltung in Höhe von 4.000 Euro und einem positiven Betriebsergebnis aus.

Aufgrund der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit zum 2. März 2012 hob die Beklagte mit Aufhebungsbescheid vom 8. März 2012 ihre Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab 2. März 2012 auf.

Mit Bescheid vom 12. März 2012 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung des Gründungszuschuss ab. Der Gründungszuschuss könne zur Sicherung des Lebensunterhaltes und sozialen Sicherung für die Zeit der Existenzgründung gewährt werden. Unter Berücksichtigung der vom Kläger vorgelegten Unterlagen vertrete die Beklagte die Auffassung, dass er aufgrund seiner Einnahmen- und Vermögenssituation über genügend finanzielle Ressourcen verfüge, um das Gründungsvorhaben selbst zu finanzieren.

Hiergegen erhob der Klägervertreter am 12. April 2012 Widerspruch. Die Entscheidung der Beklagten leide an einem Ermessensfehlgebrauch. Die von der Beklagten vorgenommene Begründung für die Ablehnung sei nicht gesetzlich legitimiert. Der Gründungszuschuss sei eine Versicherungsleistung mit gesetzlich exakt genannten Voraussetzungen. Die seitens der Beklagten aufgestellte Voraussetzung der nicht vorhandenen Leistungsfähigkeit zähle nicht zu den gesetzlich benannten Voraussetzungen. Zulässig sei es, auf den Vermittlungsvorrang zu verweisen, nicht dagegen auf die Haushaltssituation der Beklagten, die eigene Leistungsfähigkeit des Antragstellers oder das Verschulden an der Arbeitslosigkeit. Das Vorhandensein finanzieller Ressourcen stelle ein sachfremdes Kriterium für die Beurteilung der Ermessensentscheidung der Gewährung von Gründungszuschuss dar. Im Übrigen verfüge der Kläger nach Abzug der Beiträge zur privaten Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung lediglich über ein Einkommen in Höhe von 2.630,80 Euro monatlich vor Steuern. Bei einer 30-prozentigen Einkommensteuerveranlagung ergebe sich hieraus ein Nettoeinkommen in Höhe von 1.841,56 Euro.

Mit Widerspruchsbescheid vom 4. Juli 2012 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Kläger sei grundsätzlich auf den Vermittlungsvorrang zu verweisen. Nach der zwischenzeitlich erfolgten Mitteilung der Arbeitsvermittlung sei davon auszugehen, dass die Erfolgsaussichten der Eigenbemühungen des Klägers sowie der Vermittlungsaktivitäten der Beklagten zur Erlangung einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung als günstig zu bewerten seien. Es bestünden auf dem für den Kläger fachlich und persönlich in Betracht kommenden Arbeitsmarkt ausreichend Integrationsmöglichkeiten in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Der Kläger habe einen guten Arbeitsmarkt vorgefunden. Es sei davon auszugehen, dass aufgrund der vorliegenden offenen Stellen für den Kläger die Eingliederung in den Arbeitsmarkt in absehbarer Zeit möglich wäre. Die Erfolgsaussichten der Eigenbemühungen des Klägers sowie der Vermittlungsaktivitäten der Beklagten zur Erlangung einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung seien als günstig zu bewerten. Darüber hinaus vertrete die Beklagte die Auffassung, dass der Kläger aufgrund seiner Einnahmen- und Vermögenssituation über genügend finanzielle Ressourcen verfüge, um sein Gründungsvorhaben selbst zu finanzieren. Der Kläger könne den Lebensunterhalt und die soziale Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung selbst sicherstellen. Nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens bleibe daher festzustellen, dass der beantragte Gründungszuschuss nicht gewährt werden könne.

Hiergegen richtet sich die unter dem 6. August 2012 bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main erhobene Klage, mit welcher der Kläger weiterhin eine Neubescheidung aufgrund fehlerhaft ausgeübten Ermessens durch die Beklagte begehrt. Soweit die Beklagte im Widerspruchsbescheid nun auch den Vermittlungsvorrang anführe, könne dieser im Falle des Klägers nicht bejaht werden. Insbesondere böten die in der Verwaltungsakte ersichtlichen Stellenangebote hierfür keinen Nachweis oder Anhaltspunkt, da sie im Hinblick auf seine Qualifikationen und seine bisherige Tätigkeit weitgehend unpassend gewesen seien.

Nach vorheriger Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht Frankfurt am Main mit Gerichtsbescheid vom 5. August 2014 die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 12. März 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Juli 2012 verpflichtet, den Antrag des Klägers auf Gewährung von Gründungszuschuss für die Aufnahme der selbständigen, hauptberuflichen Tätigkeit als Unternehmensberater ab dem 2. März 2012 unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Klage sei als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage in Gestalt der Bescheidungsklage zulässig. Eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage wäre im Hinblick auf das bestehende Ermessen im Rahmen von § 57 Abs. 1 SGB Ill in der hier maßgebenden Fassung vom 20. Dezember 2011 (a.F.) nur im Falle einer sog. Ermessensreduzierung auf null statthaft. Hierfür seien vorliegend allerdings keine Gründe ersichtlich und auch nicht vorgetragen. Insoweit handele es sich bei der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage um die statthafte Klageart.

Die Klage sei auch begründet. Der angefochtene Bescheid vom 12. März 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Juli 2012 sei rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten. Er habe einen Anspruch auf eine erneute Bescheidung der Beklagten über den Antrag auf Gewährung des Gründungszuschusses.

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden, könnten nach § 57 Abs. 1 SGB III a.F. zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung einen Gründungszuschuss erhalten.

Grundsätzlich lägen die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Gewährung des Gründungszuschusses nach § 57 Abs. 2 Satz 1 SGB Ill a.F. vor. Der Kläger habe am 2. März 2012 einen Anspruch auf Arbeitslosengeld von mehr als 150 Tagen; auch habe er der Beklagten die Tragfähigkeit seiner Existenzgründung sowie seine Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung der selbständigen Tätigkeit nachgewiesen. Trotz Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen bestehe hier jedoch kein gebundener Anspruch auf die Gewährung des Gründungszuschusses. Der Gesetzgeber räume der Beklagten auf der Rechtsfolgenebene Ermessen ein (vgl. "kann" in § 57 Abs. 2 Satz 1 SGB Ill). Gemäß § 39 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) hätten Leistungsträger ihr Ermessen sodann entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB I bestehe auf die pflichtgemäße Ausübung des Ermessens ein Anspruch. Die Beklagte sei daher berechtigt und verpflichtet unter Ausübung des ihr gesetzlich eingeräumten Ermessens über den Antrag auf Förderung zu entscheiden. Das habe sie hier zutreffend erkannt, allerdings den Förderungsantrag ermessensfehlerhaft abgelehnt.

Zu beachten sei insoweit, dass das Gericht die Ermessensentscheidung nur auf Ermessensfehler überprüfen dürfe und nicht seine eigene Ermessensausübung an die Stelle derjenigen der Verwaltung setzen dürfe (BSG, SozR 3-1200 § 39 Nr. 1). Das Gericht habe die Ermessensentscheidung nur im Hinblick darauf zu prüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten seien oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht sei, § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG.

Ein solcher Ermessensfehler sei in Gestalt eines Ermessensfehlgebrauchs gegeben. Weder ein Ermessensnichtgebrauch, noch eine Ermessensunterschreitung oder überschreitung lägen augenscheinlich vor. Es sei vorliegend ermessensfehlerhaft, den Antrag auf Förderung mittels Gründungszuschuss aufgrund vorhandener Eigenleistungsfähigkeit des Klägers abzulehnen. Grundsätzlich sei es nach Auffassung des Gerichts möglich, im Rahmen des Ermessens eine vorhandene Eigenleistungsfähigkeit zu berücksichtigen. Allerdings nur dann, wenn aus der selbständigen Tätigkeit selbst von Anfang an voraussichtlich derartige Gewinne erwirtschaftet würden, dass die Förderung mittels Gründungszuschuss nicht notwendig sei, um die Gründungsphase zu überbrücken (SG Berlin, Urteil vom 8. Februar 2010, Az. S 70 AL 3675/07). Dies ergebe sich aus dem Zweck der Vorschrift, mit dem Zuschuss die wirtschaftlich in der Regel schwierige Anfangszeit einer Gründung zu überbrücken. Sei diese Phase im Einzelfall nicht wirtschaftlich schwierig, könne der Gründungszuschuss seinen Zweck nicht erfüllen und sei zur Gründung nicht notwendig. Eine solche Überlegung einzubeziehen sei nach Überzeugung des Gerichts rechtmäßig (SG München, Urteil vom 12. März 2013, S 35 AL 753/12).

Nicht zu verbrauchen seien jedoch Vermögensmittel oder Einkünfte, die nicht aus der streitgegenständlichen selbständigen Tätigkeit resultierten. Das SGB Ill stelle grundsätzlich nicht auf die Eigenleistungsfähigkeit ab (im Gegensatz zum SGB II). Bei den Leistungen der Beklagten handele es sich um Versichertenleistungen. Der Kläger müsse nicht – bevor er Leistungen der Beklagten beantrage – vorhandene Mittel verbrauchen. Daher sei es nach Überzeugung der Kammer ermessensfehlerhaft, eine mögliche Eigenleistungsfähigkeit des Klägers zur Ablehnung des Förderantrags heranzuziehen (SG München a.a.O.)

In diesem Zusammenhang sei weiterhin unklar, in welcher Höhe und aus welcher "Quelle" die Beklagte dem Kläger entsprechende Einkommens- und Vermögenswerte unterstelle. Soweit sie beispielhaft in dem EDV-Vermerk vom 6. Februar 2012 auf die Eigenleistungsfähigkeit verweise und hierbei ausführe: "Kd. hat sehr sehr gut verdient" so sei dies weder tatsächlich, noch rechtlich präzise und könne nicht zur Grundlage einer Leistungsablehnung gemacht werden. Darüber hinaus sei nicht erkennbar, aus welchen weiteren Tatsachen die Beklagte die Eigenleistungsfähigkeit des Klägers herleite. Ob diese aus dem Businessplan von März 2012 herrühre, worin der Kläger ausführe, dass er für die Gründung des Unternehmens im ersten Schritt 3.000 Euro aus privaten Mitteln auf einem separaten Konto bereitstelle, oder aus seinen Ausführungen, notfalls familiäre Rücklagen abrufen zu können, sei nicht ersichtlich. Es handele sich um einen beachtlichen Ermessensfehler.

Sollte die Beklagte darüber hinaus eine Eigenleistungsfähigkeit des Klägers aus seiner selbständigen Tätigkeit zugrundlegen, hätte sie hierzu eine entsprechende Einzelfallprüfung vornehmen und ausführen müssen. Eine entsprechende Ersetzung des Gerichts durch eigene Ausführungen bzw. Erwägungen sei nicht zulässig.

Soweit die Beklagte darüber hinaus unter Hinweis auf eine fehlende Erforderlichkeit der Förderung des Klägers im Vergleich zu seinen Integrationsmöglichkeiten auf dem für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarkt den Antrag abgelehnt habe, sei dies grundsätzlich eine zulässige Ermessenserwägung. Im Rahmen der Ermessensentscheidung sei es zulässig, auf den Vermittlungsvorrang des § 4 SGB Ill zu verweisen, wenn zeitgleich eine Vermittlung in Arbeit möglich sei.

Ohne nähere Ausführungen hierzu habe die Beklagte dennoch erneut über den Antrag des Klägers zu entscheiden. Neben der sachfremden Erwägung der Eigenleistungsfähigkeit des Klägers habe sie auch die grundsätzlich sachgerechte Erwägung des Vermittlungsvorrangs einfließen lassen. Bei dieser Art der Begründung könne die fehlerhafte Erwägung der Eigenleistungsfähigkeit jedoch nicht ignoriert werden, da nicht auszuschließen sei, dass ohne sachfremde Erwägungen ein anderes Resultat erfolgt wäre.

Unter Aufhebung des ergangenen Verwaltungsaktes sei die Beklagte daher zu verpflichten, erneut über den Antrag des Klägers zu entscheiden.

Nachdem das Gericht nicht seine Auffassung an die Stelle der Entscheidung der Beklagten zu setzen habe, obliege es der Beklagten, über den Antrag des Klägers auf Gewährung des Gründungszuschusses erneut zu entscheiden. Im Rahmen der gebotenen Ermessensentscheidung könne die Beklagte ihre Ablehnung nicht darauf abstellen, dass dem Kläger ausreichende Eigenmittel zur Verfügung stünden.

Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 5. August 2014 ist der Beklagten am 7. August 2014 zugestellt worden. Am 2. September 2014 hat sie hiergegen beim Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 11. Dezember 2014 näher begründet. Danach habe das Sozialgericht in seiner Entscheidung ignoriert, dass die Beklagte den Antrag auf Gründungszuschuss nicht nur wegen der Eigenleistungsfähigkeit des Klägers, sondern im Wesentlichen wegen des Vermittlungsvorrangs abgelehnt habe. Dieser sei auch in der obergerichtlichen Rechtsprechung ein entscheidendes Kriterium. Allein dieser rechtfertige schon eine Ablehnung, auch wenn möglicherweise hinsichtlich des Gesichtspunktes der Eigenleistungsfähigkeit ein Ermessensfehlgebrauch vorgelegen habe. Im Übrigen bestünden auch Bedenken hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Gewährung eines Gründungszuschusses, da der Kläger bereits einen Tag vor der Arbeitslosmeldung einen Antrag auf Gründungszuschuss gestellt habe.

Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 5. August 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Selbst wenn die Beklagte allein wegen des Vermittlungsvorrangs den Antrag abgelehnt hätte, wäre auch dies ein Ermessensfehler gewesen. Denn sie sei nicht ihrer gesetzlichen Pflicht nachgekommen, individuell und auf das persönliche Profil des Klägers zugeschnitten zu recherchieren und die konkrete Arbeitsmarktsituation zu prüfen.

Mit Schriftsätzen vom 19. Juni 2015 (Beklagte) sowie 31. August 2015 (Kläger) haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die bei der Beratung jeweils vorgelegen haben, ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte eine Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung treffen, weil sich die Beteiligten damit übereinstimmend einverstanden erklärt haben (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Die gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerechte (§ 151 SGG) Berufung ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 12. März 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Juli 2012 ist insoweit rechtswidrig im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG, als die Beklagte von dem ihr eingeräumten Ermessen in fehlerhafter Weise Gebrauch gemacht hat. Daher steht dem Kläger der von ihm geltend gemachte Anspruch auf ermessensfehlerfreie Neubescheidung seines Antrags auf Gründungszuschuss zu. Die Entscheidung des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 5. August 2014 ist daher nicht zu beanstanden.

Einschlägige Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Gründungszuschuss ist vorliegend noch § 57 Abs. 1 SGB III in seiner durch das Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt (vom 20. Dezember 2011, BGBl. I 2854, in Kraft ab dem 28. Dezember 2011 = a.F.) erhaltenen Fassung, da die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit und somit der Eintritt des leistungsbegründenden Ereignisses im Sinne der §§ 422 Abs. 1 Nr. 1, 324 Abs. 1 SGB III am 2. März 2012 und damit auch noch vor dem 1. April 2012 (Inkrafttreten der Nachfolgevorschrift des § 93 SGB III) erfolgte.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen aus § 57 Abs. 1 und 2 SGB III a.F. waren, wie bereits das Sozialgericht in seinen Entscheidungsgründen zutreffend ausgeführt hat, erfüllt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird daher hierauf verwiesen und von einer weiteren Darstellung insoweit abgesehen (§ 153 Abs. 2 SGG). Soweit die Beklagte, die das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen in den angefochtenen Bescheiden offensichtlich noch selbst bejaht hatte, im Berufungsverfahren nunmehr Zweifel schon an der Verfügbarkeit des Klägers geäußert hat, greifen diese zur Überzeugung des Senats nicht durch. Dass sich der Kläger vielmehr dem Arbeitsmarkt uneingeschränkt zur Verfügung gestellt hat, lässt sich nicht nur dem insoweit aktenkundigen Beratungsvermerk der Beklagten vom 6. Februar 2012 (vgl. Bl. 55 der Verwaltungsakte) sowie der unter dem 6. Februar 2012 abgeschlossenen Eingliederungsvereinbarung (vgl. Bl. 53/54 der Verwaltungsakte) entnehmen, sondern ergibt sich auch daraus, dass die Beklagte dem Kläger bereits mit Bescheid vom 2. März 2012 mit Wirkung ab 1. März 2012 Arbeitslosengeld bewilligt hat. Trotz Kenntnis des Antrags des Klägers vom 6. Februar 2012 auf Gewährung eines Gründungszuschusses hat sie dessen Verfügbarkeit bis zur Aufnahme der selbständigen Tätigkeit offensichtlich selbst nie in Frage gestellt.

Die Beklagte hat jedoch von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer Weise Gebrauch gemacht, die rechtlicher Überprüfung nicht standhält. Ist ein Leistungsträger ermächtigt, bei der Entscheidung über Sozialleistungen nach seinem Ermessen zu handeln, hat er sein Ermessen gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten.

Ermessensfehlerhaft ist – abgesehen von dem hier eindeutig nicht vorliegenden Fall des Ermessensausfalls – das Handeln der Behörde insbesondere dann, wenn sie von unzutreffenden, in Wahrheit nicht gegebenen, unvollständigen oder falsch gedeuteten tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen ausgeht, Gesichtspunkte tatsächlicher oder rechtlicher Art berücksichtigt, die rechtlich nicht relevant sind, oder umgekehrt wesentliche Gesichtspunkte außer Acht lässt, die zu berücksichtigen wären (zusammenfassend Just in: Hauck/Noftz, SGB I, § 39 Rn. 15 m.w.N.). Die Einräumung von Ermessen – zu der es im Wege der Änderung von § 57 SGB III a.F. durch das Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt (vom 20. Dezember 2011, BGBl. I 2854, in Kraft ab dem 28. Dezember 2011) gekommen war geschah vor dem Hintergrund, dass durch eine vollständige Umwandlung des Gründungszuschusses in eine Ermessensleistung auf der Ebene der Arbeitsagenturen eine höhere Flexibilität bei der Förderung von Gründungen entstanden war. Ob im Einzelfall ein Gründungszuschuss gewährt wird, lag künftig im Ermessen des Vermittlers. Jenseits der Beurteilung der Tragfähigkeit des Geschäftskonzepts sollte durch den Vermittler die persönliche Eignung der Gründerin oder des Gründers eingeschätzt werden (zu alledem BT-Drs. 17/6277, S. 86 zu den Nummern 3 und 4). Darüber hinaus dürfen die Arbeitsagenturen zwar nach ermessenslenkenden Richtlinien verfahren, sie müssen hierin nicht erfasste besondere Umstände des Einzelfalles jedoch prüfen und in die Entscheidung erkennbar einbeziehen (zum Überbrückungsgeld BSG, Urteil vom 11. November 1993 – 7 RAr 52/93, SozR 3-4100 § 55a Nr. 5).

Vorliegend hatte die Beklagte in ihrem Ausgangsbescheid zur Ablehnung des Gründungszuschusses vom 12. März 2012 zur Begründung ausschließlich auf die Einnahmen- und Vermögenssituation – also auf dessen Eigenleistungsfähigkeit – abgestellt. Erst im Widerspruchsbescheid hat die Beklagte auch den Vermittlungsvorrang gem. §§ 4 und 5 SGB III als Ermessensgesichtspunkt aufgeführt, jedoch an dem Gesichtspunkt der Leistungsfähigkeit des Klägers im Rahmen der Ermessensausübung ausdrücklich festgehalten. Dies erweist sich – wie das Sozialgericht völlig zutreffend ausgeführt hat – im Ergebnis als ermessensfehlerhaft.

Denn bei dem Gründungszuschuss handelt es sich – mindestens überwiegend – auch um eine Versicherungsleistung nach dem SGB III, wofür z.B. spricht, dass gemäß § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB III a.F. der Anspruch auf Gründungszuschuss einen Restanspruch auf Arbeitslosengeld I von mindestens 150 Tagen voraussetzt und dieser ebenfalls nicht einkommens- bzw. vermögensabhängig ist (Kuhnke, in: jurisPK-SGB III, § 93 Rn. 36; vgl. zu weiteren Argumenten auch Anmerkung Bienert, info also 4/2015, S. 165 zu § 93 SGB III). Wie bei dem Arbeitslosengeld I ist eine Bedürftigkeitsprüfung folglich im Rahmen der Prüfung des Anspruchs (anders als z.B. bei dem Arbeitslosengeld II) nicht vorgesehen (vgl. Link in Eicher/Schlegel, SGB III, Stand Oktober 2013, § 93 Rn. 137). Dies lässt es demnach auch nicht zu, die allgemeine Einkommens- und Vermögenslage des Antragstellers im Rahmen der Ermessenserwägungen zu berücksichtigen, unabhängig von den sich daraus ergebenden weiteren rechtlichen und praktischen Problemen, wie z.B. der Frage des Abzugs von Verbindlichkeiten vom Vermögen bzw. der Absetzbarkeit von Freibeträgen usw. (vgl. hierzu ebenfalls Bienert, aaO). Eine solche Befugnis zur Berücksichtigung der allgemeinen Vermögenslage des Antragstellers bei der Ermessensausübung kann auch der Begründung des Gesetzentwurfs (BT-Drucks. 17/6277 S. 86) nicht entnommen werden. Als ermessensleitende Gesichtspunkte werden darin lediglich die Tragfähigkeit des Geschäftskonzepts und die persönliche Eignung, nicht jedoch die allgemeine Vermögenslage des Antragstellers, angeführt. Allenfalls für die zweite Förderphase dürfte danach auch ein Abstellen auf die soziale Absicherung bzw. die allgemeine Vermögenslage des Gründers bei der Ermessensausübung möglich sein.

Eine Berücksichtigung der "Eigenleistungsfähigkeit" im Rahmen des Ermessens auch in der ersten Förderphase ist zur Überzeugung des Senats nur dann möglich, wenn aus der selbständigen Tätigkeit selbst von Anfang an voraussichtlich derartige Gewinne erwirtschaftet würden, dass die Förderung mittels Gründungszuschuss nicht notwendig ist, um die Gründungsphase zu überbrücken (so auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28. Februar 2014 – L 8 AL 1515/13, juris Rn. 35; Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 10. April 2014 – L 3 AL 141/12, juris Rn. 36 auf die auch Hassel in: Brand, SGB III Kommentar, 7. Auflage 2015, § 93 Rn. 16a am Ende ausdrücklich verweist). So liegt der Fall hier jedoch nicht.

Das Sozialgericht hat somit die Beklagte zu Recht – unter Aufhebung der ergangenen Bescheide – zur Neubescheidung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts verpflichtet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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