S 15 SO 37/16 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Münster (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
15
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 15 SO 37/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Gründe:

Der - sinngemäße - schriftsätzliche Antrag des Antragstellers,

die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung vorläufig zu verpflichten, ihm für die Zeit ab Februar 2016 Leistungen nach dem SGB XII zu gewähren,

hat keinen Erfolg.

Der zulässige Antrag ist unbegründet.

1. Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund müssen glaubhaft gemacht sein.

Anordnungsgrund kann nur die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile sein. Entscheidend ist insoweit, ob es nach den Umständen des Einzelfalles für den Betroffenen zumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzu¬warten. Ein wesentlicher Nachteil liegt vor, wenn der Antragsteller konkret in seiner wirt¬schaftlichen Existenz bedroht ist oder ihm sogar die Vernichtung der Lebensgrundlage droht. Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache nicht mehr summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf Grundlage einer an der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 -; NVwZ 2005, 927 ff.).

2. Ausgehend von diesen Grundsätzen sind die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht gegeben. Der Antragsteller hat bereits keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.

a) Ein Anspruch auf (Aus-)Zahlung von Leistungen nach dem SGB XII steht dem Antragsteller nicht schon aus einem bereits erlassenen und noch wirksamen Leistungsbescheid zu. Zwar beruft sich der Antragsteller darauf, ihm sei bereits aufgrund "einer uneingeschränkten Erwerbsunfähigkeit [ ...] Grundsicherung mit einem rechtsgültigen Bescheid bis September 2016" gewährt worden. Tatsächlich ist dem Antragsteller mit Bescheid vom 25.10.2015 aufgrund der Feststellung einer nur befristeten vollen Erwerbsminderung jedoch Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel SGB XII nur für die Monate Oktober und November 2015 gewährt worden. Dabei enthält dieser Bescheid den Hinweis, dass die bewilligte Leistung "keine rentenähnliche Dauerleistung (kein Dauerverwaltungsakt)" sei. Dementsprechend kann der Antragsteller aus diesem Bescheid keinen Zahlungsanspruch gegen die Antragsgegnerin herleiten, der über die Monate Oktober und November 2015 hinausgeht. Nichts anderes ergibt sich aus dem Umstand, dass die Leistungen für die Zeit ab Dezember 2015 und Januar 2016 in der vom Bescheid vom 25.10.2015 festgesetzten Höhe tatsächlich an den Kläger ausgezahlt wurden. Wie bei Leistungen nach dem 3. Kapitel SGB XII üblich, liegt in diesen Auszahlungen vielmehr zugleich die Bewilligung der Leistung (nur) für den betreffenden Monat (vgl. zur konkludenten Bewilligung durch "Monatsbescheide" etwa BSG, Urteil vom 17.06.2008 – B 8/9b AY 1/07 R m.w.N.).

b) Ein Anspruch des Antragstellers auf die begehrte Leistung ergibt sich auch nicht unmittelbar aus dem SGB XII. Voraussetzung dafür wäre bei den für den Antragsteller einschlägigen Leistungen nach dem 3. Kapitel SGB XII gem. § 19 Abs. 1 SGB XII u.a., dass er seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus seinem Einkommen und Vermögen bestreiten kann. Dabei stehen präsente Selbsthilfemöglichkeiten – wie der weite Wortlaut "aus eigenen Kräften und Mitteln" (Grube, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Auflage 2014, § 19 Rn 11 f.) und der systematische Zusammenhang mit § 2 Abs. 1 SGB XII (Nachranggrundsatz) belegt – einem Anspruch auf Hilfe im Grundsatz ohne Einschränkung entgegen. Hier kann der Antragsteller seinen Lebensunterhalt ohne weiteres dadurch sichern, dass er der Ladung zum Strafantritt hinsichtlich der gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe nachkommt. Denn in der Strafhaft werden die nach § 27a Abs. 1 SGB XII vom notwendigen Lebensunterhalt erfassten Bedarfe vollständig gedeckt, zumal Strafhäftlingen – anders als Untersuchungshäftlingen oder nach § 126a StPO untergebrachten Personen (vgl. LSG NRW, Urteil vom 07.05.2012 – L 20 SO 55/12 –, juris) – ein zuschussweise gewährtes Taschengeld bzw. die Möglichkeit zur Erzielung von Arbeitseinkommen gewährt werden.

Der Verweis auf den Haftantritt als Selbsthilfemöglichkeit ist auch nicht unverhältnismäßig. Zwar ist allgemein anerkannt, dass dem Menschen ein Freiheitsdrang innewohnt, aufgrund dessen die Selbstbefreiung eines bereits Inhaftierten als nicht strafbar bzw. strafwürdig angesehen wird (BT-Drs. 4/650, S. 610; RGSt 3, 140, 141; BGHSt 17, 369, 374). Und es ist auch nicht von der Hand zu weisen, dass sich dieser Freiheitsdrang nicht nur und erst nach Haftantritt durch eine Selbstbefreiung, sondern bereits im Nicht-Antritt der Strafhaft manifestieren kann. Dies mag – zweifelnd insoweit das Reichsgericht und der BGH (aaO.: "Wenn das Gesetz hiernach aus humanen Beweggründen dem Freiheitsdrang eines Menschen glaubte Rücksicht schenken zu wollen.") – zwar das Absehen von Strafe und sonstigen Sanktionen rechtfertigen. Nicht rechtfertigen lässt sich dadurch jedoch das Begehren des Antragstellers, ihm Leistungen nach dem SGB XII zu gewähren. Denn durch die Gewährung der begehrten Leistungen würde es dem Antragsteller vereinfacht wenn nicht erst ermöglicht, der rechtlich bindenden Ladung zum Strafantritt auch weiterhin nicht Folge zu leisten. Wenn aber die Leistung einer staatlichen Stelle die bindende Anordnung einer anderen staatlichen Stelle zu konterkarieren droht, ist dies mit der Einheit der Rechtsordnung nicht vereinbar. Ein solch widersprüchliches staatliches Verhalten wäre geeignet, das Vertrauen der Rechtsgemeinschaft in den Rechtsstaat zu erschüttern und ist nicht zuletzt deswegen auch vor dem Hintergrund des Freiheitsdranges eines Menschen nicht hinnehmbar.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung des § 193 SGG.0
Rechtskraft
Aus
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