L 6 AS 379/15

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 7 AS 154/12
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 379/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine Erwerbstätigenpauschale oder ein Erwerbstätigenfreibetrag nach § 11 b SGB II ist nur bei Einkommen aus einer ausgeübten Erwerbstätigkeit zu berücksichtigen.

Weder das Ausbildungsgeld noch die Berufsausbildungsbeihilfe sind Einkommen aus Erwerbstätigkeit und auch nicht wie solches zu behandeln.

Vergleiche die Parallelentscheidung des Senats vom 9. März 2016, L 6 AS 795/12.
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 5. November 2014 geändert. Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander für beide Instanzen keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe der den Klägern für die Zeit vom 1. September 2011 bis zum 31. Januar 2012 zustehenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Zwischen den Beteiligten ist dabei allein noch umstritten, ob bei dem vom Kläger zu 1. bezogenen Ausbildungsgeld und bei der vom Kläger zu 2. bezogenen Berufsausbildungsbeihilfe ein Erwerbstätigenfreibetrag nach § 11 b SGB II abzusetzen ist.

Die 1993 geborenen Kläger sind Zwillinge und leben gemeinsam mit ihrer 1965 geborenen Mutter in einem gemeinsamen Haushalt. Der Beklagte gewährte den Klägern und ihrer Mutter als Bedarfsgemeinschaft mit Bescheid vom 29. Juli 2011 Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1. August 2011 bis zum 31. Januar 2012. Dabei entfielen auf die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bei den Klägern jeweils monatlich 137,00 Euro.

Ab dem 19. September 2011 nahmen beide Kläger getrennt voneinander an einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme teil. Die Bundesagentur für Arbeit bewilligte ab dem Beginn dieser Maßnahmen dem Kläger zu 1. Ausbildungsgeld bis zum 18. August 2012 in Höhe von monatlich 216,00 Euro (Bescheid vom 16. August 2011), dem Kläger zu 2. Berufsausbildungsbeihilfe bis zum 18. Juli 2012 in Höhe von insgesamt 261,00 Euro, wobei auf den Bedarf für den Lebensunterhalt 216,00 Euro entfielen (Bescheid vom 25. Oktober 2011).

Daraufhin änderte der Beklagte mit Bescheid vom 24. August 2011 seine Leistungsbewilligung für den Kläger zu 1. und mit Bescheid vom 24. Oktober 2011 für den Kläger zu 2. und bewilligte den Klägern für die Zeit vom 1. September 2011 bis zum 31. Januar 2012 jeweils nur noch monatlich 50,60 Euro an Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Eine hierdurch eingetretene Überzahlung der in der Vergangenheit erbrachten SGB II-Leistungen wurde durch einen von dem Beklagten bei der Bundesagentur für Arbeit angemeldeten Erstattungsanspruch ausgeglichen.

Mit ihrem Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 24. Oktober 2011 machten die Kläger geltend, die Anrechnung von Ausbildungsgeld und Berufsausbildungsbeihilfe auf das Arbeitslosengeld II sei fehlerhaft. Es handele sich um eine zweckbestimmte Einnahme bzw. es sei als Erwerbseinkommen im Sinne des SGB II zu bewerten, so dass ein Grundfreibetrag von 100,00 Euro zu berücksichtigen sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19. Januar 2012 wies der Beklagte den Widerspruch der Kläger als unbegründet zurück. Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass es sich bei der Berufsausbildungsbeihilfe und dem Ausbildungsgeld um Leistungen der Arbeitsförderung und somit um keine zweckbestimmten Einnahmen handele. Ein Freibetrag werde nur für Erwerbseinkommen berücksichtigt, Berufsausbildungsbeihilfe und Ausbildungsgeld seien jedoch kein Erwerbseinkommen sondern Leistungen, die die Arbeitsaufnahme förderten.

Für den streitgegenständlichen Zeitraum erließ der Beklagte aus anderen Gründen die weiteren Änderungsbescheide vom 26. November 2011, 18. Januar 2012 und 15. Februar 2012.

Die Kläger haben am 23. Februar 2012 Klage zum Sozialgericht Kassel gegen den Bescheid vom 24. Oktober 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Januar 2012 erhoben. Zur Begründung haben sie vorgetragen, dass das Ausbildungsgeld und die Berufsausbildungsbeihilfe nicht als Einkommen zu berücksichtigen seien, zumindest aber ein Erwerbstätigenfreibetrag davon abzusetzen sei.

Der Beklagte hat an seiner Rechtsauffassung aus dem Widerspruchsbescheid festgehalten.

Mit Urteil vom 5. November 2014 hat das Sozialgericht Kassel die Bescheide des Beklagten vom 24. Oktober 2011, 26. November 2011 und 18. Januar 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Januar 2012 sowie den Folgebescheid des Beklagten vom 15. Februar 2012 abgeändert und den Beklagten unter Abweisung der weitergehenden Klage verurteilt, den Klägern im Zeitraum vom 1. September 2011 bis zum 31. Januar 2012 Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung der Freibeträge nach § 11 b Abs. 2, Abs. 3 SGB II zu gewähren.

Zur Urteilsbegründung hat das Sozialgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass der gesamte Zeitraum vom 1. September 2011 bis zum 31. Januar 2012 Streitgegenstand der Klage sei. Zwar sei der Änderungsbescheid des Beklagten vom 24. August 2011 nicht angefochten worden, allerdings habe sich der Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 19. Januar 2012 sachlich darauf eingelassen, so dass auch dieser Bescheid zum Streitgegenstand geworden sei.

Die Klage sei insoweit begründet, als die Beklagte in ihren Bescheiden eine Leistungsberechnung ohne Berücksichtigung der Erwerbstätigenfreibeträge auf das Ausbildungsgeld bzw. die Berufsausbildungsbeihilfe der Kläger angenommen habe. Insoweit seien den Klägern SGB II-Leistungen für die Zeit vom 19. September 2011 bis zum 31. Januar 2012 nicht in vollem Umfang bewilligt worden.

Darüber hinaus sei die Klage jedoch abzuweisen, da es sich bei dem Ausbildungsgeld und der Berufsausbildungsbeihilfe um Einkommen im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II handele, das grundsätzlich als Einkommen auf die Leistungen nach dem SGB II in den angefochtenen Bescheiden anzurechnen gewesen sei. Zur Begründung hat das Sozialgericht dazu auf den Widerspruchsbescheid des Beklagten und auf die Rechtsprechung des Sächsischen Landessozialgerichtes (Urteil vom 1. November 2007, L 3 AS 158/06) hingewiesen.

Unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 27. September 2009 (B 4 AS 180/10 R) hat das Sozialgericht ausgeführt, dass sich das Ausbildungsgeld nach § 122 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung - (SGB Ill) sowie die Berufsausbildungsbeihilfe nach § 56 SGB Ill - anders als für die im Falle des Bundessozialgerichtes zu beurteilenden Leistung des Krankengeldes - nicht als Entgeltersatzleistung, sondern vielmehr als Entgelt darstelle, das die mangelnde Ausbildungsvergütung eines (ggf. fehlenden) Ausbildungsbetriebs ersetzen oder zumindest aufstocken solle, um den betroffenen Personenkreis - wie hier den Klägern - eine Berufsausbildung gleich oder später zu ermöglichen. Hierbei hat das Sozialgericht eine vergleichbare Interessenlage wie bei der Aufnahme einer - ggf. auch nur geringfügig entlohnten - (Neben-) Tätigkeit, die den Hilfebezug nach dem SGB II begrenzen oder aufheben soll, gesehen. Stärker noch als bei einer Erwerbstätigkeit bestehe bei Auszubildenden (oder nach entsprechender Berufsvorbereitung künftigen Auszubildenden) das vorrangige Ziel, ihnen stärkere Anreize als bislang zur Aufnahme oder Weiterführung ihrer Ausbildung bzw. der ausbildungsvorbereitenden Maßnahme zu bieten, damit sie mittelfristig aus eigenen Kräften und möglichst ohne Unterstützung der Grundsicherung für Arbeitssuchende und dann nach erfolgter Berufsausbildung dauerhaft in der Lage sein werden, ihren Lebensunterhalt eigenständig zu bestreiten.

Die Berufung zum Hessischen Landesozialgericht sei schon deshalb statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00 Euro übersteige. Denn der Wert des Beschwerdegegenstandes werde bei subjektiver Klagehäufung - wie im vorliegenden Fall - hinsichtlich der unterschiedlichen Streitgegenstände zusammengerechnet. Der zusammengerechnete Berufungswert im Sinne von § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sei bei beiden Klägern überstiegen, denen nach der Berechnung der Kammer nach diesem Urteil im Streitzeitraum noch jeweils 615,00 Euro versagt blieben, somit insgesamt 1.230,00 Euro. Nach der Berechnung der Kammer bedeute die Anrechnung der Freibeträge nach § 11 b Abs. 2, Abs. 3 SGB II eine Mehrbewilligung im Streitzeitraum für jeden Kläger von 465,00 Euro, somit von 930,00 Euro insgesamt zu Lasten des Beklagten, so dass auch insoweit der Beschwerdewert des § 144 Abs. 1 Satz Nr. 1 SGG überschritten wäre.

Gegen das ihm am 12. Dezember 2014 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 23. Dezember 2014 Berufung zum Hessischen Landessozialgericht eingelegt.

Auf Antrag der Beteiligten hat der Senat mit Beschluss vom 8. April 2015 das Ruhen des Verfahrens angeordnet bis zum Abschluss des Revisionsverfahrens vor dem Bundessozialgericht mit dem Aktenzeichen B 4 AS 37/14. Das Bundessozialgericht hat mit Urteil vom 16. Juni 2015 u.a. entschieden, dass Ausbildungsgeld nach dem SGB III nicht um die Erwerbstätigenpauschale oder den Erwerbstätigenfreibetrag zu bereinigen sei. Daraufhin ist das ruhende Berufungsverfahren unter dem neuen Aktenzeichen L 6 AS 379/15 fortgesetzt worden.

Der Beklagte sieht seine Rechtsauffassung durch die Entscheidung des Bundessozialgerichts bestätigt.

Der Beklagte beantragt,
das Urteil aufzuheben, soweit die Bescheide vom 24. Oktober 2011, 26. November 2011 und 18. Januar 2012, jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Januar 2012, sowie der Folgebescheid vom 15. Februar 2012 geändert werden und der Beklagte verurteilt wird, den Klägern im Zeitraum vom 1. September 2011 bis zum 31. Januar 2012 Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung der Freibeträge nach § 11b Abs. 2, Abs. 3 SGB II zu gewähren, und die Klage insoweit abzuweisen.

Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.

Nach Kenntnisnahme des Urteils des Bundessozialgerichts haben die Kläger um eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren gebeten.

Der Beklagte hat sein Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie zur Ergänzung des Sach- und Streitstands im Übrigen wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf den Inhalt der Verwaltungsakten des Beklagten, die Gegenstand der Entscheidungsfindung des Senats gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte den vorliegenden Rechtsstreit gemäß § 153 Abs. 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten ihr Einverständnis hierzu erteilt haben.

Die Berufung des Beklagten ist zulässig. Sie ist nach § 145 Abs. 1 Satz 2 SGG fristgerecht erhoben. Der Wert des Beschwerdegegenstandes liegt über dem in § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG genannten Betrag in Höhe von 750 Euro, wie das Sozialgericht in seinem Urteil bereits zutreffend ausgeführt hat.

Die Berufung ist auch begründet.

Das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 5. November 2014 ist abzuändern, und die Klage ist insgesamt abzuweisen. Die Bescheide vom 24. Oktober 2011, 26. November 2011 und 18. Januar 2012, jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Januar 2012, sowie der Folgebescheid vom 15. Februar 2012 verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten. Die Kläger haben keinen Anspruch darauf, dass das ihnen im streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. September 2011 bis zum 31. Januar 2012 zugeflossene Ausbildungsgeld bzw. die zugeflossene Berufsausbildungsbeihilfe um einen Erwerbstätigenfreibetrag nach § 11 b Abs. 2 und 3 SGB II zu bereinigen sind. Es handelt sich bei dem Ausbildungsgeld und der Berufsausbildungsbeihilfe nicht um Erwerbseinkommen im Sinne des § 11 b Abs. 2 und 3 SGB II.

Die Kläger gehörten im streitgegenständlichen Leistungszeitraum zum Kreis der leistungsberechtigten Personen nach dem SGB II. Durch die Teilnahme an der berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme, die von der Bundesagentur für Arbeit durch die Bewilligung von Ausbildungsgeld an den Kläger zu 1. nach §§ 104, 106 Abs. 1 Nr. 1 SGB III (in der in der vom 1. August 2010 bis zum 31. März 2012 geltenden Fassung vom 24. Oktober 2010) in Verbindung mit § 12 Abs. 1 Nr. 1 BAföG und durch die Bewilligung von Berufsausbildungsbeihilfe an den Kläger zu 2. nach §§ 59, 61 SGB III (in der in der vom 18. September 2010 bzw. 1. Januar 2009 bis zum 31. März 2012 geltenden Fassung vom 21. Dezember 2008) gefördert wurde, waren sie nicht vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 5 SGB II umfasst, da die Rückausnahme des § 7 Abs. 6 Nr. 2 SGB II a.F. eingreift.

Die Kläger erfüllten die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II, sie waren insbesondere hilfebedürftig.

Hilfebedürftig im Sinne von § 7 Abs. 1 Nr. 3 SGB II ist dabei der Vorschrift des § 9 Abs. 1 SGB II zufolge, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.

Als Einkommen zu berücksichtigen sind insoweit gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II Einnahmen in Geld oder Geldeswert abzüglich der nach § 11b abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a genannten Einnahmen.

Wie das Sozialgericht zu Recht entschieden hat, sind das Ausbildungsgeld und die Berufsausbildungsbeihilfe als Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu berücksichtigen. Es liegt insbesondere kein Fall einer zweckbestimmten Einnahme vor, die einer Einkommensberücksichtigung entgegenstehen könnte. Bezüglich dieser noch in der 1. Instanz umstrittenen Rechtsfrage ist das die Klage insoweit abweisende Urteil des Sozialgerichts rechtskräftig geworden. Die Kläger haben keine Berufung dagegen eingelegt. Ausführungen des Senats dazu sind insoweit nicht erforderlich (vgl. zu dieser Rechtsfrage das Urteil des Senats vom 9. März 2015, L 6 AS 795/12).

Nach § 11 b Abs. 2 Satz 1 SGB II ist bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die erwerbstätig sind, anstelle der Beträge nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 bis 5 ein Betrag von insgesamt 100,00 Euro monatlich abzusetzen. Nach § 11 b Abs. 3 Satz 1 und 2 SGB II ist bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die erwerbstätig sind, von dem monatlichen Einkommen aus Erwerbstätigkeit ein weiterer Betrag abzusetzen. Dieser beläuft sich
1. für den Teil des monatlichen Einkommens, das 100,00 Euro übersteigt und nicht mehr als 1.000,00 Euro beträgt, auf 20 Prozent und
2. für den Teil des monatlichen Einkommens, das 1.000,00 Euro übersteigt und nicht mehr als 1.200,00 Euro beträgt, auf 10 Prozent.

Ein Abzug der Erwerbstätigenpauschale nach § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II oder des Erwerbstätigenfreibetrags nach § 11b Abs. 3 SGB II kommt vorliegend nicht in Betracht. Denn ein Erwerbstätigenfreibetrag ist nur bei Einkommen aus einer ausgeübten Erwerbstätigkeit zu berücksichtigen (vgl. BSG, Urteil vom 27. September 2011, B 4 AS 180/10 R). Weder das Ausbildungsgeld noch die Berufsausbildungsbeihilfe sind jedoch Einkommen aus Erwerbstätigkeit und auch nicht wie solches zu behandeln.

Aus Wortlaut, Entstehungsgeschichte, systematischem Zusammenhang sowie Sinn und Zweck der Regelung folgt, dass der Erwerbstätigenfreibetrag einzig vom Erwerbs- und nicht von Erwerbsersatzeinkommen – auch nicht vom Krankengeld – in Abzug zu bringen ist (vgl. BSG, Urteil vom 27. September 2011, B 4 AS 180/10 R = SozR 4-4200 § 11 Nr. 40, Rdnr. 17 ff.). Der Freibetrag ist geschaffen worden, um Hilfebedürftigen stärkere Anreize als bislang zur Aufnahme oder Weiterführung einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu bieten, damit diese mittelfristig aus eigenen Kräften und möglichst ohne Unterstützung der Grundsicherung für Arbeitsuchende in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten (BT-Drucks. 15/5446, S. 1). Diese Zielsetzung geht beim Bezug von Entgeltersatzleistungen allerdings ins Leere. Die Absetzung von Freibeträgen und damit die Minderung des zu berücksichtigenden Einkommens oder umgekehrt, die Erhöhung des Teils der Entgeltersatzleistung, der zur Lebensunterhaltssicherung neben dem Alg II verbleiben würde, würde letztlich den gegenteiligen Anreiz setzen.

Erwerbstätig ist nur jemand, der eine wirtschaftlich verwertbare Leistung gegen Entgelt erbringt, um damit seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Als Erwerbstätigkeit kann daher auch nur eine Tätigkeit angesehen werden, die zu Erträgen zur Bestreitung des Lebensunterhalts führt, so dass der Hilfeempfänger durch eigenes Erwerbseinkommen in der Lage ist, jedenfalls zu einem Teil für seine Lebensgrundlage aus eigenen Kräften zu sorgen. Nur unter diesen Voraussetzungen können die Absetzbeträge ihren Sinn und Zweck erfüllen, der einerseits darin liegt, einen pauschalierten Ausgleich für arbeitsbedingte Mehraufwendungen zu schaffen und andererseits einen Anreiz zur Stärkung des Arbeits- und Selbsthilfewillens zu bieten (vgl. BSG, Urteil vom 27. September 2011, B 4 AS 180/10 R = SozR 4-4200 § 11 Nr. 40, Rn. 21 unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung zum BSHG).

Lohnersatzleistungen – wie etwa Krankengeld oder Arbeitslosengeld –, die erbracht werden, weil eine Erwerbstätigkeit gerade nicht (mehr) verrichtet wird, sind freilich kein Arbeitsentgelt (vgl. BSG, Urteil vom 27. September 2011, B 4 AS 180/10 R = SozR 4-4200 § 11 Nr. 40 Rn. 17; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, K § 11b Rn.365, Stand Februar 2015). Soweit demgegenüber Insolvenzgeld, Kurzarbeitergeld und die durch den Arbeitgeber zu leistende Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFG) in der Rechtsprechung wie Arbeitsentgelt behandelt werden, beruht dies darauf, dass diese Leistungen an ein bestehendes Arbeitsverhältnis anknüpfen oder Entgeltansprüche aus einem solchen voraussetzten (vgl. zum Insolvenzgeld: BSG, Urteil vom 13. Mai 2009, B 4 AS 29/08 R = SozR 4-4200 § 11 Nr. 22, Rn.17 ff.; zur Entgeltfortzahlung nach dem EntgFG: BSG, Urteil vom 27. September 2011, B 4 AS 180/10 R = SozR 4-4200 § 11 Nr. 40, Rn. 23 ff. und zum Kurzarbeitergeld: BSG, Urteil vom 14. März 2012, B 14 AS 18/11 R = SozR 4-4200 § 30 Nr. 2, Rn.14 ff.).

Ein solcher Bezug zu einem Arbeitsverhältnis liegt bei dem vom Kläger zu 1. bezogenen Ausbildungsgeld gerade nicht vor, denn diese Leistung stellt eine bedarfsorientierte spezifische Teilhabeleistung des Arbeitsförderungsrechts für behinderte Menschen dar, die der Förderung einer auf Ausbildung gerichteten Maßnahme dient. Zwar mag der Leistungsgewährung auch insoweit das Motiv zugrunde liegen, einen Anreiz zur Aufnahme oder Fortsetzung einer Ausbildung zu schaffen (vgl. BSG, Urteil vom 23. März 2010 - B 8 SO 17/09 R = BSGE 106, 62 = SozR 4-3500 § 82 Nr. 6, Rdnr. 26). Gleichwohl wird es nicht dadurch zu einer Gegenleistung für erbrachte Arbeit im Sinne von Arbeitsentgelt, sondern bleibt eine fürsorgerische Leistung mit Taschengeldcharakter. Wegen dieser Ausgestaltung des Ausbildungsgeldes als rein bedarfsorientierte Sozialleistung können auch die mit den Absetzbeträgen nach dem SGB II verfolgten Ziele nicht greifen (vgl. BSG, Urteil vom 11. Februar 2015 - B 4 AS 29/14 R, Rn. 21 m.w.N.). Denn durch die Notwendigkeit der Erbringung von Ausbildungsgeld wird gerade unterstrichen, dass dem Geförderten eine wettbewerbsfähige Betätigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (noch) nicht möglich ist.

Das Ausbildungsgeld hat deshalb eben gerade keine Lohnersatzfunktion. Die Leistungsbestimmung ist am Bedarf und nicht an zumeist fehlenden Vorleistungen (anders als zum Beispiel beim Übergangsgeld) orientiert (vgl. Großmann in: Hauck/Noftz, SGB III K § 122, Rn. 2). Das Ausbildungsgeld soll erst die Voraussetzung dafür schaffen, dass der Empfänger in die Lage versetzt wird, seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Anders als eine Ausbildungsvergütung, die selbst als Erwerbseinkommen zu qualifizieren ist, widerspricht es dem Sinn und Zweck des Ausbildungsgeldes, hiervon vor der Anrechnung auf die Bedürftigkeit im Sinne des § 27 Abs. 3 SGB II einen Erwerbstätigenfreibetrag in Abzug zu bringen.

Der oben genannte Bezug zu einem Arbeitsverhältnis liegt auch bei der vom Kläger zu 2. bezogenen Berufsausbildungsbeihilfe nicht vor. Die dazu für das Ausbildungsgelt angeführte Argumente lassen sich entsprechend auf die Berufsausbildungsbeihilfe nach § 59 ff. SGB III a.F. (ab 1. April 2012 § 56 ff. SGB III) übertragen. Wie das Ausbildungsgeld stellt auch die Berufsausbildungsbeihilfe keine Gegenleistung für erbrachte Arbeit im Sinne von Arbeitsentgelt dar sondern ist eine bedarfsorientierte Sozialleistung. Bei der Berufsausbildungsbeihilfe handelt sich um eine Leistung der aktiven Arbeitsförderung (§ 3 Abs. 2, 3 Nr. 2 SGB III). Sie verfolgt das Ziel, die Lebenshaltungskosten der Leistungsbezieher in etwa abzudecken (vgl. § 59 Abs. 1 Nr. 3 SGB III, ab 1. April 2012 § 56 Abs. 1 Nr. 3 SGB III).

Nicht nur der Höhe nach (was die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts angeht), sondern auch im Hinblick auf ihrer Zweckrichtung im Sinne der Förderung bei einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme gleichen sich die beiden den klagenden Zwillingen gewährten Leistungen der Bundesagentur für Arbeit. Dass nicht beide Kläger Berufsausbildungsbeihilfe bezogen, lag wohl allein daran, dass der Kläger zu 1. als behinderter Mensch die Anspruchsvoraussetzungen (auch) für das Ausbildungsgeld erfüllt, der Kläger zu 2. jedoch nicht.

Die streitgegenständlichen Bescheide des Beklagten sind auch im Übrigen rechtmäßig. Einwände gegen das Rechenwerk sind weder vorgetragen noch für den Senat ersichtlich. Die Klage war daher insgesamt abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind. Es liegt inzwischen eine gefestigte obergerichtliche Rechtsprechung dazu vor, dass Ausbildungsgeld und entsprechend auch die Berufsausbildungsbeihilfe in vollem Umfang als anrechenbares Einkommen zu berücksichtigen sind.
Rechtskraft
Aus
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