L 8 U 79/13

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Itzehoe (SHS)
Aktenzeichen
S 30 U 5/10
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 8 U 79/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Eine schädigende Strahlenexposition des Klägers aufgrund der Tätigkeit am Radargerät während seiner Wehrdienstzeit bei der NVA in der DDR muss im Vollbeweis, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden.

2. Nach den medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen stehen mit Ausnahme von Tumorerkrankungen sonstige Erkrankungen z.B. des internistischen, orthopädischen oder neurologischen Formenkreises in keinerlei Zusammenhang mit Röntgenstrahlung oder Hochfrequenzstrahlung.

3. Es liegen keine Gründe für Beweiserleichterungen oder gar eine Beweislastumkehr zugunsten des Klägers vor.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 26. August 2013 wird zurückgewiesen. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Leistungen für Erkrankungen, die er auf seine Tätigkeit im Wehrdienst der Nationalen Volksarmee (NVA) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) zurückführt.

Der im 1959 geborene Kläger beantragte am 7. April 2009 bei der Beklagten die Anerkennung einer Berufskrankheit gemäß Nr. 51 Berufskrankheitenverordnung deer DDR (BKV DDR), wobei er eine Gürtelrose, Diabetes, Bandscheibenvorfälle, Polyarthritis u. a. m auf eine unzulässig hohe Strahlenbelastung während seines Wehrdienstes vom 7. Januar 1979 bis 29. April 1981 zurückführte.

Mit Bescheid vom 8. Mai 2009 lehnte die Beklagte die Feststellung der Gesundheitsstörungen des Klägers als entschädigungspflichtige Berufskrankheit ab. Sie führte zur Begründung aus, in Ziff. 2401 Berufskrankheitenverordnung (BKV) sei der Graue Star durch Wärmestrahlen und in Ziff. 2402 BKV seien Erkrankungen durch ionisierende Strahlung als Berufskrankheit geregelt. Nach den vorliegenden Erkenntnissen könnten u. U. an verschiedenen Radargeräten von den Senderöhren/Modulatoren Röntgenstörstrahlung austreten, in deren Folge bestimmte Tumorerkrankungen verursacht werden könnten. Die Hochfrequenzstrahlung der Sendeantennen der Radargeräte könne solche Tumorerkrankungen jedoch nicht verursachen. Die Strahlungsart habe lediglich Wärmwirkung, die im schlimmsten Fall die Augenlinse schädigen könne. Ein Zusammenhang zu den vom Kläger genannten Gesundheitsstörungen sei nicht ersichtlich.

Dagegen hat der Kläger am 8. Juni 2009 Widerspruch eingelegt. Er begründete diesen damit, er habe die gesundheitlichen Beschränkungen Gürtelrose, Diabetes, Bandscheibenvorfälle, Polyarthritis und Fibromyalgie als Berufskrankheit ausdrücklich gemäß BK Nr. 51 BKV DDR beantragt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 9. Dezember 2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie führte aus, die Anwendung von Rechtsvorschriften der ehemaligen DDR komme nur für Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten in Betracht, die im Beitrittsgebiet vor dem 1. Januar 1992 eingetreten seien (§ 215 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) i. V. m. § 1150 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung). Da die vom Beklagten geltend gemachten Erkrankungen erst später aufgetreten seien, sei die Entscheidung im Sinne der Ziff. 2401 und 2402 BKV rechtmäßig. Entscheidend sei das Fehlen eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen eventuell gefährdender Tätigkeit und den Gesundheitsstörungen des Klägers.

Der Kläger hat am 12. Januar 2010 Klage vor dem Sozialgericht Itzehoe erhoben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, es gebe längst neue Erkenntnisse über die Wirkungen von Radarstrahlen, in deren Folge nicht zwangsläufig nur Krebserkrankungen aufträten. Das Radargerät P-12, an dem er gearbeitet habe, stamme aus russischer Produktion und sei zum Zeitpunkt seines Wehrdienstes schon einige Jahrzehnte alt gewesen. Es sei bekannt und nachweisbar, dass das Bedienpersonal dieser und gleichartiger Geräte schon von den unterschiedlichsten Erkrankungen betroffen und teilweise verstorben sei. Er – der Kläger – habe sich in Kiel Herrn Dr. B vorgestellt, der sich u. a. auch mit Umweltmedizin beschäftige. Seiner Meinung nach und auch der Meinung einiger von ihm befragter Kollegen nach sei es sehr gut möglich, dass seine – des Klägers – Erkrankungen auf die Radarstrahlung zurückzuführen seien.

Der Widerspruchsbescheid gehe von falschen Voraussetzungen aus. Bandscheibenvorfälle, Polyarthritis und Fibromyalgie seinen erst nach dem 1. Januar 1992 aufgetreten. Die Gürtelrose habe sich schon Ende der achtziger Jahre herausgebildet. Bei der Diabetes sei dies Anfang des Jahres 1991 der Fall gewesen. Für Gürtelrose und Diabetes sei in jedem Fall die Ziff. Nr. 51 der BKVO DDR anzuwenden. Diese erfasse alle Krankheiten durch physikalische Einwirkungen mit Ausnahme bösartiger Neubildungen, die von der Nr. 92 BKV DDR erfasst worden sei.

Der Bericht der Radarkommission, der vom 2. März 2003 stamme, entspreche dem damaligen wissenschaftlichen Stand der Dinge. Es sei nicht ausgeschlossen, dass mittlerweile neue wissenschaftliche Grundlagen vorhanden seien. Damit sei es keineswegs ausgeschlossen, dass ein Ursachenzusammenhang mit Radarstrahlung bestehe. Auch die Polyarthritis, eine Störung des Immunsystems, sei auf die Einwirkung ionisierender Strahlung zurückzuführen.

Der Kläger ist der Auffassung, er sei unbestreitbar und ungeschützt als Funkorter/Funkmesstechniker der Röntgenstörstrahlung am Rundsichtradar P-12 ausgesetzt gewesen und leide infolgedessen an den benannten Erkrankungen. Er beziehe sich im Hinblick auf unzulässig hohe Strahlenexposition im Wehrdienst an Röntgenstörstrahlern der NVA auf das Beispiel des Rundsichtradars P-15. Für dieses sei das Bundesministerium der Verteidigung zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Exposition gegenüber ionisierender Strahlung für Körperbereiche Hände, Beine, Kopf, Körperstamm und Becken möglich gewesen sei. Die Annahme, das Radargerät P-12 sei strahlungssicher gewesen, sei unzutreffend. In der Strahlenmessstelle Nord der Bundeswehr sei das baugleiche Radarsichtgerät P-18 geprüft worden. Die ermittelten Ergebnisse seien nicht aufgeführt worden. Die Radarkommission habe im Schlussbericht 2003 den Standpunkt vertreten, eine zuverlässige oder auch nur obere Abschätzung der Exposition durch Röntgenstörstrahlung sei rückwirkend nicht mehr möglich, da eine Vielzahl von Einflussfaktoren nicht mehr rekonstruierbar sei. Es lägen keine anderen Ausgangsdaten zur Strahlenbelastung von Röntgenstörstrahlen der NVA im allgemeinen und zu dem NVA-Rundsichtgerät P-12 vor als die, die schon in den Jahren ab 2002 vorgelegen hätten und eine extrem hohe Strahlungsbelastung ausgewiesen hätten. Er – der Kläger – habe den Eindruck, den Ausführungen der Beklagten sei zu entnehmen, dass ihre Ausgangsdaten gefälscht sein könnten; eine aktive Beweisvereitelung sei zu vermuten. Deswegen sei der angefochtene Bescheid nichtig.

Der Kläger macht weiter geltend, die Beklagte habe die Exposition nicht ausreichend ermittelt und trägt vor, er sei einer konservativ ermittelten Gesamtstrahlenbelastung von 0,3 Sv (0,3 Sv= Sievert = 300mSv= Millisievert = 300.000 µSv= Mikrosievert) ausgesetzt gewesen. Dabei nimmt er auf den Inhalt der Urkunde des Notars H N vom 13. Januar 2012 Bezug, bei dem Herr J Ba eine eidesstattliche Versicherung zur Dienstverwendung und der Strahlenbelastung des Klägers während dessen Wehrdienstes in der NVA der DDR abgegeben hat. Der Bericht der Radarkommission habe keine Verbindlichkeit. Er erübrige die Prüfung der Kausalität nicht. Der Kläger vertritt weiter die Auffassung, in der Nr. 92 und Nr. 51 BKV DDR sei die Ursächlichkeit der beruflichen Strahlenschäden aller Erkrankungen, darunter auch aller bösartigen Neubildungen und nicht bösartigen Erkrankungen, generell anerkannt.

Zur Anwendung der einschlägigen Rechtsnorm sei zu beachten, dass für alle vor dem 3. Oktober 1990 von Soldaten während der Zugehörigkeit der ehemaligen NVA erlittenen Schädigungen die Regelungen der DDR anwendbar seien. Der Wehrdienst in der NVA sei eine versicherungspflichtige Tätigkeit im Sinne der Sozialversicherung der DDR gewesen. Er habe nach seinem Ausscheiden aus dem aktiven Wehrdienst einen Anspruch auf Sach- und Geldleistungen der Sozialversicherung der DDR gehabt für den Fall, dass eine Erkrankung ursächlich auf den Wehrdienst in der NVA zurückgeführt werden würde. Für die bis zum 31. Dezember 1990 im Beitrittsgebiet eingetretenen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten, die erst nach dem 31. Dezember 1994 angezeigt worden seien, sei die Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung Wilhelmshaven als Rechtsnachfolger der ehemaligen Sozialversicherung der DDR zuständig.

In der mündlichen Verhandlung am 26. August 2013 ist seitens des Klägers im Hinblick auf die mit Schriftsätzen vom 7. Januar und 4. August 2010 gestellten Anträge auf Durchführung eines Beweissicherungsverfahrens erklärt worden, es solle sich um Beweisanträge im Rahmen dieses Klageverfahrens handeln. Nach einer diesbezüglichen Erörterung wie auch der weiteren Erörterung des Sach- und Streitstandes ist seitens des Klägers erklärt worden, es sei durchaus möglich, dass die bei der NVA ausgeübte Tätigkeit zu den vorgetragenen Erkrankungen geführt habe.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid vom 8. Mai 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Dezember 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Gürtelrose, Diabetes, Bandscheibenvorfälle, Polyarthritis, Fibromyalgie als Berufskrankheit nach § 9 SGB VII i.V.m. Ziffer 2402 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung, hilfsweise Nr. 51 der BKV DDR, anzuerkennen sowie Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat ergänzend vorgetragen, es bestehe bei den vorliegenden Erkrankungen kein Kausalzusammenhang zwischen Erkrankung und einer Strahlenbelastung. Bei der Bewertung der Arbeitsplatzverhältnisse für das Gerät Typ P-12 habe keine entsprechende Exposition vorgelegen. Die Beklagte hat sich weiter auf eine Stellungnahme der Wehrbereichsverwaltung Ost vom 10. Dezember 2012 und den Bericht der Radarkommission bezogen. Hinsichtlich der Details wird auf die Arbeitsplatzexposition der Wehrbereichsverwaltung Ost vom 10. Dezember 2012 (Bl. 147-149 Gerichtsakte – GA –)sowie den übersandten Teilbericht Änderung I der Arbeitsgruppe Aufklärung der Arbeitsplatzverhältnisse Radar für das Radargerät P-12 vom 2. März 2005, durch den der gleichnamige Bericht vom 7. Juni 2002 ersetzt worden ist, (Bl. 150-154 GA.) Bezug genommen.

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat unter dem 15. März 2010 Stellung genommen und mitgeteilt, nicht zuständige Beklagte zu sein, vielmehr sei dies die Unfallkasse des Bundes in Wilhelmshaven. Seit dem 1. Januar 2003 sei die Unfallkasse des Bundes als selbständige Körperschaft des öffentlichen Rechts Rechtsnachfolgerin des Bundes in dem vorher von der Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung verwalteten Bereich. Die Beklagte ist der Stellungnahme des BMAS am 12. März 2010 beigetreten.

Durch Urteil vom 26. August 2013 hat das Sozialgericht Itzehoe die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Sozialgericht im Wesentlichen ausgeführt, die Klage sei zulässig, aber mit dem in der mündlichen Verhandlung zutreffend konkretisierten Antrag in der Sache erfolglos. Der Bescheid der Beklagten vom 8. Mai 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Dezember 2009 sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Bei der BK 2402, die Erkrankungen durch ionisierende Strahlen erfasse, sei der Nachweis einer entsprechenden Ganz- oder Teilkörperbestrahlung, einer Kontamination oder Inkorporation erforderlich. Es sei hier aber nicht festzustellen, ob der Kläger während seines Wehrdienstes in der NVA der DDR einer Strahlendosis ausgesetzt gewesen sei, die zu einer Steigerung der Erkrankungswahrscheinlichkeit geführt hätte.

Eine solche Feststellung sei weder aufgrund der Basis der urkundlich einbezogenen Erklärung von Herrn Ba aus E noch auf Basis der Arbeitsplatzexposition des Klägers durch die Wehrbereichsverwaltung Ost vom 10. Dezember 2012 zu treffen. Festzustellen sei, dass der Kläger vom 1. November 1979 bis zum 29. April 1981 im Fla-Raketenregiment 19 als Funkorter am Radargerät P-12 tätig gewesen sei. Das ergebe sich aus der Wehrstammkarte des Klägers. Zu seinen Aufgaben hätten hiernach Arbeiten am Sichtgerät (Bildschirmtätigkeit) sowie Wartungsaufgaben gehört. Nach der Stellungnahme der Wehrbereichsverwaltung Ost sei das Radargerät P-18 durch die Strahlenmessstelle der Bundeswehr im Jahre 2002 vermessen worden; dieses Gerät sei im Hinblick auf den Sender/Modulator baugleich mit dem Radargerät P-12. Die vom Kläger behauptete Vergleichbarkeit des Radargerätes P-15 mit dem Radargerät P-12 habe sich nach den Ausführungen der Wehrbereichsverwaltung Ost inhaltlich nicht bestätigt und führe auch zu keinem anderen Ergebnis im Hinblick auf die feststellbare Strahlungsexposition.

Die Arbeitsplatzexposition belege, dass der Funkorter und Truppführer eine qualifizierende Tätigkeit ausübten, aber infolge der Tätigkeit des Klägers am Radargerät P-12 keine Körperbereiche durch Strahlung exponiert worden seien. Ob der Kläger darüber hinaus durch Hochfrequenzstrahlung infolge eines möglichen Aufenthalts im Nahbereich der Radarantenne ausgesetzt gewesen sei, sei nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung nicht aufklärbar. Aufgrund der fehlenden Feststellbarkeit einer Strahlungsexposition des Klägers sei auch ein Zusammenhang mit einer Erkrankung des Klägers nicht ableitbar.

Weiter hat das Sozialgericht detailliert und umfänglich dargelegt, dass die Voraussetzungen für eine Beweislastumkehr zugunsten des Klägers nicht vorlägen, ebenso, dass weitere Beweisaufnahmen nicht durchzuführen seien, und zwar auch insoweit nicht, als der Kläger-Vertreter zutreffenderweise in der Verhandlung klargestellt habe, dass es sich bei den Beweissicherungsanträgen um Beweisanträge handeln solle. Daher, so die Schlussfolgerung des Sozialgerichts, wären Leistungen der Unfallversicherung wegen der Erkrankungen des Klägers als Berufskrankheit erfolglos.

Der Hilfsantrag des Klägers habe ebenfalls keinen Erfolg; denn für alle nach dem 31. Dezember 1991 aufgetretenen Krankheiten infolge des Wehrdienstes seien die Vorschriften des SGB VII anzuwenden, nach denen – wie dargestellt – kein Anspruch zugunsten des Klägers zu bejahen sei. Die Behauptungen des Klägers über einen zeitlich früheren Eintritt von Erkrankungen hätten sich nicht bestätigt.

Gegen das ihm am 5. September 2013 zugestellte Urteil hat der Kläger am 11. Sep-tember 2013 Berufung eingelegt. Mit ihr wiederholt und bekräftigt er seinen erstinstanzlichen Vortrag und seine dort vertretene Rechtsauffassung. Zudem rügt der Kläger, dass das Sozialgericht seinen – des Klägers – Beweisantritten aus der Klageschrift nicht nachgegangen sei. Dort habe er sich u. a. auf folgende Beweiserhebung bezogen:

• " Beiziehung des Teilberichtes zu den NVA-Radargerätes Typs P-12 • Beiziehung der Messprotokolle zur Ortsdosierungsleistung an dem NVA-Radargerät des Typs P-12 • Beiziehung der Fachberichte zur Röntgenstrahlung von Elektrovakuumgeräten • Zeugnis des Dr. G S , Hauptstrahlenschutzbeauftragter im Ministerin für nationale Verteidigung der DDR • Beiziehung der schriftlichen Unterlagen der Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung zu strahlenbedingten Erkrankungen nach Ziffer 2402 Berufskrankheitenverordnung • Beiziehung der technischen Stellungnahme bezogen auf Strahlenerkrankungen der Wehrbereichsverwaltung Ost vom 07.07.2004 • Beiziehung der Denkschrift des Prof. Dr. med. Ea Ga zur Radarproblematik • Zeugnis des Prof. Dr. med. Ga als sachverständiger Zeuge, Ha Straße , Bc."

Der Kläger beantragt schriftsätzlich,

das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 26. August 2013 und den Bescheid der Beklagten vom 8. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Dezember 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Gürtelrose, Diabetes, Bandscheibenvorfälle, Polyarthritis und Fibromyalgie als Berufskrankheiten nach § 9 SGB VII i. V. m. Ziffer 2402 der Anlage zur BKV, hilfsweise Nr. 51 der BKV DDR, anzuerkennen sowie Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie macht geltend, die Berufungsbegründung spiegle nahezu identisch das erstinstanzliche Vorbringen des Klägers wieder. Mit sämtlichen Argumenten habe sich in zutreffender Art und Weise das Sozialgericht im angefochtenen Urteil bereits auseinandergesetzt. Maßgebend sei nach wie vor, dass es für die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2402 der Anlage zur BKV eindeutig an korrespondierenden Erkrankungsbefunden fehle. Ebenso wenig sei nach wie vor eine konkrete Strahlenexposition des Klägers hinsichtlich Dauer und Höhe nachgewiesen. Mithin fehle es sowohl am haftungsbegründenden wie auch am haftungsausfüllenden Kausalzusammenhang.

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 22. Februar 2016 an Eides statt versichert, ihm seien einschlägige rechtserhebliche Tatsachen zur Kenntnis gelangt, die bei Erhebung der Berufungsklage noch nicht zur Verfügung gestanden hätten. Daher sei der anberaumte Termin zur mündlichen Verhandlung am 16. März 2016 aufzuheben und ihm sei eine Vortragsfrist bis zum 31. Mai 2016 zu gewähren. Dieser Antrag ist seitens des Landessozialgerichts abgelehnt worden. Ein weiterer, inhaltlich im Wesentlichen gleichlautender Antrag des Klägers vom 1. März 2016 ist ebenfalls abgelehnt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen; diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 26. Au¬gust 2013 ist zulässig, aber nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 8. Mai 2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 9. Dezember 2009 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die von ihm geltend gemachten Gesundheitsschäden (Gürtelrose, Diabetes, Bandscheibenvorfälle, Polyarthritis und Fibromyalgie) als Berufskrankheit nach § 9 SGB VII i. V. m. Nr. 2402 der Anlage 1 zur BKV, hilfsweise nach Nr. 51 der BKV DDR, anerkannt werden und ihm auf dieser Grundlage Leistungen der Unfallversicherung, die vom Kläger nicht näher konkretisiert worden sind, gewährt werden. Das die darauf gerichtete Klage abweisende Urteil des Sozialgerichts ist rechtmäßig und daher ebenso wenig aufzuheben wie die vorgenannten Bescheide der Beklagten, die diese als selbstständige Körperschaft des öffentlichen Rechts als Rechtsnachfolgerin des Bundes in dem vorher von der Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung verwalteten Bereich und damit für ihren – der Beklagten – Zuständigkeitsbereich erlassen hat.

Gemäß § 7 Abs. 1 SGB VII sind Versicherungsfälle Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Ermächtigungsgrundlage für die Bezeichnung von Berufskrankheiten ist § 9 Abs. 1 SGB VII. Danach sind Berufskrankheiten Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 und 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden (Satz 1). Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Entwicklung verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (Satz 2). Sie kann dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind oder wenn sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten geführt haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können (Satz 3).

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist für die Feststellung einer Listen-BK erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und diese Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkung" und die "Krankheit" im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (vgl. nur BSG, Urteil vom 4. Juli 2013 – B 2 U 11/12 R –, juris m. w. N.). Eine Möglichkeit verdichtet sich dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R -, juris). Nach der Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (Bundessozialgericht, Urteil vom 9. Mai 2006, a.a.O.; Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 9. Dezember 2015 – L 8 U 21/12 –, vom 20. Januar 2016 – L 8 U 49/14 –).

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Die BK 2402 der Anlage 1 zur BKV erfasst Erkrankungen durch ionisierende Strahlen. Ionisierend bedeutet, dass diese Strahlen aufgrund hohen Energiepotentials, das ihnen innewohnt, in der Lage sind, Atome, die von ihnen getroffen werden, in einen elektrisch geladenen Zustand zu versetzen. Damit sind ionisierende Strahlen u.a. fähig, Atome und Moleküle in biologischen Zellen oder die "Baupläne" von Organ(ism)en (Erbsubstanz) zu verändern. Die Wirkungen ionisierender Strahlen sind in der Regel abhängig von der Strahlenart, Strahlendosis, Dosisleistung, Größe des in die Bestrahlung einbezogenen Körpervolumens, zeitlichen Dosisverteilung, vom Wassergehalt und der Lösungskonzentration im Gewebe, insbesondere von ihrem Sauerstoffgehalt (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, S. 1179).

Hier fehlt es schon am Nachweis einer schädigenden Strahlenexposition des Klägers während seines Wehrdienstes bei der NVA der DDR.

Bereits die Beklagte hatte in ihrem Bescheid vom 8. Mai 2009 darauf abgestellt, dass nach den vorliegenden Erkenntnissen unter Umständen an verschiedenen Radargeräten von den Senderöhren/Modulatoren Röntgenstörstrahlung austreten könne, in deren Folge bestimmte Tumorerkrankungen verursacht worden sein könnten. Die von den Sendeantennen der Radargeräte ausgehende Hochfrequenzstrahlung könne solche Tumorerkrankungen jedoch nicht verursachen, da diese Strahlungsart lediglich eine Wärmewirkung habe, die im schlimmsten Fall die Augenlinse schädigen könne. Nach den medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen, wie sie im einschlägigen Schrifttum (z. B. bei Schönberger/Mehrtens/Valentin "Arbeitsunfall und Berufskrankheit", 7. Aufl. 2003, S. 1251 ff.) und in den amtlichen Merkblättern zu den Ziffern 2401/2402 der BKV niedergelegt seien, insbesondere aber auch nach dem Bericht vom 2. Juli 2003 (vgl. dort Seiten 109/110) der vom Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages eingesetzten "Radarkommission" stünden mit Ausnahme von Tumorerkrankungen (bzw. Trübungen der Augenlinsen (Katarakt)), die beim Kläger aber nicht vorlägen, sonstige Erkrankungen (z. B. des internistischen, orthopädischen oder neurologischen Formenkreises) in keinerlei Zusammenhang mit Röntgenstörstrahlung oder Hochfrequenzstrahlung. Unter Berücksichtigung all jener Erkenntnisse könnten daher die Gesundheitsstörungen des Klägers offenkundig nicht in einen Ursachenzusammenhang mit dessen wehrdienstlicher Tätigkeit gebracht werden; folglich liege eine Berufskrankheit nicht vor.

Zu diesem Ergebnis ist auch das Sozialgericht im angefochtenen Urteil gekommen. Es hat im Zusammenhang mit den Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK 2402, also Erkrankungen durch ionisierende Strahlen, im Einzelnen unter Benennung und sorgfältiger Auswertung aller zur Verfügung stehenden Unterlagen und unter Berücksichtigung des umfangreichen Vortrags des Klägers zutreffend, in sich widerspruchsfrei und nachvollziehbar dargelegt, es sei nicht festzustellen, dass der Kläger während seines Wehrdienstes einer Strahlendosis ausgesetzt gewesen sei, die zu einer Steigerung der Erkrankungswahrscheinlichkeit geführt hätte. Dabei hat es u. a. darauf abgestellt, dass nach der Stellungnahme der Wehrbereichsverwaltung Ost durch die Strahlenmessstelle der Bundeswehr im Jahre 2002 das Radargerät P-18 vermessen worden sei, das im Hinblick auf den Sender/Modulator baugleich sei mit dem Radargerät P-12, an dem der Kläger gearbeitet habe. Im Einzelnen heißt es dort, nach dem Ergebnis der Arbeitsplatzexposition der Wehrbereichsverwaltung Ost sei dabei ein Wert von 150 Mikrosievert pro Stunde auf dem unter Hochspannung stehenden Modulator bei einem offenen Gerätegehäuse in 5 cm Abstand gemessen worden. Dieser Wert entspreche nicht dem üblichen Betriebszustand, sondern diente der Ermittlung der Maximalleistung des Senders. Bei den Messungen im betriebsüblichen Zustand seien keine Werte der Ortsdosisleistung über dem Untergrund feststellbar gewesen. Modulator und Sender seien dabei geschlossen gewesen. Ein Betrieb mit geöffnetem Modulator oder Sender sei technisch nicht möglich gewesen. Zwar habe es Radargeräte mit höheren Strahlenwerten gegeben. Die im Radargerät P-37 gemessene Ortsdosisleistung von 110 Mikrosievert pro Stunde an den Lüftungsschlitzen sei aber bei dem Radargerät P-12 nicht möglich gewesen, da dieses Gerät durch eine massive Gerätefront abgeschirmt gewesen sei. Arbeiten im Sender oder Modulator seien bei eingeschalteter Hochspannung nicht möglich gewesen. Zudem hat das Sozialgericht im Einzelnen dargelegt, dass das Radargerät P-15 – entgegen der Auffassung des Klägers – nicht vergleichbar sei mit dem Gerät P-12. Die Empfehlungen der Radarkommission vom 2. Juli 2003 hätten zu der Erarbeitung technischer Stellungnahmen für die Radargeräte der NVA geführt, von denen nur das Radargerät P-15 aufgrund einer gutachterlichen Untersuchung beim Landgericht Frankfurt/Oder ausgenommen gewesen sei. Nachdem das dort eingeholte Gutachten ergeben habe, dass eine geringe Strahlungsenergie auf den dem Gerät zugewandten Körperseiten und dazu im Gewebe geringer Tiefe und nicht in unzulässiger Höhe exponiert worden sei, sei die Anfertigung eines weiteren Berichts für entbehrlich gehalten worden.

Auch die Schlussfolgerung des Sozialgerichts, aufgrund der fehlenden Feststellbarkeit einer Strahlenexposition des Klägers sei auch ein Zusammenhang zu einer Erkrankung des Klägers nicht ableitbar und die dazu im Einzelnen aufgezeigten Überlegungen, dass und aus welchen Gründen Beweiserleichterungen oder gar eine Umkehr der Beweislast zugunsten des Klägers hier nicht in Betracht kämen, wobei das Sozialgericht sich auch ausführlich mit der eidesstattlichen Versicherung des Herrn Ba in der notariellen Urkunde vom 13. Januar 2012 auseinandergesetzt hat, hält der Senat für zutreffend und macht sich auch insoweit die dortigen Überlegungen zu eigen.

Zur Vermeidung von Wiederholungen wird daher zunächst gemäß § 153 Abs. 2 SGG insgesamt auf die vorgenannten diesbezüglichen Entscheidungsgründe im angefochtenen Urteil vom 26. August 2013 verwiesen. Eine solche Verweisung auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil erfolgt ebenfalls hinsichtlich der dortigen umfassenden und inhaltlich zutreffenden Begründung, warum keine Veranlassung bestanden habe, weitere Beweisaufnahmen durchzuführen, und zwar auch insoweit nicht, als der Kläger in der dortigen mündlichen Verhandlung klargestellt habe, dass es sich bei den von ihm zunächst so bezeichneten Beweissicherungsanträgen um Beweisanträge handeln solle. Der Senat hält eine weitere Beweisaufnahme aus den bereits vom Sozialgericht dargelegten Gründen ebenfalls nicht für geboten. Abgesehen davon, dass der Kläger auch in der Berufungsinstanz keine Beweisthemen mit konkreten Tatsachen benannt hat, die durch ihnen konkret zugeordnete Beweismittel hätten belegt werden sollen, ist dem im Berufungsverfahren daher als Beweisanregung einzustufenden Vortrag des Klägers nicht nachzugehen, und zwar ungeachtet dessen, ob sich die vom Kläger zur Beiziehung vorgesehenen Unterlagen, die dieser nicht alle mit Daten benannt hat, zum Teil schon bei den von den Beteiligten insgesamt zur Gerichtsakte gereichten Schriftstücken befinden. Die Beiziehung der vom Kläger benannten Unterlagen würde – wie schon vom Sozialgericht ausgeführt – ohnehin keine Rückschlüsse auf eine theoretisch denkbare schädigende Strahlung des konkret eingesetzten Radargeräts P-12, an dem der Kläger tatsächlich gearbeitet hat, im Sinne eines Vollbeweises ermöglichen und es müsste insofern schlicht "ins Blaue hinein" ermittelt werden müsste. Selbiges träfe auch zu bei einer Anhörung der beiden namentlich angeführten Zeugen (Dr. S , Hauptstrahlenschutzbeauftragter im Ministerium für nationale Verteidigung der DDR; Prof. Dr. med. Ga , auf dessen Denkschrift zur Radarproblematik sich der Kläger beruft). Hier käme noch hinzu, dass selbst vereinzelte Stimmen, sofern sie – entgegen den Ergebnissen in den vorliegenden Berichten über die Expositionsanalyse zum Verfahren des Klägers vom 10. Dezember 2012 und zur möglichen Strahlenexposition beim Radargerät P-12 (Teilbericht Änderung I vom 2. März 2005) – eine hohe Strahlenexposition beim Arbeiten am Radargerät P-12 mit einer darauf zurückzuführenden Steigerung der Erkrankungswahrscheinlichkeit beim Kläger annehmen sollten, nicht die geltende medizinisch-wissenschaftliche Lehrmeinung im unfallversicherungsrechtlichen Sinne darstellen würden.

Zutreffend hat das Sozialgericht auch den hilfsweise geltend gemachten Anspruch auf Anerkennung der Erkrankungen des Klägers als eine BK Nr.51 der BKV DDR abgelehnt. Auch insoweit macht sich der Senat die diesbezüglichen detaillierten Ausführungen des erstinstanzlichen Gerichts zu eigen und verweist gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die dortigen Entscheidungsgründe.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG; sie orientiert sich am Ausgang des Verfahrens.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG durch den Senat zuzulassen, bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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