L 7 AS 1391/14

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 13 AS 2904/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 1391/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 AS 14/16 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 10.07.2014 wird zurückgewiesen. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Kläger zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Mit der Berufung wendet sich der Beklagte gegen seine Verurteilung zur Bewilligung von Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II im Zeitraum vom August 2009 bis November 2009 in Höhe von monatlich 494,47 EUR und im Dezember 2009 in Höhe von 400,00 EUR.

Die 1967 geborene Klägerin zu 1) ist kongolesische Staatsangehörige. Sie reiste im Februar 1994 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Der 1997 geborene Kläger zu 2) und die 1999 geborene Klägerin zu 3) sind die Kinder der Klägerin und leben mit dieser in einem Haushalt. Die Klägerin zu 1) war im streitigen Zeitraum alleinerziehend. Sie verfügte nicht über Vermögen oder Einkommen. Ein Antrag auf Kindergeld war im streitigen Zeitraum noch nicht beschieden.

Die Klägerin zu 1) war 2009 im Besitz einer Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 4 AufenthG auf der Grundlage einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 AufenthG unter Gestattung jeder Beschäftigung. Im streitigen Zeitraum bestand eine Wohnsitzauflage für den Kreis E. Am 24.07.2009 beantragte die Klägerin zu 1) die Aufhebung der Wohnsitzauflage bei dem Ausländeramt mit der Begründung, die von ihr in E bewohnte Wohnung sei zu klein und sie könne keine andere Wohnung zu den in E als angemessenen erachteten Kriterien finden. Den Antrag lehnte das Ausländeramt mit bestandskräftigem Bescheid vom 26.05.2010 ab. Eine Vollstreckung der Wohnsitzauflage ist nicht erfolgt.

Die Kläger bezogen bis zum 31.07.2009 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom Kreis E. Zum 01.08.2009 zogen die Kläger von E in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten nach C., Im X. 00. Die monatlichen Kosten der 70 qm großen Wohnung beliefen sich auf 350,00 EUR Grundmiete zzgl. 90,00 EUR Nebenkosten- und 70,00 EUR Heizkostenvorauszahlung. Die Kosten der Warmwasserbereitung waren in den Heizkosten enthalten. Mit Bescheid vom 13.08.2009 hob der Kreis E die Leistungsbewilligung ab 01.08.2009 auf.

Der Vermieter kündigte wegen Mietrückständen das Mietverhältnis zum 30.11.2009. Die Kläger zogen daraufhin ab dem 01.12.2009 zur Untermiete zu dem Zeugen O. H. J., C. Die Gesamtkosten dieser Wohnung beliefen sich auf monatlich 800,00 EUR, bestehend aus einer Grundmiete von 700,00 EUR, Betriebskosten von 50,00 EUR und Heizkosten von weiteren 50,00 EUR monatlich. Nach Angaben der Klägerin zu 1) und des Zeugen vereinbarten diese zunächst eine Mietzahlung im Rahmen einer Untermiete von 500,00 EUR monatlich, allerdings habe sich der Zeuge nachträglich mit einer monatlichen Zahlung von 400,00 EUR einverstanden erklärt. Die Klägerin zu 1) hatte den Zeugen nach eigenen Angaben etwa zwei Wochen vor dem Umzug kennengelernt. Nach übereinstimmenden Angaben besteht zwischen der Klägerin zu 1) und dem Zeugen seit Juli 2010 eine Lebensgemeinschaft. Aus einem Untermietvertrag vom 03.03.2010 ergibt sich eine Monatsmiete von 444,60 EUR zzgl. 214,50 Nebenkosten.

Am 27.07.2009 beantragten die Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bei der ARGE S (jetzt Jobcenter S, hier einheitlich: Beklagter). Diesen Antrag lehnte der Beklagte telefonisch wegen des Bestehens der Wohnsitzauflage für den Kreis E am selben Tag ab. Hiergegen legten die Kläger mit Schreiben vom 07.10.2009 Widerspruch ein und machten ein Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht Köln (S 25 AS 200/09 ER) anhängig. Im Beschwerdeverfahren beim LSG Nordrhein-Westfalen (L 19 B 389/09 AS ER) wurde den Klägern mit Beschluss vom 20.01.2010 Leistungen in Höhe des Regelbedarfs und ein Mehrbedarf für Alleinerziehung für den Zeitraum vom 14.10.2009 bis 31.12.2009 vorläufig zugesprochen. Kosten der Unterkunft seien für die Zeit ab 01.12.2009 nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Es sei lediglich vorgetragen worden, der Zeuge sei zukünftig bereit, einen Mietvertrag abzuschließen. Im Hauptsacheverfahren sei zu prüfen, ob die Anmietung der Wohnung unter Verstoß gegen die ausländerrechtliche Wohnsitzauflage erfolgt sei und dies einen Anspruch ausschließe. In Umsetzung dieses Beschlusses bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 04.02.2010 den Klägern vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe des Regelbedarfs zzgl. eines Mehrbedarfs für Alleinerziehung für den Zeitraum vom 14.10.2009 bis 31.12.2009. Gegen diesen Bescheid legten die Kläger mit Schreiben vom 16.02.2010 Widerspruch ein, mit dem sie auch die Übernahme der Unterkunftskosten geltend machten. Diesen Widerspruch verwarf der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23.06.2010 als unzulässig. Der Bescheid vom 04.02.2010 setze nur den Beschluss des LSG Nordrhein-Westfalen um und sei daher nicht widerspruchsfähig.

Mit Bescheid vom 28.06.2010 bewilligte der Beklagte den Klägern Leistungen in Höhe des Regelbedarfs einschließlich eines Mehrbedarfs für Alleinerziehung endgültig auch für den Zeitraum vom 01.08.2009 bis zum 13.10.2009, jedoch ohne Kosten der Unterkunft und Heizung.

Mit Widerspruchsbescheid vom 01.07.2010 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. In den Änderungsbescheiden vom 04.02.2010 und 28.06.2010 seien den Klägern der Regelbedarf und der Mehrbedarf für Alleinerziehung bewilligt worden, da diese Leistungen im Zuständigkeitsbereich der Bundesagentur für Arbeit lägen und damit bundeseinheitlich zu gewähren seien. Dies gelte jedoch nicht für die Unterkunftskosten, da hierfür die Zuständigkeit der kommunalen Träger gegeben sei. Die Kläger hielte sich aufgrund der Wohnsitzauflage für den Kreis E nicht rechtmäßig in C. auf, so dass ihnen keine unterkunftsbezogenen Leistungen gewährt werden könnten. Die Zuständigkeit des SGB-II-Trägers ergebe sich aus § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 iVm § 36 SGB ll und richte sich nach dem gewöhnlichen Aufenthaltsort bzw., wenn ein solcher nicht feststellbar sei, nach dem tatsächlichen Aufenthaltsort. Gewöhnlicher Aufenthaltsort sei nach § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB l dort, wo jemand sich unter Umständen aufhalte, die erkennen ließen, dass er dort nicht nur vorübergehend verweilen wolle. Auf Grund der Wohnsitzauflage könne eine zukunftsoffene Verweildauer nicht angenommen werden. Die Wohnsitzauflage sei nicht aufgehoben worden und daher sei eine Zustimmung zum Umzug durch den Kreis E nicht möglich. Die Regelungen zum tatsächlichen Aufenthaltsort könnten keine Anwendung finden, denn es handele sich um einen Auffangtatbestand, der nur für Obdachlose gelte.

Am 16.07.2010 haben die Kläger Klage zum Sozialgericht Köln erhoben und Kosten der Unterkunft geltend gemacht. Maßgeblich für den Anspruch auf Unterkunftskosten sei allein der tatsächliche gewöhnliche Aufenthaltsort. Dieser sei für sie in C. Es komme auf die tatsächlichen Verhältnisse, nicht eine Entscheidung der Ausländerbehörde an. Eine Vorschrift entsprechend der Regelung des § 23 Abs. 5 SGB XII gebe es im SGB II nicht. Eine vorherige Zustimmung zum Umzug sei nicht erforderlich. Einen konkreten Nachweis für die Mietzahlungen ab Dezember 2009 könnten sie nicht vorlegen, da diese Zahlungen in bar erfolgt seien. Auch der Zeuge J. verfüge nicht über Quittungen der Mietzahlungen an seinen Vermieter, da diese Zahlung ebenfalls in bar erfolgt seien.

Die Kläger haben beantragt,

den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 27.07.2009 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 04.02.2010 und 28.06.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.07.2010 zu verpflichten, ihnen im Zeitraum vom 01.08.2009 bis 30.11.2009 monatliche Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 494,47 EUR zu gewähren und im Zeitraum vom 01.12.2009 bis 31.12.2009 Unterkunftskosten in Höhe von 400,00 EUR zu gewähren.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Entscheidend für den Anspruch auf Unterkunftskosten sei die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes. Aus dem Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 25.04.2013 - L 2 AS 454/13 B ER folge, dass Leistungen bei einem Verstoß gegen eine Wohnsitzauflage nicht zustünden, da es dem Betroffenen freistehe, an den in der Wohnsitzauflage genannten Wohnort zurückzukehren und dort Leistungen zu erhalten.

Das Gericht hat die Klägerin zu 1) angehört und den Zeugen J. vernommen. Mit übereinstimmenden Aussagen haben die Klägerin zu 1) und der Zeugen J- erklärt, dass die Klägerin zu 1) und der Zeuge sich zwar zunächst auf eine Mietbeteiligung von 500,00 EUR monatlich geeinigt hätten, der Zeuge sich dann jedoch mit einer Mietzahlung von 400,00 EUR zufrieden gegeben habe. Auf den Kontoauszügen der Klägerin zu 1) sei für Dezember 2009 keine Mietzahlung erkennbar, weil der Zeuge ihr mangels Leistungen von dem Beklagten ein Darlehen in Höhe von 2.000,00 EUR gewährt habe, welches die Klägerin zu 1) diesem nach Erhalt der Leistungen durch den Beklagten bar zurückgezahlt habe. Der Zeuge hat erklärt, die Klägerin schulde ihm noch für Dezember 2009 bis Juli 2010 700 EUR Miete, diese brauche sie ihm aber nicht mehr zu zahlen. Der Beklagte hat im Verhandlungstermin am 16.06.2011 erklärt, er behaupte nicht mehr das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft vor Juli 2010.

Mit Urteil vom 10.07.2014 hat das Sozialgericht den Beklagten zur Zahlung der Kosten der Unterkunft im beantragten Umfang verurteilt. Die Übernahme der Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs. 1 SGB II sei nicht wegen fehlender Zuständigkeit des Beklagten aufgrund der im streitigen Zeitraum bestehenden Wohnsitzauflage für E ausgeschlossen. Für die Leistungen sei der Träger zuständig, in dessen Bezirk der Betroffene seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder, wenn dieser nicht feststellbar ist, seinen tatsächlichen Aufenthaltsort habe. Maßgeblich für die Feststellung, wo jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe, seien nicht die Rechtmäßigkeit dieses Aufenthaltes, sondern nur die tatsächlichen Verhältnisse. Hiernach hätten die Kläger im streitigen Zeitraum ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort im Zuständigkeitsbereich des Beklagten gehabt.

Gegen das am 17.07.2014 zugestellte Urteil hat der Beklagte am gleichen Tag Berufung eingelegt. Ein Ausländer könne seinen gewöhnlichen Aufenthalt nur dort begründen, wo nach den Vorschriften des Ausländerrechts das nicht nur vorübergehende Verweilen zugelassen sei. Die Kläger hätten ohne Zustimmung E verlassen. Daran ändere nichts, dass der abschlägige Bescheid auf Änderung der Wohnsitzauflage erst nach dem streitgegenständlichen Zeitraum ergangen sei. Im Übrigen komme eine analoge Anwendung des § 23 Abs. 5 SGB XII in Betracht.

Der Berufungskläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 10.07.2014 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Berufungsbeklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie halten das erstinstanzliche Urteil für richtig.

In der mündlichen Verhandlung hat der Beklagte in Erweiterung des Bescheides vom 28.06.2010 dem Grunde nach die Verpflichtung zur Zahlung der Regelleistung vom 14.10.2009 bis zum 31.12.2009 anerkannt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, den übrigen Akteninhalt sowie auf die Verwaltungsakten des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Streitgegenstand des Verfahrens ist ein Anspruch der Kläger auf Bewilligung der Kosten für Unterkunft und Heizung für den Zeitraum vom 01.08.2009 bis zum 31.12.2009. Die Kläger haben den Streitgegenstand zulässig auf diese Kosten beschränkt (BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 67/06 R).

Zu Recht hat das Sozialgericht den Beklagten im tenorierten Umfang zur Gewährung von Kosten für Unterkunft und Heizung verurteilt. Der zulässig angefochtene Bescheid vom 27.07.2010 und der Änderungsbescheid vom 28.06.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.07.2010 sind rechtswidrig iSd § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, soweit diese Leistungen abgelehnt werden. Der Umstand, dass das Sozialgericht unzutreffend auch den Bescheid vom 04.02.2010, mit dem der Beklagte lediglich den Beschluss des LSG Nordrhein-Westfalen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren L 19 B 389/09 AS ER umgesetzt hat, geändert hat, begründet die Berufung nicht teilweise, weil der Beklagte hierdurch nicht beschwert ist.

Der Beklagte kann im Wege des gesetzlichen Beteiligtenwechsels anstelle der ursprünglich zuständigen ARGE S in Anspruch genommen werden (§ 76 Abs. 3 SGB II, hierzu BSG, Urteil vom 18.01.2011 - B 4 AS 90/10 R).

Die Kläger erfüllen im streitigen Zeitraum dem Grunde nach die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Sie waren hilfebedürftig iSd §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 9 SGB II in der 2009 geltenden Fassung (SGB II aF). Die Klägerin zu 1) war erwerbsfähig (§§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 8 SGB II aF), denn ihr war ihr die Aufnahme jeder Beschäftigung gestattet. Die Ausschlussgründe des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II greifen nicht, da ihr Aufenthalt gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG generell und nicht nur zum Zweck der Arbeitsuche als erlaubt galt. Die Kläger zu 2) und 3) waren Teil der Bedarfsgemeinschaft und haben einen Anspruch auf Sozialgeld, das die Kosten für Unterkunft und Heizung umfasst (§§ 28 Abs. 1 SGB II aF).

Obwohl es sich bei den Ansprüchen der Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft um nach dem Kopfteilprinzip zu berechnende Individualansprüche handelt (ständige Rechtsprechung des BSG, vergl. nur Urteile vom 29.11.2012 - B 14 AS 36/12 R und vom 22.08.2013 - B 14 AS 85/12 R), hat der Senat davon abgesehen, den Tenor im Hinblick auf die zustehenden Einzelbeträge klarstellend neu zu fassen (abweichend insoweit BSG, Urteil vom 23.05.2013 - B 4 AS 67/12 R). Denn im vorliegenden Fall wäre auch eine Verurteilung zur Leistungserbringung nur dem Grunde nach zulässig gewesen (§ 130 SGG), was ebenfalls eine Individualberechnung in einem Ausführungsbescheid erforderlich gemacht hätte.

Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II aF werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendung anerkannt, soweit sie angemessen sind. Hinsichtlich der Berechnung der Höhe der zustehenden Leistungen verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts, die der Rechtsprechung (vgl. BSG, Urteil vom 27.07.2008 - B 14/11b AS 15/07 R) entspricht und - ebenso wie die zutreffend bejahte Angemessenheit der Kostenübernahme in tatsächlicher Höhe - vom Beklagten nicht angegriffen wird. Die tenorierten Unterkunftskosten sind den Klägern entstanden. Dies gilt auch für den Monat Dezember 2009. Insoweit haben die Klägerin zu 1) und der Zeuge glaubhaft angegeben, dass nur ein Darlehen gewährt worden ist. Diese Beurteilung erfährt keine Änderung durch die Aussage des Zeugen, die Klägerin brauche ihm "die restlichen 700 EUR" nicht mehr zu zahlen. Dieser Nachlass erfolgte zeitlich nachträglich für weitere ausstehende Mietzahlungen vor dem Hintergrund, dass die Klägerin zu 1) nun für ihn im Kiosk arbeitet und seine Lebensgefährtin geworden ist.

Die Verpflichtung zur Übernahme der Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs. 1 SGB II ist nicht ausgeschlossen, weil die Kläger sich entgegen der ausländerrechtlichen Wohnsitzauflage im Zuständigkeitsbereich des Beklagten aufgehalten haben.

Die Zuständigkeit der ARGE S und damit rückwirkend des Beklagten für Leistungen nach dem SGB II ergibt sich aus §§ 36 SGB II iVm 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 44b SGB Il aF. Danach sind örtlich zuständig die Agentur für Arbeit bzw. der kommunale Träger, ggfs. - wie hier - zusammengefasst zu einer Arbeitsgemeinschaft, in dessen Gebiet die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat.

Für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts iSd § 36 SGB II ist § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I maßgeblich (Link, in: Eicher, SGB II, 3. Aufl., § 36 Rn. 30). Hiernach ist der gewöhnliche Aufenthalt einer Person dort, wo sie sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass sie dort nicht nur vorübergehend verweilen will. Entscheidend sind in objektiver Hinsicht die Umstände, unter denen sich ein Betroffener an einem Ort aufhält und zum anderen in subjektiver Hinsicht die Willensrichtung, sich dort zukunftsoffen, also nicht nur vorübergehend aufzuhalten. Weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht sind Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass die Kläger sich entgegen ihrer Darstellung nicht zukunftsoffen in C. aufgehalten haben und aufhalten wollten. Die Klägerin zu 1) hat dort einen unbefristeten Mietvertrag abgeschlossen und später eine Lebensgemeinschaft mit dem bereits in C. wohnenden Zeugen begründet.

Für die Feststellung des gewöhnlichen Aufenthalts ist eine Wohnsitzauflage unmaßgeblich (ebenso Aubel, in: Juris PK, SGB II, 4. Auflage 2015, § 36 Rn. 18; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 06.06.2013 - L 2 AS 591/13 B ER; SG Oldenburg, Beschluss vom 25.03.2010 - S 47 AS 550/10 ER; SG Hildesheim, Beschluss vom 22.03.2010 - S 43 AS 420/10 ER; abweichend LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 06.06.2013 - L 13 AS 122/13 B ER; wohl auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10.07.2014 - L 14 AS 1569/14 B ER; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13.05.2015 - L 12 AS 574/15 B).

Dies ergibt sich bereits aus einem Umkehrschluss aus § 10a Abs. 3 Satz 4 AsylbLG. Nach dieser durch das das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 20.10.2015 (BGBl I 2015, 1722) eingefügten, am 24.10.2015 in Kraft getretenen, Vorschrift wird (u.a.) bei Vorliegen einer Wohnsitzauflage der gewöhnliche Aufenthalt ohne Rücksicht auf die tatsächlichen Lebensumstände und damit abweichend von § 10a Abs. 3 Satz 1 AsylbLG gesetzlich fingiert. Als gewöhnlicher Aufenthaltsort gilt das Gebiet der Wohnsitzauflage. Ob sich die leistungsberechtigte Person an einem anderen Ort gewöhnlich oder auch nur tatsächlich aufhält, ist für das AsylbLG ohne Bedeutung. Die Vorschrift ist vom Gesetzgeber in Kenntnis des Umstandes, dass es auch Ausländer gibt, die einer Wohnsitzauflage unterliegen und Leistungen nach dem SGB II beziehen, nicht in das SGB II übernommen worden, woraus zu schließen ist, dass sie in diesem Bereich nicht gelten soll. Für eine Analogie fehlt zudem bereits die vergleichbare Interessenlage, weil (nur) Berechtigte nach dem SGB II nach § 2 SGB II alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen, aktiv an allen Maßnahmen zu ihrer Eingliederung in Arbeit mitwirken und ihre Arbeitskraft zur Beschaffung des Lebensunterhalts für sich und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen einsetzen müssen. Hierbei ist grundsätzlich die Aufnahme jeder Arbeit zumutbar (vgl. § 10 SGB II), ggf. auch, wenn mit einer Arbeitsaufnahme ein Wohnortwechsel einhergehen muss. Eine Leistungsverweigerung wegen einer ausländerrechtlichen Wohnsitzauflage stünde dem Ziel der Eingliederung in Arbeit entgegen. Auch § 23 Abs. 5 SGB XII, wonach der Träger der Sozialhilfe diese auf die nach den Umständen unabweisbar gebotene Leistung beschränken darf, wenn sich ein Ausländer entgegen einer ausländerrechtlichen räumlichen Beschränkung an einem Ort aufhält, ist - entgegen der Meinung des Beklagten - allein aus diesem Grund nicht im SGB II analog anwendbar. Zudem würde eine Anwendung dieser Vorschrift den Anspruch der Kläger auf Unterkunftskosten ohnehin nicht ausschließen.

Für den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts iSd § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II ist es nach der Rechtsprechung des BSG (BSG, Urteil vom 30.01.2013 - B 4 AS 54/12 R) ausgeschlossen, unter Berufung auf eine sg Einfärbungslehre dem Gesetzeswortlaut nicht zu entnehmende Tatbestandsmerkmale iS von rechtlichen Erfordernisses zum Aufenthaltsstatus beizufügen. Der Senat sieht keinen Grund, hiervon bei Anwendung von § 36 SGB II abzuweichen.

Selbst wenn man aber davon ausgehen sollte, dass es an einem gewöhnlichen Aufenthalt fehlte, weil die Ausländerbehörde gegebenenfalls berechtigt war, den Wohnsitz der Berufungsgegner zwangsweise wieder zurück nach E zu verlegen, wäre bis zum Vollzug einer solchen Maßnahme gleichwohl der Beklagte nach § 36 Satz 3 SGB II aF (jetzt § 36 Satz 4 SGB II) für die Leistungsbewilligung zuständig. Diese Vorschrift greift, wenn ein gewöhnlicher Aufenthalt nicht feststellbar ist. Gemeint sind hiermit zwar in erster Linie nichtsesshafte Personen (Link, in: Eicher, SGB II, § 36 Rn. 43), indes ist die Vorschrift tatbestandlich nicht auf diese Personengruppe beschränkt. Wäre dem Beklagten Recht zu geben und stünde die Wohnsitzauflage der Bejahung des gewöhnlichen Aufenthalts in C. entgegen, würde dieses noch keinen anderweitigen gewöhnlichen Aufenthalt (in E) begründen, weil die Kläger sich dort nicht aufgehalten haben und allein eine nicht vollzogene Wohnsitzauflage keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Ein gewöhnlicher Aufenthalt wäre dann nicht feststellbar und der tatsächliche Aufenthalt - der in C. lag - wäre maßgeblich (ebenso LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13.05.2015- L 12 AS 573/15 B ER, L 12 AS 574/15 B).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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